Eau non potable

Ein ungewöhnlich heftiger Befall von Marienerscheinungen plagt derzeit das den Umgang mit Plagen nicht eben ungewohnte Lourdes. Das Städtchen frißt an manchen Tagen das doppelte seines eigenen Gewichts an Pilgern, verdaut es, spuckt es wieder aus und schaufelt am Abend mit müden Gliedern das Geld in die Keller. Es ist also nicht so, daß man dort nichts weiter zu tun wüßte als auf den Nägeln zu kauen und quoi faire, quoi faire zu murmeln. Die hohe Zahl der Marienerscheinungen allerdings erwischt die Stadtväter kalt. Dieser Tage wurde die einhundertfünfzigste gezählt.

„So viele waren es noch nie,“ sagt Bürgermeister Le Maire dem Käsdorfer Metropolitan (KM) im Gespräch, „wir wissen beim besten Willen nicht, wo sie alle herkommen. Die einen sagen, der milde Winter, die anderen, das trockene Frühjahr, die dritten so, die vierten so. Und was nutzt uns das?“

Rien?

„Zéro.“

Ist es möglicherweise die Erderwärmung? Das hat man ja heute viel. Und was heißt denn eigentlich Erderwärmung auf französisch?

„Ne pas se pencher au dehors.“

Ach?

„Oui. Erderwärmung? Je ne sais pas. Peut-être. Mais de nouveau: was nutzt uns das? Wir können die Erde ja nicht wieder abkühlen. Sie müssen auch mal überlegen, was sechs Millionen Pilger im Jahr für einen Kohlendioxidausstoß haben, was für Reibungswärme sie erzeugen, besonders, wenn sie auf den Knien rutschen. Und wenn einer seine Krücken wegwirft und Luftsprünge vollführt, kühlt das auch nicht unbedingt ab.“

Wohl wahr. Aber was heißt denn eigentlich Kohlendioxidausstoß auf französisch?

„Défense de cracher dans la voiture.“

Echt?

„Mais oui, oui. – Wir können hier in Lourdes ja keine Wunder wirken.“

Moment – ich dachte?

„Unfug. Also, wir tragen definitiv zur Erderwärmung bei, aber nicht erst seit gestern. Wenn man die ganze Energie – Orgeln, Gesänge, Fürbitten, Seufzer – wenn man das alles nutzbar machen könnte, mein lieber Herr Gesangsverein! Kann man aber nicht. Geht alles in die Entropie.“

Und Gesangsverein? Was würde Gesangsverein heißen?

„Würde natürlich auch dann in die Entropie gehen, wenn man sie vorher nutzbar machen könnte. Aber dann hätte man sie wenigstens vorher nutzbar gemacht.“

Korrigieren Sie uns, wenn wir Unsinn reden – aber sind nicht gerade Sie Meister darin, diese Energie eben doch nutzbar zu machen, indem Sie sie – nach kurzem Umwandlungsprozeß – abends mit müden Gliedern in die Keller schaufeln?

„Gesangsverein? – Gesangsverein würde man mit ‚Garçon, l’addition s.v.p.‘ übersetzen.“

Welcher Garçon?

„Und welcher Gesangsverein?“

Lassen wir das. Was tun Sie denn nun gegen die Plage?

„Plage ist eigentlich nicht richtig. Plage ist ein biblischer Begriff und bezeichnet die negativen Incentives, mit denen Jahwe Pharao, dessen Herz er gerade verstockt hatte, zeigen wollte, daß es besser gewesen wäre, Jahwes Volk von hinnen ziehen, anstatt sich das Herz von Jahwe verstocken zu lassen. Was soll er denn hier bei uns verstocken wollen? Und wen sollten wir von hinnen ziehen lassen? Halten wir irgendjemanden fest? Wir sind froh über jeden der geht, weil er ein Bett für einen Neuankömmling frei macht. Und dann stehen die Plagen ja auch fest:

  • Blut
  • Frösche
  • Hagel
  • Hitze
  • Pilger
  • Mücken
  • Ungeziefer
  • Maul- und Klauenseuche
  • schwarze Blattern
  • Heuschrecken
  • Finsternis

Keine Marienerscheinungen dabei. Die ja auch, wenn wenn wir mal päpstlicher als der Papst sein wollen, im Alten Testament überhaupt nicht vorkommen.“

Es heißt hier und da, die Marienerscheinungen seien auch keine hiesigen, die sich natürlich gut in ihr Habitat einfügen, sondern die vor einigen Jahren importierte asiatische Variante, die das eben nicht tut. Wie unterscheiden sich denn diese Erscheinungen von jenen Erscheinungen?

„Zunächst einmal gar nicht. Sie sehen eine weiße Frau, eine Quelle entspringt in einer Grotte, und Sie werden aufgefordert, über der Grotte eine Kirche zu errichten – cest ça. Das war’s. That’s it.“

Noch einmal gefragt, was tun Sie konkret dagegen?

„Ich werde Ihnen sagen, was wir nicht tun. Wir werden nicht über jeder Grotte eine Kirche errichten. No way. Kein Stück. Pas de chance. Das ist logistisch überhaupt nicht machbar und wäre unter Marketingaspekten absurd. Unser größtes Problem sind die vielen neuen Quellen. Jede Quelle, so steht zu befürchten, verwässert die Anziehungskraft der Originalquelle. Es ist auch nicht zu erwarten, es ist noch nicht einmal wünschenswert, daß sich die Pilgerströme und damit unser Umsatz verhundertfünfzigfachen. Lourdes‘ Bettenkapazität ist definitiv an seinen Grenzen.“

Wo Sie gerade Bettenkapzität sagen: haben sie eigentlich immer noch diese komischen Betten, wo die Laken so komisch unter die Matratzen gestopft werden, und die Sprungfedern so schwabbelig sind, daß man sich am Bettrahmen festhalten muß, um nicht in die Mitte zu rollen und sich den Bandscheibenvorfall zu holen?

„Quoi?“

Gibt es eigentlich, anders gefragt, statistische Erhebungen darüber, wieviele Pilger geheilt, und wieviele mit massiven Rückenproblemen aus Lourdes zurückkommen?

„Haben Sie, im Gegenzug, mal darüber nachgedacht, wieviele Eiderenten ihr Leben lassen müßten, um 6 Millionen Pilger mit diesen bei Ihnen daheim üblichen merkwürdigen Federbetten zu versorgen, und wieviel Energie nötig wäre, um diese komischen Federbetten wenigstens einmal im Jahr von Milbenkot und Pilgerschuppen zu reinigen?“

Und dann war da doch noch was, hier in Frankreich, mit den Toiletten? Was war das gleich noch? Was einem immer einfällt, wenn einem die Betten einfallen? Fällt mir grad nicht ein.

„Monsieur?“

Eh bien. Also, Sie unternehmen gar nichts, wenn ich Sie richtig verstehe?

„Was können wir tun?“

Zéro?

„Zèro. Wir hatten lo papa Beneset bei uns. Auch er konnte nicht helfen. Wir erwarten in Lourdes keine Wunder, denn wir sind gebrannte Kinder, aber wir hatten gehofft, wenigstens er könnte die Erscheinungen zur Vernunft bringen. Er ist ein Mann der Vernunft, n’est ce pas?“

Konnte er nicht?

„Non. Nun müssen wir – wie sagen Sie in Ihrem Federbetthabitat? – Mesüren prendieren? – prendre des mesures?“

Andere Saiten aufziehen?

„Oui.“

Exorzismen?

„P’t’être. Vielleicht hilft Wasser aus der Quelle.“

Was heißt denn Exorzismus auf Französisch?

„Ne pas ouvrir avant l’arrêt du train.“

Mais non?

„Mais certainement, monsieur, croyez-moi. Votre foi vous guérira.“

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