Vorerst erheitert

Der Marsmigrant, der dieser Tage die Redaktionsräume der Zeitung Käsdorfer Metropolitan (KM) beträte, müßte den Eindruck bekommen, den Redakteuren auf Erden sei große Freude verkündet worden, die aller Welt widerfahren werde, denn die Last der guten Laune drückt die Anwesenden schier zu Boden, buchstäblich, und der Marsmigrant, er hätte recht.

„Fröhlich soll mein Herze springen,“ begrüßt mich ein offensichtlich angesäuselter Stilton Sbrinz, küßt mich auf die Wange und fällt über den Schirmständer, was ihm aber die Stimmung nicht zu verhageln scheint, „ER kommt zurück. Was willst du trinken?“

Ich helfe ihm auf, muß mich aber dazu zwingen, denn ich werde nicht gern von Stilton auf die Wange geküßt, von anderen Körpergegenden zu schweigen, und von einem Stilton mit so deutlicher Fahne schon gar nicht.

„Wir haben Caipi,“ fährt Stilton fort, „Caipi, dann haben wir noch, was ist das hier? Leer. Caipi, wie gesagt, und, hoppla, wir hatten Caipi.“

Wenn es mir nicht gesagt worden wäre, hätte ich es wahrscheinlich trotzdem gemerkt, denn die ganze Formensprache des etwas verlebt und angegriffen aussehenden Büros deutet in die Richtung. Als wolle es dem Besucher mitteilen, „hier gab es Caipi. Jedenfalls bis eben.“

„Bis vorhin hatten wir noch Caipi,“ beharrt Stilton, und blickt forschend in den Papierkorb, der eigentlich, da beutellos, für Papier reserviert ist, und in dem die ausgefransten Limettenbrocken sich türmen, „ich dachte, wir hätten noch Caipi.“

In dem bebeutelten Restmülleimer türmen sich übrigens auch Limettenwürfel, und auf dem Kopierer liegt eine Machete in einer größeren Limettensaftpfütze. Germanistenfuzzi, der Volontär, sei zu Rewe geschickt worden, sagt Stilton, um Nachschub. „Limetten, und hier, dingens. Er muß gleich wieder da sein. Möchtest du unterdessen was trinken?“

Würde ich machen, aber es scheint nichts da zu sein.

„Stimmtja. Wiedumm. Ich meinte, waskannichsonstfürdichtun?“

Mir mal verraten, was hier eigentlich los ist. Im Pförtnerkasten stand der Schampus geschätzte 82 cm hoch, als ich reinkam.

„Hier,“ sagt Stilton, und fischt eine angelesene ZEIT unter den Limettenbatzen hervor, von deren Titelblatt ein ziemlich aufgeweichter Guttenberg ins Büro und mich anblickt, „voilà. Der Spinner. Kommt jetzt wieder.“

Als gestern die ersten Meldungen über das Buch „von Plisch und Plum“ herausgekommen seien, da habe die Redaktion spontan entschlossen, daß das gefeiert werden müsse. „Erstmal: Guttenberg,“ präzisiert Stilton, wobei das Verbum nicht so ganz zu seinen kontingenten Handbewegungen paßt, vielleicht sollte ich explizieren sagen: „und dann: Giovanni – „; dabei dreht er sich mit seinem Fünfroller etwas weiter als notwendig nach irgendetwas oder irgendwem um und spricht in die mir abgewandte Richtung: “ das ist ja – solange Germanistenfuzzi nicht da ist – wo bleibt der eigentlich, ich habe Durst!“

Während er sich wieder mir zuzudrehen versucht, kann ich vielleicht eben erläutern, was er meint: Germanistenfuzzis Freundin, Tausendschönchen, hat ihm untersagt, sich am unter uns üblichen Giovannibashing zu beteiligen, was er auch ernst nimmt, obwohl er, genau wie wir, der Meinung ist, daß Giovanni di Lorenzo ein ordentliches Giovannibashing nur gut tun würde, weswegen wir uns in seiner Anwesenheit des Giovannibashings enthalten, denn wir wollen ihn nicht in Loyalitätskonflikte bringen.

„Das ist wie Zucker auf Marmelade,“ fährt Stilton fort, nun etwas zu weit in die andere Richtung gedreht, „wie diese Kirmeswaffel, Negerbrot, das ist wie zwei Scheiben Negerbrot mit noch einer Scheibe Negerbrot dazwischen. Das ist wie Stiefeltrinken mit Caipi. Hast du schon mal Stiefeltrinken mit Caipi ausprobiert? Wir haben gestern Stiefeltrinken mit Caipi ausprobiert. Jungedu!“

Dafür, daß hier seit gestern Happy Hour ist, ist Stilton erstaunlich artikuliert.

„Wer sagt das?“ will er wissen, als ich es ihm sage. „Wer sagt, ich sei artikuliert? Ich bin nicht artikuliert. Ich erlaube niemandem, mich artikuliert zu nennen. Ich haue jedem eine rein, der mich artikuliert nennt. Wenn mich einer artikuliert, dann bin ich das.“

Fehlt da nun ein Verb, oder fehlt da keins?

„Das ist,“ nimmt Stilton jetzt den Faden wieder auf – für einen, der gestern Stiefeltrinken mit Caipi veranstaltet hat, ist er erstaunlich fokussiert, aber das sage ich ihm nicht – „das ist, wie wenn man eine Boulette zwischen zwei Hähnchenschnitzel packt – wußtest du, daß es in Amerika …

Wo sonst?

„Ach, das wußtest du? Das enttäuscht mich jetzt etwas. Jedenfalls verwundert es mich, daß du dich gar nicht verwunderst, wie fokussiert ich noch bin, nach all den Caipis, die ich schon intus habe. Intus haben muß. Das waren doch Caipis, oder?“

Er inspiziert mißtrauisch den Papierkorb, und fährt fort: „Das ist wie eine Nacht alleine in der Spielzeugabteilung. Wie eine Nacht im Harem, wenn der Sultan nicht da ist. Wie wenn man wohin kommt, wo sie noch einen Paternoster haben, und man kann stundenlang Paternoster fahren. Wie wenn einem einer für 1 Mark 25 Donald-Hefte verkauft, und man kann einen Regentag lang im Schuppen liegen und Donald-Hefte lesen. Wie ein Puddingbuffet. Wie Palatschinken mit Pfannkuchen, wie Schlagobers mit Sahne. Das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen. Wie Weihnachten und Ostern zusammen, und es gibt Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten und Das Große Rennen rund um die Welt. Das ist, wie wenn Stan und Laurel erst einen Hardwarestore und dann ein T-Model zerlegen, wie wenn …“

Stilton denkt nach und bohrt gewissenhaft in der Nase. Am letzten Satz scheint mir irgendwas nicht in Ordnung zu sein.

„Ich glaube, das war ein Vorgarten, den sie plattgemacht haben.“

Kann sein, daß es das war.

„Ts!“ sagt Stilton nun, schaut sich den Popel an und sagt selig: „Dieser Spinner! Diese Hohlnuß! Hast du das mit der Brille gelesen?“

Das mit der Brille? Das er sich die bloß ausgedacht hat?

„‚Faktisch war es so, daß es einer reizenden Ärztin in den USA bedurfte, die festgestellt hat, daß ich ohne Brille vollkommen ausreichend sehen kann.‘ Bruhahahaaa-haa-ha! Über Jahre hin hat er nicht nur geglaubt, ohne Brille nicht ausreichend zu sehen, nein, er hat außerdem geglaubt, mit Brille besser zu sehen. Hahaa-hahaa-hahaa! Wenn er die Brille abnahm, und kein Unterschied festzustellen war, dann hat er halt geglaubt, so sei das eben, wenn man besser sieht, als er sehen konnte, bruhuhuhu-huh-huhu!“

Stilton sollte in seinem Zustand nicht so unmäßig lachen. Es sind schon Leuten Dinge geplatzt, die sich nicht zu mäßigen wußten.

„Diese Doppelnull! Und Giovanni – ist Germanistenfuzzi schon zurück? – Giovanni, diese Wurzel aus Minus Eins, ist nicht mal in der Lage, nachzuhaken, ob vielleicht ein reizender amerikanischer Friseur so nett war, festzustellen, daß sein Kopf ganz ohne Gel hinreichend menschenähnlich aussieht, weswegen er es einmal ausprobierte, und siehe da! Soll ich dir was sagen? Komm mal näher, du alter Pastor!“

Ich möchte dazu bemerken, daß ich a) kein Pastor bin, und b) jünger als Stilton, was das angeht.

„Für meine Zwecke tust du’s. Ich will dir was sagen. Und dann sag ich dir nachher noch was. Erinner mich dran, daß ich dir was sagen wollte.“

Ist gut.

War es das schon?

„War was was?“

Das was du mir sagen wolltest?

„Das kommt noch. Weißt du was? Ich frage mich, ob man Germanistenfuzzi trauen kann. Weil nämlich ich ihm die Portokasse mitgegeben habe, damit er dingens einkauft, und Rohrzucker. Rohrzucker. Wir brauchen nämlich Rohrzucker.“

Schon gut.

„Nein, das ist nicht schon gut! Es muß Rohrzucker sein!“

Gut.

„Gut. Und eine Negerkußwurfmaschine.“

Was wollt ihr mit einer Negerkußwurfmaschine?

„Aber er ist nicht zurückgekommen!“

Germanistenfuzzi?

„Ich sage dir, Germanistenfuzzi darf man nicht trauen!“

Soweit ich weiß, will er gar nicht getraut werden, sondern lebt in strenger Wildehe.

„Willst du dich über mich lustig machen? Willst du das? Pastor, ich sage dir, mach dich nicht über mich lustig!“

Ich bin kein Pastor.

„Das ist mir egal. Für meine Zwecke reicht das. Weil ich dir die Beichte abnehmen muß.“

So nimm denn meine Beichte.

„Bzw. weil ich dir was sagen muß. Nämlich folgendes: weil meine beiden Götter, zwischen die und mich ich niemals etwas anderes habe kommen lassen als Buster Keaton und Charles Spencer Chaplin und W.C. Fields und Groucho Marx und Harpo Marx und Chico Marx und noch ein paar, die sich im Moment meiner schweren Zunge nicht fügen mögen, die beiden sind nämlich nicht mehr meine Götter, weiß du?“

Nein.

„Weißt du, wer nicht mehr meine Götter sind?“

Stan und Ollie?

„Vorsichtig! Vorsichtig, Pastor. Mach hier keine Lästerung! Es sind schon andere geringerer Verfehlungen wegen auf dem Scheiterhaufen abgemahnt worden. Sir Arthur Stanley Jefferson Laurel, bittesehr, und Oliver Hardy Esqu. Das sind meine beiden Götter.“

Ich denke, nicht mehr?

„Das sind die offiziellen Namen, meine ich. Die beiden sind nicht mehr meine Götter. Ich verstoße sie. Sie sind vogelfrei. Ihr Name ist Dreck.“

Nun mach mal halblang.

„Dreck! Meine Götter heißen ‚Plisch‘ und ‚Plum‘. In vollem Wichs heißt der eine eins zwei drei vier fünf sechs sieben usw. Guttenberg und der andere heißt Lorenzo di Giovanni Saavedra. Das sind ihre Kriegsnamen. Jawollja. Und wenn Germanistenfuzzi nicht bei drei hier ist und frischen Caipi dabeihat, dann werden meine Blutalkoholwerte nicht mehr wissen, was sie tun!“

Weiß du Stilton, ich glaube, Germanistenfuzzi wird nicht zurückkommen.

„Dann soll er sich dabei nicht erwischen lassen! Ich habs nicht gerne, wenn meine Volontäre …“

Ich glaube, er ist von Außerirdischen mitgenommen worden.

„Was?“

Ja. Von Marsmigranten.

„Warum?“

Wir schulden ihnen ein Opfer. Also nicht ihnen, sie sind ja nur die Boten. Aber den Himmlischen. Sie haben uns den Guttenberg zurückgegeben. Dafür müssen wir einen Preis zahlen.

„Meinst du?“

Ja, klar.

„Ja, aber …“

Das muß so sein. Denk an Abraham.

„Ja aber …“

Und Isaak.

„Ja doch, aber …“

Und an Germanistenfuzzi.

„Aber Germanistenfuzzi hat doch die Portokasse!“

Ja und? Ich glaube, dagegen haben die Götter nichts.

„Moment! Mooment! Einen Volontär geb ich her, aber nicht meine Portokasse. Es gibt Grenzen auch meiner Opferbereitschaft.“

Stell dich nicht so an. Denk an Abraham.

„Was geht mich Abraham an?“

Und Isaak.

„Hör mal, Pastor, …“

Und Jakob.

„Jakob! Jetzt weiß ich wieder. Germanistenfuzzi wollte zu seiner Schwester, und wollte sich seines Neffen Jakobs Negerkußwurfmaschine ausborgen.“

Dann wird er wohl von da aus direkt zum Stammtisch gegangen sein.

„Stammtisch? Ist heute Stammtisch?“

Aber ja, es ist ja Donnerstag.

„Donnerstag? Ich dachte, heute wäre Freitag?“

Mmh-mmh, das ist der Dialog aus Puntila. Heute ist Donnerstag.

„Ei, so komm und laß uns laufen, Pastor. Du bist meine Rettung.“

Ich bin kein Pastor.

„Aber meine Rettung. Komm, laß dich küssen.“

Ich laß mich nicht küssen. Erzähl mir lieber, was ihr mit dieser Negerkußwurfmaschine anfangen wollt.

Im Rausgehen fällt Stilton über den Schirmständer. Unverdrossen erzählt er mir, was es mit dem Katapult auf sich hat: „Du kennst doch die Dartscheibe, die wir von außen auf die Toilettentür gehängt haben, weil wir mal kucken wollten, wie lange das gut geht. Da machen wir jetzt immer ein Bild von Guttenberg drauf, oder von Giovanni, und dann …“

Munter plaudernd machen wir uns auf in Richtung Pilgrimhaus. Im Pförtnerkasten steht der Pegel jetzt bei 83,5.

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