Auch Schmähkritik hat ihre Grenzen!

Der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, soll seinen ehemaligen Kollegen, den Ministerpräsidenten von Italien, Silvio Berlusconi, einen ‘Dreckarsch’ genannt haben. Das berichten übereinstimmend u.a. Focus, FAZ, Süddeutsche und Neues Deutschland, und die Thüringer Allgemeine fragt gar, ob man das überhaupt sagen dürfe.

Ja, darf man. Man darf alles sagen.

Aber ich finde, es ist nicht richtig. Es ist nicht korrekt, Berlusconi einen Dreckarsch zu heißen. Nach übereinstimmenden Berichten meines Sprachgefühls sowie meiner beiden Ohren wird hier ein Fugen-s fällig, und es muß ‘Drecksarsch’ heißen.

Und das gilt für alle Ministerpräsidenten der Welt. Auch für Bodo Ramelow.

Frische Prise

Ich hatte vor Jahren das Privileg, Frau Julia Klöckner um ihre Hand zu bitten, weil sie sich in einer Rede eines blühenden Deutsches befleißigt hatte, das ich für den Rest meiner Tage nicht missen wollte. Leider sind meine glühenden Schwüre von einer intriganten Beraterschaft unterschlgen worden und nie zu ihr gelangt, denn sie hat mich bislang keiner Antwort gewürdigt, und ich fühle, wie mein Feuer langsam erkaltet. Ich bin nicht der Mann, hinter Weinköniginnen herzujachtern, wenn diese nicht wollen.

Aber natürlich folge ich der Berichterstattung über meine Dame aufs Treuherzigste. So gelangte mir jetzt auch die Wahlkampfreportage eines gewissen Kevin Hagen zur Kenntnis, obwohl mir der Arzt geraten hat, etwas kürzer zu treten, was Artikel von Spiegel Online angeht, sofern sie in Sprache abgefaßt sind. Unter der Überschrift “Ein bißchen Demut, ein bißchen Seehofer” stellt der Autor meine Herzensdame von vornherein in einen Senkel mit den Damen France Gall (“Ein bißchen Goethe / ein bißchen Bonaparte”) und Nicole (“Ein bißchen Frieden / ein bißchen Sonne | Freude | Träumen | Liebe”) und damit seine Voreingenommenheit unter Beweis. Es ist ja kein Zufall, daß ausgerechnet die SPD Rheinland Pfalz den Artikel unter dessen Schlußsatz “Noch eine Brise mehr Seehofer also” von ihrer Facebook-Seite aus verliked.

Als altes CDU-Mitglied, für das der Vorsitzende der Schwesterpartei CSU so eine Art Schwager ist – und eingedenk all der Damen, von denen berichtet wird, daß Seehofer sich für diese in galantem Dienst verzehre, ist ja die Möglichkeit, daß man darüberhinaus tatsächlich mit ihm verschwägert ist, eine durchaus reale – als Schwager Seehofers muß ich die darin sich manifestierende Unterstellung zurückweisen: Seehofer ist keine Brise – Seehofer ist ein Sturm!

Und zwar ein ausgewachsener Zyklop.

Differenzierte Schmähkritik

Unter dem Titel

Gegen Rechte: Pöbeln, aber präzise
Plädoyer für eine differenzierte Schmähkritik

veröffentlicht SPIEGEL ONLINE KULTUR – dochdoch – ein Plädoyer für – tja: wofür? Eine differenzierte Schmähkritik? Ich weiß ja nicht.

Dabei hebt es vielversprechend an:

Dummheit ist eine tricky Eigenschaft, weil sie sich immer wieder entzieht. Wen meint man, wenn man von Dummen spricht? Die mit wenig IQ? Oder wenig Bildung? Die, die zu schnell Schlüsse ziehen, weil sie zu faul zum Denken sind? Oder die, die falsche Schlüsse ziehen? Schwierig. “Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen”, schrieb Ronja von Rönne neulich auf Twitter. Niemand schrieb: “Doch, ich.”

Nicht einmal Ronja von Rönne? – Ich hätte nicht übel Lust, darob beleidigt zu sein. Man denke, man machte sich die Mühe, Ronja von Rönne zu beleidigen, und dann wollte sie sich davon nicht angegriffen fühlen?! – “Nö.”

Mein Sprachgefühl hingegen fühlt sich angegriffen, und zwar immer dann, wenn man der Dummheit unterstellt, eine “tricky Eigenschaft” zu sein. Schon aus Rhythmusgründen würde ich einen Satz wie “Dummheit ist eine tricky Eigenschaft” ablehnen; ein dummer Satz! Er schreit geradezu nach einem mindestens dreisilbigen Eigenschaftswort: “Dummheit ist eine trickyge Eigenschaft.” Das möchte hingehen, aber trickyg gibt es nicht.

Vielleicht könnte man ein Wort nehmen, das es gibt? Bloß welches? Es müßte schon in etwa dasselbe bedeuten wie tricky? – Knifflig geht leider nicht. Knifflig bedeutet nicht in etwa dasselbe wie tricky, sondern haargenau dasselbe.

Aber es ist nicht die fehlende Dreisilbigkeit, es ist das fehlende Flexionsphonem. “Eine tricky Eigenschaft” – das klingt, wie es sich anfühlt, wenn man an einem kühlen Märzmorgen aufs Trottoir tritt, die Haustür hinter einem ins Schloß fällt, und man nun am Luftzug merkt, daß man vergessen hat, sich eine Hose anzuziehen.

Wohin man auch guckt, überall sind Idioten.

Hach, ja-a!

Könnte man zumindest meinen,

Dochdoch! Ist schon so.

so viel, wie überall gerade über Idioten geschimpft wird. Ich mache das selbst ständig, aber es ist nicht gut: Es ist faul, zu kurz gedacht und am Ende sehr dumm.

Geradezu idiotisch?

Wen meint man, wenn man von Dummen spricht? Die mit wenig IQ? Oder wenig Bildung?

Ich würde meinen wollen: die Faulen. Die Kurzdenker, die Zukurzdenker, Wennüberhauptdenker. Die die nötige Bildung hätten, zu erkennen, daß es nicht “mit wenig IQ” heißen kann, sondern “mit niedrigem IQ” heißen muß, die aber nicht wollen. – “Nö!” – Für die “Quotient” anscheinend ein Stoffname ist, so etwas in der Art von Zucker, etwas, dem man mit einer unbestimmten Mengenangabe zuleibe rücken darf und das sich schaufeln läßt. So wie Kohle. Oder Gips.

Oder Grips.

Es ist en vogue, Leute dumm zu nennen, oder eben Idioten; oft im Zusammenhang mit Rassismus und/oder dem Internet.

Es ist allerdings auch en vogue, dumm zu sein, oder eben ein Idiot zu sein; oft im Zusammenhang mit allem Möglichen; und das Internet ist nicht das geringste darunter. Man hat manchmal den Eindruck, die Leute meinten, sich im Internet ganz besonders idiotisch aufführen zu müssen; das sei dort so Sitte. Ist es auch. Trotzdem müßten sie nicht, sie dürften auch anders.

Aber das wollen sie nun auch wieder nicht. – “Nö!”

Über-die-AfD-reden fasten

Wenn man über Idioten redet, dann kommt kaum umhin, auch über die AfD zu sprechen,

Ah, c’est en vogue, n’est-ce pas? – Aber die Idioten wählen, oder mindestens damit drohen, sie zu wählen, um den Bourgeois zu épatieren, das ist halt auch en vogue.

aber ich versuche, das nicht zu tun, denn ich faste Über-die-AfD-reden. (Es ist so wohltuend, ich kann es nur empfehlen: Ich bin nach nur einer Woche schon viel ausgeglichener, ich schlafe gut und bin schön wie der Frühling.) Aber ich brauche gar nicht selbst über die AfD zu reden, mir reichen für heute die anderen, die über die AfD reden.

“Wenn Dummheit weh täte” – so fängt ein kluger Schmähschnack an, an dem das klügste möglicherweise der Konjunktiv ist. Und um noch einmal auf Ronja von Rönne zurückzukommen: daß die Dummen sich nie getroffen fühlen, liegt halt genau an dem Konjunktiv, an der Schmerzlosigkeit der Dummheit. Vielleicht bin ich knalledoof, kann ja sein, woher wollte ich es wissen? Spüren tu ich nichts. Was mir aber unsägliche Schmerzen bereitet, brennende Hautrötungen, juckende Ausschläge, Blasen, Schwellungen, Atembeschwerden, Brechreiz bis hin zu Kreislaufkollaps, Lähmung der Skelett- und Herzmuskulatur, das ist, wenn einer irgendwas “fastet”, wenn also einer einem intransitiven Verb ein Akkusativobjekt in die Klüten haut. So muß sich Gollum gefühlt haben, als seine Haut mit dem Seil aus Lothlórien Bekanntschaft machen mußte.

Schweigen will ich von der neckischen Rhetorik des “Schweigen will ich von …”, das zwar enthaltsam tut, aber in Wahrheit nur als Einmeterbrett für den anschließenden Köpper ins Volle dient: “Schweigen will ich von Lokalen, wo das Böse nächtens praßt, wo im Kreis der Liberalen, man den Heil’gen Vater haßt”. Diese Rhetorik kann ich zwar auch nicht verknusen, aber sie führt wenigstens nicht zum Herzstillstand.

Es ging ein fauliger Geruch von diesem Text aus, als ich mich vorhin durch das Internet wühlte, und die anschließende Wühlerei durch die Kolumne machte mir deutlich: in deren Mitte wurde der Geruch stärker. Hier war das Zentrum all des Modrigen, Faulen, Unguten; des Zukurzgedachten, des am Ende sehr Dummen. Ich kam mir vor wie Sam und Frodo, als sie im Finstern an Kankras Lagerstatt vorbeimußten. Und im Bestreben, es ihnen gleich zu tun und möglichst schnell woanders hinzukommen, wo die Luft weniger stickig ist, hatte ich glatt übersehen, daß es diese Schandgrammatik dick und feist bis in eine Zwischenüberschrift geschafft hatte.

Aber ich entstamme halt einer anderen Zeit. Als ich zur Schule ging, war die Welt noch jünger und pastellfarbener, da hießen Kinder noch nicht Ronja mit Vornamen, da tanzte Lúthien Tinúviel noch auf dem Gras von Beleriand, floß noch frische Luft durch die Gänge von Cirith Ungol, wurde der Heilige Vater noch von Liberalen gehaßt und nicht von Strolchen, war Chauvinismus noch die Sache von distinguierten älteren Herrschaften (“He Kümmeltürk! Da liegt noch Dreck!”) und nicht von Idioten, wurden die Karikaturen zu dem Thema noch von Kurt Halbritter gezeichnet (“He Kümmeltürk! Da liegt noch Dreck!”), und waren die Straßen in deutschen Städten jedenfalls allzeit sauber gefegt. Und in der Schule lernten wir den Unterschied zwischen den transitiven und intransitiven Verben: ein intransitives Verb ohne Akkusativobjekt war demnach wie ein Fisch ohne Fahrrad.

“Fasten” ist solch ein intransitives Verb. Entweder eins fastet, oder es läßt es sein. Das ist wie beim Schweigen. Oder beim Zölibat halten. Alles drei hat mit Enthaltsamkeit zu tun, und mit Verzicht. Und alle drei verzichten zuallererst einmal auf ein Akkusativobjekt. Man kann Dinge verschweigen, aber man kann sie nicht schweigen. Man kann Blondinen bevorzugen, man kann sie auch verschmähen, man kann sie daten, aber man kann sie nicht zölibaten. Es gibt kein Wort “zölibaten”. Gäbe es es, wäre es intransitiv.

Es ist in dieser Fastensaison schon das zweitemal, daß mir einer mit transitivem Gebrauch von fasten auf die Zehen tritt. Der erste war ausgerechnet der lokale Pfarrer, und er benutzte dazu das Editorial seines Vierteljahresgemeindemagazins, das “Fingerzeige zu Gott” heißt und “An alle Haushaltungen” verteilt wird. Seitdem fehlt in unserer Haushaltung ein Stück des Küchentischs, und ich bin in zahnärztlicher Behandlung.

Wenn aber die evangelische Kirche schon befallen ist, die ja, was Dummschwatz angeht, nicht zu den very, very early adopters zählt, wohl aber zu des Dummschwatzes treuesten Followern, wenn es erst einmal soweit ist, dann muß ich den Kampf wohl verloren geben. Ab sofort also zählt fasten zu den transitiven Verben.

Aber muß ich mir deswegen gleich alles gefallen lassen? Von einer Kolumne, die die Stirn hat, Präzision zu fordern? Und Differenziertheit? Einer Kolumne, die immer noch nicht ganz hasenrein riecht:

Apropos Bildung. Man könnte, wenn es um Idioten geht, auf die griechische Wortherkunft verweisen.

Nicht machen!

Das Wort “idiotes” bezog sich auf Privatpersonen, die sich gerade nicht in öffentliche Angelegenheiten mischten, und später war “Idiotie” ein Begriff, der sich auf geistige Behinderung bezog.

Bitte nicht! Das hat doch keinen Sinn!

In beiden Sinnen meint man “Idiot” heute offenbar nicht mehr.

Da geht er hin, der Sinn! Ab sofort übernehmen die Sinne. Ich nehme an, es ist im Sinne von – pardon: in den Sinnen von Präzision und Differenziertheit, wenn allzu exzessive Unterscheiderei und vulgäre Genauigkeitsorgien ab sofort gefastet werden. Schweigen will ich dabei den Unterschied zwischen “offenbar” und “anscheinend”, denn dieser Unterschied wird schon seit geraumer Zeit und flächendeckend gefastet, und zwar, wie es den Anschein hat, ganz offenbar.

Denn wie schrieb schon Tucholsky? “Sprache ist eine Waffe” schrieb Tucholsky. “Steckt ihr etwas Scharfes zwischen die Rippen.”

Das schrieb er nicht!

Das schrieb er nicht? Was schrieb er denn? – Moment, ich weiß – Tucholsky schrieb: “Sprache ist eine Waffe. Reibt ihr etwas Chilipulver in die Augen.”

Das schrieb er auch nicht!

Tja, dann …

Tucholsky schrieb: “Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf.”

Das hat Tucholsky gesagt?

Geschrieben.

Ein kluger Mann. – “Klug ist, wer Kluges schreibt,” wie Forrest Gumps Großmutter immer sagte.

Aber was heißt das?

Was heißt was?

Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf.

Also: wenn sie ein Gewehr wäre, dann alle hundert Schuß putzen. Putzstock, Lappen, Filzpfropfen, Fettbürste – kommt auf das Gewehr an. Bei einer Damaszener Klinge gilt: auf keinen Fall in die Spülmaschine damit. Und wenn doch, dann nach dem Spülen sofort herausnehmen. Nicht in der geschlossenen Maschine trocknen lassen.

Bei Sprache jedoch würde ich meinen …

Sich beim Schimpfen Mühe geben

Zum Beispiel, ja. Sich Mühe geben ist immer gut, und außerdem …

Präzise pöbeln

Auch das, auch das. – Wo wir gerade bei Vaterfiguren sind: Mein Vater, Gott hab ihn selig, hat mir früh verboten, “Ich würde sagen” zu sagen, denn er sagte immer: “Sag nicht, was du sagen würdest, sag, was du sagst.” – Das steckt tief drin. Gleichwohl ist da diese Lust, aufzubegehren, das väterliche Gebot zu übertreten, mit dem ganzen Rattenkönig an psychologischen, mythologischen, religiösen und hastdunichtgesehenen Implikationen, der dieses Aufbegehren begleitet, und darum setze ich immer noch eins drauf und sage: “Ich würde meinen wollen”. Um dem Gebot einerseits zu entsprechen und ihm andererseits ein Schnippchen zu schlagen.

Aber was heißt das?

Nichts, ich meinte nur. – Weil ja alle Welt immer fancy Distinktions-Selfies mit Tucholsky-Zitaten macht, aber nie einer tut, was er sagt. Vielleicht ist das ja auch so eine Vater-Kiste. – Knifflig.

Schwierig.

Verzwickt.

Tricky.

Fancy!

Groovy.

Wieso groovy?

Wem das zu hippiemäßig ist, okay, geschenkt –

Nein, nein, es kommt nur etwas unerwartet. – Far out, man!

besser ein Hippie als ein arroganter Dödel

Unbedingt, man! – Outta sight, man!

Peace.

Peace.

Verhöhnte Vergleichsopfer

Neulich war’s, da ranzte mich die FAZ an, was mir denn wohl einfiele und wie ich dazu käme, mit angeschaltetem Werbeblocker bei ihnen auf der Seite Anker zu werfen, und ich wußte erst überhaupt nicht, was sie von mir wollen? Schließlich ist mein Werbeblocker immer angeschaltet; soll ich etwa darüber nachdenken, bevor ich irgendeinem Link folge? Und selbst, wenn mein Werbeblocker abgeschaltet wäre, was nicht passieren wird, was schon deswegen nicht passieren wird, weil ich nicht vorhabe, aus Versehen auf bild.de zu landen und dort etwas zu lesen, selbst dann wäre ja mein intrinsischer Werbeblocker scharfgeschaltet. Daß die Leute sich so schwertun damit, die guten alten Print-Grundsätze auf Online zu übertragen! Wenn ich früher beim Zahnarzt saß und den Stern durchblätterte, hat da etwa jemand drauf aufgepaßt, daß ich die Reklame nicht überblätterte? Wer denn?

Aber bei Online soll ich plötzlich kontrolliert werden?! – Ist nicht.

Jedenfalls luden sie mich trotz Anranzers ein, an einer Datenerhebung teilzunehmen und sie unter anderem wissen zu lassen, warum ich einen Werbeblocker benutze – “Wie, warum?” – und ob und unter welchen Umständen ich bereit wäre – “Unter gar keinen!” -, Ausnahmen zu machen – “Nein!” – und für wen – “Für gar niemanden.”?

Schließlich entschied ich mich aber gegen eine Teilnahme, weil, erstens, sollen sie doch die Werbetreibenden fragen, warum die Leute Werbeblocker benutzen, die wissen das nämlich mittlerweile ganz gut; und zweitens dachte ich mir: “Sollen sie doch erstmal alle eingehen! Wenn neues Leben aus Ruinen blühen soll, braucht man zuallererst mal Ruinen,” und sagte die Teilnahme an der Umfrage ab. Denn die Option “Ich benutze einen Werbeblocker, habe immer einen Werbeblocker benutzt und werde immer einen Werbeblocker benutzen, denn ich will, daß ihr alle eingeht. Auch die FAZ.” – diese Option wurde nicht zur Auswahl angeboten.

Mir war nämlich eingefallen, daß ich bis dahin fälschlicherweise geglaubt hatte, Zeitungsverlegerei sei ein mühseliges Geschäft. Zeitungsverleger, so hatte ich gedacht, leben von Knäckebroten mit Quark, den Schnittlauch müssen sie schon schnorren. Soll aber gar nicht so sein, las ich dann irgendwo (online, mit angeschaltetem Werbeblocker). Die Renditen seien immer noch beachtlich, hieß es dort. Die Verleger hätten immer noch goldene Hinterteile. Bloß Journalisten könnten sie nicht mehr bezahlen. Deswegen nähmen sie jetzt jeden.

Auch bei der FAZ.

Und darum denke ich, ich habe mir vielleicht ein Kuckucksei ins eigene Nest gelegt, mit meiner Weigerung, den Werbeblocker ausnahmsweise abzuschalten, denn in der FAZ erschien dieser Tage ein Kommentar – und wurde sogar im Radio verlesen -, in dem es heißt:

Es ist das gute Recht der Opposition, die Ansicht der Bundesregierung, der Awacs-Einsatz über der Türkei sei nichts, worüber das Parlament zu befinden habe, notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht zur Sprache zu bringen. Was jedoch jedem mitfühlenden Zeitgenossen die Sprache verschlagen muss, ist der Versuch der Linken-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht, zivile Opfer im Kampf gegen die Terrormiliz IS mit den Opfern der Massaker islamistischer Terroristen in Paris auf eine Stufe zu stellen.

Auch als Nichtjurist muss man wissen, dass es unter allen Umständen ein Verbrechen ist, Unschuldige gezielt zu ermorden. Der Tod Unbeteiligter hingegen ist die Nebenwirkung einer Handlung, die möglichst vermieden werden muss – und weithin vermieden wird –, damit Gewalt legitim angewendet wird.

“Wer muß hier vermieden werden?” schrie ich das arme Radio an, das überhaupt nichts dafür konnte, “Die Nebenwirkung? Oder die Handlung? Entscheide dich gefälligst!”

Ich las dann später mit angeschaltetem Werbeblocker nach: ja, der Text stand unter der Überschrift Wagenknechts Terror: Verhöhnte Vergleichsopfer genauso in der Online-FAZ. Auch ein Page-Reload mit abgeschaltetem Werbeblocker brachte keine Änderung, außer, daß nun überall auf der Seite Hinweise erschienen, daß dieses Plugin verwundbar sei und ehestens aktualisiert werden sollte, woraufhin ich den Blocker schnell wieder anschaltete.

Früher, als alles besser und größer und schöner und billiger war, und als in der FAZ die Kommentare noch Fraktur-Überschriften hatten, so daß der intrinsische Kommentarblocker ein leichtes Leben hatte, da stand in den FAZ-Kommentaren zwar auch jede Menge Unfug, aber es war doch wenigstens grammatisch korrekter Unfug. Tritt man der Grammatik aber in dieser Form auf die Zehen, wie Daniel Deckers in seinem Kommentar (font-family: Georgia), dann jault die Grammatik verständlicherweise laut auf.

Aus Rache fängt sie dann an zu petzen. Das ist nur menschlich, und der Kommentar wird unfreiwillig geständig. Geständig, denn auch ein FAZ-Kommentator weiß nach Myriaden geführter und vergeigter Kriege, daß die Zahl der in diesen umgekommenen Zivilisten der der in ihnen getöteten Soldaten nicht in jedem Fall günstig unterlegen war, und daß die Gesamtzahl keineswegs naseweise Kommentare rechtfertigt. Das weiß er. Aber das will er natürlich nicht schreiben; wir sind hier immer noch bei der FAZ, nicht bei der Roten Fahne oder der Bäckerblume, wenn auch der Unterschied nicht mehr lange spürbar sein wird. Statt dessen will er schreiben, daß, jedenfalls in einem ordentlichen Krieg, in dem die Offiziere, wenn ihre Sache verloren ist, dem Gegner den Säbel reichen, mit dem Knauf nach vorne, dafür vom Gegner zu Tisch geführt und mit “Herr Kamerad” angesprochen werden, die Epauletten behalten dürfen, daß in solchen Kriegen die Zivilbevölkerung mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt und geschützt werden würde, wenn es solche Kriege gäbe.

Da er aber weiß, daß das eine ausgemachte Verhöhnung der zivilen Opfer wäre, und im Grunde seines Herzens auch er ein mitfühlender Zeitgenosse ist, dem es die Sprache verschlagen kann, verschlägt es ihm die Sprache:

Der Tod Unbeteiligter hingegen ist die Nebenwirkung einer Handlung, die möglichst vermieden werden muss – und weithin vermieden wird –, damit Gewalt legitim angewendet wird.

Was genau das heißt, kann ich nicht sagen, was es heißen soll, glaube ich zu ahnen: Die “Nebenwirkungen” des Krieges, insbesondere in Form toter Zivilisten – die Aktienkurse unbeteiligter Unternehmen seien hier mal nicht betrachtet – sollten nach Möglichkeit begrenzt werden, weil ansonsten die Legitimation des Gewaltmonopols der Gewaltmonopolisten Kollateralschaden nehmen würde. Und sie werden ja auch weitgehend begrenzt, gottseidank. Nach Möglichkeit jedenfalls. Bis auf die Ausnahmen. Die aber keiner gewollt hat. Und wenn schon, bestätigen sie nicht die Regel? Auch weiß ich meine Schuldigkeit als FAZ-Mann wohl: Immer dann, wenn eine Politikerin der Linken oder gar eine linke Politikerin etwas sagt, das Gegenteil zu sagen. Und sei es auch der pure Unfug.

Vorschlag, FAZ: Du änderst den Kommentar so ab, daß er sagt, was er meint. Unter Inkaufnahme verbesserter Lesbarkeit:

Der Tod Unbeteiligter hingegen ist die Nebenwirkung dieses Kampfes [gegen die Terrormiliz IS]. Sie [=die Nebenwirkung] sollte vermieden werden, wenn es gerade paßt. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Ist es bisher so gegangen, wird es auch weiterhin so gehen. Man soll es nicht übertreiben. Was soll das überhaupt sein, ein Unbeteiligter? Wird er nicht spätestens durch seinen Tod zum final Beteiligten?

Bitte nicht aus Versehen schreiben:

Der Tod Unbeteiligter hingegen ist die Nebenwirkung dieses Kampfes gegen die Terrormiliz. Diese sollte vermieden werden.

Damit wäre nichts gewonnen. – Als Gegenleistung biete ich an, meinen Werbeblocker für faz.net abzuschalten.

Na sagen wir: für diesen einen Kommentar.

In der Bedingtheitsfalle

Sie mag ja doof sein, die Frau Thomalla, oder auch nur “doof”, und blond oder “blond” obendrein, aber so blond, daß sie es sich “ausbedingt” hätte, wie die Süddeutsche Zeitung ihr übel nachredet:

Thomalla, die weit weniger grimassierte als im März, bedingte sich wiederum als vermeintlich “doofe” Frau das Recht aus, “mich zu diesem Thema zu äußern”,

ist sie nicht. So blond ist nur die SZ.

Frau Thomalla bedang es sich vielmehr aus, das Recht, wie es sich gehört, und wie es sich auch sehr viel hübscher anhört.

Zwar verstehe ich nichts davon und weiß auch nicht, worum es in der Sendung eigentlich ging, das Recht aber, “mich zu diesem Thema zu äußern”, möchte ich mir – als Doofmann – gleichwohl ausbedungen haben.

Fischer im Unrecht

Zwar hat er die Frau Spitzmaus von den Grünen aufs Artigste zusammengefaltet – sie heißt nicht Spitzmaus, sie heißt irgendwie anders, aber ich bin zu müde, irgendwas zu googlen/googeln, und ihm würde ich es ja doch nicht recht machen können, also mag es bei Spitzmaus bleiben -, zwar ist er als Rambo beider Rechte und Alpha-Jurist und ZEIT-Kolumnist nicht irgendwer, und man liest seine Kolumne nicht weniger gern, als man Erdrutschen beim Rutschen zusieht, besonders dann, wenn vieles unter ihnen verschütt geht und man selbst in Sicherheit sitzt, und irgendeiner muß ja auch den von ihm an- und aufgespießten Alles-Wissern in den Redaktionen der Qualitätsmedien, von denen ich jetzt annehmen zu dürfen glaube, daß es sich in Wahrheit um Nichts-Wisser handelt – war ihm das so klar? Daß unsereinem diese Leute, die doch nur ihre Arbeit tun und ihr Gehalt nach Hause tragen wollen, auf die Nachbarn herabsehen usw., wie jeder von uns, daß einem die nun wie Scharlatane und Blender vorkommen, wie die Leute, die in Geschichte im Mündlichen eine Eins abgriffen, weil sie zwar auch des Durchblicks entbehrten, aber ganz gemeine Labertaschen waren? Hat er das gar gewollt? -, irgendeiner muß denen ja zur Kenntnis bringen, daß es tatsächlich jemanden gibt, der Alles weiß und damit auch nicht hinterm Berge zu halten gedenkt, warum sollte es es also nicht selber tun?

Allerdings: zweierlei. Dreierlei eigentlich, aber daß einer von sich selbst in der dritten Person redet, das bringt die Bloggerei so mit sich, das liegt einfach viel zu nahe, da müßte man sich schon die Schreibhand an den Mast binden lassen, um sein Schiffchen nicht gegen diese Klippe zu steuern. Da kann der Autor dieser Zeilen beide Augen gnädig zudrücken ohne der Angelegenheit auch nur Erwähnung zu tun.

Apropos Erwähnung tun, nämlich zwotens: Ist es denn wohl die feine Art, in einer Kolumne, und noch dazu der eigenen, großspurig zu verkünden, daß man aus einem Verein austreten werde, dem man bislang, ohne sich zu schämen, angehörte? Und nicht nur zu verkündigen, sondern zu verlinkigen?

Antwort: Nein, das ist nicht die feine Art. Das ist die äußerst unfeine Art von Leserbriefschreibern und Abokündigern. Wichtigwichtigwichtig, alle Mann an Deck! Hier wird jetzt gleich ein Abo gekündigt, weil die Qualität der Druckware meinen hohen Standards nicht genügt. Moneypenny, informieren Sie doch bitte schon einmal die Presse. Und bereiten Sie mein Twitterstatement vor, für den Fall, daß ich nachher nicht mehr dazu komme. Wir werden uns vor Anfragen nicht retten können.

Die feine Art, sie wäre, still und ohne Gewese zu kündigen und gut wär’s. Kann man sich vorstellen, daß ein Groucho Marx in der ZEIT angekündigt haben würde, daß er demnächst seinen Club verlassen werde, weil der seinen – Grouchos – Qualitätsstandards nicht genüge, indem daß er ihn nämlich nicht hinauswerfe? Nein, das kann man sich nicht vorstellen. Ich möchte jedenfalls keinem Club angehören, der jemanden, der sich das vorstellen kann, zum Mitglied hätte.

Und aber nun drittens:

Danach tut sich bei mir allerdings eine Gedächtnislücke auf: Die Pressekonferenz des GBA Range über die “unerträglichen Einmischungen” der Politik in seine Vorprüfungsverfahren gegen Unbekannt wegen Agententätigkeit habe ich scheinbar verpasst – oder?

Mal abgesehen davon, daß ich keinem Club angehören möchte, in dem esfür chic gilt, seinen Texten derart pastose Ironiemarker ans Revers zu pappen wie dieses – oder?, das mag Geschmackssache sein, und abgesehen davon, daß Fischer die Pressekonferenz sowieso nicht verpassen konnte, weil sie ja gar nicht stattgefunden hat, ist es aber jedenfalls so, daß er sie, wenn sie stattgefunden und er sie verpaßt hätte, nicht scheinbar verpaßt haben würde, sondern anscheinend.

Anscheinend weiß man das im ZEIT-Lektorat nicht mehr. Wird wohl so sein, daß dort die Leute arbeiten, die im Laberfach Deutsch immer die Einsen abgegriffen haben. Ah ja, il y avait des lecteurs! Sein ZEIT-Abo zu kündigen ist dem Autor dieser Zeilen leider nicht möglich, da ist ihm die Hand gebunden, denn am 9. September wird er den 20. Tag des gekündigten ZEIT-Abos begehen, und wie jedes Jahr wird er feierlich versuchen, das gesparte Geld an einem Abend auf den Kopf zu hauen. – Aber jemand sollte sie mal zusammenfalten.

Apropos zusammenfalten: Künast – jetzt weiß ich es wieder, nicht Spitzmaus, Renate.

Foodwatch verbreitet falsche Angaben über Soufflés

Zunächst einmal: TTIP? – Üble Sache! Immer feste druff! – Und dann: Foodwatch? – Gute Sache! Ich selbst bin ja passionierter Hobbykoch und -bäcker. Und was ich immer sage – was sage ich noch immer? Ach ja: Food? – Watch! Immer schön drauf aufpassen. Nicht gerade dann, wenn man ein Soufflé im Ofen hat, zum Telefon rennen und Presseverlautbarungen raushauen!

Auch dann nicht, wenn man der Chef von Foodwatch ist.

Der Chef von Foodwatch, Bode mit Namen, heißt Thilo mit Vornamen, kann nichts dafür – und trotzdem! Leute, die Thilo heißen, ich kann mir nicht helfen! Ich kann ja auch nichts dafür. Sie sind mir suspekt.

Thilo Bode also, hat im Prinzip das Richtige getan, indem er der deutschen Regierung und den deutschen Wirtschaftsvertretern “systematische Fehlinformationen zu TTIP” vorwarf, denn systematische Fehlinformationen sind genau das, was deutsche Regierung und deutsche Wirtschaftsvertreter raushauen zu müssen meinen, wenn es um TTIP geht. Was sollen sie dem deutschen Verbraucher denn sonst anbieten? Informationen? Dem deutschen Verbraucher? Der kriegt doch alles in die falsche Tröte! Siehe TTIP. Sowas wird normalerweise auf der Expertenebene gekocht, und dem Verbraucher frühestens vorgesetzt, wenn es auf dem Teller liegt. Bei TTIP ist es nun anders gekommen, wie genau es dazu kam, weiß keiner, aber alle wissen, alle in Regierung und der Wirtschaft wissen, daß kein Verbraucher wissen will, wie die Wurst gemacht wird.

Hingegen wollte ich immer wissen, wie Soufflé gemacht wird, und habe es mir auch angelesen, immer in der Hoffnung, daß die Kochbücher keine systematischen Fehlinformationen verbreiten, aber rangetraut ans Selbermachen habe ich mich lange nicht. Lange. Bis ich es eines Tages einfach mal mit einem Quarksoufflé probiert habe, und siehe da, es gelang. Gar nicht mal schlecht.

Mittlerweile bin ich so etwas wie ein Experte für Quarksoufflé, und daher weiß ich, daß Thilo Bode systematische Fehlinformationen über Soufflés verbreitet, wenn er in einer Presseverlautbarung verlautbart:

“Wenn die TTIP-Befürworter bei der Wahrheit bleiben, fallen die zu erwartenden wirtschaftlichen Effekte des Abkommens zusammen wie ein Soufflé im Ofen”.

Wenn er bei der Wahrheit bleiben würde, würde dieser Satz in sich zusammenfallen wie ein Soufflé, das man aus dem Ofen herausholt.

Die CDU als Klammer, die mit der Ressource punktet

Es war am Tag vor Silvester, und ich von Zahnschmerzen so voll und eingenommen und mit Beschlag belegt, daß ich es nicht riskierte, irgendetwas an mich heranzulassen. Seit Samstag ging das so, und jetzt war Dienstag, und im Radio führte Peter Kapern ein Interview mit einem mir nicht weiter bekannten Politikwissenschaftler, und daß das Radio überhaupt lief, hatte seinen Grund darin, daß mir die Paul-Temple-Hörspiele ausgegangen waren, und lesen konnte ich nicht, weil ich meine Lesebrille vergessen hatte. Ich vergesse meine Lesebrille immer, wenn ich zum Zahnarzt gehe. Im Wartezimmer merke ich es. Zwar haben sie beim Zahnarzt neuerdings Leihlesebrillen, jedenfalls steht das auf einem DIN-A-5-Zettel an der Wartezimmertür, aber den konnte ich nicht lesen, weil ich meine Brille nicht bei mir hatte.

Das Telefongespräch ging so:

Bei uns am Telefon ist der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Grüße Sie, Herr Korte!

Karl-Rudolf Korte: Guten Morgen, Herr Kapern!

Kapern: Klären wir das vorab, Herr Korte: Hat Hans-Peter Friedrich mit seiner Kritik an Angela Merkel recht?

Korte: Er hat recht, wenn es darum geht, eine Diskussion anzustoßen, wieder mit Argumenten zu werben, eine Suchbewegung zu starten, all das anzutreiben, was eigentlich eine lebendige Partei ausmacht. Und deswegen hat er auch so viel Resonanz, dass die Leute irritiert sind, dass es noch Leute gibt, die überhaupt etwas kritisieren.

Wahrscheinlich zahnschmerzbedingt, war mir damals nicht aufgefallen, was das für ein Gebrabbel war, oder – auch das ist möglich – ich war nicht in der Lage, die Quelle des Schmerzes zuverlässig zu orten – das ist bei Zahnschmerzen ja oft so. 3/6? 3/7? 3/8? Oder Leute, die eine Suchbewegung starten? Etwas, das eine lebendige Partei ausmacht, eigentlich, und darum anscheinend angetrieben werden muß, wenn es darum überhaupt geht. Oder diese Resonanz, von der man nicht weiß, ob sie die Ursache dafür ist, daß die Leute irritiert sind, oder die Folge davon. Ich weiß nur noch, daß ich mehrfach “Aua!” dachte.

Kapern: Also die Diskussion über das Konservative ist durchaus berechtigt. Gleichwohl stellt sich die Frage: Einem Spagat sind ja Grenzen gesetzt, die von der Länge der Beine definiert werden,

Bis hierhin erstmal. Der Satz ist zwar noch nicht zuende, aber ich bin nicht sicher, daß ich das Ende des Satzes überhaupt noch wahrnahm, denn ich dachte mehrfach – nicht etwa “Aua!”, ich dachte mehrfach: – “Was ist kaputt? Was hat ein Spagat? Grenzen? Ein Spagat hat Grenzen? Und die werden definiert? – Wodurch?” Dabei muß ich wohl eine unbedachte Bewegung mit der Zunge gemacht haben, denn der Schmerz blitzzuckte mir tief in den Kiefer, und ich dachte: “Rache! Rache!”

Kurze Zeit später vergaß ich das Ganze, denn im und um den Behandlungsstuhl herum schmiedeten wir eine Strategie, um dem Übeltäter – es war 3/7 – das finstere Handwerk zu legen, bedrohten ihn mit Extraktion, und am Horizont schimmerte ein Silberstreif, und neues Leben blühte aus Ruinen. Heute jedoch, da wir dem Unhold gezeigt haben, wo Bartel den Most holt, und ich ihm ein “Fahr zur Hölle!” hinterherschicken durfte, da fiel mir Peter Kapern wieder ein, von dem Sie sich bitte merken wollen, daß er auf der zweiten Silbe betont wird. Was hatte der nochmal gesagt?

Einem Spagat sind ja Grenzen gesetzt, die von der Länge der Beine definiert werden,

Ist das nicht so, als wollte man behaupten, die Winkel im Dreieck addierten sich zu bis zu 180 Grad, je nachdem, in Abhängigkeit von der Länge seiner Schenkel? Aber ist es nicht vielmehr so: wenn auch nur ein Winkel im Dreieck Spagat macht, egal welcher, dann war es das für das Dreieck? Ganz egal, wie lang oder wie kurz dessen Schenkel sind? Darauf kommt es dann nicht mehr an?

So weit war ich gediehen, und eigentlich hatte ich es dabei belassen wollen und grantelte nur ein bißchen vor mich hin, daß Grenzen, wenn sie denn schon definiert werden, nicht von etwas definiert werden, sondern durch etwas, und allenfalls von jemandem, meist würden sie aber nicht durch etwas definiert, sondern markiert, wenn sie nicht ganz einfach irgendwo verliefen, wo es ihnen grad Freude machte. Dann aber suchte ich – fatalerweise – auf der Webseite des Deutschlandfunks nach dem Transkript des Interviews, denn ich hatte ein Stimmchen gehört, welches mich “Nimm und lies!” geheißen hatte, und ich nahm und las, und als ich mit dem Lesen fertig war, war ich nicht wenig irritiert darüber, daß es jemanden gab, der die CDU zu kritisieren verstand, nicht nur überhaupt – das auch! – sondern gleich so wortmächtig; und die Resonanz in meinem Kiefer hatte für eine veritable Maulsperre gesorgt, die keinem zivilisatorischen Standard mehr entsprach, und ich startete eine tief verunsicherte Suchbewegung nach allem, was den davon abhalten würde, Spagat zu machen:

Korte: Ja, wenn man Volkspartei sein will, muss man wie eine Sammlungsbewegung durchaus daher kommen.

Korte: Diese christliche Ressource, die die Union ja hat, mit der könnte sie als Klammer punkten in einer Zeit, in der wir ohnehin durch Gewissheitsschwund ja gekennzeichnet sind.

Korte: Na ja, die Partei, die strahlt erst mal aus etwas, was in vielen Dingen man vielleicht als Lebensschutzpartei auszeichnen würde, mit einer Ethik der Rechtsbefolgung.

Korte: Alles Dinge, die vielleicht wie eine Minderheit heute daherkommen, aber es gibt auch wirkungsvolle Minderheiten, gerade dann, wenn man christliche Aspekte ansetzt, um bürgerliche Wähler auch ansprechen zu können.

Korte: Diejenigen, die verunsichert sind, sind ja in der Mitte verunsichert.

Korte: Eine Angstmitte, die ja nicht als Modernisierungsverlierer daherkommt, sondern eher als Modernisierungsverunsicherte, Status-quo-Unsicherheiten, und deswegen über alles, was fremd ist, was anders ist, erst mal nicht nur nachdenken, sondern vielleicht sich auch politisch zurückziehen.

Korte: Diese Auseinandersetzung fehlt doch, und deswegen fällt immer ein Phantomschmerz an solchen Tagen dann auf, wenn einer mal irgendetwas vermisst.

Bei allem Gewißheitsschwund – des bin ich sehr wohl gewiß: bei dem, was da aus der bürgerlichen Angstmitte als einer Minderheitenposition heraus als Thema gesetzt wird, mit all seinen christlichen Aspekten ethischer Rechtsbefolgung, an diesem Tag fiel mir auf, wie wertkonservativ ich doch bin! Wie ich an allem hänge! Und wie ich es vermisse, wenn es nicht mehr da ist:

Wenn das die Lösung ist, will ich meine Zahnschmerzen zurück!

Chapeau!

Wann hat das eigentlich angefangen, das mit diesen Nacherzählungen von Fernsehtalkshows? Hat das mit diesem CNN-Syndrom zu tun, daß einen 24 Stunden Sendezeit nämlich dazu zwingen, dieselben mit irgendwas vollzumachen, und sei es mit einer Live-Schaltung aus dem eigenen Stallhasenstall? Machen das andere auch oder ist das eine Spezialität von WeltOnline? Und werden auch andere Sendungen nacherzählt, Tatörter mainzwegen?

Egal, ich will das gar nicht wissen. Aber ich glaube, ich werde mir das Format ausborgen, und hin und wieder Zeitungsartikel nacherzählen. So eine Art Reader’s Digest. Für Leute mit einer Allergie gegen Originale.

Also: es begab sich aber zu der Zeit, da Sebastian Edathy sich anschickte, alles zu zerdeppern, was er zerdeppern konnte, daß ein Request for Comments in die Welt gesandt wurde von der Talkshowmoderatorin Maybrit Illner, auf daß alle Welt sich aufmache in Maybrit Illners Fernsehstudio, um dort die Angelegenheit nicht nur nicht unkommentiert, sondern nach Möglichkeit auch keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Denn solcher Art ist der Dünger auf dem Acker der Einschaltquoten.

Da machte sich auch auf Alexander Jürgs aus der WELT, um dem Zerdeppern und Kommentieren beizuwohnen. Moment, wenn ich in diesem Tempo weitermache, dann wird meine Nacherzählung länger als das Original. Das ist es ja nun nicht, was Reader’s Digest groß und Krieg und Frieden dünn gemacht hat. Ich muß straffen:

A. Jürgs hatte seinen Bleistift mitgebracht und stenografierte alles mit. Die ersten zwei Absätze – zwei Sätze der erste, zwei Sätze der zweite – machten keinerlei Probleme. Schon sah es aus, als werde diese Nacherzählung eine Spazierfahrt, als der Motor plötzlich aus heiterem Himmel anfing zu stottern. Eine Reihe von Fehlzündungen, Flammen kamen aus dem Auspuff, Jürgs mußte an Graf Berghe von Trips denken – halt stopp!

Geht so nicht. Was ich sagen will: es schrägte den ersten Satz des dritten Absatzes:

Hartmann hat dagegen widersprochen, hat gesagt, dass er Edathy nur hätte beistehen wollen.

Aah! – Das hätte nicht sein müssen. Hätte Hartmann einfach nur widersprochen, alles wäre gut gewesen, aber er mußte partout dagegen widersprechen, damit der Leser, Jürgs’ Leser, auch merkte, daß Hartmann dagegen war, und nicht einfach nur so widersprach, aus Jux und Dollerei oder aus schlechter Angewohnheit. Nein, Hartmann war dagegen, und darum widersprach er.

Gut, man kann mal von der Fahrbahn abkommen. Wenn dort weder Zaun noch Graben ist, dann ist das halb so wild, und wenn man Glück hat, macht die Straße eine sachte Kurve, und eh’ man sich’s versieht ist man wieder auf dem Damm, und außer ein paar Flatschen Acker im Reifenprofil hat man sich nichts eingefangen. Hat man dagegen Pech, ist die Kurve nicht sacht, sondern rücksichtslos und weiß, was sie will, und macht sich nicht die Mühe, den Fahrer auch nur für den Moment in Sicherheit zu wiegen, sondern läßt ihn geradewegs auf der anderen Straßenseite wiederum ins Gebüsch brechen, wo es diesmal steil hinunter geht:

Und die Union nimmt der SPD übel, dass der einzige, der im Zuge der Affäre bislang den Hut ziehen musste, der CSU-Mann Hans-Peter Friedrich war.

Hut ab! Die Kurve war wirklich heftig! Darf man sicher sein, daß man selbst nicht hinausgetragen worden wäre? Man darf nicht sicher sein. Denn: wer würde das der SPD nicht übel nehmen? War es etwa nicht genug, daß Friedrich den Hut nehmen mußte? Mußte er ihn vorher auch noch ziehen? Und vor wem denn eigentlich? Vor der SPD? Vor Oppermann? Vor Hartmann? Oder vor wem? – Doch nicht etwa vor Karl Lauterbach!?

Es ist dies zweifellos der frühe Höhepunkt von Jürgs’ Nacherzählung, danach wird sie flach. Dieser sagt das, und jener sagt jenes, und nichts davon kann man Jürgs ankreiden, solange er nur und da er nur Vernommenes wiedergibt. Einmal noch schwingt er sich zu alter Form auf, wenn er aus Karl Lauterbachs Geringschätzung Sebastian Edathys eine Geringschätzung gegenüber Sebastian Edathy macht; und Lauterbach darf auch das Schlußwort haben, mit welchselbem er nicht etwa eine Wortmeldung des Schriftstellers Erdmann-Ziegler kontert, sondern auf eine seiner Wortmeldungen:

Lauterbach kontert besonders scharf auf Zieglers Wortmeldungen. “Sie verteidigen jemanden, der es nicht wert ist. Sie sollten sich hinter die Kinder stellen”, sagt er.

Darf das wahr sein? Hinter die Kinder?! Und sie dann auffordern, sich nach der Seife zu bücken?!! – Über meine Leiche, Lauterbach, über meine Leiche! – Wie sagte A. Jürgs?

Für die deutsche Sozialdemokratie könnten die Tage kaum düsterer sein.

Ah ja, die Tage um den 21. Dezember herum, sie könnten nicht viel düsterer sein. Nicht nur für die deutsche Sozialdemokratie.

Nett!

Beim Deutschlandfunk hat anscheinend jemand den Setzkasten mit den Sprachbildern umgekippt, und beim Wiedereinräumen nicht aufgepaßt. Es geht da etwas durcheinander in letzter Zeit. So sagte neulich jemand zu jemandem, bezüglich des Schlamassels, in das die SPD-Spitze aufgrund von Sebastian Edathys Aussagen und deren Abdruck im Stern gerade am Geraten war: Die CDU halte sich momentan sehr zurück, und vermeide es,

“Salz in die Wunde der SPD zu gießen.”

Ist das nicht nett von der CDU? – Nein, das ist überhaupt nicht nett von der CDU! Vielleicht ist es nett gemeint, aber “nett gemeint” ist – in Analogie zur Dichotomie von “gut” und “gut gemeint” – das Gegenteil von nett. Viel netter wäre es, vielleicht nicht für die SPD, aber für uns Zuhörer und -schauer, wenn die CDU uns dabei zusehen ließe, wie sie Salz in die Wunde der SPD gießt. Wie würde sie das anstellen? Womit? Mit einer Gießkanne? Bei einem Salzstreuer würde ich nicht von ‘gießen’ sprechen wollen, ‘streuen’ ja, ‘rieseln lassen’ ja, und wenn man die Kappe abschraubt, dann käme noch ‘kippen’ infrage, aber ‘gießen’? Bei einem Zuckerstreuer würde ich mit mir reden lassen; wenn bei dem die Kappe ab- und in die Tasse fällt, dann hat der nachfolgende Zucker schon etwas von einem Sturzguß. Aber ist man bei der CDU schon soweit, daß man Salz und Zucker verwechselt?

Und wie groß ist denn eigentlich die Wunde der SPD? So groß wie Michael Hartmann, oder so klein wie Edathy? So mittelmäßig wie Oppermann? Wieviel Salz paßt da denn überhaupt rein?

Am nettesten fände ich es ja, wenn die CDU Herrn Oppermann Feuer unter dem Hintern machte und dann ein paar Prisen Öl hineinstreute.