Sternstunden der Integrationsdebatte

Der Engel des Herrn, der vor dem Bundesparteitagslokal der CDU in Karlsruhe Wache schieben und darauf achtgeben mußte, daß alles fein ad rem und nicht ad hominem diskutierte, hatte nicht viel zu tun. Die meiste Zeit saß er in der Presselounge und schmökerte auf Facebook herum. Zwischendurch horchte er paarmal auf, lauschte Merkels Tiraden, tippte sich kurz an die Stirn, nuschelte „Wer’s glaubt wird … wie ging das noch? Wer’s glaubt wird … irgendwas mit ‚Wer’s glaubt‘, und dann ‚wird irgendwas‘. Heißt im Klartext, daß der, der’s glaubt, über’s Ohr gehauen wird. Aber glaubst du vielleicht, mir fiele das Original jetzt ein? Sowas!“ Und vertiefte sich wieder in seine Freundesliste.

Vielleicht war schon genug ad homines gesagt worden, vielleicht hat Merkel Mittel, die Zungen zu lähmen, von denen Steinmeier und Müntefering nichts wissen, vielleicht genügte die Anwesenheit des Engels, jedenfalls war der Haufe nicht wiederzuerkennen, der noch vor kurzem mit seinen Tölpeleien und Hanswurstiaden dafür gesorgt hatte, daß kein Mensch, der seine Zwetschgen hübsch beieinander hat, mehr konservativ wählen mag; oder einer, der weder korrupt ist noch durch pränatale Traumata oder eine genetische Hypothek dazu verdammt.
Brav, an der Sache orientiert, und mit mäßigem Restalkohol im Blut, verhandelte man am Dienstagmorgen den Programmpunkt „Prämigrationsdiagnostik“ (PMD) zwar kontrovers, aber stets respektvoll, ja sogar ehrlich.

Nicht einmal Gröhe, der Schänder des 8. Gebotes, verstieg sich zur Lüge, als er seine (ablehnende) Haltung zur PMD darlegte. Zwar bogen sich die Balken in der dm-arena, als Gröhe auf das „Christliche Migrantenbild“ zu sprechen kam und den „Schutz des unmigrierten Lebens“ einforderte, aber das hat nichts zu sagen. Die Balken biegen sich schon dann, wenn Gröhe nur im Auto draußen vorbeifährt. Manchmal, im Schlaf, zucken die Balken großer Hallen der Republik, ein Schauer überläuft sie, sie bekommen Gänsehaut und tordieren um 8°. Dann weiß man, sie haben gerade von Gröhe geträumt.

Der Migrant habe ein Recht auf unseren Schutz, solange er noch nicht eingewandert sei. Hierin gleiche er dem ungeborenen Leben, das sein Recht auf den Schutz der Gesellschaft auch erst durch die Immigration in den Kreißsaal verwirke. Zum Schutz des Migranten gehöre auch das Recht, nicht erkennungsdienstlich behandelt zu werden, solange er nicht in Deutschland sei. Nach der Geburt sehe man dann weiter.

Einer der Balken stöhnte und klagte über Übelkeit. Am Ende lief’s auf einen „gespaltenen Arsch“ hinaus, nicht ganz: 122 zu 118, gegen die Alten, Fuchs ab, 2 Volle ab, Karlchen, macht 0 Punkte. So ist das Leben.

„Luzifer gefällt das,“ las der Engel des Herrn auf seinem Display. Er schmunzelte. Das war ein ehemaliger Kollege, den er auf Facebook wiedergefunden hatte.

Die Argumente der Fraktionen waren schnell ausgetauscht: ist es besser, Migranten auf Integrationsdefizite zu testen, bevor sie ins Land kommen, oder ist es besser, auf Tests zu verzichten, sie ins Land zu lassen, und sie, wenn die Defizite zutage treten, abzuschieben? „Besser,“ sagen die einen, „besser,“ sagen auch die anderen, meinen aber Unterschiedliches. „Eine Sternstunde“ nannte Merkel die Debatte, und die Balken kräuselten sich sacht. Noch Stunden später stritten sich die Nachrichten auf Google News, ob sie nun von einer „Sternstunde des Parteitags“ oder einer „Sternstunde der Debattenkultur“ gesprochen hatte. Auf dem nächsten CDU-Parteitag soll darüber diskutiert und abgestimmt werden.

Punkt 2 auf der Agenda der Google News: Merkels ablehnende Haltung zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Ihrem Naturell und ihrer Sozialisation nach, so Google News, müßte Merkel für alles sein, was Krach macht (Physik) oder stinkt (Chemie), was Strom verbraucht, mathematische Formeln verursacht, die Umwelt schädigt, die Grünen ärgert, die Hybris des Menschengeschlechts befördert, durch Beten nicht zu beseitigen ist, Gott ein Greuel, nicht wirklich beherrschbar, dem Inschiniör nicht zu schwör, und das der Industrie jede Menge Profit beschert.

Also auch für die PID.

Warum also nicht für die PID?

Die Antwort ist: Taktik. Anders als die Stammzellforschung, die Merkel auf dem Parteitag 2007 befürwortete, und die der Industrie gute Profite verheißt, obwohl oder weil sie dem ‚Christlichen Menschenbild‚ nicht entspricht, verheißt die PID der Industrie zwar auch Profite, aber, Gott! nunja. Man kann ein paar Eltern ein paar Dinge ersparen, die nicht unbedingt zu den positiven Aspekten von Elternschaft gehören, aber daß es das richtig dicke Geschäft wäre, konnte Merkel kein Lobbyist bestätigen. Also gab Merkel die Abstimmung frei und führte, ganz Gottlieb Wendehals, die Parteitagspolonaise zur Stimmurne vor dem Altar des Christlichen Menschenbildes.

Luzifer gefiel auch das.

Weitere Fragen des Parteitags:

  • Gibt es nun zuviele Muslime im Land, oder zuwenig Christentum?
  • Ist es vielleicht andersrum, und es gibt entweder zuwenig Christen, oder zuviel Islam?
  • Sollte bei der PID zuwenig Christentum gefunden werden, was dann?
  • Handelt es sich dann noch um ein Embryo oder schon um einen Fötus?
  • Wann beginnt muslimisches Leben? Wann beginnt christliches?
  • Ist es christlich, einem Paar zu verbieten, vor der Implantation des Embryos dessen Einstellung zur christlich-jüdischen Tradition, der Philosophie der Antike und der Aufklärung als den Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenhaltes untersuchen zu lassen?
  • Gibt es ein Recht auf ein Kind, das sich von vormodernen Vorstellungen von Männlichkeit und gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen emanzipiert hat?

Wer dauerhaft hier leben wolle, müsse deutsch lernen, und ein starker Staat sollte Integrationsverweigerern entschieden entgegentreten, formuliert es der Leitantrag. In Fällen von Integrationsverweigerung dürfe es keine Toleranz geben.
Aber wie dieses Prinzip umsetzen? Schon in der Petrischale, oder auf dem klassischen Weg über die Engelmacherei?

Bereits heute seien Pränataldiagnosen und seien Spätabtreibungen bei schwerwiegenden Behinderungen des Kindes erlaubt. Gehören aber Sprachdefizite, religiöse Orientierung und Integrationsverweigerung dazu? Wo liegt der Unterschied? „Für mich ist die PID ein Weg, ‚Ja‘ zum Leben zu sagen“, sagt eine CDU-Lebensbejaherin. Das sei doch wahrhaft christlich.

Aber nicht für die CDU-Lebensverneinerinnen: „Mein Glauben und meine Logik sagen mir, wenn das Leben ein Geschenk Gottes ist, dann ist dieses Geschenk nicht unter Bedingungen gegeben“, mahnte eine CDU-Mahnerin. Man verdeutliche sich das am Beispiel der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers. Auch die sei ein bedingungsloses Geschenk gewesen, einer liebenden Partei an ihren geliebten Mittelstand: „Da gibt es nicht ein bißchen weniger MWST, in Abhängigkeit davon, ob der Hotelier Muslim ist oder Christ. Es sind 7%, und 7% für alle. Was darüber ist, ist von Übel.“

Aber, es gab ja nicht nur Differenzen, Einigkeit, die gab es auch. Mit 100% der abgegebenen Stimmen wurde beschlossen, daß Prinz William und Kate Middleton heiraten sollen. Die CDU-Fraktion im Bundestag wird dem Paar zur Hochzeit eine in-vitro-Fertilisation samt Präfertilisationsdiagnose schenken.

Wer das nicht glaubt, hat wahrscheinlich seine fünf Zwetschgen hübsch beieinander. Wer das allerdings glaubt …

„Jetzt weiß ich es wieder,“ spricht der Engel des Herrn, und blickt strahlend von seinem Notebook auf, „… wird selig. Genau. So muß es heißen.“

Die Kommentarfunktion für diesen Post wurde deaktiviert.

Navigation