Ravioli

Niedersachsen ist schön, seine Landschaften typisch (Zuckerrübenfelder), seine Bauwerke weltberühmt (Raschplatzhochstraße). Der Niedersachse als solcher ist, wo kein schöner, so doch ein ansehnlicher Mensch, auch wenn gewisse Zugereiste (wie ein gewisser Schmidt(Bargfeld)) gewisse Stereotypen verbreiten zu müssen glauben zu wollen geneigt zu sein scheinen, so à la „an jeder Hand fünf Daumen“.

Das stimmt so nicht. Auch ist es nicht richtig, wird aber durch die unglückliche Namensgebung begünstigt, anzunehmen, es handele sich bei den Niedersachsen um eine Form von Sachsen, und zwar eine niedere Form. Das stimmt so auch nicht. Es ist nicht richtig, daß der Niedersachse fünf Monate vor sich hin dämmert und sieben Monate Winterschlaf hält. Wir sind nur etwas gründlicher. Was ihr Winterschlaf nennt, nennen wir Erdenschwere. Versucht ihr mal, mit Kleie und Lehm an den Füßen so gazellenhaft herumzuspringen, wie ihr es in eurer gestörten Selbstwahrnehmung euch in die Taschen zu schwindeln angelegen sein zu lassen ihr euch anscheinend nicht nehmen lassen wollt zu glauben zu tun.

Und was ihr dämmern nennt, ist unsere Heißblütigkeit.

Seht Krawattenmann! Einer von uns. Heißblütig wie nix. Reißt nicht nur Bundesversammlungen in neunstündige Begeisterungstaumel, sondern durch die Wucht seiner Wahl zum Bundespräsidenten auch ehemalige Landsmänner (und -frauen) zu saturnalischen Straßenszenen hin: Niedersächsinnen fielen wildfremden Niedersachsen um den Hals, es soll zu Küssen gekommen sein.

Um einem falschen Eindruck vorzubeugen: es wird einem der Niedersachse letzlich immer fremd bleiben, wie lange man ihn auch kennt und wie lange man auch im Einzelfall schon mit ihm verheiratet sein mag. Dennoch, es geschieht nicht alle Tage, daß ein Volk wie das unsere sich schwarz-rot-gelbe Fettcreme ins Gesicht macht, weil es die Abschiebung eines der ihren ins Preußische zu feiern, und einer großen, seltenen Koalition aus CDU, Linken und FDP dafür zu danken hat: Danke, CDU! Danke, Linke! Danke, FDP!

Strengenommen war er ja keiner von uns. Osnabrück ist eine Gründung Karls des Großen, in dem wir unseren Feind zu sehen haben (Linksrheiner). Die Fürstbischöfe stammten allesamt aus Braunschweig-Lüneburgischem Geschlecht und sind keine Niedersachsen sondern Braunschweig-Lüneburgische. Den Rest der Zeit ließ Osnabrück sich praktisch von jedem besatzen, der gerade nichts Besseres zu tun hatte, ob Schwed, Franzos, Preuß, Tommy oder Angela Merkel.

Nun ist er weg.

Unser Reporter Germanistenfuzzi begab sich am Morgen danach in die Käsdorfer Heide, um exklusiv für uns die Szenen kochender Volksseele einzufangen und für die Nachwelt in Spiritus zu legen:

Es ist heiß hier. Jetzt, am frühen Morgen, noch ist es keine neun Uhr, hat die Hitze den Hunden schon jede Lust genommen, mehr als nur das Allernötigste zu tun. Butz pinkelt im Sitzen, weil er zu faul ist, das Bein zu heben, die Gräfin will zurück in ihr Boudoir, und der Welpe Lena untersucht die Überreste der kraftvollen Demonstration überschäumender Lebenslust und niedersächsischer Lebensart, die noch vor Kurzem diesen sonst so stillen Ort, dieses Idyll, diesen locus amoenus in Szenen Breughelscher Schlaraffiaden verwandelt hatte. Da findet sie eine leere Raviolidose, dort einen in die Gegend gepfefferten Einmalgrill, dies hier, was ist das? Aha, eine leere Raviolidose, und das? Noch eine leere Raviolidose. Im jungen Hirn des jungen Hundes malt sich die Welt von Stund an als eine, in der, wer da kommt, wohin er auch kommt, zu spät kommt, der Honig jeder Blüte schon gesaugt ist, post festum a priori …

Hallo Germanistenfuzzi?

Hier bei der Arbeit!

Wovon reden wir?

Vom großen Pfingstlertreffen. Einmal im Jahr, aber alle Jahre wieder, zu Pfingsten, versammeln sich die Pfingstler hier im Holz, zelten, schlafen in den Klamotten, essen Ravioli aus der Dose und warten, daß der Geist über sie kommt. Wenn der Geist über sie gekommen ist, bewirken sie das Wunder der Wandlung, indem sie nachweisen, daß es möglich ist, Alkohol in Urin zu verwandeln, und Ravioli in Kotze. Zu diesem Zweck wird der Alkohol oben in den Pfingstler hinein getan, und gewartet, nein, nicht gewartet, man braucht nicht zu warten, man fährt einfach fort, Alkohol hinein zu tun, und irgendwann beginnt der Urin ganz automatisch, unten aus dem Pfingstler herauszukommen. Oder aus der Pfingstlerin.

Ähnlich wird mit den Ravioli verfahren, allerdings geht es da nicht ohne Pause, was auch damit zu tun hat, daß die Ravioli wieder raus müssen, und zu diesem Zweck muß die Speiseröhre frei sein. – Ja, bitte?

Abgesehen davon, daß das ziemlich eklig ist, was du da erzählst – was hat das mit unserem neuen Bundespräsidenten zu tun?

Nichts.

Nichts, aha. Und wozu schicken wir dich dann auf Reportage?

Wieso Reportage? Ich bin mit den Hunden im Wald, wie jeden Morgen.

Mußt du nicht arbeiten?

Niedersachsen hat Ferien.

Nagut, versuchen wir das Beste draus zu machen. – Siehst du denn noch irgendwelche Spuren von den gestrigen Begeisterungsstürmen anläßlich der Wahl von Christian Wulff?

Ich weiß nicht. Wonach müßte ich denn suchen? Weggeworfene Vuvuzelas?

Weiß ich? Slips, Kuscheltiere, Zahnspangen, was man so nach seinem neuen Bundespräsidenten wirft.

Slips? Einer ist hier. Hier ist so’n provisorischer Fahnenmast, an dem sonst ein Totenkopfwimpel hängt. Da hängt jetzt ein Slip dran.

Welche Farbe?

Kann ich nicht sagen, zu weit weg. Ziemlich ausgebleicht auch. Kuscheltiere keine.

Hmh. – Und sonst?

Eine Kühltruhe. Kannst du mit einer Kühltruhe was anfangen?

Im Wald?

Ja sicher im Wald. Insgesamt drei. Drei Kühltruhen.

Was soll denn Christian Wulff mit drei Kühltruhen?

Und was soll er mit Zahnspangen?

Auch wieder wahr.

Sofas sind hier noch, leere Tequilaflaschen, leere Vodkaflaschen. Und Raviolidosen halt. Zwischendurch auch immer wieder ehemalige Ravioli in allen möglichen Stadien des Stirb und Werde.

Aha. Also alles Zeichen dafür, daß und wie wir Niedersachsen zu feiern verstehen, wenn der Anlaß stimmt, und die Volksseele mit uns durchgeht?

Ich sehe gerade, hier ist noch eine Kühltruhe.

Das war unser Reporter Germanistenfuzzi, mit einem sehr erhellenden Bericht, direkt aus der Käsdorfer Heide, am Morgen nach der Wahl von Christian Wulff, dem Krawattenträger des Jahres 2006, zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Vielen Dank, Germanistenfuzzi.

Dafür nich. – Laß das liegen, Lena! Man frißt nicht, was andere Leute schon einmal gefressen haben.

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