Unter dem Titel
Gegen Rechte: Pöbeln, aber präzise
Plädoyer für eine differenzierte Schmähkritik
veröffentlicht SPIEGEL ONLINE KULTUR – dochdoch – ein Plädoyer für – tja: wofür? Eine differenzierte Schmähkritik? Ich weiß ja nicht.
Dabei hebt es vielversprechend an:
Dummheit ist eine tricky Eigenschaft, weil sie sich immer wieder entzieht. Wen meint man, wenn man von Dummen spricht? Die mit wenig IQ? Oder wenig Bildung? Die, die zu schnell Schlüsse ziehen, weil sie zu faul zum Denken sind? Oder die, die falsche Schlüsse ziehen? Schwierig. “Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen”, schrieb Ronja von Rönne neulich auf Twitter. Niemand schrieb: “Doch, ich.”
Nicht einmal Ronja von Rönne? – Ich hätte nicht übel Lust, darob beleidigt zu sein. Man denke, man machte sich die Mühe, Ronja von Rönne zu beleidigen, und dann wollte sie sich davon nicht angegriffen fühlen?! – “Nö.”
Mein Sprachgefühl hingegen fühlt sich angegriffen, und zwar immer dann, wenn man der Dummheit unterstellt, eine “tricky Eigenschaft” zu sein. Schon aus Rhythmusgründen würde ich einen Satz wie “Dummheit ist eine tricky Eigenschaft” ablehnen; ein dummer Satz! Er schreit geradezu nach einem mindestens dreisilbigen Eigenschaftswort: “Dummheit ist eine trickyge Eigenschaft.” Das möchte hingehen, aber trickyg gibt es nicht.
Vielleicht könnte man ein Wort nehmen, das es gibt? Bloß welches? Es müßte schon in etwa dasselbe bedeuten wie tricky? – Knifflig geht leider nicht. Knifflig bedeutet nicht in etwa dasselbe wie tricky, sondern haargenau dasselbe.
Aber es ist nicht die fehlende Dreisilbigkeit, es ist das fehlende Flexionsphonem. “Eine tricky Eigenschaft” – das klingt, wie es sich anfühlt, wenn man an einem kühlen Märzmorgen aufs Trottoir tritt, die Haustür hinter einem ins Schloß fällt, und man nun am Luftzug merkt, daß man vergessen hat, sich eine Hose anzuziehen.
Wohin man auch guckt, überall sind Idioten.
Hach, ja-a!
Könnte man zumindest meinen,
Dochdoch! Ist schon so.
so viel, wie überall gerade über Idioten geschimpft wird. Ich mache das selbst ständig, aber es ist nicht gut: Es ist faul, zu kurz gedacht und am Ende sehr dumm.
Geradezu idiotisch?
Wen meint man, wenn man von Dummen spricht? Die mit wenig IQ? Oder wenig Bildung?
Ich würde meinen wollen: die Faulen. Die Kurzdenker, die Zukurzdenker, Wennüberhauptdenker. Die die nötige Bildung hätten, zu erkennen, daß es nicht “mit wenig IQ” heißen kann, sondern “mit niedrigem IQ” heißen muß, die aber nicht wollen. – “Nö!” – Für die “Quotient” anscheinend ein Stoffname ist, so etwas in der Art von Zucker, etwas, dem man mit einer unbestimmten Mengenangabe zuleibe rücken darf und das sich schaufeln läßt. So wie Kohle. Oder Gips.
Oder Grips.
Es ist en vogue, Leute dumm zu nennen, oder eben Idioten; oft im Zusammenhang mit Rassismus und/oder dem Internet.
Es ist allerdings auch en vogue, dumm zu sein, oder eben ein Idiot zu sein; oft im Zusammenhang mit allem Möglichen; und das Internet ist nicht das geringste darunter. Man hat manchmal den Eindruck, die Leute meinten, sich im Internet ganz besonders idiotisch aufführen zu müssen; das sei dort so Sitte. Ist es auch. Trotzdem müßten sie nicht, sie dürften auch anders.
Aber das wollen sie nun auch wieder nicht. – “Nö!”
Über-die-AfD-reden fasten
Wenn man über Idioten redet, dann kommt kaum umhin, auch über die AfD zu sprechen,
Ah, c’est en vogue, n’est-ce pas? – Aber die Idioten wählen, oder mindestens damit drohen, sie zu wählen, um den Bourgeois zu épatieren, das ist halt auch en vogue.
aber ich versuche, das nicht zu tun, denn ich faste Über-die-AfD-reden. (Es ist so wohltuend, ich kann es nur empfehlen: Ich bin nach nur einer Woche schon viel ausgeglichener, ich schlafe gut und bin schön wie der Frühling.) Aber ich brauche gar nicht selbst über die AfD zu reden, mir reichen für heute die anderen, die über die AfD reden.
“Wenn Dummheit weh täte” – so fängt ein kluger Schmähschnack an, an dem das klügste möglicherweise der Konjunktiv ist. Und um noch einmal auf Ronja von Rönne zurückzukommen: daß die Dummen sich nie getroffen fühlen, liegt halt genau an dem Konjunktiv, an der Schmerzlosigkeit der Dummheit. Vielleicht bin ich knalledoof, kann ja sein, woher wollte ich es wissen? Spüren tu ich nichts. Was mir aber unsägliche Schmerzen bereitet, brennende Hautrötungen, juckende Ausschläge, Blasen, Schwellungen, Atembeschwerden, Brechreiz bis hin zu Kreislaufkollaps, Lähmung der Skelett- und Herzmuskulatur, das ist, wenn einer irgendwas “fastet”, wenn also einer einem intransitiven Verb ein Akkusativobjekt in die Klüten haut. So muß sich Gollum gefühlt haben, als seine Haut mit dem Seil aus Lothlórien Bekanntschaft machen mußte.
Schweigen will ich von der neckischen Rhetorik des “Schweigen will ich von …”, das zwar enthaltsam tut, aber in Wahrheit nur als Einmeterbrett für den anschließenden Köpper ins Volle dient: “Schweigen will ich von Lokalen, wo das Böse nächtens praßt, wo im Kreis der Liberalen, man den Heil’gen Vater haßt”. Diese Rhetorik kann ich zwar auch nicht verknusen, aber sie führt wenigstens nicht zum Herzstillstand.
Es ging ein fauliger Geruch von diesem Text aus, als ich mich vorhin durch das Internet wühlte, und die anschließende Wühlerei durch die Kolumne machte mir deutlich: in deren Mitte wurde der Geruch stärker. Hier war das Zentrum all des Modrigen, Faulen, Unguten; des Zukurzgedachten, des am Ende sehr Dummen. Ich kam mir vor wie Sam und Frodo, als sie im Finstern an Kankras Lagerstatt vorbeimußten. Und im Bestreben, es ihnen gleich zu tun und möglichst schnell woanders hinzukommen, wo die Luft weniger stickig ist, hatte ich glatt übersehen, daß es diese Schandgrammatik dick und feist bis in eine Zwischenüberschrift geschafft hatte.
Aber ich entstamme halt einer anderen Zeit. Als ich zur Schule ging, war die Welt noch jünger und pastellfarbener, da hießen Kinder noch nicht Ronja mit Vornamen, da tanzte Lúthien Tinúviel noch auf dem Gras von Beleriand, floß noch frische Luft durch die Gänge von Cirith Ungol, wurde der Heilige Vater noch von Liberalen gehaßt und nicht von Strolchen, war Chauvinismus noch die Sache von distinguierten älteren Herrschaften (“He Kümmeltürk! Da liegt noch Dreck!”) und nicht von Idioten, wurden die Karikaturen zu dem Thema noch von Kurt Halbritter gezeichnet (“He Kümmeltürk! Da liegt noch Dreck!”), und waren die Straßen in deutschen Städten jedenfalls allzeit sauber gefegt. Und in der Schule lernten wir den Unterschied zwischen den transitiven und intransitiven Verben: ein intransitives Verb ohne Akkusativobjekt war demnach wie ein Fisch ohne Fahrrad.
“Fasten” ist solch ein intransitives Verb. Entweder eins fastet, oder es läßt es sein. Das ist wie beim Schweigen. Oder beim Zölibat halten. Alles drei hat mit Enthaltsamkeit zu tun, und mit Verzicht. Und alle drei verzichten zuallererst einmal auf ein Akkusativobjekt. Man kann Dinge verschweigen, aber man kann sie nicht schweigen. Man kann Blondinen bevorzugen, man kann sie auch verschmähen, man kann sie daten, aber man kann sie nicht zölibaten. Es gibt kein Wort “zölibaten”. Gäbe es es, wäre es intransitiv.
Es ist in dieser Fastensaison schon das zweitemal, daß mir einer mit transitivem Gebrauch von fasten auf die Zehen tritt. Der erste war ausgerechnet der lokale Pfarrer, und er benutzte dazu das Editorial seines Vierteljahresgemeindemagazins, das “Fingerzeige zu Gott” heißt und “An alle Haushaltungen” verteilt wird. Seitdem fehlt in unserer Haushaltung ein Stück des Küchentischs, und ich bin in zahnärztlicher Behandlung.
Wenn aber die evangelische Kirche schon befallen ist, die ja, was Dummschwatz angeht, nicht zu den very, very early adopters zählt, wohl aber zu des Dummschwatzes treuesten Followern, wenn es erst einmal soweit ist, dann muß ich den Kampf wohl verloren geben. Ab sofort also zählt fasten zu den transitiven Verben.
Aber muß ich mir deswegen gleich alles gefallen lassen? Von einer Kolumne, die die Stirn hat, Präzision zu fordern? Und Differenziertheit? Einer Kolumne, die immer noch nicht ganz hasenrein riecht:
Apropos Bildung. Man könnte, wenn es um Idioten geht, auf die griechische Wortherkunft verweisen.
Nicht machen!
Das Wort “idiotes” bezog sich auf Privatpersonen, die sich gerade nicht in öffentliche Angelegenheiten mischten, und später war “Idiotie” ein Begriff, der sich auf geistige Behinderung bezog.
Bitte nicht! Das hat doch keinen Sinn!
In beiden Sinnen meint man “Idiot” heute offenbar nicht mehr.
Da geht er hin, der Sinn! Ab sofort übernehmen die Sinne. Ich nehme an, es ist im Sinne von – pardon: in den Sinnen von Präzision und Differenziertheit, wenn allzu exzessive Unterscheiderei und vulgäre Genauigkeitsorgien ab sofort gefastet werden. Schweigen will ich dabei den Unterschied zwischen “offenbar” und “anscheinend”, denn dieser Unterschied wird schon seit geraumer Zeit und flächendeckend gefastet, und zwar, wie es den Anschein hat, ganz offenbar.
Denn wie schrieb schon Tucholsky? “Sprache ist eine Waffe” schrieb Tucholsky. “Steckt ihr etwas Scharfes zwischen die Rippen.”
Das schrieb er nicht!
Das schrieb er nicht? Was schrieb er denn? – Moment, ich weiß – Tucholsky schrieb: “Sprache ist eine Waffe. Reibt ihr etwas Chilipulver in die Augen.”
Das schrieb er auch nicht!
Tja, dann …
Tucholsky schrieb: “Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf.”
Das hat Tucholsky gesagt?
Geschrieben.
Ein kluger Mann. – “Klug ist, wer Kluges schreibt,” wie Forrest Gumps Großmutter immer sagte.
Aber was heißt das?
Was heißt was?
Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf.
Also: wenn sie ein Gewehr wäre, dann alle hundert Schuß putzen. Putzstock, Lappen, Filzpfropfen, Fettbürste – kommt auf das Gewehr an. Bei einer Damaszener Klinge gilt: auf keinen Fall in die Spülmaschine damit. Und wenn doch, dann nach dem Spülen sofort herausnehmen. Nicht in der geschlossenen Maschine trocknen lassen.
Bei Sprache jedoch würde ich meinen …
Sich beim Schimpfen Mühe geben
Zum Beispiel, ja. Sich Mühe geben ist immer gut, und außerdem …
Präzise pöbeln
Auch das, auch das. – Wo wir gerade bei Vaterfiguren sind: Mein Vater, Gott hab ihn selig, hat mir früh verboten, “Ich würde sagen” zu sagen, denn er sagte immer: “Sag nicht, was du sagen würdest, sag, was du sagst.” – Das steckt tief drin. Gleichwohl ist da diese Lust, aufzubegehren, das väterliche Gebot zu übertreten, mit dem ganzen Rattenkönig an psychologischen, mythologischen, religiösen und hastdunichtgesehenen Implikationen, der dieses Aufbegehren begleitet, und darum setze ich immer noch eins drauf und sage: “Ich würde meinen wollen”. Um dem Gebot einerseits zu entsprechen und ihm andererseits ein Schnippchen zu schlagen.
Aber was heißt das?
Nichts, ich meinte nur. – Weil ja alle Welt immer fancy Distinktions-Selfies mit Tucholsky-Zitaten macht, aber nie einer tut, was er sagt. Vielleicht ist das ja auch so eine Vater-Kiste. – Knifflig.
Schwierig.
Verzwickt.
Tricky.
Fancy!
Groovy.
Wieso groovy?
Wem das zu hippiemäßig ist, okay, geschenkt –
Nein, nein, es kommt nur etwas unerwartet. – Far out, man!
besser ein Hippie als ein arroganter Dödel
Unbedingt, man! – Outta sight, man!
Peace.
Peace.