Politische Kettenreaktion
Es ist die Kinderstunde am Montag, und wie alle braven kleinen Politiker habe ich seit dem Mittagessen ungeduldig vor dem Internet gesessen, voller Vorfreude auf meine Lieblingssendung: Ohrenbär, Polemik für bessere Kreise.
Der Reaktorbrand in Japan verleiht der deutschen Anti-AKW-Bewegung ungeahnten Auftrieb. Alle reden vom Schicksal der Menschen, tatsächlich bietet der Unfall Atomkraft-Gegnern den willkommenen Anlass, das ersehnte Aus der Kernenergie durchzusetzen.
Dreckskerle. Politiker, die ihre politischen Ziele durchzusetzen versuchen – sagt an, geht es noch verworfener?
Wie anders wir: der Unfall ist uns – uns – willkommener Anlaß, ein und für allemal einer bestimmten Sorte Leuten übel hinterherzureden, die uns seit Kindergartenzeiten das Leben vergällen. Wie glaubwürdig glaubt einer zu sein, der mit der einen Hand sein angebliches Bedauern über das Schicksal der Menschen da draußen äußert, ihnen aber mit der anderen Hand den wohlverdienten Walfang madig zu machen versucht?
Eines muss man der Anti-Atombewegung in Deutschland lassen: Ihre Reaktionszeit ist bemerkenswert kurz. Die ersten Meldungen über einen Reaktorunfall im japanischen Fukushima waren kaum über die Agenturen gegangen, da meldeten sich schon die ersten Politiker zu Wort, die die Abschaltung der deutschen Kraftwerke forderten.
Andernorts in Europa sind wir Bürger noch damit beschäftigt, uns einen Überblick zu verschaffen, was genau in dem Unglückswerk eigentlich vorgefallen ist, damit wir uns eine Strategie zurecht legen können, die deutschen Kernkraftwerke als trotzdem sicher zu bezeichnen, ohne die Lizenzgebühr für diese Lüge rausrücken zu müssen – und die Lizenzgebühr könnte sein: Baden-Württemberg.
Andernorts in Europa sind die Bürger noch damit beschäftigt, sich einen Überblick zu verschaffen, was genau in dem Unglückswerk eigentlich vorgefallen ist; dem deutschen Atomgegner reicht die Nachricht von einem brennenden Meiler und er weiß, dass es Zeit für Demonstrationen ist. Schon am Montag wollen sich die ersten Protestbewegungen zur Mahnwache treffen.
Kaum hat so einer seit Wochen für das Wochenende eine Demonstration gegen Atomkraftwerke geplant, so hält er ganz spontan an diesem Plan fest. Ganz egal, was in fernen Provinzen der Welt passiert, ja diese Ereignisse geradezu ausschlachtend für das nichtswürdigste Anliegen, das einer haben kann: rechhaberisch festzuhalten, daß er es ja schon immer gesagt hat!
Ist es etwa nicht so? – Na bitte. Mein Reden seit 33.
Fast muss man den Eindruck gewinnen, mitten in Deutschland habe sich ein Atomkraftwerk in einer Kettenreaktion verabschiedet und nicht 10.000 Kilometer entfernt in einer japanischen Provinz,
Ein bloßer Provinzgau mit Provinztoten, Provinzplutonium und Provinzkernschmelze. Nichts wirklich ernstes, wenn man es mit der Stimmungspolitik vergleicht, die hierzulande – nicht etwa zyklisch ausbräche, sondern die – alles von innen heraus kontaminiert, tränkt und durchschimmelt,
aber so ist das in der Stimmungspolitik. Wenn es um die Angst geht, die noch immer am Zuverlässigsten die Massen bewegt, ist sich jeder selbst der nächste. Das ist menschlich, hat allerdings mit verantwortlicher Politik nicht viel zu tun, die auch in der Krise die Argumente wägen muss – und schon gar nicht mit der „Betroffenheit“, die allenthalben beschworen wird.
Vor 14 Tagen waren die ‚Massen‘ bei mir übrigens noch positiv konnotiert, was daran lag, daß ich sie in anderem Zusammenhang brauchte, die Massen, in welchem ich sie zuverlässig bewegt sein ließ von ihrer Liebe zu dem verantwortlichen Politiker Guttenberg, ein Mann, der auch in Krisen die Argumente wägt, und der viel zu zackig ist, als daß sich auf ihm „Betroffenheit“ festsetzen könnte.
Viel ist jetzt vom Mitgefühl mit den Menschen die Rede, die in Japan aus Sorge vor einer Kernschmelze evakuiert werden mussten. Wer daran Zweifel hegt, setzt sich heftigen Verwünschungen aus. „Inhuman, widerlich und zynisch“ nannte der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck einen Twitter-Eintrag, in dem der Autor dieser Kolumne den Verdacht äußerte, dass der Kernkraftgegner im tiefsten Inneren seines Herzens immer den Unfall herbeisehnt, weil dieser auf drastische Art seine Befürchtungen bestätigt, vorausgesetzt natürlich, er ereignet sich nicht vor der eigenen Haustür.
Der kleine Politiker ist unentschieden, welche Stimmung ihn zuverlässiger bestimmen soll: Verachtung für den Twitterer, der im tiefsten Innern die Verwünschung durch den Vater herbeisehnt, da er glaubt, Strafe durchaus verdient zu haben – hat es ihn nicht nach Mutter gelüstet? -, und der gerne um eine gehörige solche bäte, das aber nicht geradeheraus sagen mag, und dem nur das Surrogat freudloser Kurzejakulationen auf Twitter bleibt: Verachtung für jenen, oder Mitleid mit Volker Beck? Dafür, daß der den Scheiß auch nur liest?
Letztlich läßt man sich wohl am zuverlässigsten von dem Gefühl steuern, daß dem Twitterer weniger Tadel als vielmehr Hilfe werden müßte. Er twittert zwar, und mit Kinderstube wär‘ es wohl soweit nicht gekommen. Aber er stammt aus einem linken Elternhaus, woher soll er es denn da haben?
Wie Apokalyptiker ticken
Der Apokalyptiker, der stets mit dem Schlimmsten rechnet, braucht hin und wieder den Beweis, dass er mit seiner Weltsicht richtig liegt, sonst ergeht es ihm am Ende wie den Zeugen Jehovas, die den Tag des Jüngsten Gerichts schon drei mal verschieben mussten, weil er sich bislang einfach nicht einstellen wollte. Volker Beck handelt dabei selbstverständlich aus reinster Menschenliebe, wenn er kein Mikrofon auslässt, um endlich dem Ausstieg aus der Kernenergie zum Durchbruch zu verhelfen – und so, ganz nebenbei, die Chancen seiner Partei bei den nächsten Landtagswahlen zu verbessern.
Haben Sie mal eben einen ganz kleinen Moment Zeit? Bin sofort wieder da.
Der Rotspon, ja, ja. Sie haben’s sich schon gedacht. Nun ist er aber weg. Ich habe mir erlaubt, gleich eine frische Flasche mitzubringen, so daß uns weitere Unterbrechungen erspart bleiben, so Gott will.
Rekapitulieren wir kurz: In Japan haben die Heere beider Seiten (GUT unter dem Kommando von – leider nicht mehr K. Guttenberg, sondern – Thomas de Maizière, BÖSE unter dem Feldherrn Volker Beck) Aufstellung genommen und bereiten sich auf die letzte Schlacht vor. Vereinzelt kommt es zu Feindkontakt, Feuerstöße sind zu hören, aber vorerst konzentriert man sich auf Stinkefinger zeigen und Spiegel-Kolumnen schreiben. Die erste Posaune hat getrötet, sechs Siegel sind gesprengt, das Tier kommt aus dem Südpazifik, Mappus verliert die Landtagswahl, mein Abendessen brennt an, der Akku von meinem Notebook ist leer, es gibt nur warmes Bier und Jan Fleischhauer wird vom Teufel gezwackt – was? Was das sein soll?
Na, die Apokalypse. – Natürlich, die ist wahr geworden. Der Gau ist ja auch wahr geworden. – Meinetwegen eine Provinzapokalypse, aber wahr geworden ist sie. Die Zeugen Jehovas haben derartig dran geglaubt, daß sie schließlich nicht anders konnte. – Das ist genauso, wie bei dem Supergau, der tritt auch nur ein, weil die Apokalyptiker es so haben wollen.
Die Forderung der Stunde lautet „Atomkraft abschalten sofort“. Und, fraglos, „Mappus muss weg“. Inwieweit die Abwahl des baden-württembergischen Ministerpräsidenten den Menschen in den Krisengebieten hilft, deren Schicksal nun angeblich alle so bewegt, ist zwar nicht ganz klar, aber wahrscheinlich ist die Losung als Geste gelebter Solidarität zu verstehen. Der Atomtod macht bekanntlich jeden zum Opfer, wo immer er auch lebt, selbst wenn er anschließend nur auf japanische Shiitake-Pilze verzichten muss.
Würde es den Menschen in den Krisengebieten vielleicht helfen, wenn die Forderung der Stunde lautete „Volker Beck muß weg“? Mmh. Viel nicht. Aber wäre es nicht wie eine Geste gelebter Solidarität? Und wenn es auch das nicht wäre, so wäre es doch schöner, Volker Beck wäre weg, als Stefan Mappus, oder? Ich meine, der löst sich ja nicht in Luft auf, der Mappus. Er wäre ja immer noch „da“.
Nicht viel anders als die Castoren. Die sind auch nicht „weg“.
Leben bedeutet, sich Risiken auszusetzen. Welche als tragbar gelten und welche eben nicht mehr, wird in demokratischen Gesellschaften ständig neu verhandelt, das gehört zum Wesen unseres Gemeinwesens.
Und eines der Risiken kann heißen: mit Volker Beck den Planeten teilen. Und ein anderes Risiko heißt: mit Stefan Mappus in einem Bundesland leben. – Je nun, Leute, es ist kein Honigschlecken hier unten!
Aber eins geht nicht: daß die Mitglieder des Gemeinwesens, sofern sie anderer Meinung sind als ich, sich an diesen Verhandlungen beteiligen. So war nicht gewettet. Gewettet war so: wir äußern Zweifel, die anderen campieren ein paar Nächte neben der Bahnstrecke nach Dannenberg, und dann wird gemacht, was wir sagen. So war gewettet.
Atomkraft ist eine gefährliche Technik, und es wäre zweifellos wünschenswert, wir kämen ohne sie aus, aber genau daran bestehen Zweifel, jedenfalls, wenn wir auf nahe Zukunft unseren Wohlstand nicht gefährden wollen.
Und weil die Technik so scheißengefährlich ist, haben wir alle angenommen, daß nichts passiert. Es wäre ja auch nichts passiert, hätten die Gegner der Kernkraft nicht die Apokalypse beschworen. Man malt, das ist mal amtlich, den Teufel nicht an die Wand! Das ist noch viel gefährlicher. Wer es dennoch tut, muß sich Fujijama und Okalulu und Suzuki und Sarrazin und wie sie alle heißen, die muß er sich anrechnen lassen.
Es kommt darauf an, woran man stirbt
Oder für wen?
Manchmal ist die Kernenergie sogar erschreckend zerstörerisch und lebensbedrohend, wie man immer wieder sehen kann.
Aber was heißt das schon? Es heißt, maximal, daß eine 35 Millionen-Stadt dauerhaft unbewohnbar werden wird, daß die Wirtschaft eines hochindustrialisierten Landes zusammenbricht, daß sich die Weltwirtschaft auf massiv steigende, ihren Wohlstand in naher Zukunft gefährdende Energiepreise wird einstellen müssen, und zwar nicht deshalb, weil sie auf Kernenergie verzichtete, sondern deshalb, weil sie auf Kernenergie nicht verzichtete.
Das kann man vergessen. Nicht vergessen aber sollte man, daß chinesische Arbeiter verrecken.
Chinesische Arbeiter, könnte man einwenden, verrecken gerne mal, so wie der Ruhrgebietskumpel sich früher gerne mal die Staublunge holte. Verschüttet wurde. Schlagwettern zum Opfer fiel. Das gehört zur Unterschichtkultur dazu.
Könnte man einwenden.
Ist aber nicht so. Da ist ein Riesenunterschied. Der Ruhrgebietskumpel starb, wenn er an Staublunge starb, für unser aller Wohlstand, nicht für grüne Weltklimaverbesserungsflausen.
Aber das ist die Quecksilberproduktion auch, die in China in Gang gesetzt wurde, um unsere Energiesparlampen zu produzieren, die nun die Glühbirne ersetzen sollen. Dafür können sich die chinesischen Minenarbeiter mit dem Gedanken trösten, für einen guten Zweck, nämlich die Verbesserung des Weltklimas, an ihren Vergiftungen zu sterben.
Bedauerlich. Was soll man ihnen raten? Zu Foxconn wechseln? Da können sie für unsere Lifestylegadgets sterben, das ist zumindest stylisher.
Vom Autoverkehr wollen wir gar nicht erst reden. Über 3000 Menschen fallen allein in Deutschland jedes Jahr dem motorisierten Bewegungsdrang zum Opfer, aber das hat (außer dem bewundernswert-konsequenten Christian Ströbele) noch kaum einen ökologisch gesinnten Mandatsträger davon abgehalten, auf seinen Dienstwagen zu verzichten.
Drecksäcke.
Wie anders dagegen Mappus: der fährt Smart. Und: vor die Wahl gestellt, auf seine Pfründen oder Neckarwestheim zu verzichten, verzichtet er prompt auf Neckarwestheim. Welcher Grüne wäre schon bereit, auf Energiesparlampen zu verzichten, nur um seinen Dienstwagen zu retten? Volker Beck? Christian Ströbele?
Der am allerwenigsten. Hat ja nicht mal einen!
Es kommt eben offenbar darauf an, woran man stirbt, um das Mitgefühl der politisch schnell erregbaren Kreise zu wecken. Über die Toten, die jetzt vor der Küste von Sendai treiben, verliert bei den Atomkraftgegnern kaum jemand ein Wort, vielleicht weil man Stefan Mappus dafür nicht wirklich verantwortlich machen kann. Offenbar taugt nur der Strahlentod, um in der Opferhierarchie ganz nach oben zu gelangen. Auch diesen Einwand kann man für zynisch halten.
Naja, ganz so stimmt das ja nun auch nicht. Die Toten von Sendai taugen immerhin für zynische Artikel auf Spiegel-Online. Dort werden die Leichen von Dr. Fleischhauer in Scheiben geschnitten, plastiniert, ausgestellt und gegen die politischen Gegner, die ihm aber nicht als solche gelten, sondern als Gipfel der Verworfenheit und Abschaum der Erde, in Stellung gebracht.
Ähnlich wie die Ruhrgebietskumpel durch mich.
Aber besteht nicht der wahre Zynismus darin, die Toten einer Naturkatastrophe danach zu bewerten, ob sich ihr Schicksal hierzulande zum politischen Protest eignet?
Ungeachtet der Frage, was zynischer sei: Tote für politischen Protest zu verwenden, oder Tote für politische Spin-Doctorei zu mißbrauchen, ist es nicht am allerzynischsten, den Offenbarungseid eines politischen Mantras – „Atomkraft ist sicher“ – als Folge einer Naturkatastrophe zu verkaufen?
Sagen wir doch so: Wenn Guido Westerwelle ein guter Außenminister wäre, wäre er ein guter Außenminister.
Punkt.
Wenn er nur dann ein guter Außenminister ist, wenn die außenpolitische Situation – grandiose Ausnahmezustände in Nordafrika – einen Hintergrund zur Verfügung stellt, vor dem ein Außenministerdarsteller mit Hang zur Staatsmannhaftigkeit bella figura machen kann, dann ist er kein guter Außenminister.
Punkt.
Wenn Atomkraft sicher wäre, wäre sie sicher. Punkt.
Sie ist sicher. Denn wenn ein Volker Beck daran etwas ändern könnte, könnte ein Volker Beck auch was daran ändern, das Westerwelle Außenminister ist.
Das kann ein Volker Beck aber nicht.
Ergo.