Als der kleine Martin Luther noch nicht der großmächtige Reformator und Kirchenmann und Schwarzkittel war, vor dem die kleinen Kinder sich fürchten, wenn die Mutter ihnen droht: wenn du dein Hirschgulasch mit Rotkraut und Schupfnudeln nicht ißt, mußt du lutherisch werden!, da war er ein rechter Warmduscher.
So hatte er zum Beispiel Angst, sich unter seinem richtigen Namen eine Wohnung zu nehmen, bloß weil die Tochter des Papstes gefordert hatte, man solle ihr den Kopf des Luther auf einem silbernen Tablett bringen. Statt dessen nannte er sich Junker Jörg und beantragte eine Geheimnummer, damit ihn niemand fände. Auch war er nicht Manns genug, seinen Glaubensgrundsätzen abzuschwören und dem Papst hinter dem Rücken den Stinkefinger zu zeigen und heimlich weiterzuglauben was er wollte, wie du und ich das machen würden, sondern sah statt dessen zu, wie der Papst vor Wut den 100jährigen Krieg vom Zaun brach; und viele, viele Menschen mußten Luthers Starrköpfigkeit mit dem Leben bezahlen.
Später wurde er aber ein großer Mann, weil seine Partei die Hälfte des Krieges gewonnen hatte; aber hier soll es um eine Geschichte gehen, die zu der Zeit spielte, da er noch der Junker Jörg war.
Da sollte es einmal auf die Jagd gehen, denn Jörgs Freunde waren richtige Männer, die sich nicht gleich in die Hose machen, wenn ihr kleines Kätzchen von Papas angetrunkenem Jagdkameraden mit dem Landrover überfahren wird, wie deine kleine Schwester das macht, sondern die wissen, wie es sich anfühlt, ein Tier totzumachen, und die, wenn sie das einmal erlebt haben, diesen Flash immer wieder brauchen, suchen und finden. Wenn du groß bist, und zum erstenmal ein Jagdkamerad deinen Lieblingshund zum Krüppel geschossen hat, dem du dann in die traurigen braunen Augen sehen und den du totmachen mußt, wirst du wissen, was ich meine.
Der Junker Jörg aber war ein Weichei. Ein wuscheliges kleines Häschen, das gerne noch ein wenig gelebt hätte, und dem vor Furcht vor den Hunden das kleine Herzchen raste, lief in blinder Angst dem Junker über den Weg, und der schnappte es sich, und verbarg es im Ärmel seines Parkas, damit es dort sicher sei, denn er wollte ihm das Leben retten.
So geht es aber natürlich nicht. Gott hat das Wild erschaffen, damit wir es totmachen, nicht damit wir es im Ärmel herumtragen. Und so fanden die Hunde den Hasen in Luthers Parka, zerbrachen ihm mit ihren starken Kiefern das kleine Hinterbeinchen, was dem Häschen große Schmerzen bereitete, aber diese Schmerzen waren nichts gegen die seelischen Schmerzen, die es angesichts seines Schicksals empfand: nicht eines friedlichen Todes sterben zu dürfen, vor dem unausweichlichen Tod gejagt, gehetzt, verletzt und verstümmelt zu werden, in Todesangst gehen zu müssen und nicht im Vertrauen auf einen ihm gnädigen Gott, denn die kleinen pelzigen Tierchen, die dich so vertrauensvoll anschauen können, daß du dich ihnen unweigerlich im tiefsten Innern verwandt fühlst, diese Tiere haben keine Seele und darum will Gott sie nicht bei sich im Paradies haben. Da könnte ja jeder kommen.
So bissen denn die Hunde dem Häschen die kleine Kehle durch, wie sich das gehört.
Die Jagdgesellschaft meckerte den Junker Jörg aus, weil er ihnen von der mageren Jagdbeute – sie hatten bloß zwei Hasen und ein paar jämmerliche Rebhühner – noch den einen Hasen wegnehmen wollte, und wer am heftigsten meckerte, das war der Heilige Hubert, der ein leidenschaftlicher Jäger war, ein Flintenwix und Wilddieb vor dem Herrn, und der Junker Jörgs Verhalten einfach unwaidmännisch fand. Und wie er noch überlegte, ob er den Junker beim Papst verpetzen sollte, da trat auf einmal ein großer weißer Hirsch aus dem Tann, dessen Stirn zwischen mächtigen Geweihstangen eine Flasche Mariacron* entwuchs.
Ein zutiefst spirituelles Erlebnis, nach dem Luther nie wieder derselbe war. Er ging in sich, und als er wieder herauskam, hatte er Gottes Willen dabei:
Gottes Wille 1. Die Tiere sollen fruchtbar sein und sich vermehren. 2. Anschließend sollen wir sie totmachen. 3. Wir sollen sie in folgender Reihenfolge totmachen.
α. Die eine gute Trophäe abgeben. β. Die ein wertvolles Fell haben. γ. Problembären. δ. Die Dackel der Jagdkameraden. ε. Die gut schmecken. ζ. Die Mordlust in uns wecken. η. Die uns auf den Wecker gehen. θ. Die wir schon immer mal jagen wollten. ι. Die über sind. κ. Sonstige. λ. Den Klippdachs. μ. Die auf der roten Liste stehen. ν. Die wir nicht leiden können. ξ. Die man leicht trifft. ο. Die man nicht so leicht trifft. π. Alle anderen. ρ. usw. σ. … ς. Die uns gefährlich werden könnten. τ. Die so krank sind, daß es ein Segen für sie wäre, wenn sie jemand erlöste. υ. Die krank sind und andere anstecken könnten. φ. Die, wenn wir sie nicht behutsam bejagen würden, tatsächlich das zerbrechliche ökologische Gleichgewicht stören könnten. χ. Die von besoffenen Jägern so schwer verletzt worden sind, daß sie sich seit Tagen den Tod als Erlösung herbeisehnen. ψ. In ganz, ganz seltenen Fällen, wenn ein Mensch so arm ist, daß er nichts zu essen hat und Hungers sterben müßte, wenn er nicht bald etwas bekäme, dann, aber nur dann, ist es ausnahmsweise zulässig, daß ein Mensch ein Tier totmacht um es zu essen und damit sein Leben zu fristen. Aber das ist ein hypothetischer, ja akademischer Fall, denn in den allermeisten Fällen wird Rechtskonkurrenz mit einem der o.g. Fälle vorliegen, wie du dir denken kannst. ω. Aber eigentlich möchte Gott auch das nicht. Jagd ist Lifestyle und sollte es bleiben. 4. Hubertus wird der Schutzheilige der Büchsenmacher, der Hersteller von Henrystutzen, Bärentötern, Flinten, Doppelflinten, Bockdoppelflinten, Doppelbockflinten, Doppelbockdoppelflinten und kleinkalibrigen Präzisionssportwaffen. Außerdem der Jäger, Pelzhändler und Fleischereifachverkäuferinnen. 5. Die Jägerschaft soll sich als Heger und Pfleger der totgemachten Tiere dicketun, eine geheimbündlerische Sprache und eine hanebüchene Folklore erfinden, in der es hauptsächlich um das Saufen gehen soll, in der sie sich aber auch nicht entblödet, mutwillig von den Waldbäumen abgerissene Zweige in das Blut totgemachter Tiere zu tunken und damit obszöne Späße zu machen. Es sind halt eben richtige Männer. 6. Die heilige christliche Kirche, die Gemeinde der Heiligen, soll und wird in gewohnt grundsatzloser Ranschmeiße auch noch die ekligsten Volksbräuche mitmachen, wenn sie dadurch wenigstens einmal im Jahr die Bude voll kriegt.
Der Heilige Hubert war’s zufrieden, trat seinen neuen Job an und schwor der Wilddieberei ab. Dafür hatte er ja jetzt seine Leute.
Luther versuchte nicht länger, sich mit der Kreisjägerschaft – „ein wildes, rohes, tobendes Volk, mit dem nicht leicht etwas anzufangen ist“ – anzulegen und wehrlose Tiere vor dem gottgewollten Tod zu bewahren, sondern wurde endlich ein Mann, ein ganzer Kerl und Kirchenfex, der sich weder vor Weinfaß noch Schweinebraten fürchtete, und der die Sentimentalität den Weibern überließ.
Die evangelische Kirche aber feiert im Gedenken an dieses Wunder einmal im Jahr, um den dritten November herum, die sogenannte Hubertusmesse. Mit totgemachten, holzwollegestopften Tieren und abgerissenem Waldgrün in den Kirchen, sowie schauerlichem Blechbläserlärm.
Es ist der höchste Feiertag der evangelischen Christenheit nach Halloween.
* Der richtige Name – Jägermeister – ist der Redaktion bekannt.