Ehrenmord

Heh! Psst! SPD-Basis!

Was willst du von mir, du Klugscheißer?

Dieses Zitat da oben …

Welches? Das von mir? Oder das von diesem Süßwasserfisch da – wie heißt der?

Otto Wels …

Muß man den kennen?

Keine Sorge … du nicht.

Gut.

Aber was ich fragen wollte: du bist nicht wehrlos, sagst du …

Willst du’s ausprobieren?

Nein, aber …

Das ist klug von dir. Du bist klug.

Danke, was ich allerdings wissen wollte …

Ein Klugscheißer. Alle mal herhören! Seht mal ihn hier: ein richtiger Klugscheißer!

… war: Was ist denn jetzt eigentlich mit der Ehre?

Was für eine Ehre, Klugscheißer?

Deine.

Was soll damit sein?

Nicht soll sein. Ist. Was ist damit?

Was soll schon mit ihr sein?

Wo ist sie? Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen?

Ich auch nicht. – Na und? Kann ich vielleicht was dafür?

Statt dessen sehe ich dich in letzter Zeit immer öfter in obskurer Gesellschaft.

Obskur? Was du für teure Worte kennst. Gibt’s die auch auf teutsch?

Dunkelmännisch. Zum Beispiel mit diesem kläglichen Krähenvergrämer Sarrazin. Diesem erbärmlichen.

Aah-haha-haha! Red du mir nicht von meinem Kumpel Sarrazin, Klugscheißer. Das ist ein Mann nach meinem Herzen, aus dem ich nicht länger eine Ehrenmördergrube zu machen bereit bin. Da sagt es doch mal einer!

Was? Was sagt seine Gräßlichkeit?

Das ich eine dufte Type bin! Von dir krieg ich ja bloß immer Mecker. Der Thilo ist mein Freund, der hält zu mir.

Und was bin ich?

Du bist ein Klugscheißer! Das hat Thilo auch gesagt, daß ich mir von einem wie dir nichts gefallen lassen brauche.

Gefallen zu lassen brauche.

Was?

Nichts.

Klugscheißer!

Ich weiß es ja jetzt.

Nichts weißt du, Klugscheißer! Aber mein Kumpel und ich, wir wissen es!

Was wißt ihr?

Woran wir mit dir sind.

Da hast du’s besser als ich. Ich weiß nicht, woran ich mit dir bin.

Das brauchst du auch gar nicht wissen.

Zu wissen.

Was?

Nichts.

Vorsichtig. Ganz vorsichtig, Klugscheißer. Hat schon mancher zu klug sein wollen. Ist ihr nicht bekommen.

Ihr?

Was: ihr?

Du hast ‚ihr‘ gesagt. Das sei ‚ihr‘ nicht bekommen. Was ist ‚ihr‘ nicht bekommen?

Hab mich versprochen. Das ist ‚ihm‘ nicht bekommen, wollte ich sagen.

Wem? Dem ‚Ehre‘?

Was du bloß immer mit deiner Ehre hast!

Deine Ehre immer noch.

Von mir aus auch meine. Ist doch egal.

Das sehe ich ja nun nicht so.

Dann läßt du’s eben bleiben. Hauptsache Thilo sieht das so wie ich. Und Thilo sieht das so wie ich.

War Thilo eigentlich dabei?

Wobei?

Als du ’sie‘ das letzte Mal gesehen hast.

Wer sagt, daß ich sie das letzte Mal gesehen habe?

Du.

Wann?

Eben.

Nein. Ich habe gesagt, daß ich sie schon lange nicht mehr gesehen habe. Das ist ja wohl ein Unterschied.

So? Wenn du sie schon lange nicht mehr gesehen hast, muß es ja wohl ein letztes Mal geben, oder gegeben haben, an dem du sie gesehen hast, oder?

Ach so meinst du das. Ich hatte gedacht, du hättest das anders gemeint.

Wie denn?

Als wäre ich der Letzte, der sie überhaupt gesehen hat.

Woher weißt du, daß es einen Letzten geben muß, der sie gesehen hat?

Na, irgendeiner muß sie ja das letzte Mal gesehen haben.

Und wer war es, der sie das letzte Mal gesehen hat? Lebend gesehen hat?

Woher sollte ich das denn wohl wissen?

Weil einer, der gerade einer Wehrlosen den Schädel eingeschlagen hat, und sich davon überzeugt, daß sie wirklich tot ist, indem er ihr ein paarmal in den Bauch tritt und sie sicherheitshalber noch fünf Minuten mit der eigenen Strumpfhose würgt, der ihr das ungläubige Entsetzen mit einem Stein aus dem Gesicht zu hämmern versucht und ihren Körper über und über mit Messerstichen entstellt, weil der sich an fünf Fingern ausrechnen kann, daß er der letzte gewesen sein muß, der sie lebend sah.

Hat man … sie … gefunden?

Wie eben beschrieben.

Sie hat es verdient! Sie hat es hundertfach verdient!

Hör auf zu schreien.

Ich habe ihr gesagt, was sie erwartet, wenn sie so weitermachte. Sie hat mir ins Gesicht gelacht! Ich mache ihr Spaß, hat sie gesagt. Mir! Spaß! Dabei war es mir todernst!

Wenn sie wie weitermachte? Was machte sie denn?

Ging ohne Kopftuch aus dem Haus! Trank Alkohol! Rauchte auf der Straße. Knutschte mit Männlein und Weiblein. Blieb über Nacht weg. Es würde mich nicht wundern, wenn sie – ich mag es gar nicht sagen. Aber wundern würde es mich nicht!

Was wäre daran so schlimm?

Schlimm?!

Ja, schlimm! Erstens überhaupt, und zweitens: was wäre daran so schlimm, daß man ihr dafür den Schädel einschlagen müßte?

Sie war total verwestlicht! Sie predigte mir Toleranz. Sie! Mir!! Toleranz!!!

Ja und?

Das entspricht nicht den Wertvorstellungen der SPD. Wir achten auf uns! Keine Toleranz! Wir haben, an der SPD-Basis ein Sprichwort: Die SPD ist wie ein Goldbarren: wird er beschmutzt, wäscht man ihn ab, und kein Fleck bleibt zurück. Aber die Ehre ist wie ein kostbares Seidentuch. Ein Fleck darauf bleibt ewig sichtbar. Wird es beschmutzt, kann man es nur durch vergossenes Blut wieder reinigen.

Seid ihr da, bei der SPD, noch ganz richtig im Kopf?

Sie verlangte, daß ich den Splitter im Auge meines Nächsten nicht auf das 20fache der Größe des Balkens in meinem Auge aufpuste, sondern maximal auf das anderthalbfache. Sie verlangte, daß ich den kriminellen Fremdling für seine Verbrechen tadele, und nicht für seine Herkunft. Sie verlangte, daß ich von unerwünschtem Verhalten meiner Mitbürger immer erst den Anteil abziehe, der billigerweise als ihren Lebensumständen geschuldet angesehen werden muß, bevor ich auf den schäbigen Rest, der ihnen in die Wiege gelegt wurde, eindresche. Daß ich, anstatt die Weltreligionen und ihre Anhänger nach Gutdünken in Gut (ich) und Jene (böse) einzuteilen, Marxens Satz vom Opium des Volkes nachzulesen, in seiner Gänze wahrzunehmen („Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt“) und als zeitgebundenen zu würdigen (Opium habe 1844 etwa den Stellenwert gehabt, der heute Aspirin zukomme) hätte. Das alles mir, einem, der den historischen Materialismus zugunsten des freien Ressentiments überwunden geglaubt hatte!

Und dafür legst du sie um?

Sie wollte mich unterdrücken! Gottseidank hat Thilo mir rechtzeitig gezeigt, daß ich Opfer bin. Daß ein Ressentiment kein Ressentiment, sondern Genforschung ist. Daß das Abendland vom Morgenland ausgebeutet wird. Männer von Kopftuchmädchen unterdrückt. Die Mehrheit in der Minderheit ist. Der Igel vom Hasen betrogen. Der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Und nicht umgekehrt. Daß der bitterböse Kalif Großwesir werden will. Der Sultan von Roxelane am Nasenring geführt wurde. So wie ich von ihr!

Und das rechtfertigt es, sie zu erschlagen?

Soll ich mein Gesicht verlieren? Die SPD ist eine traditionsbewußte, stolze Partei. Wir leben nach einem strengen Kodex. Es gibt klare Verhaltensrichtlinien, und das Ansehen der Partei hängt ganz klar vom normgerechten Verhalten auch der weiblichen Mitglieder ab. Gerade vom Verhalten der weiblichen Mitglieder!

Und wer sagt so einen Blödsinn?

Karl Marx! Nein, Thilo. Thilo sagt das. Hier, Das Sozialdemokratische Manifest des T. Sarrazin oder Deutschland verklappt sich, die Seite wo es steht: „Ärgert Dich aber deine Ehre, so schlage ihr den Schädel ein und wirf sie von dir. Es ist besser, daß ihr Leib in die Hölle fahre, denn daß du ehrlos dastündest.“

Das steht da so?

Moment, es geht noch weiter: „Was du dann allerdings von Stund an tätest: ehrlos dastehen. Tja, shit happens!“

Das steht da nicht!

Das steht da so!

Wenn das da so stünde, hätte der Mann ja Humor.

Der hat Humor.

Hat er nicht! Vogelscheuchen haben keinen Humor.

Der ist keine Vogelscheuche!

Der ist eine Vogelscheuche!

Und du bist ein Klugscheißer!

Weiß ich. Wie auch immer, wenn das da so steht, dann will ich nichts gesagt haben.

Das ist klug von dir. Du bist klug, Klugscheißer!

Wie sagt man bei euch: „Gut, daß wir mal drüber gesprochen haben?“

Man sagt: „Ich bedanke mich für dieses Gespräch!“

SPD-Basis, ich bedanke mich für dieses Gespräch.

Es war mir eine Ehre.