Thilo Sarrazins neues Buch Europa braucht den Euro nicht, der Teufel holt den Henker nicht, der Henker hängt den Schlächter nicht, der Schlächter schlacht‘ den Ochsen nicht, der Ochse säuft das Wasser nicht, das Wasser löscht das Feuer nicht, das Feuer brennt den Prügel nicht, der Prügel schlägt den Pudel nicht, der Pudel beißt den Jockel nicht, der Jockel schneidt den Hafer nicht und kommt auch nicht nach Haus ist nach übereinstimmender Meinung aller Experten für künstliche Aufregung enttäuschend sachlich. Aber sowas von. Nichts, rein gar nichts stehe drin, worüber sich eine pralle Erektion einstellen wolle. Es sei etwa so erregend wie diese Sendungen bei Obi in diesen kleinen 14-Zoll Quäkefernsehern, in denen einem erklärt wird, wie man die Wand hätte grundieren sollen, damals, als es noch Zeit dazu war, als die Fliesen nämlich noch nicht drauf waren.
„Langweilig war sein erstes Buch auch schon,“ sagt einer der Experten, Germanistenfuzzi mit Namen, „es hat bloß keiner gemerkt, weil es ja keiner gelesen hat, außer mir. O Gott!“ Er verbirgt sein Gesicht, rauft sich das Haar, zerreißt sein Gewand und beschmiert sich die Brust mit Asche. „Aber das passiert mir kein zweitesmal.“
Das neue Buch werde er nicht lesen. Er verlasse sich auf das Urteil seiner Peer-Group, daß es nämlich genau das liefere, was man von einem Buch erwarten dürfe, das von Geld handelt, das einem nicht gehört. „Ein Buch, das von Geld handelt, das einem nicht gehört, hat entweder bunte Bilder, einen riesengroßen Geldspeicher, eine Ente mit Stock und Zylinder, die mit dem Bagger auf dem Geld herumfährt, und die unerwünschten Besuch mit Streichholz, Zündschnur und Kanone empfängt, und es hat eine Währung mit dem Namen ‚Taler‘. Entweder das, oder es ist langweilig.“
Sarrazins Buch habe nichts von alledem, ergo sei es monoton, grau in grau, flach, unplastisch, Leere, Ödnis, Wüstenei, sei in der Wolle gefärbte Langeweile. „Das weiß man vorher, das braucht man gar nicht zu verifizieren.“ Kollegen, die das Buch gleichsam durchgeflöht hätten und mit leeren Händen zurückgekehrt seien, seien selbst schuld. Die einen seien der Zeit, die Gott ihnen geschenkt habe, böse und versuchten, sie mit bloßen Händen totzuhauen, die anderen seien Stellensucher.
Die ‚Stellensuche‘ sei eine Lustbarkeit vergangener Jahrzehnte, betrieben von unreifen Dreizehnjährigen auf der Datenbasis des Brockhaus oder vergleichbar einschlägiger Quellen. Wenn heutzutage ein unreifer Dreizehnjähriger im Ungestüm der Flegeljahre im Internet ein Türchen aufreiße, müsse er damit rechnen, von der schieren Menge der ‚Stellen‘ verschüttet zu werden, und nicht einmal die verräterischen Spuren seines Tuns mehr tilgen zu können. Der Reiz des Stellensuchens liege aber in der Spannung zwischen Rauschen und Signal, zwischen Jieprigkeit des Jägers und Sprödigkeit des Waidglücks, zwischen Verlangen und Erfüllung. Der Wert der Oasen wachse kubisch mit dem Quadrat der Länge der Durststrecke zwischen ihnen, und zwar exponential. Deshalb habe sich das Stellensuchen als Breitensport für die nähere Zukunft erst einmal erledigt, werde aber nach wie vor von unreifen Journalisten betrieben. Aber auch diese stünden nun belemmert da, hätten ein paar Stunden weniger im Glas und nicht das kleinste Körnchen im Sieb.
Langeweile, Enttäuschung, Mißmut, Frust.
Vorsorglich und fürsorglich hat der Journalist Henryk M. Broder daher schon einmal darauf hingewiesen, daß Sarrazin das Recht haben müsse, Langeweile zu verbreiten. Broder ist ein Stellensucher der besonderen Art: man kann ihm einen beliebigen Text geben, und Broder findet ‚Stellen‘ darin. Auch wenn vorher keine drin waren; wenn Broder ihn gelesen hat, sind welche drin. Er braucht nur seine Leimrute in den Text zu halten, schon zappelt eine Stelle dran.
Als kein Widerspruch erscholl, schaltete Broder den Nachbrenner zu. In einer Verteidigungsrede ante festum stellte er fest, das alle künftige Kritik an Sarrazin ‚Stellen‘ enthalten werde. Das Beharren und Versteifen auf ‚interessanten‘ Texten sei eine sehr deutsche Eigenschaft.
Im Gegensatz dazu leiste sich Sarrazin den Luxus eigener und dementsprechend langweiliger Gedanken. Möglich, daß einen da gelegentlich ein tiefes Schlafbedürfnis ankomme. Man könne ihn dafür kritisieren, ihm aber ins Gesicht zu gähnen, zeuge von einer totalitären Gesinnung seiner Kritiker, die ansonsten bei jeder Gelegenheit für „Wachsamkeit“ und „Wehret den Anfängen“ plädierten. In jedem Fall habe Sarrazin wieder einmal einen sehr deutschen Nerv getötet.
Die Leser verhielten im Schnarchen, schubberten die Füße aneinander, kratzten sich an einem Mückenstich, schalzten mit der Zunge, zogen die Decke unter das Kinn und legten den Kopf nach links. Mählich setzte Schnarchen wieder ein. Broder dachte laut:
„Es gibt keine Tabus, aber doch einiges, über das man besser nicht einmal laut nachdenken sollte.“
Da es niemand hörte, passierte ihm auch nichts.