Gesellschaft

Kai Diekmanns Abrechnung mit den 68ern

Der Epochenbruch von 1968 habe in Deutschland eine seltsame Form des Frömmlers in die gesellschaftlichen Schaltzentren gebracht, schreibt einer der es wissen muß, denn er steckt in einem dieser Schaltzentren und füllt es so vollständig aus wie ein feister Engerling seinen rosanen Designerkokon: „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann in seinem neuen Buch. Auf WELT ONLINE erklärt er, warum er „Gutmenschen“ für weltfremd hält und vor ihrem Selbsthaß warnt.

In Deutschland ist die Neigung ausgeprägt, die Dinge zweihundertprozentig zu machen. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, verkündeten die konservativen Vordenker zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Der führte das Land in einen Krieg, der nicht zur Genesung der Welt beitrug.

Dann jubelte man Hitler zu. Der wollte die Welt vor einer „jüdischen Weltverschwörung“ retten. Er zettelte den Zweiten Weltkrieg an, der 50 bis 60 Millionen Menschen das Leben kostete.

Nach Niederlage, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder kamen die Achtundsechziger, von denen viele mit dem gleichen Rigorismus Verbrecher wie Mao Tse-tung und Ho Chi Minh anbeteten.

Dann kam lange, lange Zeit gar nichts.

Dann kam ein riesengroßer Misthaufen.

Dann wieder lange Zeit nichts.

Dann kam Kai Diekmann.

Dann war es zu spät.

Aber zurück zu Kai Diekmann. Kaiser Wilhelm, Adolf Hitler, die 68er, das alles war lange vor Kai Diekmanns Zeit. Was noch war vor Kai Diekmanns Zeit?
Robespierre, Attila sicherlich, Nero wohl auch, Herodes, Kain und Abel, die Schlange und der Apfel, der Sturz Luzifers – Kai Diekmann würde sie alle verhindert haben. Aber 200 pro.
Nein, Quatsch. Diekmann würde den ganzen Mist genausowenig verhindert haben, wie die in Gehorsamsstarre gegenüber ihrem Katechismus der Güte und grundsatzfreien Toleranz und in Selbsthaß verharrenden Gutmenschen, aber im Gegensatz zu denen würde Diekmann sie ermuntert, bestärkt, bestochen, ihnen 50 Euro Scheine in die Hand gedrückt, die fallenden noch getreten, Mikros vor die zerschlagenen Nasen gehalten und Leser mit Photohandys auf Hiobs Schwären gehetzt haben.

Unglaublich: Vater opfert Sohn.
Hat angeblich Stimmen gehört.
Schmieriger Arschwisch:   Isaak, dein Vater wird dich schlachten. Wie fühlt man sich da so?
Isaak:   Vater, wer ist der schmierige Arschwisch am Fußende meines Opfersteins? Er macht Geräusche.
Abraham:   Das ist ein ######, mein Sohn. Achte seiner nicht.
Isaak:   Ich will nicht, daß ein schmieriger Arschwisch an meinem Opferstein steht.
Abraham:   Sag nicht ’schmieriger Arschwisch‘ zu einem ######, mein Sohn. Das ist Stürmerstil. Auch der ###### ist ein Geschöpf Gottes.
Gott:   Wie bitte?
Isaak:   Aber er riecht.
Schmieriger Arschwisch:   Bist du noch Jungfrau, Isaak? Wie war dein erstes Mal? Was hältst du von Treue? Glaubst du, daß deine Freundin fremdgeht, während du dich hier opfern läßt?
Isaak:   Ich möchte sterben!
Abraham:   Ob wir sterben, mein Sohn, liegt einzig in Gottes Hand.
Schmieriger Arschwisch:   50 Euro für dich, Isaak, wenn du jetzt Gott lästerst.
Isaak:   Es gibt keinen Gott …
Abraham:   Lästere nicht, Sohn. Du sprichst von deinem Gott, dem Gott deiner Väter, dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
Schmieriger Arschwisch:   Das war doch keine Lästerung!
Gott:   Das bestimme ja wohl immer noch ich!
Isaak:   … wenn es ihn gäbe, würde er diesen schmierigen Arschwisch zertreten, wie du Vater, den Kopf einer Natter zertrittst.
Gott:   Damit ich es dann am Fuß habe, ja?
Schmieriger Arschwisch:   Da gibt es jedenfalls keine 50 Euro für! Du mußt Gott fluchen, Isaak, ihn zur Hölle wünschen.
Gott:   Abraham, Abraham.
Abraham:   Hier bin ich.
Schmieriger Arschwisch:   100 Euro! – 150!!
Gott:   Die Show ist abgesagt. Das Publikum sagt mir nicht zu. Es müffelt. Es sieht außerdem aus wie ein ######. Und das hab ich geschaffen? Muß ich ja wohl. Gott, was einem alles so durchrutscht in der Hektik! Müßte mal ausspannen. – Mach mir den Widder da zurecht, Abraham, ich fühle mich schwach.
Schmieriger Arschwisch:   Unglaublich: Tierquäler verbrennt Widder.
Kriegt auch noch Segen dafür!
Die neue Serie in ####:
Der irre Erzvater: so trieb er es mit seiner Magd!
Frau wollte es so.

Denn inzwischen hat uns ein neuer Totalitarismus in seinen Bann geschlagen, der nicht weniger Intoleranz produziert: Wir Deutschen wollen die Korrektesten, die Anständigsten, die moralisch Besten sein auf dieser Welt. Dagegen gäbe es eigentlich gar nichts einzuwenden. Wenn es nicht regelmäßig das Gegenteil dessen hervorriefe, was gesunden Menschenverstand ausmacht.

Die tägliche Bildzeitung nämlich.

Man kann Achtundsechzig, also dem Epochenbruch der deutschen Gesellschaft in Richtung Egozentrik, Mittelmaß und Faulheit, vieles vorwerfen. Aber die verhängnisvollste Folge dieser Zeit ist das Aufkommen des Gutmenschen, die säkulare Form des pietistisch-abseitigen Frömmlers: Voll des Glaubens an das Gute

selbst im Bildredakteur,

unbeirrt von Fakten, ohne Vorstellung davon, daß der Wille zum Nichts dessen einziger Businessdriver ist, dafür mit dem festen Willen, im Bösen nur das Banale, nicht aber die Negation des Guten zu sehen, und im Drachenkot, im Speiballen der Hölle, in den Kloaken der Ursäuger, die an den haarigen Vetteltitten der sie nährenden, stetig neue, greulichere, Brut heckenden Großen Lügenmutter hängen, noch den Göttlichen Funken zu suchen, den Mitmenschen auch in dem wahrzunehmen, der alle Mitmenschlichkeit in die Güllegrube stößt, deren verzweifelte Rettungsversuche mit dem Jaucheheber vereitelt, sie unten hält und den Leichnahm der Erstickten in der Gosse herumträgt.

Anstand und Würde: Geschändet und in die Gosse geworfen!
Schmierige Arschwische schrecken vor nichts mehr zurück!
Schmieriger Arschwisch:   Anstand und Würde, ihr beide seid von uns durch den Dreck geschleift und entehrt worden. Wie fühlt man sich da so?
Anstand:   [schweigt, ist dem Tode nah]
Würde:   [schweigt auch, ist dem Tod genauso nah]
Schmieriger Arschwisch:   Seid ihr tot, Anstand und Würde? Unsere Leser wüßten gerne, wie es ist, wenn man in einer Jauchegrube ertrinkt.
Anstand:   Was ist das für ein schmieriger Arschwisch, der uns hier in der Gosse rumträgt?
Würde:   Sag nicht ’schmieriger Arschwisch‘, Anstand. Es ist deiner unwürdig.
Anstand:   Aber er riecht.
Schmieriger Arschwisch:   Lief da was mit der Würde, Anstand? Hattest du sie im Bett? Ging da was?
Würde:   Trotzdem. Es ist nicht anständig.
    Sag ######. Auch den ###### hat Gott geschaffen.
Gott:   Soll mir das jetzt eigentlich bis zum jüngsten Tag vorgehalten werden? Herrgott, sowas passiert doch jedem mal!
Schmieriger Arschwisch:   50 000 Euro für ein Exklusivinterview, Anstand. Cash!
Anstand:   Du, Würde, erinnerst du dich an den Geruch unten in der Güllegrube?
Würde:   Ja, Anstand, wie sollte ich denn nicht.
Schmieriger Arschwisch:   100 000! Würde! Für den Halbseiter: ‚So nahm mich Anstand in der Jauche‘!
Anstand:   Erinnerst du dich, was du empfandest, als die Brühe dir in Nase, Mund und Augen drang? Als du nach Luft ringen wolltest, der Jaucheschepper dich aber unten hielt, und dir immer mehr in den Hals und in die Lungen geriet?
Würde:   Ja, Anstand, ich erinnere mich.
Schmieriger Arschwisch:   [zu Verübergehenden] Finden Sie es richtig, daß man diese beiden Leichen durch die Gosse schleift? Wo bleiben denn da Anstand und Würde?
Anstand:   Selbst da unten in der Verzweiflung, in meinem bittersten Moment, hat es nicht so gestunken, wie dieser schmierige Arschwisch stinkt.
Würde:   Es benimmt mir den Atem, Anstand.
Schmieriger Arschwisch:   [eifrig] Sind Kinder hier? Sind keine Kinder hier? 50 Euro für den, der mal schnell ein paar Kinder besorgt!
Würde:   Anstand, ich glaube es geht zu Ende.
    Es war eine schöne Zeit mit dir.
    Du warst der anständigste Kerl, den ich je gekannt habe.
Schmieriger Arschwisch:   100 Euro! – 150!!
Anstand:   Ja Würde. Unsere Zeit ist um.
    Weißt du, Würde, ich möchte, daß du eins weißt: daß ich, wenn ich es nur könnte, alles noch einmal genauso machen würde.
    Würde?
    Würde??
Schmieriger Arschwisch:   Gefoltert, Ermordet, Entehrt! Kinder mußten zuschauen!
So gehen Anstand und Würde vor die Hunde!
Alles über das Verbrechen in ####:
Das Ende in der Jauchegrube!
So sexy war Würde noch im Tod.

Woher kommt die altruistische Frömmelei?

Wer auf das Menschenbild unserer Landsleute blickt, die seit Jahrzehnten dieses Land in Politik, Gesellschaft, Medien und Verwaltung wesentlich geprägt haben, kann gelegentlich verzweifeln. Woher kommt diese altruistische Frömmelei an der Grenze zur Selbstverleugnung, der mangelnde Sinn für Konfliktpotentiale und die eigenen Interessen? Jedes andere Land des Westens, ob England, die Schweiz, Österreich, Italien, die USA oder Kanada, weiß um die Lumpereien seiner Gossenjournale und ihrer Redakteure – und daß viele dieser Redakteure, für die Hungersnöte, Epidemien, Kriege und Menschenschicksale nur Rohstoff ihrer gewerbsmäßigen Verdauung sind, alles tun würden, das Endprodukt dieser Verdauung in ihr Blatt zu drücken und über die Seiten zu verschmieren.

Sie würden, mag das auch viele Gutmeinende erstaunen, sogar lügen, Papiere unterschlagen und Zusammenhänge erfinden oder Verfolgungen behaupten, die es nicht gibt. Aber statt eines Mindestmaßes an Skepsis herrscht bei denen, die in den Zeiten von Achtundsechzig groß, aber nicht erwachsen wurden, noch immer beliebiger Verständniswahn. Auch der ist ein Erbe von Achtundsechzig – der Wahn der Väter mit verändertem Vorzeichen: Wollte man damals die Zeitungen wahllos zensieren, will man sie jetzt wahllos umarmen.

Bevor man sich aber ins rosane Designerhemd macht – gesetzt den Fall, der Ziesematz reichte soweit hinauf – sollte man sich fragen, ob nicht wohl auch der wahlloseste Altruismus davor zurückscheuen dürfte, etwa ihn zu umarmen, den hier:

Deutschlands Abhub: Seine Häuser, seine Yachten, seine Autos. Seine Telefonnummern. Seine Handynummern. Seine Geheimnummern. Wie er lebt, wo er wohnt, was er verdient. Wie Sie hinkommen. Was Sie in Ihren TomTom eingeben müssen. Von wo aus Sie die besten Photos machen können. Welche Blende Sie brauchen. Wo unsere Reporter die Leiter hingelegt haben. Wie Sie seine Menschenwürde noch unantastbarer machen können.
Brauchen wir sowas wirklich? Neue Serie in ####
Unschuldiges Geschöpf:   Papa, Charlie hat gesagt, sein Vater hat gesagt, sein Hund hat keine Nase.
Unbescholtener Bürger:   Keine Nase? Wie riecht er denn dann?
Unschuldiges Geschöpf:   Entsetzlich. Ganz entsetzlich! – Hahahahaha!
Unbescholtener Bürger:   Ha Ha. – Schick ihn an die Redaktion und laß dir 20 Euro geben.
Schmieriger Arschwisch 1:   [klingelt]
Schmieriger Arschwisch 2:   [photographiert die Klingel]
Unschuldiges Geschöpf:   Papa, es hat geklingelt.
SAW 2*:   [photographiert die Haustür]
Unbescholtener Bürger:   Sieh nach, wer es ist.
SAW 1:   Hallo. Bist du allein zu Hause?
SAW 2:   [photographiert das unschuldige Geschöpf]
SAW 1:   Dein Papa nicht da? Zeig uns mal sein Arbeitszimmer. Oder das Schlafzimmer, egal.
SAW 2:   [photographiert die Straße, photographiert die Garage, photographiert das SUV]
SAW 1:   Wem gehört das Auto? Mamas Lover? Bist du ehelich?
Unschuldiges Geschöpf:   Papa, vor der Tür stehen zwei schmierige Arschwische.
SAW 2:   [photographiert den Vorgarten, den Rasen, einen Maulwurfshügel, einen Regenwurm, das Haus, die Straße, das unschuldige Geschöpf, SAW 1, den Himmel, die Gegend]
Unbescholtener Bürger:   Sag nicht ’schmieriger Arschwisch‘, mein Sohn. Das sagt man nicht. Sag ’schmieriger Ar***wisch‘.
SAW 1:   Bist du noch unschuldig? Weißt du was Liebe machen heißt? Hast du Photos von Mama und Papa? Oder von Mama und dem Gärtner? Wieviel willst du für die Photos?
SAW 2:   [photographiert den Gärtner]
Unschuldiges Geschöpf:   Papa, die schmierigen Arschwi***e haben keine Nasen.
SAW 1:   Oder Videos? Von Papa und deinem Kindermädchen? Hast du ein Kindermädchen? Trägt sie Höschen? 50 Euro für ein Photo von ihr.
SAW 2:   [photographiert die Beule in seiner Hose]
Unbescholtener Bürger:   Keine Nasen? Da können sie ja gar nicht riechen!
SAW 1:   100 Euro für ein Photo von ihrem Höschen. 150 Euro!!
Unschuldiges Geschöpf:   Tun sie aber. Sie riechen fürchterlich!
SAW 2:   [photographiert irgendwas]
Unbescholtener Bürger:   Nanu, Ar***wisch! Was wollt ihr denn hier?
Unschuldiges Geschöpf:   Stimmt es Papa, daß auch die Arsch***che Geschöpfe Gottes sind?
SAW 2:   [photographiert den unbescholtenen Bürger]
Gott:   Der eine, ja. Leider. – Der mit der Kamera nicht.
Unbescholtener Bürger:   Wer sagt denn so’n Quatsch?
SAW 2:   [photographiert Gott]
Unschuldiges Geschöpf:   Charlies Vater.
SAW 2:   [photographiert Charlies Vater]
Unbescholtener Bürger:   Sag Charlie, er soll seinem Vater sagen, er soll mich mit dieser altruistischen Frömmelei verschonen.
SAW 2:   [photographiert die altruistische Frömmelei]
SAW 1:   Chef?! Wie kommst du denn hierher? – Wir sind auf Reportage. Die Abhub-Serie, du weißt schon.
SAW 2:   [photographiert den Chef]
Unbescholtener Bürger:   Und was wollt ihr da bei mir? Könnt ihr schon alleine arbeiten oder soll ich das Kindermädchen rufen, daß sie euch abhält?
SAW 2:   [photographiert das Kindermädchen]
SAW 1:   Wir haben uns anscheinend in der Adresse vertan [zieht einen Zettel raus].
SAW 2:   [photographiert den Zettel]
SAW 1:   Nein, die Adresse ist richtig. – Komische Sache.
SAW 2:   [photographiert die Adresse]
Unbescholtener Bürger:   Wo hast du die denn überhaupt her?
SAW 1:   Aus den gelben Seiten, unter ‚Abhub‘.
SAW 2:   [photographiert den Abhub]
Unbescholtener Bürger:   Hab ich euch nicht gesagt, ihr sollt nach ’68er‘ suchen?
SAW 1:   Wir haben gedacht …
Unbescholtener Bürger:   Bezahl ich euch fürs Denken? – Sag dem Ar***wisch, er soll aufhören zu photographieren.
SAW 2:   [photographiert ihn]
SAW 1:   Geht nicht. Der reagiert nur auf elektromagnetische Schwingungen.
SAW 2:   [photographiert sein Hemd]
Unbescholtener Bürger:   Und wo hast du den her?
SAW 2:   [photographiert die Flecken in seinem Hemd]
SAW 1:   Craig Venter aus der Petrischale rausgekauft. Für die Telefonnummer von Claudia Roth.
SAW 2   [photographiert Claudia Roth]
Unbescholtener Bürger:   Dann stell ihn ab. – Nimm ihm die Kamera weg.
SAW 2   [photographiert seine Brille]
SAW 1:   Geht nicht. – Der ist 24/7 online. Was der photographiert ist sofort im Web und geht nie
wieder raus.
SAW 2   [photographiert seinen Geleekopf]
Unbescholtener Bürger:   Dann haut jetzt ab hier. Sucht euch einen 68er und photographiert den. – Und seht zu, daß ihr möglichst schmierige Details anschleppt, sonst source ich euch out. Dann vergebe ich pauschal 30% aller Verleumdungen nach Indien.
SAW 2   [photographiert ein schmieriges Detail an seinem Hinterkopf]
SAW 1:   Nach Indien? – Die können doch gar kein Deutsch.
SAW 2   [photographiert Indien]
Unbescholtener Bürger:   Ihr vielleicht? – Also bewahrt euch euren Sinn für Konfliktpotentiale und die eigenen Interessen, sonst garantiere ich für nichts.
Unschuldiges Geschöpf:   Papa, darf ich noch bis zum Zaun mitgehen?
Unbescholtener Bürger:   Ja. Paß auf, daß sie wirklich gehen. Und mach das Tor hinter ihnen zu. Und tritt nirgends rein. Faß sie nicht an. Laß dir keine Bonbons geben. Geh nicht allein auf die Straße. Komm rein, wenn es dunkel wird. Steck das Auto nicht an.
Unschuldiges Geschöpf:   Du Onkel, Charlie sagt, sein Vater hat gesagt, sein Hund hat keine Nase.
SAW 2:   [photographiert den Hund]
SAW 1:   Ist Charlies Papa ein 68er? Hat er was mit deiner Mama? Weißt du, was fremdgehen heißt? Hat Charlie Photos von ihm? Faßt er kleine Jungens an? Hat er dich schon mal angefaßt? Weißt du, was anfassen heißt? Hat er Photos von dir? Was will Charlies Vater für die Photos haben? Wo wohnt er? Hast du seine Telefonnummer? Ich gebe dir ein Photo von Claudia Roth dafür.
Unschuldiges Geschöpf:   Onkel, du bist ’n Arschwisch!
Schmieriger Arschwisch:   Gelbe Seiten gefälscht! Reporter in die Irre geführt!! Unbescholtener Bürger behelligt!!!
Waren es die 68er?
Heute in ####:
Unschuldiges Geschöpf irrtümlich ausgehorcht!
Abdruck kompromittierender Photos im letzten Moment gestoppt.
Arschwisch beinahe entlassen! Ist das die Unantastbarkeit der Menschenwürde?

Man schämt sich des Deutschseins, kann es aber nicht verleugnen. So wertet man es zumindest ab, indem man anderes hochjubelt: chinesische Effizienz, vietnamesische Löhne, indisches Know How. Wirtschaftsminister Glos hat das richtig erkannt, als er vom „Haß auf Deutschland“ sprach, der Kapital und Unternehmer vereine. Tatsächlich lässt sich vieles mit diesem Motiv erklären: die Verachtung der Medien für die „Deutschland AG“ der alten Bundesrepublik; die schäbige Aufwertung kommunistischer Regime durch ranschmeißerische Geschäftemacher; die bewußte Duldung wahlloser Abwanderung von Produktionsstätten, um, wie eine ungenannt bleiben wollende Unternehmerin meinte, „den deutschen Anteil an der Erwerbsbevölkerung zurückzudrängen“; die lange betriebene Verharmlosung aller Probleme des multikulturellen Kapitalringelreihens; die Weigerung, in Ostdeutschland zu investieren und so weiter.

Schmieriger Arschwisch:   Indien! Indien!! Indien!!! Deutsche Arschwische nicht mehr gut genug?
Nach dreißig Jahren auf die Straße geworfen!
Schmieriger Arschwisch muß jetzt in Gosse leben. Jetzt neu in ####:
Bald keine Arbeit mehr für Deutsche!
Müssen wir alle Hindus werden?

Sehnsucht der Besserverdiener nach dem Steuerparadies

Noch in Kai Diekmanns Ausfällen gegen die 68er ist dieser Selbsthaß zu spüren. Und vielleicht hat die sattsam kapitalistische, geldfixierte Sehnsucht vieler Großverdiener nach einem Wohnsitz in Monaco oder auf den Bahamas ebenfalls hier ihren Grund. Nur im Ausland konnte man Frieden machen mit diesem Land – wo man ohnehin als Reicher erkannt und freundlich begrüßt wurde, war es nicht nötig, steuerlich auf Distanz zu gehen.

Die Lust am gutmenschlichen Selbst-Betrug ist ungebrochen. Bei vielen mag das Festhalten am alten Vorurteil, ‚Boulevard‘ sei gleich ‚populär‘, auch biografisch bedingt sein, fürchtet man doch das Urteil ‚von gestern‘ zu sein wie nur je einer, der als vierzehnjähriger mit Bügelfalte erwischt wurde, als alle Welt schon Nietenhosen trug; aber bei etlichen ist es blanke Naivität, Unkenntnis und selbst verschuldete Blindheit. Das macht uns für andere Nationen, die Gosse und Boulevard auseinanderhalten können, weil sie Boulevards haben, kennen und schätzen, und sie nicht mit skid rows verwechseln, die sie natürlich auch haben, die sie aber nimmermehr ‚Boulevard‘ nennen würden, so unberechenbar; innen- wie gesellschaftspolitisch führt es zu absurden Fehleinschätzungen. Im Eifer unseres humanitären Gefechts schieben wir eine Erkenntnis beiseite: Flegelhaftes Handeln ist kein Wert an sich, „populistisch“ allein eben nicht „pop“. Es kommt darauf an, wem der Hordenjournalismus schaden soll und wem er tatsächlich schadet. Oder nutzt.

Wenn wir das so zweihundertprozentig berücksichtigen wie vieles andere in Deutschland, machen wir garantiert nichts verkehrt.

Schmieriger Arschwisch:   Sensationell! Kai Diekmann schreibt Buch!! 68er können einpacken!!!
Jetzt Nobelpreis? – Das sagt die Kritik:

Dieter Bohlen (Autor, Tötensen): „Besser als Martin Mosebach“
Papst Benedikt (Papst, Vatikan): „Ein neuer Nietzsche“
Michael Naumann (SPD Spitzenkandidat, Hamburg): „Chapeau!“

Muß Literaturgeschichte neu geschrieben werden?


*  
 Quastel:    Hiermit distanzieren wir uns von dieser mißverständlichen Abkürzung.
Wir haben nichts gegen den gleichnamigen Radiosender. Wir haben lediglich das Bedürfnis, unserem Schöpfer mit erhobenen Händen dafür zu danken, nicht in dessen Sendegebiet zu wohnen.
Schöpfer:   Dafür nich. – Trotzdem immer nett, wenn mal einer Danke sagt.

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