In der SPD wird heftig um das Projekt 20,29 gerungen: jenen Versuch, die Wählerschaft der SPD bis zum Jahr 2029 schrittweise zu halbieren (20,29%, gemessen am Wahlergebnis von 1998), was dem Kanzlerkandidaten Frank Walter Steinmeier mit einem beeindruckenden Absturz von 34,2% auf 23% beinahe schon im Jahr 2009 gelungen wäre. Die Genossen, die ihre Partei gerne noch ein bißchen behalten würden, wollen den Beschluß am liebsten rückgängig machen. Nun meldet sich der Ex-Parteichef und Ex-Kanzler Gerhard Schröder zu Wort – und warnt vor einer Rolle rückwärts.
Berlin – Er habe es sich abgewöhnt, Tagespolitik zu kommentieren, sagte der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Käsdorfer Metropolitan (KM). Und tut es dann doch. Im Interview mit dem Blatt warnt er seine Partei, die SPD, vor einer Abkehr vom Projekt 20,29.
Das Projekt 20,29 wurde von der Großen Koalition unter Mitwirkung von Schröders Weggefährten Franz Müntefering beschlossen. Schröder aber, so Schröder, habe es ja mit vorbereitet. Und angeordnet. Und abgesegnet. „Und wenn ich gedacht hätte, daß ich falsch liege, hätte ich es nicht gemacht“, sagte er dem KM, um einschränkend hinzuzufügen, zur Diskussion des Projektes könne er sich allerdings „eigentlich nicht melden, weil ich natürlich ungeheuer privilegiert arbeite“.
Schröder, der von 1998 bis 2005 Bundeskanzler und auf die Zustimmung von Wählern angewiesen war, arbeitet heute in der Privatwirtschaft und ist auf die Zustimmung von SPD-Wählern nicht mehr angewiesen. Trotzdem, so verriet der Sozialdemokrat, singe er im Urlaub mit seiner Familie im Auto gerne Arbeiterlieder. Das Auto – ein VW-Bus – bestätigt dem KM diese Tatsache auf dessen Nachfrage, und bedauerte es, keine Arme zu haben, mit denen es sich die Ohren zuhalten könnte.
Kenner der Materie (Germanistenfuzzi) halten es für möglich, daß ein VW-Bus, aus dem Arbeiterlieder dringen, während ein Gerhard Schröder am Steuer sitzt, für bis zu 2,5% SPD-Wähler-Schwund verantwortlich zu machen wäre. Die restlichen 8,7% gingen wahrscheinlich auf das Konto der sog. Rente mit 67 (0,7%) und des Kanzlerkandidaten Steinmeier (8,0%). Dem so gut es gehen will zu wehren, will die SPD die Rente mit 67 nun um drei Jahre verschieben (sog. Rente mit 70).
Das wiederum wollen die Arbeitgeber nicht. Sie warnen die Sozialdemokraten davor, die Reform aufzuweichen. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser sagte dem KM, die SPD sollte nicht von ihrem eigenen Beschluß abrücken. „Die Fakten, die 2006 für eine Rente mit 67 sprachen, sprechen auch heute für eine Rente mit 67.“ Die Fakten, die bereits 2006 für eine Rente mit 67 gesprochen hatten, bestätigten dies auf Nachfrage des KM. Die Fakten hingegen, die auch 2006 bereits gegen die Rente mit 67 gesprochen hatten, huben eben an, das auch jetzt wieder zu tun, als Kannegießer ihnen über den Mund fuhr, den KM am Ärmel nahm, ihn von den Fakten wegzog und sein Ohr mit Exklusivbeschlag belegte.
Er kritisierte, daß SPD und Gewerkschaften über die geringe Beschäftigung älterer Menschen klagten. „In den vergangenen Jahren wurden ältere Beschäftigte bewußt aus den Betrieben geschickt. Und zwar geschah das über die Köpfe der Betreiber der Betriebe hinweg. Mich zum Beispiel. Wir Eigentümer haben nämlich in unseren Betrieben schon lange nichts mehr zu sagen. Wir Arbeitgeber, ich zum Beispiel, hätten niemanden vorzeitig in Rente geschickt, nie. Schon gar nicht deswegen, weil wir die hohen Lohngruppen gerne loswerden wollten. Ach was! Keine Rede! Hätten wir ja gar nicht gekonnt, weil wir ja gar nichts mehr zu sagen haben in unseren Betrieben. Politik und Gewerkschaften waren das. Jaawohl! Politik und Gewerkschaften haben das lange gefordert. Die wahren Eigentümer. Stichwort Rente mit 60. Da kann man sich jetzt schwer hinstellen und beklagen, daß diese Jahrgänge weniger in Beschäftigung sind.“
Kannegießer schlug vor, Arbeitnehmer in Zukunft gar nicht mehr in Rente zu schicken, sondern sie, wenn sie nicht mehr brauchbar seien, einfach den Zeitarbeitsfirmen zurückzugeben.
Auf diese Weise sei das Problem am elegantesten zu lösen.