Daß sich die notorischen Kindsköpfe der Koalition oder die Ochsenköpfe der Opposition ausgerechnet am Vorschlag von Bundesarbeitsminister Müntefering betreffs Einrichtung eines Vierten Arbeitsmarktes profilieren und ausnahmsweise einmal etwas Vernünftiges von sich geben würden, war nicht zu erwarten und war auch nicht der Fall. Von den Kommentaren der Printpressköpfe sei nur gesagt, daß es die Sau graust, wenn sie sie liest. „Nicht die Sau,“ sagt unsere Gewährssau zu dem Thema, „wir lesen das Zeug nicht. Nur manche von uns, die Maso-Szene. Aber auch nicht regelmäßig; das hielte ja keine Sau aus. Manchmal, wenn uns so richtig nach Demütigung zumute ist, dann lassen wir sie uns vorlesen.“ Aber das reiche dann auch eine Weile.
Müntefering hatte vorgeschlagen, unten am Fluß sogenannte, Schlichthütten zu bauen, sie mit einer noch zu definierenden Mindestausstattung zu versehen, die „einfach, aber von guter Qualität“ sein soll, „angedacht sind Strohschüttung und Bibeln“, und die Sie wissen schon wer, Unterschicht, Unterschicht ham wir ja nicht, aber wenn wir eine hätten, die, die dann Unterschicht wären“ hineinzugeben. Es sei nicht vorgesehen, die Bewohner der Hütten mit Geld oder ähnlichem für ihre Tätigkeit zu entlohnen, da es nach Einführung von Euro und Cent keine gesetzliche Münze mehr gebe, deren Nennwert dem Wert der Arbeit in dem angezielten Segment des Niedriglohnsektors entsprechen würde.
Die Frage, was jemanden dazu bewegen solle, einer Arbeit nachzugehen, wenn diese Arbeit ihn nicht besser stellt als den, der nichts tut, sei, so Müntefering, „berechtigt. Aber er bekommt ja nicht nichts. Sein Besitzer – ‚Arbeitgeber‘ sollte man besser sagen – wird ihn nähren und kleiden, die Kosten seiner Unterkunft tragen und ihm Sonntags den Kirchgang erlauben. Auch wird er am Feuer Mundharmonika spielen dürfen.“ Es sei nur nicht vorgesehen, daß er Geld bekomme.
Eben das findet Spargelbauer Mecke, einer der prospektiven Profiteure des vierten Arbeitsmarktes, gar nicht gut. „Wenn ich denen kein Geld zahle, kann ich denen auch nichts abziehen. Und wenn ich denen nichts abziehen kann, dann arbeiten die auch nicht. Arbeiten tun die nur, wenn man ihnen was abzieht. Abziehen kann, also damit droht. Damit drohen kann. Aber man muß ihnen auch was abziehen, damit sie wissen, daß das keine leeren Drohungen sind. Ich zieh ihnen immer was ab.“
Auf mehrfache Nachfrage gab Müntefering zu, daß der Gesetzesentwurf auch „alternative Formen der Motivierung“ vorsehe. „Das heißt nicht, daß Leute, die nicht arbeiten wollen, die Peitsche bekommen. Wir verstehen darunter lieber, daß es jeder selbst in der Hand hat, der Peitsche zu entgehen, indem er fleißig ist.“
Der wohlfeile Aufschrei „Sklavenhaltung!“ liegt beleidigend nahe, so daß es schon eines Oskar Lafontaine bedurfte, die übrigen Politruks davon abzuhalten, ihn auszustoßen. Niemand wird in Berlin ein Wort aus Oskars Mund in den eigenen nehmen, das gilt zuverlässig, und ein Horn, in das er einmal gestoßen hat, bleibt solange links liegen bis die Welt vergessen hat, wessen Sabber da im Mundrohr vergärt. Also etwa bis morgen.
Die Erleichterung war Müntefering denn auch anzumerken, als das erlösende Wort promptestens fiel; nicht auszudenken, wenn Lafontaine etwa versagt hätte. Tat er aber nicht, sondern bezeichnete Münteferings Vorschlag als das, was er ist.
Der konterte souverän, Sklavenhaltung sei das nicht, denn Sklavenhaltung sei mit der SPD nicht zu machen. Sofort bei sprang ihm die CSU, mit der bekanntlich auch keine Sklavenhaltung zu machen ist. Der bayerische Innenminister Beckmann verwies darauf, daß es sich bei Sklaven um Unschuldige gehandelt habe, es sich bei den Schlichthäuslern aber um Leute handele, die nicht einsehen wollten, daß die Gesellschaft, die sie alimentiere, auch das Recht habe, eine Gegenleistung von ihnen zu fordern. Leistungen entgegenzunehmen, ohne Gegenleistung zu erbringen, sei kriminell, das bestätige einem jeder Aufsichtsrat. Die Schlichthäusler seien demnach Kriminelle, im Gegensatz zu Eliza oder Onkel Tom, die gottesfürchtige, fromme Christen gewesen seien, fast schon Bayern.
Daß auch F.D.P.-Westerwelle nichts davon hält, dem gesamten deutschen Mittelstand Sklavenhaltermentalität zu unterstellen – was zwar niemand getan hat, nicht einmal Lafontaine, aber mal sehn, vielleicht ist nachher noch Zeit, dann machen wir es – daß Westerwelle nichts davon hält verwundert weniger als die Tatsache – Tatsache? – daß die ganze Blase auf einmal Onkel Toms Hütte gelesen und sich die Namen gemerkt haben will. Westerwelle z.B. kannte den Namen Shelby auswendig, den wir uns bei der Niederschrift erst aus der Wikipedia rausfischen mußten, und wußte, daß es lediglich die Steuergier der Sozialistischen Volksrepublik Kentucky gewesen ist, die Herrn Shelby in den Ruin getrieben, zum Verkauf Onkel Toms gezwungen, damit die ganze Geschichte losgetreten und den Roman zu verantworten hat.
„Der wahre Sklavenhalter ist der Staat, meine Damen und Herren“, rief Westerwelle, „und nicht der Sklavenhalter. Der alles verschlingende, alles überwachende, alles niederregulierende, alle Eigeninitiative untergrabende, alle Kreativität abtötende, allen Freiheitswillen aufsaugende Moloch und Leviathan, der zwiegehörnte, bocksfüßige Staat!“
Auch in Kentucky habe es mit der immer und immer wieder verschobenen Senkung des Spitzensteuersatzes begonnen. Am Ende habe das Ende des freien Unternehmergeistes, das Ende der Konföderierten, das Ende einer einstmals prächtigen und stolzen Kultur gestanden. „In jener Nacht, in der das Repräsentantenhaus mit den Stimmen der großen Koalition die abermalige Verschiebung der Senkung des Spitzensteuersatzes beschlossen hat, that night they drove old Dixie down, meine Damen und Herren!“
Apropos Dixie. Warum er eigentlich, so Spargelbauer Mecke, der noch einmal zurückgekommen war, in Kauf nehmen und zugucken solle, wie die Schlichthüttler ihm in den Fluß schissen. Da zahle er ihnen doch lieber ein moderates Gehalt, von dem er ihnen die Miete für die Dixiklos wieder abziehen könne. Der Bundesverband der Mobilklovermieter stimmt Mecke zu, auch er hat hygienische Bedenken erhoben.
Hygienische Bedenken, allerdings anderer Art, hat auch der Gammelfleischbroker Potte-Saoû:
„Wir erleben doch schon jetzt, daß unsere Schlachter, also Lohnschlachter, also nicht unsere, unsere Subs, die Schlachter unserer Subs, die sind meist selbständig, also die Subs unserer Subs, daß die, trotz des enormen Kostendrucks der auf uns allen lastet, daß die ausgerechnet bei der Seife sparen, nicht wahr. Also jeder Tierarzt, bevor der einer Kuh in den Hintern faßt, wäscht der sich die Hände, und die, die Schlachter, die fassen sich an den Hintern. Und dann ans Fleisch. An unser Fleisch, nicht wahr. Diese Schweine. Nein, nicht die Schweine, die sind sauber, die werden ja abgebrüht. So wie ich. Haha. Kleiner Scherz.“
Im Prinzip kann sich auch Potte-Saoû vorstellen, daß der Einsatz von Schlichthüttlern, die für ihre Arbeit ja kein Geld bekommen sollen, den Kostendruck etwas mildert.
„Viel aber nicht. Wenn die kein Geld haben, können sie sich auch keine Schürzen kaufen. Und wenn ich denen alle zwei Jahre ’ne Schürze stellen muß, und die Schürze alle drei Monate waschen lasse, dann ist die Hälfte der Ersparnis wieder weg.
Vielleicht wenn der Staat die Schürzen bezahlt. Oder die Seife. Er die Seife, ich die Schürzen. Aber der Staat muß mir dann auch die Springer stellen. Für wenn einer auf dem Klo ist. In der Zeit, in der der sich die Hände wäscht, kann er ja nicht schlachten, da brauch ich ’nen Springer. Und wenn einer gepeitscht wird, in der Zeit brauch ich auch ’nen Springer.“
Bedenken gegen die geplante Auspeitschung der Hüttenbewohner hat die Pflegeversicherung, die Spätfolgen für ihre Überschüsse und Rücklagen in noch nicht bezifferbarer Höhe befürchtet. Dagegen hielt die pharmazeutische Industrie: Fördern und Fordern gehöre zusammen, sagte ein Sprecher von Hoffmann-La Roche (Bepanthen Wund- und Heilsalbe), und wenn man von den Schlichthäuslern gute Arbeit fordere, dürfe man ihnen die Förderung nicht versagen.
Das Schwestergewerk Chemie sieht die Gefahr, daß Hochtechnologie aus Deutschland abwandern könnte, wenn nicht zeitnah ein nationales Referenzprojekt realisiert wird. Die deutsch-französische Neunschwänzige Katzenindustrie sei weltweit führend auf dem Markt der Neunschwänzigen Katzen mit Riemen aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK). Der Verbundwerkstoff gilt als eine der Schlüsseltechnologien in der Peitschenindustrie, deren Beherrschung für die künftige Ausgestaltung des globalen Arbeitsmarktes zu einem – vielleicht zu dem – Standortfaktor werden könnte.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau – Subventionen – Energie (BSE) Schmoldt hat denn auch nichts dagegen, daß bei der Produktion des Flagschiffes Cat350 selbst Schlichthüttler eingesetzt werden. „Wenn es gelingt, damit Varel oder Nordenham vor der Schließung zu bewahren, sind wir dafür.“ sagt Schmoldt. Schmoldt glaubt auch nicht, daß es eine Zumutung für die Schlichthüttler wäre, die Peitschen herstellen zu müssen, die sie selbst zu spüren bekommen könnten. „Wenn wir Chemiker pingelig wären, wenn es gilt, etwas herzustellen, daß uns selbst schädlich ist, wären wir alle seit Jahrzehnten arbeitslos. Glauben Sie mir, irgendwann glauben Sie, das müsse so sein. Dann wollen Sie die Peitsche.“
Grundsätzlich nichts vom Peitschen hält allerdings Bischöfin Käßmann, bei der Evangelischen Kirche Deutschlands zuständig für Werte und Wischiwaschi. Es widerspreche dem christlichen Menschenbild zutiefst, wehrlose Mitmenschen zu peitschen, die Gott gar nicht gelästert hätten. Im Falle von Unbotmäßig- und Widerborstigkeit der Hüttenbewohner, sollte das Fördern vielmehr in Einklang mit dem Geist der Bergpredigt geschehen. So sei es denkbar, den Hüttenbewohnern in Fällen schwerer Verstocktheit die Bibel zu entziehen und durch die „Bibel in gerechter Sprache“ zu ersetzen.
„Das wird sie lehren!“ spottet der Humanist vom Dienst (HvD), Zentralorgan der Humanistischen Volksfront (HV), der allerdings das Prinzip der negativen Religionsfreiheit in Gefahr sieht, wenn die Schlichthütten von Gesetzes wegen mit Bibeln ausgestattet werden. „Der weltanschaulich neutrale Staat darf hier nicht eine Weltanschauung allen anderen vorziehen. Auch die Schlichthüttler müssen Wahlfreiheit haben, denn das Grundgesetz gilt auch für sie.“ Außer Bibeln sollten die Schlichthütten daher auch die Thora, den Koran, die Upanishaden, die Sutren Gautamas, das Buch Mormon und die Schriften L. Ron Hubbards als Grundausstattung bekommen.
„Fehlt da nicht noch was?“ spottet Der kleine Humanist (DkH), Zentralorgan der konkurrierenden Volksfront der Humanisten (VH) zurück. Wenn schon erbauliche Literatur in den Hütten herumliegen müsse, müsse auch etwas für Freidenker dabei sein. „Bloß was? Man kann nicht die ganze Weltliteratur reinlegen. Vielleicht den HvD? Das ginge, aber der hat einen Nachteil: er ist nicht erbaulich.“
Die Lösung könne nur sein, die Schlichthütten mit Bibeln und gleichzeitig nicht mit Bibeln auszustatten. „Ein Dilemma. Schrödingers Katze ist nichts dagegen.“ Der kleine Humanist sei gespannt wie der Katholik Müntefering sich aus der Schlinge wursteln werde.
Heinz Kluncker von der Gewerkschaft ÖTV, mit dem niemand mehr gerechnet hatte, seit sich die Gewerkschaft vor Jahren in ver.di umbenannt und Kluncker durch einen Niedersachsen mit unaussprechlichem Namen ersetzt hat, so unausprechlich, daß ein Konkordat zwischen ver.di und deutschem Presserat nötig wurde, in welchem niedergelegt ist, daß man als Blogger weiterhin von ÖTV und von Kluncker reden darf, wenn man ver.di und den andern meint, Kluncker, der von sich sagt, ihm, Kluncker, sei das sowieso egal, Peitschen sei Ö, den Gepeitschten auf der Trage zurück in die Schlichthütte schaffen sei T, und ob V für Verkehr oder für ver.di oder für vas-auch-immer stünde, sei ihm wumpe, zuständig sei jedenfalls er, Kluncker – Kluncker also besteht darauf, daß das Peitschen der Schlichthüttler als eine hoheitliche Aufgabe den Beamten und Angestellten im Öffentlichen Dienst obliege.
Westerwelle hatte zuvor gefordert, schnellstmöglich die Privatisierung dieser Domäne in Angriff zu nehmen, damit sich „im freien Spiel der Kräfte erweisen [könne], wer der bessere Sklaventreiber“ sei, der Staat oder der „flexible, innovative, selbstlose, gebenedeite, menschheitsbeglückende, heiligenscheingeschmückte, zur Rechten Gottes sitzende Mittelstand, der gesalbte.“
Dem widersprach Kluncker. Man kenne das. Man habe das gesehen bei der Privatisierung von Post und Bahn. Da komme tagelang kein Briefträger, weil man den Geschäftsbereich Pedal ausgelagert habe, und wenn das Fahrrad morgens einen Platten habe, werde es zurückgeschickt an Pedal, und der (private) Briefträger gehe wieder nachhause. Neulich erst habe ein (privater) Lokführer des Metronom zwischen Göttingen und Alfeld eine ganze Ladung Passagiere in die Leine gekippt, weil er keine Lust gehabt habe, sie zuzustellen. Tadellose Fahrgäste, die man ohne weiteres noch für Transportzwecke hätte verwenden können.
Wolle man bei den Schlichthüttlern dieselben Fehler noch einmal machen? Dann solle man nur den Geschäftsbereich Incentive & the Lash auslagern und abwarten, was passiere. Zwei von zehn (privaten) Aufsehern würden die Peitsche im Suff vergessen, im Puff verwechseln, beim Spiel versetzen oder vom Gepäckträger verlieren. Drei weitere seien morgens einfach nicht da. Wenn man als Einsatzleiter beim Callcenter anrufe, um zu fragen, wo sie bleiben, lande man in der Warteschleife, werde darauf hingewiesen, daß das Gespräch zu Ausbildungszwecken mit angehört werden könne, und wenn man das nicht wolle, solle man jetzt die Eins drücken. Wolle man das?
Verschämte Kritik daran, daß den Schlichthüttlern so gar kein Geld gezahlt werden soll, kam von den den beiden großen Kirchen. Zwar wisse man um den Wert ehrenamtlicher und um Gotteslohn geleisteter Arbeit, andererseits aber dürfe es nicht zu Ausgrenzungen kommen. Seit sie, die Kirchen, erleben müßten, daß Bildungsferne nicht mehr automatisch Kirchennähe bedeute, hätten sie den Bildungsmarkt als lukratives Geschäftsfeld – nein, Moment, falsche Mappe – hätten sie ein Gespür für die Bedeutung von Bildung für den Einzelnen wie für die Gesellschaft entwickelt, und würden zur Abwechslung jetzt gerne mal auf Chancengleichheit herumreiten.
Vielleicht könne eine interkonfessionelle Arbeitsgruppe helfen, die Empfehlungen erarbeiten und sich mit der Frage befassen solle, ob es nicht vielleicht eventuell doch nicht so gut zusammengehe, den Menschen einerseits mehr Eigenverantwortung und Bildungsbereitschaft abzuverlangen, ihren Kindern andererseits aber die finanziellen Mittel, die für den Besuch der teilweise privat finanzierten, einen sehr guten Ruf genießenden und immer beliebter werdenden Schulen in kirchlicher Trägerschaft nötig seien, vorzuenthalten.
Unterdessen deutete Familienministerin von der Leyen an, daß eine Lösung des auch von der Regierung gesehenen Problems darin liegen könnte, die Schulpflicht für Kinder aus Schlichthütten auszusetzen. Es bleibe den Kinder so erspart, wegen falscher Handys, falscher Klamotten oder falscher Eltern gehänselt zu werden. Implizit erledige sich damit auch das Problem der Studiengebühren, da unerwünschte und unangemessene Hochschulreife auf diese Weise zuverlässig vermieden werden könnte.
Den Einwand, wer denn dann den Eltern im Alter aus der Bibel vorlesen solle, läßt von der Leyen gelten, gibt aber zu bedenken, daß rudimentärer Unterricht im Lesen und Schreiben auch von freiwilligen QuäkerInnen gegeben werden könne. „Wir ermuntern junge Frauen – und Männer! – dazu. Aber wir müssen auch realistisch sehen, daß die Hüttenbewohner nicht sehr alt werden werden.“ Müntefering stimmt dem zu. „Wir müssen ressortübergreifend denken. In die Rentenformel müssen wir die Nähe zum Fluß als neuen Parameter einführen. Alligatoren haben wir noch nicht, aber das ist eine Frage der Zeit. Wenn es uns gelingt – und es wird uns gelingen, dafür stehen wir, dafür steht auch die Bundeskanzlerin – die Reduzierung des CO2-Ausstoßes effektiv zu hintertreiben oder jedenfalls zu verzögern, dann werden wir auch Alligatoren haben.“
In Ulla Schmidts Ministerium wird derweil ventiliert, wieweit sich das Gesundheitssystem noch ausdifferenzieren ließe. Aus dem Umfeld der Ministerin verlautet, die Ministerin werde alles dementieren, was aus dem Umfeld der Ministerin verlaute. Insider vermuten, daß das Ministerium über kurz oder lang mit einem vierstufigen Gesundheitssystem an die Öffentlichkeit treten werde: Premium, Standard, Economy und Scrooge. Das Ministerium dementierte.
Krankenkassenbeiträge würden dann nur noch dazu verwendet, das Gesundheitssystem als solches zu finanzieren, Golfschläger, Clubbeiträge, Krankenkassenvorstandsgehälter, das Pressebüro des Ministeriums, Spesen und sämtliche Unkosten der Lobbyisten sowie eine ertragsunabhängige 12prozentige Grunddividende für die Aktionäre der am Gesundheitssystem beteiligten Konzerne. Wer darüberhinaus Leistungen wolle, müsse dafür zahlen. Es stehe aber jedem frei Leistungen nach Belieben zu wählen, bzw. abzuwählen, indem er sie einfach nicht in Anspruch nehme und dann auch nicht dafür zahlen müsse. „Sie müssen sich das so vorstellen:“, so unser Gewährsmann, „Premium bedeutet Einzelzimmer, Daunenkissen, Vollnarkose, und wenn Sie wieder aufwachen, haben Sie ein neues Gebiß. Standard bedeutet: Zahnbehandlung mit Betäubung, wie wir sie kennen. Economy: Zahnbehandlung ohne Betäubung. Es steht Ihnen frei, sich vor und nach der Behandlung eine Flasche Vodka zu geben – die Sie natürlich selbst bezahlen müssen. Scrooge: Man bricht Ihnen den Zahn aus dem Kiefer.“
Die Schlichthüttler würden demnach wohl am ehesten die Scrooge-Behandlung erfahren. Das Ministerium dementierte. Der Schlichthüttlerkomplex sei in der Hinsicht ein Novum, daß der einzelne Versicherte keinerlei Einkünfte haben werde, aus denen sich eine Beitragspflicht herleiten würde. Aus Paritätsgründen werde daher auch der ‚Arbeitgeber‘ des Schlichthüttlers beitragsfrei gestellt. Es sei aber vorgesehen, die Schlichthüttler beitragsfrei mitzuversichern – nur eben nicht zu behandeln.
Es wäre dann Sache des ‚Arbeitgebers‘ zu entscheiden, ob die Krankheit des Versicherten so gravierend sei, daß sie der Behandlung bedürfe. Bejahe er dies, stehe es ihm natürlich frei, den Kranken von einem Arzt behandeln zu lassen und die Kosten dafür zu übernehmen. Und da er ja die Krankenkassenbeiträge spare, werde er Rücklagen bilden und den Schlichthüttlern in vielen Fällen Standard- oder Premiumbehandlung finanzieren können.
Nachfrage ans Ministerium: Ob man uns verarschen wolle?
Das Ministerium dementierte.
Spargelbauer Mecke, der noch einmal zurückgekommen war, meinte, also, er könne sich immer noch nicht mit dem Modell anfreunden. Er solle die Leute ernähren, ok, aber er sei es nun mal gewöhnt, seinen Leuten was abzuziehen, um sie ans Arbeiten zu bringen, und wenn er ihnen aber nun Essen abzöge, dann würden sie sich als erstes mal an seinem Spargel vergreifen. Da sei es doch besser, er zahle ihnen ein kleines Gehalt – oder besser noch, der Staat zahle es, Stichwort Kombilohn – und er ziehe ihnen den gegessenen Spargel vom Lohn wieder ab.
Das aber hört Schlichthüttenerfinder Müntefering gar nicht gerne. „Die Wirtschaft ist für die Hüttenbewohner da, nicht die Hüttenbewohner für die Wirtschaft.“ Wenn die Ernährung der Schlichthüttler nicht sichergestellt sei, werde man es mit ihm, Müntefering, zu tun kriegen. Dann werde er nicht zögern, einen zweiten Lebensmittelmarkt ins Leben zu rufen, „nein, nicht zweiten, zweiten ham wir schon, dritten? Dritten auch schon, vierten“, einen vierten Lebensmittelmarkt, auf dem das von den Hüttenbewohnern benötigte Kalorienmaterial gehandelt werden solle. „Milch und Honig werden nicht fließen – gesundes Brot und ordentlicher Aufstrich wird da sein.“
Für „ordentlichen Aufstrich“ liegt bereits ein Angebot von Potte-Saoû vor. „Aus gesundheitlichen Gründen“ empfiehlt er Geflügel, das einen geringeren Fettgehalt habe als Schwein und darüberhinaus „im Gegensatz zu Schwein weltanschaulich neutral“ sei. Mit einem hohen Federn- und Klauenanteil verfüge sein Streichhuhn außerdem über genügend unverdauliche Ballaststoffe, an denen die traditionell von der Unterschicht verzehrte Nahrung chronisch Mangel leide. „Unterschicht ham wir nicht,“ korrigiert Müntefering, „aber das stimmt, die – Sie wissen schon wer – essen nicht sehr gesund. Das kann man besser machen.“
Bundeskanzlerin Merkel stützt Münteferings Vorhaben und will die Zeit des deutschen EU-Ratsvorsitzes nutzen, eine abgestimmte europäische Lösung auf den Weg zu bringen. Vorerst hat Merkel, die seinerzeit als Staatssekretärin die Verhandlungen zwischen Gott und Moses auf dem Berg Sinai begleiten durfte, aber noch eine Rechnung offen. Bereits damals hatte sie darauf gedrungen, in die Präambel der Zehn Gebote einen Gottesbezug aufzunehmen. „Was dann genau drin steht, ist ja egal,“ so Merkel zu Moses und Gott. Ihr Ziel hatte sie aber nicht erreichen können, da Gott einen Gottesbezug für überflüssig hielt und Moses auf heißen Kohlen saß und wieder runter wollte, weil es am Fuß des Berges drunter und drüber ging.
Zu Münteferings Vorschlag fiel ihr also als erstes ein, daß ein Gottesbezug in die Europäische Verfassung gehöre. „Was dann genau drin steht, werden wir sehen. Ich bin sicher, daß wir auch für die jetzt noch strittigen Punkte – Beschränkung der zulässigen Peitschenhiebe auf 250, 500 oder 1000, Altersfreigabe für Auspeitschungen bei 10, 12 oder 14 Jahren – eine für alle Seiten akzeptable Lösung im europäischen Rahmen finden können. So genau kommt es dann ja nicht mehr drauf an.“
Die Gebäudereinigungsbranche, die Müntefering als wahrscheinlichen Großabnehmer für Schlichthüttler im Auge hatte, gibt sich überraschend pessimistisch. Es sei ihr Geschäft, die Gebäude ihrer Kunden sauber zu machen, nicht schmutzig. „Nehmen Sie die Deutsche Bank. Wenn ich in Ackermanns Büro jemanden peitschen lassen muß, weil er Zeit verplempert, indem er den Mülleimerbeutel vorschriftswidrig in den Mülleimer hineinpfriemelt, so daß man den tatsächlich benutzen kann, anstatt ihn wie ein Kondom obendrüberzustülpen, worauf Ackermanns Butterbrotpapierknüddel dann einmal auftitscht und weiter ins Zimmer rollt, dann brauch ich zwei, um das Blut wieder wegzumachen. Das rechnet sich nicht.“
Schlimmer noch, das lohne sich nicht. „Verstehen sie micht nicht falsch: nicht daß ich was dagegenhätte, meinen Leuten keinen Lohn zu zahlen. Im Gegenteil. Aber so schnell können Sie gar nicht kucken, so schnell können Sie noch nicht einmal ein Büro saubermachen, wie der Einkauf bei ihnen auf der Matte steht und sich die Ersparnis durchreichen läßt. Und die halbe Marge gleich mit.“ Nichts gegen Herrn Müntefering, und wenn er das Arbeitsministerium reinigen lassen wolle, mache er ihm gerne ein Angebot, aber vielleicht wisse man in Berlin nicht so genau, „was hier draußen auf den Straßen los ist.“
Müntefering aber weiß das sehr wohl, wie er erläutert: „In einer Zeit, in der DAX-Unternehmen ihren Belegschaften den Krieg erklären, kann die SPD nicht so tun als wüßte sie nicht, auf welche Seite der Barrikade sie gehört.“ Was hülfe es denn dem Proletariat, wenn es die ganze Welt gewönne, oder wenigstens seine Arbeitsplätze nicht verlöre? „Die Seele des Proletariats ist die SPD. Sie darf nicht Schaden nehmen und sie wird nicht Schaden nehmen solange die SPD-Minister in der Koalition, und solange die SPD-Fraktion im Bundestag dafür einstehen. Dafür stehe auch, nicht zuletzt, ich selbst.“
Spät abends beim Bier lockert Münteferings Rechte Hand und Staatssekretär im Arbeitsministerium, der ansonsten stets peinlich korrekt gekleidete Kajo Wasserhövel schon mal den Schlips und schneidet sich mit der Schere den Hemdkragen ab. Er warnt davor, Müntefering zu unterschätzen. „Nur weil er aus dem Sauerland kommt, halten ihn manche für eine Art Friedrich Merz, der nichts gebacken kriegt. Aber das ist ein Fehler. Der kriegt das gebacken.“
Wir waren schon auf dem Heimweg, als Spargelbauer Mecke nochmal hinter uns herkam.
Er habe noch einmal nachgerechnet. Wieso solle er überhaupt Schlichthüttler anschaffen, wenn er den Spargel in China zu einem Preis kaufen könne, zu dem er in Deutschland noch nicht einmal die Strohschütte bekomme? Er habe ja selbst kein Stroh mehr, seit er nur noch Spargel, Erdbeeren und Weihnachtsbäume anbaue. Er müsse das ganze Stroh bei seinem Schwager kaufen. Und das sei ein Strolch, der es von den Lebendigen nehme. Und, wenn er sich unbeobachtet glaube, auch von den Toten. Ob wir überhaupt wüßten, was Stroh kostet?
Ehrlich gesagt nein.
„Geld!“