Rentner glauben anders

Rentner glauben nicht etwas Anderes als Schwiegertöchter, aber sie glauben anders.

Mit dieser provokanten These lässt der Vorarlberger Befreiungstheologe Andreas Hofer aufhorchen. Er ist aber nicht der einzige, der sich in den letzten Jahren Gedanken über eine spezifisch Seniorenspiritualität gemacht haben. Rentner, so scheint es, haben andere Ausdrucksformen und Praktiken für ihre Spiritualität, als sie derzeit von den Institutionen angeboten wird. Vieles erscheint Rentnern in den Kirchen als „zu harmonisierend“, als „bigott“, „langweilig“, „kraft- und lustlos“, letztlich zu „fromm“. Rentnerglaube wirkt karg und einsilbig, will die eigene Lebensrealität darin finden, liebt den Einsatz von Kraft und Aggression und die Abwesenheit von Schwiegertöchtern, ist archaischer, ritualisierter, phallischer.

Rentnerspiritualität ist Spiritualität mit Motorsäge und Flex, ist Spiritualität mit Aufsitzrasenmäher. Vorbilder sind ihnen Heilige mit Unterhemd und Lenkerradio oder ein Jesus, der kraftvoll, fordernd, zornig ist, der Feuer auf die Erde wirft und das Kaminholz schön zum Trocknen aufstapelt, der die Enkel vom Kindergarten holt, den Zaun regelmäßig streicht und im Garten mit Waschbeton alles ein bißchen nett macht.

In Zeiten, in denen die Verteilung der Rollen unter den Geschlechtern neu ausgekegelt werden, in denen für stabil gehaltene Familienverbände zerbröseln, die zentrale Figur der Schwiegertochter und damit auch der Brückenkopf der Kirche in den Familien an Einfluß verliert, in Zeiten wie den unseren, sucht die Kirche nach neuen Ansatzpunkten, nach Einfallstoren, von denen aus sie unter Geländegewinn wieder auf das Terrain der Familie einsickern könnte, und entdeckt dabei eine lange für uninteressant gehaltene, weil schom im Sack geglaubte Kundschaft: den Rentner. Steuertechnisch von nur mäßigem Interesse, scheint er doch eine vielversprechende Multiplikatorenrolle übernehmen zu können, wenn man ihm nur den richtigen Honig in den Bart kleckert.

Das tut man.

Zentrales strategisches Instrument ist die Rentnerfrühstücksgruppe, hie und da notdürftig als ‚Männerfrühstücksrunde‘ getarnt, aber die Zeit – Mittwoch morgens um halb zehn – spricht eine deutliche, erwerbstätigenfeindliche Sprache.

Die theoretische Munition kommt von Hofer, einer Art Eisenhans mit Rosenkranz. Seine Thesen:

Rentner sind auch Menschen

Kein Rentner lebt vom Job allein! Viele Rentner definieren sich fast ausschließlich über die Schwarz- oder Gartenarbeit oder manchmal sehr äußerliche Leistungen. Die traditionellen Rollenbilder funktionieren heute nicht mehr unhinterfragt. Die oft rapiden persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Veränderungen sind für die Rentner eine große Herausforderung. Immer mehr spüren, daß ihre Lebensorientierungen zu kurz greifen. Die Rentnerfrühstücksgruppe kann ihnen Erlebnis- und Erfahrungsräume anbieten, wo sie sich mit ihren überkommenen Rollen auseinandersetzen und neue Formen suchen können, ihren Ruhestand lebensfördernd und sinnerfüllt zu gestalten, und wo sie für anderthalb Stunden sicher vor der Schwiegertochter sind.

Die Realität spricht für Rentnerarbeit

  • Die durchschnittliche Lebenserwartung der Rentner ist um 7 Jahre kürzer als die der Schwiegertöchter.
  • Spitäler für chronisch Kranke sind von doppelt so vielen Rentnern besetzt.
  • 2/3 der Notfallpatienten sind Rentner usw.

Die Eigenschaften, die einem Rentner heute Aufstieg und Prestige versprechen, sind insgesamt eine hochgefährliche Lebensform. Von Psychologen werden Rentner beschrieben als eine Kerze, die von zwei Seiten brennt. Schwarz- und Gartenarbeit, Familie und Schwiegertochter fordern von ihnen immer mehr Energie. Deswegen brauchen sie Orte an denen sie sich wohl fühlen, erholen, auftanken und Kraft schöpfen. Kaputte Rentner machen die Welt kaputt. Wenn Rentner beginnen, achtsamer mit sich selber umzugehen, werden sie auch achtsamer mit anderen Menschen und achtsamer mit der Natur umgehen.

Rentner müssen sich emanzipieren

Die Rentner müssen sich weniger von den Schwiegertöchtern emanzipieren, sondern von sich selbst, von übertriebenem Rentner-Sein, von falschem Ruheständlerwahn. Sie müssen sich emanzipieren von einer Form des Rentner-Seins, die unter den Rahmenbedingungen der heutigen Leistungsgesellschaft auf sie selbst und auf andere zerstörend wirkt. Der Rentner, der es besonders richtig machen will, macht es bereits falsch.
Eine Portion fröhliche Verweigerung am richtigen Ort könnte für Rentner ein Überlebensmittel sein. Rentner brauchen Inseln im Alltag, wo die sozialen und beruflichen Rollen, die alltäglichen Zwänge und der Konkurrenzkampf vor der Tür bleiben. Sie brauchen Orte, wo die Platzhirsche die Geweihe an den Zaun hängen können und zur Ruhe kommen. Wo es einmal nicht um den schönsten Garten, die größte Prostata geht.

Die Frauenbewegung zwingt sie dazu

Die Frauenbewegung hat den Schwiegertöchtern viel gebracht: Rechte, die schon lange notwendig und gesellschaftliche Anerkennung, die schon lange fällig war. Die Kritik der Schwiegertöchter, wenn auch nicht immer in allem berechtigt, ist verständlich, denn die Schwiegertöchter waren immer schon die ersten Opfer fehlgeleiteter, unreifer Rentnerherrlichkeit. Deshalb sind aber Schwiegertöchter nicht von Natur aus reifer als Rentner. Die Kritik an Rentnern darf nicht auf eine Verleumdung des Ruhestands hinaus laufen.
Es ist Zeit, daß Rentner sich zusammen mit anderen Rentnern auf sich selbst besinnen, auf ihre ureigenen Pensionärsstärken. Dazu müssen sie aufhören, sich über Schwiegertöchter zu definieren. Das ist wie der kleine Junge, der ständig zur Mutter aufblickt und fragt, ob er es recht macht. Auch der große Junge, egal ob er gegen Schwiegertöchter ankämpft oder um ihre Gunst buhlt, ist getrieben von diesem Blick zur Mutter, ist abhängig vom weiblichen Segen und damit als Rentner eigentlich unfrei und kraftlos.

Starke Rentner sind starke Partner

Den Scheidungszahlen nach zu schließen, ist eine Beziehung heute ein anspruchsvolles Unternehmen. Rentner wie Schwiegertöchter gehen oft lieblos und sorglos miteinander um. Beide sind nicht nur Opfer, sondern machen auf ihre Weise Geschichte und verbrennen dabei manchmal sich selbst und anderen die Finger. Partnerschaft ist ein lustvoll-spannungsreiches Miteinander, das die Fähigkeit zum Austausch ebenso verlangt wie die zu Konflikt und Auseinandersetzung. Echte Partnerschaft wird möglich zwischen starken Rentnern und starken Schwiegertöchtern.
Gewalt und Brutalität sind gerade nicht Ausdruck von Seniorenstärke. Vielmehr sind es innerlich schwache und unreife, manchmal auch hilflose und überforderte Rentner, die zu körperlicher Gewalt greifen. Starke Rentner sind fähig zu geben und zu empfangen und gehen mit Konflikten und Verletzungen verantwortungsvoll um. Starke Rentner sehen die persönliche Entfaltung von Rentner und Schwiegertochter als Bereicherung der Beziehung und bemühen sich um partnerschaftliche Gerechtigkeit zur Entlastung beider Seiten. Nicht zuletzt pflegen sie auch Freundschaften zu anderen Rentnern.

Kinder brauchen Opas

Die therapeutische Praxis zeigt, daß etwa 85% der Kinder mit gröberen Störungen Kinder sind, die entweder keinen Opa haben, oder einen Opa haben, der in der Familie keine Rolle spielt. Damit aus Enkeln ganze Kerle und aus Enkelinnen gute Schwiegertöchter werden, braucht es nicht nur die Zuwendung der Mutter, sondern auch eine gute Beziehung zum Opa. Kinder brauchen keine perfekten Opas, aber solche die anwesend und greifbar sind.
Die Enkel erhalten durch den Opa Zugang zu ihrer eigenen Männlichkeit. Sie brauchen seine Bestätigung und müssen von ihm lernen, wie man Unterhemd trägt, wie man immer ein Kofferradio und einen Flaschenöffner dabei hat, und wie Waschbeton geht. Den Enkelinnen eröffnen Opas die schwiegertöchterliche Welt und legen den Grundstein dafür, wie sie sich in dieser Welt einrichten werden. Die Anerkennung als Frau durch den Opa, wenn zum erstenmal pünktlich um zwölf das Mittagessen auf dem Tisch steht, ist ein wichtiger Schritt zu reifem Schwiegertochtersein.

Rentner spielen in der Kirche keine Rolle

In der angeblichen Rentnerkirche sind die Rentner offensichtlich schon lange verschwunden. Die Kirche ist heute weitgehend eine von Schwiegertöchtern getragene und von zölibatären Männern geleitete Institution. Am ehesten findet man sie noch als Funktionäre oder stumm in den hintersten Reihen der Kirchenbänke. Rentner tummeln sich nicht gerade in den offiziellen Revieren kirchlicher Frömmigkeit und das ist ihr Recht.
Rentner glauben anders, nur wissen die meisten nicht mehr wie. Gehübschte Frömmigkeit ist es nicht, was sie suchen. Die Traditionen und Vorbilder sind verloren gegangen, spirituelle Verunsicherung und Hunger ist geblieben. Rentnern geht es weniger um ein Wohlfühlen im Schoß von Mutter Kirche als um das Gefühl der Größe im Glauben, um Auftrag und Verantwortung, um das Tun und Gestalten, um Waschbeton.

Wir brauchen gläubige Rentner

Die biblischen Rentnerfiguren sind keine Frömmler, sondern viel eher Heilige mit Unterhemd und Lenkerradio, die pünktlich Mittag machen wollten und das auch taten. Es sind Rentner wie heute, mit allen Arten und Unarten, mit Fehlern und Stärken und gleichzeitig grandiose Rentner, weil sie für eine Sache kämpfen, die über sie selbst hinaus geht. Sie können Rentnern heute noch Orientierung und Ruhestandssolidarität vermitteln.
Wir brauchen Rentner, die von leidenschaftlichen Überzeugungen getragen sind, von Einstellungen, die das Leben prägen und Ziele vorgeben können. Darum brauchen wir Rentner, die glauben, daß hinter ihnen ein noch größerer Rentner steht, einer, der sich von keiner Schwiegertochter rumkommandieren läßt. Dieser Glaube kann Rentner entlasten, sie befreien und ihnen die Kraft für ihre Aufgaben geben. Der Glaube an einen noch Größeren kann sie vor Pensionärsgrößenwahn bewahren und zu wahrer Seniorengröße führen. Erlöste Rentner können viel zur Erlösung der Welt beitragen.

Rentner sein ist schön!

Wenn das Essen pünktlich fertig ist, ja.

Über den Autor:

… als Rentner

Mein persönlicher Zugang zur Rentnerarbeit

Vermutlich habe ich in den ersten Jahren meines Ruhestandes allzu lang die Schuhe immer schon vor der Tür ausgezogen, und zwar ohne Aufforderung, bin nie zwei Minuten vor dem Mittagessen aufs Klo gegangen, und wenn ich wieder runterkam, dann bin ich nicht hosenlatzknöpfender- oder reißverschlußhochziehenderweise durch den Flur gelaufen, und meine Hände waren immer tatsächlich gewaschen – ein klassischer ‚Schwiegertöchterversteher‘ eben, bis ich dann merkte, wem meine feministischen Schwiegertöchter tatsächlich die Stiefel leckten.

Meinen sauberen Herren Söhnen nämlich.

Mit dem Thema selber habe ich mich erst später beschäftigt. Ein Aha-Erlebnis war der Satz von H. Goldberg: ‚Rentneremanzipation heißt nicht, daß die Rentner so werden, wie die emanzipierten Schwiegertöchter glauben, daß sie sein sollten.‘ Den „Wilden Rentner“ von Richard Rohr habe ich dann nahezu gefressen und bin damit innerlich sozusagen mit den Miststiefeln durchs Wohnzimmer getrampelt. Überhaupt ist es auch meinem Magen viel besser gegangen, seit ich aufgehört habe, mir nach dem Klogang die Finger zu waschen.

Die Erfahrungen mit der Rentnergruppe, die wir drei Jahre hatten, möchte ich nicht missen. Sie hat mir geholfen, einfach zu meinem Ruhestand zu stehen, Dinge, die anderen Rentnern vielleicht selbstverständlich erscheinen mögen.

Als ehemaliger ‚Schwiegertöchterversteher‘ verstehe ich inzwischen von Schwiegertöchtern so viel, daß ich sie nicht nur als Opfer sehen kann. Meine Arbeit ist aber nicht gegen Schwiegertöchter gerichtet, sondern soll für die Rentner da sein. Nie werde ich vergessen, wie wir von der Rentnerfrühstücksgruppe Käsdorf-Ost, an Himmelfahrt 2005 mit 70 Rentnern nach der Kirche in der Feldmark gestanden sind und im Stehen gepinkelt haben.

Zwei Minuten vor dem Mittagessen.

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