Öffentlichkeitsarbeit

1. Kor 10, 24

Der Drache, der den evangelischen Kirchenschatz behütet, hat sich dem Käsdorfer Metropolitan (KM) gegenüber erleichtert über die geringe Summe gezeigt, mit der Bund, Länder und Kirchen bei dem zu schaffenden Fonds für ehemalige Heimkinder davonkommen sollen. 120 Millionen Euro sind vorgesehen, je ein Drittel tragen die Genannten, das macht für den Drachen 20 Millionen.

„20 Millionen,“ sagt der Drache zufrieden, und bläst aus dem rechten Nasenloch Feuer über die Schaumburgstraße, daß der Schnee ängstlich in den Gulli läuft, „20 Millionen! Ein Schnäppchen. Das ist, wenn ich das richtig sehe, nicht mal ein Drittel dessen, was ich – jährlich! – für Öffentlichkeitsarbeit raustue. Das ist, wenn ich das richtig sehe, ein gutes Viertel dessen, was ich – jährlich – für Öffentlichkeitsarbeit raustue. Nicht, daß ich es gerne täte. Wer gibt schon gerne 73 Millionen her? Für Öffentlichkeitsarbeit? Jährlich? Ihr? – Ich nicht.“

„Aber die Spinner“ – er deutet mit der Schwanzspitze von oben auf das Kirchenamt und malt mit der rechten Klaue einen Kreis etwas oberhalb seiner Schläfe in die Luft, wobei er dem KM ein Auge zukneift – „die Spinner meinen, es müsse so sein. – Wenn’s schee macht.“

Er wälzt sich einmal auf dem Gold, schubbert sich den Rückenpanzer, rülpst Schwefel und kratzt sich den Wanst. Dann setzt er sich wieder ordentlich hin.

„Ich will Euch was verraten: ich hatte mit deutlich mehr gerechnet. Nicht gerechnet, das ist falsch. Wie will man das berechnen? Ist ja eine politische Entscheidung, wieviel es gibt. Ich hatte befürchtet, es könnte mehr sein.“

„Ich bin hier ja nur dafür zuständig, den Schatz zu behüten. Wenn also ein tapferer Rittersmann daherkommt, und versucht, mir von dem Schatz was wegzunehmen, dann ist er herzlich eingeladen, sich eine Packung abzuholen. Und wenn es gar so ein Würstchen, so ein ehemaliges Heimkind, versucht … “

Er prustet, daß die Schlacke nur so fliegt, lacht unflätig, lacht über seine eigene Lache, über die Lavaglocke, die ihm nun aus dem linken Nasenloch hängt, und kriegt sich nach und nach wieder ein.

„Das war gemein. Aber es war auch lustig. Also, so ein kleines Würstchen hat natürlich überhaupt keine Chance gegen mich. Bloß – wenn die Spinner“ – wieder macht er die Geste mit der Vorderklaue und läßt die Schwanzspitze über dem Kirchenamt schweben – wenn die Spinner sagen, ich muß – dann muß ich’s hergeben. Ich bin bloß angestellter Drache, Tendenzbetrieb, wißt Ihr Bescheid – Arbeitnehmerrechte, Personalrat, Gewerkschaften – das kennen die hier nicht. Ok, ich sag ja nichts. Ist ja ihr Geld.“

„Aber man hat so seine Methoden. Ich habe mit dem Anke [Präsident des Kirchenamtes und Vertreter der EKD am Runden Tisch Heimerziehung – Anm. d. Red.] einen Deal gemacht und ihm gesagt, er soll sich ins Zeug legen. Wenn er die Heimkinder schön unter dem Daumen hält, teilen wir uns das Ersparte, und die Hälfte davon kriegt er für Öffentlichkeitsarbeit.“

„Unter uns: ich wüßte es ja! Wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, und alle Betroffenen hätten ihre Abfindung von 54 000 Euro gekrieg, dann wäre mein Schatz mit 270 Millionen dabei. Das ist nicht ganz das, was die Verwaltung des Kirchenschatzes – also im wesentlichen die Spinner in der Verwaltung und meine Wenigkeit – jährlich kostet. Wenn der Anke jetzt glauben sollte, er kriegt von mir die gesparte Knete durch zwei – das wären 125 Millionen – zusätzlich für Öffentlichkeitsarbeit, dann hat er sich geschnittenen. Das gibt noch ein paar hübsche Kämpfe. – Ich freu mich drauf.“

Seinen Augen nach zu urteilen, und den hellroten Flammen, die aus seinen Nüstern züngeln, stimmt das. Überhaupt hat man nicht das Gefühl, mit jemandem zu reden, der einen vom Pferd erzählt.

„Vom Pferd erzählen ist Ankes Metier,“ sagt der Drache. „Wir sind arbeitsteilig organisiert. Ich hocke auf dem Schatz, und er redet vom Pferd. Habt ihr gehört, was er gestern im Deutschlandfunk erzählt hat? Ich wäre beinahe wieder umgedreht. Was?“

„Nein, ich komme mit dem Auto zur Arbeit. Wie kommt Ihr denn zur Arbeit? – Aha. – Ich passe nicht in die Straßenbahn. Mein Schwanz ist zu lang. Ich komme mit meinem Dracomobil.“

Wir hatten als selbstverständlich angenommen, daß er auf dem Schatz wohnt. Ist aber nicht der Fall. Hat ein Eigenheim in Badenstedt.

„Früh am Morgen. Ich hatte mein Morgenfeuer schon aufgebraucht, um den Wagen zu enteisen, hatte nicht ausreichend Lava getrunken, weil es mal wieder zack-zack gehen mußte, döse so’n bißchen vor mich hin, schalte das Radio ein, und höre was? Das:“

Stefan Heinlein:
Guten Morgen, Herr Anke!
Hans Ulrich Anke:
Guten Morgen, Herr Heinlein.
Drache:
Guten Morgen, meine Herren.
SH:
Sind Sie stolz auf die Ergebnisse des Runden Tisches?
Drache:
Wie wird er nicht stolz sein? Er hat 125 Mio für die Öffentlichkeitsarbeit rausgeholt. Jedenfalls glaubt er das.
HUA:
Ich begrüße sehr, daß der Runde Tisch nun eine einstimmige Lösung, einen einstimmigen Lösungsvorschlag gefunden hat und auch die Bewertung der Heimerziehung in den 50er- und 60er-Jahren sich einstimmig zu eigen gemacht hat, so wie es heute Frau Dr. Vollmer im Abschlußbericht vorstellen wird.
Drache:
Schwätzer.
SH:
Wie war denn, Herr Anke, die Atmosphäre bei den Schlußverhandlungen? Ging es zuletzt vor allem ums Geld, also Entschädigungszahlungen ja oder nein?
Drache:
Wieso zuletzt? Was heißt hier zuletzt?
HUA:
Es war wichtig, daß es nicht nur ums Geld gegangen ist, aber es ging natürlich auch um die Frage, wie konkret Heimkindern jetzt geholfen werden kann, die bis heute andauernden Folgen zu bewältigen.
SH:
Warum gibt es denn keine pauschale Opferrente für jedes Heimkind?
Drache:
Na wieso wohl nicht, Heinlein? Hast du Finger? Kannst du bis drei zählen?
HUA:
Wir haben in den Beratungen und in den Expertisen und in den Berichten der Heimkinder am Runden Tisch gehört, daß die Heimerziehung in den 50er- und 60er-Jahren sehr vielgestaltig war, daß Leid und Unrecht vielfach geschehen ist in den Einrichtungen, aber daß es doch so vielgestaltig ist, daß man nicht einfach eine pauschale Regelung, eine pauschale Bewertung unrechtspauschal in der Heimerziehung der 50er- und 60er-Jahre feststellen kann.
Drache:
Wenn er mir verspricht, daß er einen Teil seines Bonus für anständigen Deutschunterricht ausgibt, können wir über die Hälftung des Gesparten noch mal reden.
SH:
Also im Klartext: Nur wer jetzt nach 20, 30 Jahren noch nachweisen kann, daß er gequält und erniedrigt wurde, der kann dann mit einer Entschädigung rechnen, die anderen nicht?
HUA:
Es geht vor allen Dingen darum, diejenigen, die heute noch darunter leiden, denen zu helfen, daß dieses Leid bewältigt werden kann. Also diejenigen, die etwa Therapien brauchen, daß man ihnen hilft, die richtige Therapie zu finden und diese Therapie zu finanzieren. Oder diejenigen, denen etwa Ausbildung in der Zeit der Heimerziehung vorenthalten wurde, weil sie zur Arbeit herangezogen wurden, daß dieses nachgeholt werden kann, wenn das heute möglich ist.
Drache:
Hua! Diese Satzbrüche! Diese Passivkonstruktionen!
SH:
Wäre es nicht angemessener gewesen, Herr Anke, nach all diesen Jahren den Betroffenen diese Einzelfallprüfung zu ersparen?
Drache:
Richtiger? Was soll das heißen: richtiger? Es wäre vor allen Dingen teurer!
HUA:
Man kann diese Einzelfallprüfung deswegen nicht ersparen, weil wie gesagt die Heimerziehung relativ unterschiedlich war. Es war so, daß in vielen Gruppen schon das Leid und Unrecht so war, daß man es nicht einfach über einen Kamm scheren kann, sondern daß sehr unterschiedliche Herangehensweisen dort waren. Deswegen ist es wichtig, daß geguckt wird, wie ihnen jetzt heute geholfen werden kann.
Drache:
Es war an dieser Stelle, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen – ok, es war gestern – daß von mir der dringende Wunsch verspürt wurde, daß umgekehrt würde, nach Hause gefahren würde, es sich ins Bett gelegt würde, und die Decke über die Ohren gezogen würde.
SH:
Gibt es denn irgendwelche Vorgaben, wie diese Einzelfallprüfungen ablaufen sollen? Wer macht sie und wie lange dauern sie?
Drache:
Niederschwellig, würde ich sagen. Also, wenn ich Anke wäre. Bin ich nicht. Aber wenn ich’s wäre, würde ich sagen: sie sollen möglichst niederschwellig ablaufen.
HUA:
Es wird ein gemeinsamer Fonds eingerichtet werden. Dieser Fonds wird neben der zentralen Verwaltung regionale Anlaufstellen haben. Diese haben vor allen Dingen die Aufgabe, mit den Heimkindern, den Betroffenen, zusammen aufzuarbeiten, wo genau ihre Probleme liegen, und dieses möglichst niedrigschwellig und unbürokratisch.
Drache:
Und unbürokratisch, hab ich noch vergessen. Und zeitnah.
SH:
Unbürokratisch sagen Sie. Wie lange werden diese Einzelfallprüfungen dauern?
HUA:
Ich gehe davon aus, daß das einzelne Gespräche sind. Bei Bedarf wird ein externer Dritter vielleicht hinzugezogen werden müssen, aber ich halte das für sehr rasch möglich.
Drache:
Rasch? Was ist das denn für ein Wort? Heißt das sowas ähnliches wie zeitnah?
SH:
Wer hat denn am Runden Tisch, Herr Anke, die Zahlung von pauschalen Entschädigungssummen verhindert? Es heißt ja, vor allem die Länder hätten blockiert.
Drache:
Wenn es das heißt, ist das eine schwere Verunglimpfung meiner aufopferungsvollen Tätigkeit! Ich will meinen Kollegen in den Ländern nicht zu nahe treten, aber, bei allem schuldigen Respekt vor den Talenten eines, sagen wir, Möllring: man selbst ist ja schließlich auch kein Feuersalamander!
HUA:
Wir waren uns am Runden Tisch insgesamt einig, daß bei der Vielgestaltigkeit der Heimerziehung man nicht einfach eine pauschale Regelung anwenden kann. Das würde zu neuen Ungerechtigkeiten führen, denn man müßte ja sagen, woran will man diese pauschale Regelung anknüpfen: an die einzelnen Heime oder an die Länge des Heimaufenthalts. Wir haben festgestellt, daß es gerade auch kurzfristige Heimaufenthalte waren, die zu erheblichem Leid geführt haben, hingegen längere oft auch so waren, dass viele Heimkinder darunter nicht so stark gelitten haben. Deswegen kann man nicht einfach schlicht eine pauschale Regelung ansetzen.

Unvermittelt fängt der Drache an zu weinen. Dicke Teertropfen quellen aus seinen Tränenkanälen, er schüttelt den Kopf, läßt sich nicht trösten und will auch nicht sagen, was er hat. Vielleicht kriegt er auch kein Wort heraus.

„Wenn ich bedenke, wie knapp das war,“ sagt er später, als die Schwellung der Augen nachläßt, und wir ihm geholfen haben, den Teer mit Waschbenzin, das bei ihm praktischerweise aus den Speicheldrüsen kommt, von seinen Wangen zu schruppen, „sechs Lügen. Sechs Lügen in vier Sätzen. Und der Heinlein hat sie alle geschluckt.“

„Ich habe wirklich geglaubt, da gehen sie hin, die 250 Millionen. Ich konnte gar nicht weiterfahren. Ich hatte Schweißausbrüche, aus allen Poren kam Rauch. Die Schulkinder blieben stehen und klopften an die Scheibe.“

„Aber der Heinlein hat nichts gemerkt. Hat noch versucht, ein bißchen zu provozieren, aber ohne Erfolg.“

„Deswegen sage ich: vom Pferd reden ist Ankes Metier. Der hat das schon drauf.“

„Ich glaube, da tritt ein Mechanismus in Kraft, der ähnlich funktioniert wie Welpenschutz: wenn man sowas hier hört:

Ich gehe nicht davon aus, dass juristische Wege zu irgendeinem Erfolg führen können. Abgesehen von den Fragen der Verjährung, die ja immer wieder auch angeführt werden, ist ja das Besondere an der Heimerziehung, dass das insgesamt ein System war, an dem nicht Versagen Einzelner das Entscheidende war, sondern dass das Versagen in den Grundlagen, in den gemeinsamen Strukturen der Heimerziehung der 50er- und 60er-Jahre gelegen hat. Deswegen wird man, wenn man einzelne Klagen führt, nicht weiterkommen können. Etwa die Landeskirchen sind ja rechtlich nicht in irgendeiner rechtlichen Verantwortung, aber selbstverständlich in einer moralischen, und deswegen wird die Evangelische Kirche in Deutschland die Verantwortung übernehmen und an diesem Fonds sich beteiligen.

dann möchte man zwar weglaufen, aber der Beißreflex ist gehemmt. Man denkt unwillkürlich, man dürfe ihm das nicht vorwerfen, der Mann leide ja selbst darunter, und sei mit dem Schicksal, so reden zu müssen, genug gestraft.“

„Deswegen muß man das nochmal überlegen, ob man ihm wirklich einen Rhetorik-Kurs antun sollte. Kostet Geld, ist kontraproduktiv, und hinterher redet er möglicherweise genauso, dann aber aus Überzeugung.“

„Ich sage immer, man soll die Spinner auch nicht unterschätzen. Hört noch mal diesen hier:

In der Schlusserklärung steht, dass es wichtig ist, dass die Betroffenen entstigmatisiert werden, dass anerkannt wird, dass sie Leid und Unrecht erfahren haben, ohne dass es ihr eigenes Versagen ist, denn sie führen ihre Situation ja oft darauf zurück, dass sie Heimkinder sind. Deswegen ist es wichtig, dass die beteiligten Institutionen das anerkennen, dass Unrecht ihnen erfahren ist und dass sie sozusagen nicht mehr am Rande der Gesellschaft stehen, und deswegen wird dieser Bericht darauf hinweisen, dass die Institutionen ihrerseits um Entschuldigung bitten sollen.

Das ist, wenn es nicht die pure Sprachverwahrlosung ist, was es vermutlich ist, ich kenne den Bruder, ist ja mein Chef – dann ist es genial. Es wäre auch sonst genial. Denn damit macht er den Sack zu: Wir erkennen an, daß wir Euch Unrecht taten, nicht Ihr uns, obwohl meine dem Willen zur Unwahrhaftigkeit geschuldeten Sprachpirouetten das soeben en passant noch mal nahelegen, und mit dieser Anerkennung muß es auch gut sein.“

Der Drache qualstert eine massive Aule Pech zusammen und spuckt vor das Herrenhäuser Kirchenamt.

„Ich bin bloß froh, daß ich ein ehrlicher Drache bin, der die, die was von seinem Schatz haben wollen, einfach auffrißt, und nicht niedrigschwellig rumsalbadern und der Wahrheit Gewalt antun muß, er würde ja gerne, aber die Hände seien ihm gebunden, bloß, weil er nicht frei heraus sagen will: es gibt nix! – Kommt mal näher!“

Er flüstert. Wieder zeigt er mit der Schwanzspitze von oben auf das Kirchenamt.

„Wenn man das den ganzen Tag hören muß, und ein Drache mit einem sensiblen Trommelfell ist – man sieht es mir vielleicht nicht an, aber ich bin ein Drache mit sensiblem Trommelfell – dann muß man sich eine Strategie zulegen, wie man seine geistige Gesundheit im geistlichen Umfeld bewahrt. Wißt ihr, wie ich das mache? Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber ich bin ein Schöngeist.“

„Und da habe ich mir so ein Blog zugelegt, in dem ich mein Mütchen an denen kühle, die mir auf den Senkel gehen. Ich habe ja nicht viel zu tun, außer auf dem Schatz liegen und hin und wieder einen fressen, und da hab ich, nur so als Fingerübung und um nicht zu verblöden, mal angefangen, die Bibel zu übersetzen.“

„Ja, ich weiß, es gibt weiß Gott genug Übersetzungen, aber was der Welt bislang gefehlt hat, ist eine Übersetzung vom Lutherischen ins Kirchenamtspräsidentische. Die Welt weiß es bloß noch nicht. Ich lese Euch am besten mal ein Kapitel vor.“

„Es ist die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg, die alle einen Groschen Lohn kriegen sollen, egal, ob sie vom frühen Morgen an gearbeitet haben, oder erst später, Mittag oder gar später Nachmittag, angefangen haben. Und wie sie kommen und ihren Lohn haben wollen, fährt der Besitzer des Weinbergs dazwischen und sagt, alle dasselbe? Kommt ja gar nicht in Frage:

Diese haben des Tages Last und die Hitze getragen, und jene haben nur eine Stunde gearbeitet. Da kann man nicht einfach schlicht eine pauschale Regelung ansetzen.

Und sie mußten alle ihren Groschen wieder hergeben.

Und er berief einen Runden Tisch ein, zu finden was Recht sei, und der Runde Tisch tagte zwei Jahre und tat das seine, und der Hausvater trat vor die Presse und sprach:

Wir waren uns am Runden Tisch insgesamt einig, daß bei der Vielgestaltigkeit der Arbeit im Weinberg man nicht einfach eine pauschale Regelung anwenden kann. Das würde zu neuen Ungerechtigkeiten führen, denn man müßte ja sagen, woran will man diese pauschale Regelung anknüpfen: an die Arbeitsstätte, ob es dort steil war, oder heiß, oder an die Dauer des Arbeitseinsatzes. Wir haben festgestellt, daß es gerade auch kurzfristige Arbeitseinsätze waren, die zu erheblichen Rückenschmerzen geführt haben, hingegen längere oft auch so waren, daß viele Arbeiter darunter nicht so stark gelitten haben. Deswegen kann man nicht einfach schlicht eine pauschale Regelung ansetzen.

Und es ist ja auch festgestellt worden verschiedentlich, daß es ja nicht eine individuelle Schuld gegeben hat, aber selbstverständlich eine moralische, weil es ja das System Weinberg war, was insgesamt versagt hat und deswegen kann man den einzelnen auch die Demütigung nicht ersparen, daß er etwa darlegt, daß ihm Kinder verhungert sind, und daß ihm schnell und unbürokratisch geholfen wird, neue Kinder zu machen, wenn das heute möglich ist, hingegen es ja oft so war, daß einem anderen gar keine Kinder verhungert sind, weil er gar keine hatte vielleicht oder nicht darunter gelitten hat.

Wir haben uns daher entschlossen, keinen Lohn zu zahlen, sondern es wird ein gemeinsamer Fonds eingerichtet werden. Dieser Fonds wird neben der zentralen Verwaltung regionale Anlaufstellen haben. Diese haben vor allen Dingen die Aufgabe, mit den Arbeitern, den Betroffenen, zusammen aufzuarbeiten, warum genau sie Lohn haben wollen, ob sie Essen kaufen wollen, oder ob sie ihre Kinder kleiden wollen, und dieses möglichst niedrigschwellig und unbürokratisch.

Und je nachdem kann er dann aus dem Fonds Geld beantragen, wenn sein Jüngstes zahnt etwa, daß dann zeitnah Hilfe gebracht werden kann, und daß er entstigmatisiert wird, und es auch anerkannt wird von den regionalen Anlaufstellen, ohne daß es sein eigenes Versagen ist, denn sie führen ihre Situation ja oft darauf zurück, daß sie keinen Lohn bekommen haben für ihre Arbeit, und daß es dazu kam, daß sie über’s Ohr gehauen wurden von mir, und das sie auch nicht länger am Rande des Weinbergs stehen sozusagen.

„So ungefähr. Muß noch poliert werden, aber in etwa wird die ganze Bibel so klingen.“

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