Am Rande einer Pressekonferenz der Christlich-Demokratischen Muttersprachler (CDM) treffen sich zwei Fremdsprachenkorrespondenten. Muttersprachler alle beide, in ihrer jeweiligen Sprache, stehen sie etwas abseits, ihre Notebooks unter dem Arm, und warten darauf, daß der Hotspot frei wird. Man kennt sich:
Sieh an, Sapir, Sie auch hier?
Whorf! Nein, mein Lieber, ich bin hier. Sie sind auch hier.
Warten Sie schon lange?
Müßte gleich weitergehen. Wie sieht’s aus, gehen wir zusammen essen?
Keine Zeit. Muß noch in die Stadt, Radios kaufen.
Ein Radio?
Nicht ein Radio. Radios. Mehrzahl, unbestimmte.
Wieviele brauchen Sie denn?
Oh, so Stücker drei, vier. Die halten ja nicht lange. – Und, wie finden Sie die Konferenz?
Geht so. Gute Laune haben die ja nicht.
Wußten Sie, daß es im Deutschen 200 verschiedene Ausdrücke für Schlechte Laune gibt?
Ah, kommen Sie, das ist doch ein urban myth.
Mutterwort!
Was für’n Ding?
Mother-tongue!
Jetzt fangen Sie nicht auch an. – Das ist doch einer dieser populären Mythen, unausrottbar, aber widerlegt.
Ist es nicht.
Nicht? Ach richtig! Daß Ihr Hopi keine Ausdrücke für Zeit habt, ist ja auch nicht widerlegt.
Doch. Eben erst, vorhin, unlängst, gestern, bald schon, unter den Merowingern, eines schönen Morgens während der Erbfolgekriege – wollen Sie noch mehr?
Sie haben doch eben selbst gesagt, Sie haben keine Zeit.
Wisenheimer!
Mutterwort!
Schlauberger!
Brav!
Daß das ein urban myth …
Vorsicht mit Lehnwörtern …
… ist, wer wüßte das besser als Sie!
… : Sprachschützer allerwärts!
Sprachschützer? Spinner, wenn Sie mich fragen.
Eben hatte ich Sie fragen wollen. – Spinner, sagen Sie?
Schlecht gelaunte Spinner. Wie bei uns daheim. Wir sollen jetzt Hopi von Navajoeinsprengseln rein halten.
Nein! – Tatsache? Sie wollen mich auf den Arm nehmen?
Will ich nicht. Dasselbe wie hier. Geht ein bißchen mehr ins Grüne, ist aber dasselbe.
Diese Sprachheilpraktiker machen alle denselben Fehler: es liegt an der Ernährung, sagen sie. Krankheit gibt es eigentlich gar nicht, es gibt bloß falsche Ernährung. Darum sollen wir kein Navajo in den Mund nehmen, und die hier kein Englisch. Der Hopi-Darm verdaut wahrscheinlich kein Navajo, und der deutsche kein Englisch. Das führt dann zu unreiner Gesichtshaut, Clearasilresistenz, Grützbeuteln und Warzen mit ungleich langen schwarzen Haaren drauf.Und zu schlechter Laune.
Schlechte Laune haben die hier sowieso. Aber am Unterbauch bilden sich nässende, eiterfarbige Tentakel.
In Wahrheit ist das verschleppte Religiosität.Wir sollen nichts essen, von dem in der Schrift steht, daß es unrein ist.In welcher Schrift?
In irgendeiner Schrift. Alle haben sie irgendeine Schrift, in der steht, daß sie das sind wofür sie sich halten, und deswegen dürfen sie keinen Klippdachs essen.
Klippdachs? Was für Klippdachs?
Klippdachs halt. Klippdachsklippdachs. „Ein schwaches Volk, und doch baut es seine Häuser im Felsen“.
Häuser im Felsen? Sie meinen Pueblo Indianer?
Nein, ich meine Klippdachs. Soll man nicht essen. Ist unrein. – Darum gehts denen nämlich: die Sprache rein halten. Was soll das überhaupt heißen: rein? Sowas wie sauber? Ein Bett ist sauber, wenn es frisch bezogen ist, und wenn niemand ein Glas Pflaumenmus drin ausgekippt hat. Aber wer macht das denn? Und wenn es einer macht, wird er wissen, warum er es macht und was er davon hat. Und wen geht das was an? Nicht die Heilpraktiker, die drum herumstehen und von Reinheit faseln.
Geht das denn überhaupt?
Aber um Pflaumenmus geht’s denen nicht. Es geht um Klippdachse. Mama soll nicht mit Klippdachsen ins Bett gehen. Mama soll am besten überhaupt mit niemandem ins Bett gehen. Mama Sprache.
Ich meine, wie groß ist denn so ein Klippdachs?
So hat jeder Tribe seinen Klippdachs. Denen hier ihr Klippdachs ist Englisch. Bei uns ist es Navajo. Ich sagte es wohl schon.
Sie sagen es.
Rassisten, das. Wenn ich eine Navajo heiraten will, tue ich das, und dann zeugen wir so viele kleine Navajo-Hopi-Bankerte, wie wir wollen.
Bankerte?
Igen. Bankerte. Und nicht etwa *Bankerts.
*Bankerts?
Ja. Das ist ein Phänomen, dessen sich die Sprachheilpraktiker mal annehmen sollten: die Durchsetzung der Sprache mit nichtsprachlichen Elementen.
? – Was könnte das denn sein?
Nun, Heckenscheren, Pflaumenmus, messingne Kistengriffe, trockener Bisondung, ausgepustete und bemalte Eierschalen, ölige Fahrradkettenentnieter mit verbogenem Dorn, gelochte Pappfahrkarten von 1963, was Sie wollen. So Kram halt. Und natürlich *Finals.
*Finals?
Hab ich gestern im Radio gehört. Sportjournalist. Erzählte was von *Finals. Mehr hab ich nicht mitgekriegt, mir fällt dann immer der Kaffee aus der Hand. – Es übrigens nicht so, daß sich fallengelassene Kaffeetassen im Inertialystem immer beschleunigt in Richtung Erdmittelpunkt bewegen würden. Manche bewegen sich auch tangential. Die, die mein Radio kaputtgemacht hat, bewegte sich sogar ein bißchen nach oben.
Aha? Ach so? Deshalb brauchen Sie ein neues Radio. Und was hat das mit den nichtsprachlichen Elementen in der Sprache zu tun?
*Finals ist solch ein Element. Darauf sollten die Sprachheilpraktiker mal ihr Ohrenmerk richten. Wenn Sie so etwas hören, versucht Ihr Sprachzentrum nämlich, das Gehörte mit dem gespeicherten Wörterbuch abzugleichen; es ist nicht drin; es versucht, einen neuen Eintrag zu schreiben; der mißlingt wegen Datentypsverletzung. Sie wissen ja, wie Oracle reagiert, wenn Sie versuchen, blobdata in eine varchar(20) Kolumne zu sperren.
Ich habe keine Ahnung. Wie reagiert Oracle?
Unwirsch.
Und was ist überhaupt Oracle.
Im Hirn ist das genauso. Bei jedem gescheiterten Insert verletzen die nichtsprachlichen Gegenstände die empfindlichen Ganglien, und es kommt zu Sickerblutungen.
Nun übertreiben Sie mal nicht so maßlos.
Ich übertreibe nicht. Wenn sie in ihrer Besteckschublade einen Einsatz haben, in dem Löffelchen bei Löffelchen und Gäbelchen bei Gäbelchen liegt, und sie versuchten, eine Heckenschere in die Lade zu zwängen, dann ginge das auch nicht ohne innere Blutungen ab.
Ihr Vergleich hinkt.
Er hinkt nicht.
Alle Vergleiche hinken.
Dieser nicht.
Ah, nein. Dieser natürlich nicht. Alle mal herhören: ihm hier seine Vergleiche hinken nicht! Man nennt ihn auch den Gottvater des Nicht Hinkenden Vergleichs.
Nennt man mich nicht. Auch meine Vergleiche hinken bisweilen. Aber dieser hinkt nicht.
Alle Vergleiche hinken, ich hab’s schon mal gesagt.
Und schon einmal Unrecht gehabt. Wenn alle Vergleiche hinkten, spräche man nicht von einem hinkenden Vergleich. Ein hinkender Vergleich wäre dann so etwas wie eine kriechende Schlange, ein säuselnder Zephyr, ein stummer Fisch, eine schwatzhafte Elster. Wann haben sie das letztemal von einem säuselnden Zephyr gesprochen?
Wüßte ich jetzt nicht auf Anhieb.
Na bitte.
Die falsche Analogie liegt darin, daß es sich bei einer Heckenschere schließlich nicht um Besteck handelt.
Ja und? Bei *Finals handelt es sich ja auch nicht um Sprache.
Nicht um Hopi, jedenfalls.
Nicht nicht um Hopi. Das wäre mir ja egal, ob einer Navajo oder Hopi spricht, oder beides durcheinander.
Aber *Finals ist doch Navajo.
[‚fI-n&lz] wäre Navajo. Wenn sie das ja sagen würden. Tun sie aber nicht, sie sagen *Finals.
Naja, sie sprechen es halt eben so aus, als wäre es Hopi.
Tun sie nicht. *Finals klingt nicht wie Hopi. Wenn einer auf Hopi [‚i-dE-&ts] sagen will, sagt er Idioten, nicht *Idiots.
Aber bei Fremdwörtern ist es doch so, daß man die Mehrzahl ruhig mit s bilden kann, …
In Hopi? Nein. In Navajo ja.
… und Finale ist ja ein Fremdwort, …
Telephon ist auch ein Fremdwort. Sagen Sie *Telephons?
… bei dem man nicht so ohne weiteres sagen könnte, wie der korrekte Plural lautet …
Doch.
… Die Finalen? Finalia?
Beides falsch.
Los finalos?
Wie wäre es mit Endspiele? Und, wenn das zu dolle deutsch klingt und die zarte Sportjournalistenseele belastet, wie wäre es dann mit Finalspiele – oder Finalläufe – oder was immer der Sportart angemessen wäre? Und wem auch das noch zu umständlich ist, der soll doch bitteschön wenigstens [‚fI-n&lz] sagen.
Das wollen die Christlich-Demokratischen Muttersprachler nicht.
Die sollen stille schweigen. Diese Chauvinisten wollen bloß nicht, daß Plastiklöffel bei ihrem Familiensilber liegen.
Die haben vielleicht Sorgen, die Seelchen. We are not amused!
Sollen wir nicht mehr sagen, in Zukunft. Was werden die statt dessen sagen?Hm. Vielleicht: wir haben schlechte Laune?
Das weiß doch eh jeder. – Familiensilber! Was die halt so für Silber halten. Aber nicht merken, wenn Heckenscheren dazwischen liegen, oder etwas Bleiches aus dem Sumpf, etwas, daß man besser nicht im Tipi hat. *Finals z.B.
Wenn Sie ihren Komposthaufen umsetzen, dann finden sie manchmal so ein Ding, dessen Herkunft nicht eindeutig bestimmbar ist, es ist nicht flüssig, tropft nicht, hängt alles zusammen und bildet so lange Molekülketten. So hoch können Sie die Forke gar nicht heben, das es nicht immer noch auf der Erde schleifen und überall hängenbleiben würde. Lovecraft will sowas hin und wieder in Neuengland gesehen haben. Er rudert dann immer etwas bei dem Versuch, den Geruch mit Worten zu beschreiben. Ich sage: laß es. Er ist nicht zu beschreiben.
Der Hotspot rauscht.
Hah, jetzt hab ich Sie. Es gibt doch Fremdwörter, deren Plural in Hopi mit s gebildet wird.
Beispiele bitte!
Hotspots.
Hotspots ist Navajo.
MP3s.
Dummes Zeug. Drei ist doch schon Plural, da brauchen Sie doch kein s dranzuhängen. Die drei Musketiere. Die drei von der Tankstelle. Sie können auch sagen: Die Tankstellen-Drei. Oder eben Die MP-Drei.
Die Tür geht auf. Lovecraft kommt aus dem Hotspot, eine gewaltige Wolke mit sprachlichen Mitteln nicht erfaßbaren Gestanks nach sich ziehend. Man grüßt sich. Sapir hält die Klinke und fragt:
Und Sie sind sicher, nicht mit essen gehen zu wollen? – Ach richtig, Sie wollten in die Stadt. Was brauchten sie noch?
*Radios.