Dinge ohne die es auch ginge

Heute: der Fahrgast

Die Bahnhöfe sind das Tor zur Bahn
und zugleich die Visitenkarte
der Städte und Regionen.
Mit ihrem Erscheinungs- und Leistungsbild
tragen sie maßgeblich zur Kundenzufriedenheit bei
und bestimmen die Attraktivität der Bahn mit.

Mission statement der DB Station&Service AG

Zugbegleitung, auf ein Wort!

Was? Nein, ja. Wissen Sie was? Ich zeige Ihnen meinen Fahrschein gern am Counter nebenan, oder benutzen Sie doch einfach unseren bedienungsfreundlichen Fahrscheinbetrachtungsautomaten. Hah! Hahahahahahaha! Was? Nein, ich bin nicht hysterisch.

Schon vorbei.

Sie müssen entschuldigen, ich bin etwas mit den Nerven runter. Ich war heute morgen im Reisezentrum. Uuähhähähähä!

Entschuldigung. Ja. Wissen Sie, ich gehöre ja nun schon seit Jahren zu den Glücklichen Menschen, die ganz ohne Fahrschein leben. Aber heute morgen – genaugenommen ja schon gestern abend. Da fing es schon an. Da war ich schon einmal im Reisezentrum. Aber da bin ich geflohen, und entkommen, und dann bin ich in der Nacht durch mir unbekannte Straßen geirrt, und als die Laternen ausgingen, habe ich mich in einen fremden Torweg gekauert, schaudernd, heftig zusammenfahrend, wenn ferne Katzen schrien.

Heute morgen dann bin ich wieder hingegangen und habe mir vorgenommen, es auszuhalten. Ich habe es dann ja auch ausgehalten. Was? Ja, ich lasse Ihr Handgelenk los, aber laufen Sie nicht weg, bleiben Sie!

Es war so furchtbar.

Kennen Sie die Zeichnung von Waechter, wo der Mann mit der Nase auf dem Venushügel der Frau liegt und zu ihm sagt: wir beide kämen ja gut miteinander klar, wenn sie da oben bloß nicht wäre? Wissen Sie, daß das eine Metapher ist? Eigentlich nämlich wollte Waechter einen Unternehmer zeichnen, der mit dem Gesicht auf dem Hintern eines Kunden liegt, die Nase an seinem Portemonaie, und sagt: eigentlich kommen wir beide ja gut miteinander klar, wenn nur er da oben nicht wäre.

Zugbegleitung, bleiben Sie doch noch! Darf ich Sie Gleiterchen nennen? Nein? Nein, wenn Sie das nicht möchten …

Es muß in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gewesen sein, daß sich in Kreisen fordistisch produzierender Produzenten die Erkenntnis Bahn brach – hi – hihihihihihi – Bahn brach – danke, nein, es ist nichts, es ist nur, daß … danke, es geht wieder -, daß die Götter auf den Weg vom Produkt zum Profit einen riesigen Klotz gewälzt hatten: den Verbraucher. Diesen Klotz aus dem Weg zu schaffen ohne dabei gleichzeitig des Klotzes Portemonaies verlustig zu gehen, ist das vornehmste Bestreben aller wahrhaft wirtschaftlich wirtschaftenden Wirtschaftskapitäne, und sie gingen hin und bliesen dem eilig aus dem Reagenzglas gestampften Homunculus ihren unreinen Brodem ein und nannten ihn: Dienstleistungsgewerbe. Uuähhähähähä!

Nein, es ist nichts. Kleiner Rückfall.

Im Fall der Bahn heißt der Verbraucher Fahrgast, und die Taskforce, die gegründet wurde, ihn weitestgehend auszuschalten, nennt sich DB Station&Service AG – uuähhähähähä!

Vision: Wohlfühlbahnhöfe sind unser Ziel!
Scope: Erbringen von Serviceleistungen gegenüber Reisenden

Schaudert es Sie da, Zugbegleiterchen?

In deren Klauen war ich heute morgen. Nein, Sie gehen jetzt noch nicht! Keine Zeit?! Aber ich hatte die Zeit, ja? Was glauben Sie, wie lange ich vor dem Schalter, pardon, dem Counter habe warten müssen. Im PreServiceLoop. In der Wellness Queue. In banger Erwartung der Serviceleistung, die man mir gegenüber erbringen würde, und die dann darin bestand, daß erst der eine Counter geschlossen wurde, und eine Art Stammtischwimpel auf dem Counter Aufstellung nahm, der behauptete, man bediene uns gerne am Counter nebenan. Oder aber, noch viel besser, wir sollten doch alle Mann hoch zu einem dieser bedienungsfreundlichen Ticketautomaten gehen.

Ein solcher Stammtischwimpel trägt natürlich maßgeblich zur Kundenzufriedenheit bei und bestimmt die Attraktivität der Bahn mit. Denn erstens stehen an den anderen Countern bereits andere Umsatzverhinderer und Renditedrücker und man müßte sich mit seinem überflüssigen Servicerequest an die mittlerweile länger gewordene Schlange hinten dranstellen, und zweitens gibt es an dem Automaten, über dessen Bedienfreundlichkeit ich nicht richten will – nur soviel vielleicht, wenn eine Maschine von sich selbst sagt, daß sie bedienungsfreundlich sei, ist das ungefähr so, als wenn ein Kaffee damit wirbt, daß er heiß sei oder ein Zahnarzt damit, daß er gelernt hat, den Bohrer zu halten und den Zahn zu treffen – man weiß, mit anderen Worten, was man weiß, wenn man so etwas liest -, jedenfalls gibt es am Automaten nur #@%$§!! Fahrscheine, die Ihr Euch sonstwohin &#§@$!! könnt, aber keine Bahncardanträge, dessen eines ich aber bedurfte, oder meinen Sie, ich hätte mich aus Jux- und Dollerei in diese Dienstleistungshölle gestellt?

Ja, ich glaub es ihnen gerne, daß Sie fort möchten, und daß ich Sie los lassen soll. Ich habe auch fortgewollt, aber eine dieser Service Center Agentinnen hat die Flucht vereitelt, indem sie zu mir kam, mich weiter in die Wellness Queue hinein trieb und hinter mir den Eingang verrammelte. Offizielle Begündung: für eine freundliche Atmosphäre sorgen, in der sich Reisende und Besucher sicher und wohl fühlen. Wahrer Grund: weitere Störer sollten vor Erreichen des Wassergrabens gestoppt werden und außerhalb der Burgmauern verbluten und den Aasvögeln anheimfallen. Dann schlossen sie einen weiteren Counter und stellten den Stammtischwimpel auf …

Es war, Begleiterchen, unheimlich. Als hätte eine Riesenmaschine dafür gesorgt, daß überall da, wo die Länge der Wellness Queue unter den Break Even Point rutschte, ein Dispatcher den Service Center Agenten in den Po bisse und ihn seinen Schalter verlassen machte. Counter, um Vergebung abermals. Daß man Schalter sagte war zu Zeiten, da man eine Customer Satisfaction Survey noch Kd.zufr.anal. abkürzte, was nicht sehr hübsch aussieht, das gebe ich Ihnen ohne weiteres zu. Auch zu Zeiten der Kd.zufr.anal. war der Umgang mit den Fahrgästen nicht unbedingt liebevoll. Er war rauh und ehrlich, und manchmal gerade darum von einer gewissen Herzlichkeit. Er störte, der Fahrgast, störte den Ablauf, stellte Fragen und benutzte den Abtritt während des Aufenthalts im Bahnhof. Darum schikanierte man ihn offen.

Heute schikaniert man ihn verdeckt, nicht so verdeckt, daß er es nicht merken würde, er soll es ja merken, aber verdeckt von einem Vokabelschleim, der die Altmeister von Europens übertünchter Höflichkeit daneben wie unschuldige Huronen wirken ließe. Wenn man sich zu Kd.zufr.anal.-Zeiten bei Ihresgleichen beschwerte, weil die Heizung nicht ging, kriegte man klipp und klar gesagt, dann müsse man sich halt ein paar warme Gedanken machen, und ein zugekniffenes Äugsken kriegte man gratis obendrein. Über eine ausgefallene Klimaanlage beschweren sich heutzutage nur Laien, die es nicht besser wissen. Der Kenner meidet jede Bewegung, auch die der Stimmbänder. Und wenn einer der Ihren mit Wasser durch den Zug läuft, daß er um Gotteslohn zu verteilen gewillt zu sein vorgibt, so weiß der Kenner, das selbst der Griff zum Wasser ein Griff zuviel ist, und daß getrunkenes Wasser nur Nachschub für die Schweißdrüsen wäre und nicht helfen würde, helfen würde allein das Verlassen der Hölle, und aus dem Höllenlautsprecher tönt derweil zum Hohn „We apologize for any inconvenience“, und der Fahrgast tut gut daran, sich selbst der Gewaltphantasien mit Mehdorn als Objekt darin zu enthalten, denn auch die Gewaltphantasie bringt keine Kühlung, im Gegenteil.

Daß man ein Casino nur dann mit Erfolg betreiben kann, wenn man die Kunden rein läßt, das weiß auch Mehdorn. Es hat aber, wie Mehdorn weiß, jeder Roulettetischkunde ein strukturelles Defizit an den Hacken kleben, das sind die Kosten für den Croupier, und das trägt er einem ins Haus und trampelt es überall in den Teppich. Soll er am Daddelautomaten spielen, verdammt! Wenn Mehdorn Chef einer Spielbank wäre, würde der Croupier, gerade dann, wenn es dem Gast kommt und er den Rest seines Vermögens willenlos auf Rot setzen will, den Stammtischwimpel aufs Tableau stellen: Sehr geehrter Customer, wir schröpfen Sie gern am Tisch nebenan – der natürlich bereits zu 110% überbucht ist – oder benutzen Sie doch einfach unseren renditefreundlichen Daddelautomaten. Wahrlich, Zugbegleitung, ich sage Ihnen, wenn Mehdorn Chef eines Casinos wäre, würde jede Wette am Roulettetisch 2 Euro 50 kosten, und zwar pro Jeton.

Dienstleistung ist die Kunst, Zugbegleitung, so halten Sie doch still, Dienstleistung ist die Kunst, die Leidensfähigkeit des Fahrgastes so exakt wie möglich zu bestimmen. Hat man sie raus, zieht man die Daumenschrauben gerade so weit an, daß er weder wegläuft noch standhält, sondern befangen bleibt im leeren Entsetzen. Und dann, dann kommt die eigentliche Arbeit: Vokabelnscheißen. Als erstes hält man ihm eine Customer Satisfaction Survey unter die Nase, das hält ihn in dem Glauben, man hielte es für möglich, daß er mit irgendwas zufrieden sein könnte, und da er nicht weiß, was das denn wohl sein sollte, ist er verunsichert und leichte Beute für weitere Angriffe. Dann gibt man ihm Service auf die Ohren, bis er es nicht mehr hören mag, und wenn man damit dann ein bißchen nachläßt, frißt er einem vor Dankbarkeit beinahe schon aus der Hand. Man kann auch das Spiel Good Service Center Agent – Bad Service Center Agent mit ihm spielen, indem der eine ihm den Stammtischwimpel vor die Nase stellt und der andere dem Tobenden ein Glas Wasser holt -? Nein, mit Folter hat das nichts zu tun, es ist ja auch keine Folter, daß ich Ihnen mein Knie in den Magen drücke; das hat einfach damit zu tun, daß Sie mir sonst weglaufen. Zur Folter verbringt man den Fahrgast auf den Bahnsteig. Dort kommen dann, falsche, fehlerhafte, fehlende und widersprüchliche Durchsagen und Anzeigen ins Spiel, aber das ist heute nicht unser Thema.

Ja, ich steige hier aus. Ja, ich lasse Sie jetzt aufstehen. Neinnein, den Antrag habe ich. Gott behüte! Was? Daß ich noch einmal ins Reisezentrum –

Nun sagen Sie doch nicht sowas! Auch nicht zum Scherz.
Ich habe Ihnen schließlich nichts getan.

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