Der notorische Zugfahrer, Bistroboykotteur und Thermoskannenkaffeetrinker Radagast ist mit der Anregung an den UN Hochkommissar für Billig- und Gerechtigkeit, Germanistenfuzzi, herangetreten, doch einmal, zur Abwechslung, eine Belobigung auszuloben, und zwar für den ersten Hersteller einer Thermoskanne, die
Es gebe alle diese Features, so Radagast weiter, einzeln, darüberhinaus Kombinationen aus ihnen, und zwar insgesamt 15 Stück, wenn man mal die Möglichkeit, daß keines der geforderten Kriterien erfüllt wird, mitzähle. Die es natürlich auch gebe, und zwar nicht selten.
Aber die Eine Kombination, die sechzehnte, die, bei der alle vier Flags gesetzt seien, die gebe es eben überhaupt nicht. Die 53 Thermosflaschen, die ihn in den letzten zehn Jahren begleitet hätten, seien über die Kombinationsvarianten gaußverteilt gewesen,
weswegen ruhig eine hätte dabei sein dürfen, die alle Kriterien erfüllte.
Die Tatsache, daß das nicht der Fall gewesen sei, führe zu dem Schluß, daß es sowas nicht gibt. Daher seine Anregung.
Der Hochkommissar hat, als das Ansinnen an ihn herangetragen wurde, nach eigenen Angaben „erst einmal spontan gezögert, darauf einzugehen.“
„Jemanden positiv bestärken? Wie denn das? Sicher, das funktioniert bei Hunden, aber nur, wenn der Trainer weiß, was er tut. Da kann man auch viel verkehrt machen. Und diese Thermoskannenhersteller, die sind ja über Jahre hin positiv bestärkt worden, dadurch, daß man ihnen für ihre minderwertigen Kannen Geld gegeben hat. Hätte man nicht tun sollen, aber hinterher ist man immer schlauer.“
„Andererseits – 15 Thermoskannenhersteller verprügeln? Das ist natürlich auch ein logistisches Problem. Hmh. Aber eine Belobigung? Wie könnte denn sowas aussehen?“
„Hervorragender Thermoskannenproduzent des Volkes? Verdienter Erfinder? Held der adiabatischen Zustandsänderung? Weinhold-Medaille?“
Der Hochkommissar hat sich letztlich entschlossen, die Entwicklung eines angemessenen und würdigen Ordens in Auftrag zu geben. Sarkastischen Entwürfen, etwa in der Form eines Schlabberlätzchens, erteilte er von vornherein eine Absage. Er denke eher an einen kleinen goldenen Thermoskannenverschluß, der auf der Brust getragen wird, und der groß genug ist, einen Kaffeefleck zu verdecken.
„Und die anderen 15,“ so Radagast, nachdem er von dieser Ankündigung erfuhr, „die sollten wir nicht verprügeln, die sollten wir in einen überfüllten IC stecken, jeden mit der eigenen Kanne in der Hand, zur Rush-Hour. In einen von diesen alten, in denen man übereinanderklettern muß, wenn man mit einem frischen Fleck auf dem Oberschenkel feststellt, daß man die Tempos im Mantel hat, und der Mantel irgendwo da draußen am Haken hängt, hinter Hunderten von Pendlern, unter Hunderten von Pendlermänteln. Ja! Und der Nachbar muß solange das Notebook halten. Während er vorsichtig den Verschluß abdreht, um nachzusehen, ob sich das Dichtungsgummi vielleicht selbstständig gemacht hat. Und beim Umdrehen läuft der Kaffee, der noch im Verschluß war, ihm unter die Manschette. Hah!“
„Geschieht ihm recht.“
Der Dichtungsgummi, DER Dichtungsgummi …
gummi, m., n. herkunft und form.
noch in den wbb. des 18. jh.: ‚gummi n., von einigen im deutschen irrig im männlichen geschlecht gebraucht‘
Grimm? Märchenerzähler! Der einzig wahre Duden™ aus dem VEB BI Leipzig von 1978 kennt solcherley Gummis nur männlicherweise, sächlich nur als Kleber (Gummiarabicum).
Volkseigene Grammatik? Das nennen wir die Ostalgie erfreulich weit treiben!
Trotz alledem: zu jung. 1978 zählt für uns zur Zukunft – nicht de facto, auch nicht de jure, aber es liegt so nah an der Gegenwart, daß es sozusagen moralisch als Zukunft gelten muß: und alles, was in diesem Jahr entstanden ist, ist neumodischer Kram.
Ich bin nicht überzeugt, weil ich den Argwohn hege, daß dieselben Leute, die »das Gummi« schreiben, auch »die Paprika« sagen. Und das wäre ja nun wirklich das Ende des Abendlandes, auch wenn ich den Eindruck habe, daß dieses Ende hierorts von einigen nur minder bedauert würde.
Bedauert? Begrüßt.
Das Abendland geht unter, seit wir einander vorgestellt wurden.
Damals – wir gingen in die Quinta, und es war ein lauer Juniabend, wir hatten den Fahrrädern die Trense ins Maul gelegt und waren zur Zechenbahn getrabt, wo ein Stier mit einer leicht bekleideten Dame auf dem Rücken im Entwässerungsgraben lag. Der Dame lief das Wasser über die blauen Lippen, und hin und wieder schwänzelte eine Kaulquappe in ihrem Mundwinkel. Der Stier keilte. Die Gräser summten und der Teer klebte.
Das sei das Abendland, sagte unser Geschichtslehrer tagsdrauf, und es sei am Untergehen. Er erzählte noch weiter, daß das Abendland schon lange am Untergehen sei und quasi nichts anderes gelernt habe als untergehen. Und wir sollten es uns eine Lehre sein lassen, denn vor den Fleiß hätten die Götter …
Wir hörten nicht länger zu. Wir waren Quintaner und wußten uns Besseres, als Sätze, in denen Fleiß vorkam. Und es war Juni.
Seit der Zeit ist der Untergang des Abendlandes für uns positiv besetzt.
Wußtichsdoch.