Integrationssymbolik

Bundespräsident Gauck hat seinen ersten Staatsbesuch in Israel dazu genutzt, aller Welt vor Augen zu halten, daß es immer einerseits so ist, andererseits aber auch so, und daß man niemals sagen kann, was von beiden nun gerade richtig ist.

Einserseits sei es so, daß die Dinge so sind, wie sie eben sind, und daß sich daran auch nichts ändern läßt, anderseits aber sollten wir es uns nicht verdrießen lassen, sondern ihn fragen. Meist habe er eine äußerst bedenkenswerte Antwort oder zumindest eine originelle Umformulierung in petto, so daß die Sache schon mal nicht mehr halb so schlimm aussehe, sondern bei gutem Willen auf allen Seiten sogar irgendwie lösbar. Was sie ja auch wäre, wenn alle evangelisch würden.

So eine gaucksche Umformulierung war es zum Beispiel, die dem Palästinenserpräsidenten Abbas die Augen öffnete dafür, daß man ein hochkomplexes Problem wie das des Miteinander und Gegeneinander von Israelis, Palästinensern, Nachbarstaaten, weiter entfernten Staaten, Interessengruppen, Gegeninteressengruppen, Weltstrategen, UNO, Leuten, die das ganze überhaupt nichts angeht, die sich aber sagen ‚Wen das nichts angeht, der ist selber schuld! Wenn da alle mitmachen, will ich da auch mitmachen‘ und Leuten, die sie dafür kritisieren – daß man, wollte ich sagen, ein so hochkomplexes kaum mehr zu durchhauendes Knoticht auf die simple Formel bringen kann: „Ich habe Präsident Abba ausdrücklich ermutigt, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.“

Abbas hatte, als Morgenländer, bis dahin nicht gewußt, was blumige Sprache tun kann. Jetzt weiß er es. Daß man einen Faden davon abhalten kann, zu reißen, auch wenn der Faden es sich nun einmal so in den Kopf gesetzt hat, war ihm auch neu. Jetzt weiß er auch das. Das würde er seinen Jackenknöpfen bei nächster Gelegenheit hinter die Ohren schreiben!

Einerseits. Andererseits war Gauck ja noch nicht fertig. Er gab zu bedenken, daß immer zwei dazu gehören: einer, der den Faden nicht reißen lassen will, und ein Knopf, der dranbleibt. Und das unter der verschärften Bedingung, daß keiner mehr zu sagen wüßte, welcher Knopf an welchem Faden hängt.

Ein ganz wunderbares „Einerseits – andererseits“ aber gelang Gauck in einem Interview mit der ZEIT, einer einerseits hochangesehenen, seriösen Wochenzeitung, andererseits dem allerletzten Schnarchhahnblatt, das sich nur deshalb in der Szene halten kann, weil fünfhunderttausend Schnarchhähne sie und sich für das Nonplusultra an Seriosität halten. Z.B. mein Bruder, der Schnarchhahn, was einerseits, da Familienangelegenheit, nicht in dieses Blog gehört, andererseits aber: ist doch wahr!

In diesem Interview jedenfalls, distanziert Gauck sich einerseits von seinem Vorgänger Wulff, von dem gesagt wird, daß er zu Deutschland gehöre, was, wenn es stimmt, einerseits von dem gewaltigen Schub an Levantisierung – genauer: Bakschischisierung – zeugt, den dieses Land erfahren hat, andererseits aber nicht zu leugnen ist. Andererseits aber sind es nicht Wulffs Bakschischkontakte, von denen Gauck nichts wissen will, sondern Wulffs unbeholfene Art, geradeauszureden; sei es, wenn er die Wahrheit zu sagen beabsichtigte, sei es im normalen Alltagssreden. Gauck ist der Meinung, kurze Aussagesätze seien vom Teufel inspiriert.

„Der Protestantismus in seiner reinsten Form, nämlich der ostdeutsche Protestantismus, genauer noch: der rostocker Protestantismus, ganz genau: der gaucksche Protestantismus, ist ein Protestantismus der Schmucklosigkeit. Die graue, leere, triste Traktorhalle eines ehemals volkseigenen Gutes ist in ihrer Buntheit und barocken Frivolität viel zu überladen, um darin einen Gottesdienst abzuhalten. Jedes Spinnweb, jeder Haken in der Wand, jeder Placken abgeplatzten Magerputzes, jeder vergessene Runkelstrunk lenkt den Gläubigen davon ab, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: nicht das Gebet, nicht den Gesang, nicht die Versenkung in Gott, nicht die Exegese dessen Wortes – das Wort des Predigers. Das Wort des Predigers aber ist der einzige Schmuck, den der rostocker Protestantismus kennt. Und ich als Prediger des Rostocker Protestantismus, ich predige Euch: nehmt Euch an Vorbild an Eurem Prediger. Aber nicht an dem, was ich tue, sondern an dem, was ich sage.“

„Es besteht zum Beispiel keine Notwendigkeit, daß Ihr jetzt alle nach Israel fahrt, um dort weise Reden zu schwingen. Bleibt lieber zuhause und wartet, bis ich wieder da bin. Ich bleibe ja nicht ewig. Ich schwinge Euch noch genug Reden. Bis dahin merkt Euch: Kurze Sätze, ein-Satz-Formulierungen sind immer problematisch. Nehmen wir einen kurzen Satz, nehmen wir diesen Satz hier: Allahu akbar, soll heißen: Gott ist groß. Oder: Gott ist größer. Da kann ich diejenigen verstehen, die fragten: „Wie groß? Größer als wer? Wieviel größer?“ Inhaltlich aber, andererseits, von seiner Intention her mache ich mir den Satz zu eigen: Gott ist groß! Wie groß? – Groß! Vor ihm sind alle Völker wie ein Tropfen am Ärmel, alles Holz des Libanon reichet nicht hin, ihm den Grill vollzukohlen, das Stäublein an der Waage ist wie der Staub, der beim Dreschen in der Kehle bleibt. So groß. Und größer!“

„Na, war das eine Umformulierung? Das waren jetzt wieviel Sätze? Jedenfalls mehr als einer. Das ist doch sehr viel präziser. Das bringt Feinheiten rüber. Wen wollt Ihr Eurem Prediger zur Seite stellen?“

In gleicher Weise, wenn nicht besser, weil mit praktisch verwertbaren Folgen, formuliert Gauck Wulffs stadtbekannten Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ um. Einerseits macht er sich dessen Intention zu eigen, sagt er, andererseits hat er Verständnis, sagt er. Und zwar für die, die da Fragen haben: „Welcher Islam? Welches Deutschland? Was heißt gehört? Ist es das gehört in der Bedeutung von ‚Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür‘? Oder ist es das gehört in der Bedeutung von ‚Ihr habt ja wohl den Schuß nicht gehört?‘ Oder heißt es, daß uns der Islam gehört, und wir damit machen können, was wir wollen?“

Fragen über Fragen. Und siehe, aus der Mitte der Fragen erhebt die Antwort ihr Haupt, und es ist alles ganz einfach: Der Islam gehört zu Deutschland, wie ein Pflegesohn zu seinen Pflegeeltern. Sie haben das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Und Deutschland, mit der Stimme Joachim Gaucks, verfügt wie folgt:

„Mit Ausnahme von T. Sarrazin sind uns Muslime hochwillkommen. Ähm, der Satz ist etwas verunfallt. Der ist grammatisch nicht so korrekt, wie er sein sollte. Da stimmt was mit den Beziehungen nicht. Auch steht T. Sarrazin nicht für sich allein, sondern als peinliches pars pro trostloses toto einer ganzen Blase von Leuten, denen die Muslime überhaupt nicht willkommen sind, denen der Islam gestohlen bleiben kann und denen der Unterschied zwischen beiden piepenhagen ist. Die kann ich übrigens alle verstehen. So daß der Satz auch sachlich falsch ist. Einerseits. Andererseits möchte ich mir diesen meinen Satz von der Intention her zu eigen – und folgenden Vorschlag machen: Der Islam gehört zu Deutschland. Daher haben wir das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Und wir bestimmen, daß die Muslime, wenn sie zu uns kommen, natürlich hochwillkommen sind, weshalb sie auch ihre Religion mitbringen dürfen, aber der Islam muß bitte an der Grenze zurückgelassen werden. Wir werden dort eine Reihe von Schließfächern anlegen, in denen die verschiedenen Islame kostenlos deponiert werden können. Bei der Ausreise können sie dann wieder mitgenommen werden. Na, ist das ein Vorschlag?“

Die Schließanlage solle gleich neben den Kübeln installiert werden, in denen die Deutschen seit jeher alles das deponieren, was für ein Leben in Deutschland bloß hinderlich ist: Freundlichkeit, Gelassenheit, Humor und Verstand.

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