Kleine Freitagmorgenphantasie

Die Sonne geht auf, Sie sitzen im Zug, haben einen Platz ergattert, die Nachbarn sind vergrault, Kaffee und Schaffner sind durchgewinkt, Krakeeler keine da, der Tag nimmt Anlauf -: aber bis er mit beiden Fersen auf Ihrer Brust landet, hat es noch Weile.

Denken Sie.

Denn was lesen Sie da schönes in der Mobil?

„Niedersachsen erlaubt Gigaliner.“
Worum geht’s?

Früher war es so geregelt, daß jeder Reisende sein Gepäck entweder in der Hand oder auf den Schultern trug, hatte er mehr als am Manne Platz fand, heuerte er einen Träger an. Der klassische Reisende war etwa wie folgt bestückt: Tasche in der linken, Koffer in der rechten Hand, Schirm auf den Koffer geschnallt, Staub- oder Kleppermantel wahlweise an oder über dem Arm (dann keine Tasche), Hut auf dem Kopf.

Damit ist es vorbei. Heutzutage hat jeder Reisende einen Anhänger. Führerscheinfrei, und die meisten fahren auch so. 90°-Kurven etwa schaffen die wenigsten, ohne daß das Gefährt in Torsionsschwingungen gerät. Auch ist vielen nicht klar, das sie eine Strategie brauchen werden, wenn sie mit dem Anhänger an eine Treppe kommen, wie man sie in Bahnhöfen manchmal antrifft. Wollen sie den Anhänger dann tragen, wollen sie ihn die Treppe rauf- oder runterschleifen, oder wollen sie am Kopf der Treppe erst einmal stehen bleiben, sich den ihrigen kratzen und sich hilfesuchend umschauen?
Ein guter Teil geht erst zwei Stufen treppab, ehe er merkt, daß der Anhänger, wie ein unerfahrener Hund, nicht freiwillig mitkommt, und probiert es dann mit Kopfkratzen und Überlegen.

Der berühmte Hühnerstallarchitekt Le Courvoisier hat errechnet, daß ein Reisender mit Staubmantel und Aktentasche eine Fläche von 60 x 60 cm benötigt, um auf einem Bahnhof stressfrei überleben zu können, mit Rucksack oder Koffer 60 x 90, mit Anhänger dagegen 60 x 120 cm.
„Das heißt,“ so Courvoisier, „auf einem Quadratmeter Bahnhof kriegen Sie drei klassische Reisende unter, oder aber anderthalb Reisende mit Anhänger. Halbieren können wir sie nicht, also zwei Reisende und ein Anhänger, oder ein Reisender und zwei Anhänger, oder 3 Reisende ohne Anhänger, oder ein Reisender mit Anhänger und ein Reisender ohne Anhänger, verstehen Sie?“

In etwa.

„Das heißt, bei einer angenommen Bahnhofspopulation von P und einer Anhängerquote von 60% vergrößert sich auch der Platzbedarf um 60%, steigt die Anhängerquote auf 80%, verdoppelt sich der Platzbedarf bereits.“

„Das gilt aber nur für statische Populationen, Reisende mit Bewegungsdrang – und derer gibt es viele – brauchen mehr Platz, wir müssen einen Sicherheitsabstand miteinkalkulieren, und das heißt, der Platzbedarfsanstieg bei Anhängerquotenerhöhung fällt prozentual niedriger, absolut aber natürlich höher aus.“

Und nicht nur das. „Um einen einfachen Reisenden zu überholen, brauchen sie – bei einer Geschwindigkeitsdifferenz von 1 km/h, und schneller sollte man verantwortlicherweise in einem überfüllten Bahnhof nicht laufen, auch wenn man auf Gleis 11 muß – brauchen Sie nach der gängigen Überholwegsformel ungefähr fünfzehn Meter, für einen Reisenden mit Anhänger achtzehn Meter, und wenn Sie selbst einen Anhänger haben, 22 Meter.
Diese zusätzlichen Meter müssen Sie auch erst mal haben! Die Zeiten, da ihre Oma im Bahnhof Motorrad fahren konnte, sind nun mal vorbei. Und da kommt Hirche und will Gigaliner erlauben! Ich sage ihnen, bevor Sie einen Gigaliner überholt haben, sind Sie an Gleis 11 vorbei.“

Gigaliner sind Reisende mit zwei Anhängern, hintereinandergekoppelt. Das gängige Staumodell – einfacher Anhänger mit Notebooktasche obendrauf – genügt Hirche nicht. Kritik von allen Seiten, wie z.B., was denn eigentlich geschehen solle, wenn ein Reisender am Treppenkopf stehe und zwei Anhänger überreden müsse, mit runterzukommen? oder: ein Gigaliner am Thüringer Bratwurststand blockiere doch den Tresen in Gesamtlänge! läßt ihn kalt. Dafür gebe es Lösungen. Man könne z.B. vorschreiben, daß die Gigareisenden den Fahrstuhl benutzen müssen, oder nur bestimmte Rasthöfe anfahren dürfen.

„Fahrstühle!“ regt Courvoisier sich auf. „In diese Fahrstühlchen können sie vielleicht drei Hühner mitnehmen, drei Hennen vielleicht, oder drei Hähne, oder eine Henne und zwei Hähne, oder zwei Hennen … “

Schon gut, genügt!

“ … und einen Hahn, aber doch keine Gigaliner! Unsere Bahnhöfe sind schlicht zu klein. Mit Populationen in diesen Größenordnungen hat doch im 19. Jahrhundert, als die meisten Bahnhöfe konzipiert wurde, niemand rechnen können. Damals, als die Reisenden bei Wind und Wetter und teilweise überland draußen rum und zum Bahnhof liefen – die lagen ja häufig vor der Stadt -, da starben immer mal welche an simplen Erkältungen, oder der Habicht hat sie geholt.“

Was schlägt Courvoisier also vor?

„Größere Bahnhöfe. Wir reißen die bestehenden ab und verdoppeln die Grundfläche.“

In Hannover brauche er dazu vor und hinter dem Bahnhof etwa 500 Meter, „aber das genügt dann auch“. Städtebauliche Argumente, die dagegensprächen, fielen ihm keine ein.

Ihnen auch nicht. Die Idee gefällt Ihnen nicht schlecht, Sie sehen nur etwas gegen die zwölfjährige Umbauphase an.

Aber Courvoisier weiß Rat.
„Der Zugverkehr bleibt unbeeinträchtigt. Wir schließen nur den Bahnhof. Durchfahren und umsteigen können Sie, bloß nicht aus- oder zusteigen.“

Eine himmlische Vorstellung, sagen Sie? Wohl wahr. Bloß leider nicht real.

Alles „Second Life“-Tagebuch.

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