Ehrliches Desinteresse

Der Vogel Gauck ist zur Vorbereitung der Kriegsweihnacht 2012, die nach Warschau (1939), Paris (1940), Smolensk (1941), Noworossijsk (1942), Cassino (1943), Nowosibirsk (1944) und zuvor schon Westfront (1914), Westfront (1915), Westfront (1916) und Westfront (1917) heuer wieder – das hat schon Tradition – in Mazār-i Scharif stattfindet, nach Afghanistan geflogen. Dort lobte Gauck den „Einsatz der deutschen Afghanistan-Soldaten“, womit er hoffentlich meint, daß er es klasse findet, daß sie sich dort, und wie sie sich dort, da sie nun einmal dort sind, so tüchtig einsetzen. Und womit er hoffentlich nicht meint, daß er es klasse findet, daß sie überhaupt dort sind, von ihrem persönlichen Einsatz mal ganz abgesehen.

Das wird er ja wohl hoffentlich nicht meinen. Aber das weiß man nicht. Fertig kriegen tut er das. Denn er kriegt auch noch ganz andere Sachen fertig.

So hat er dort mal wieder einer seiner Lieblingsleidenschaften gefrönt, und hat dem schwächlichen Pazifistenvolk, dem er vorsteht, ins Gewissen gepredigt. Was genau er von uns will, sagte er wiederum nicht. Was er nicht will, auch nicht. Was er nicht zu wollen scheint, ist, daß wir alles richtig machen. Dabei müßte es die vornehmste Aufgabe jedes Predigers sein, sich selbst überflüssig zu machen. So wie ein McKinsey-Berater, dessen Bestreben ist es ja auch, dafür zu sorgen, daß man ihn nie wieder rufen muß. – Was war das?

Was war was?

Haben Sie nichts gehört? So ein Höllengelächter?

Nein.

Na gut, das führt uns jetzt auch etwas vom Thema ab. Bleiben wir beim Vogel Gauck.

Falls er also gemeint haben sollte, daß es bedauerlich sei, daß überhaupt Soldaten in Afghanistan sein müssen, so behielt er das für sich. Und falls er das nicht gemeint haben sollte, auch. Und das kann ja auch sein. Denn so bedauerlich es sein mag, daß der Einsatz von McKinsey-Beratern, pardon, ich meine, daß der Einsatz in Afghanistan überhaupt nötig wurde – denn das weist ja immer darauf hin, daß in dem Land und mit dem Land etwas nicht in Ordnung ist, denn wenn dort alles in Ordnung wäre, würden sie uns ja hinauswerfen – und, wenn mir die Äußerung eines persönlichen Wunsches gestattet sein soll, jetzt, in der Weihnachtszeit, die Taliban gleich hinterdrein. Oder voran. So, wie die Dinge liegen, haben sie beide im Land, die Taliban und die Isaf, und keine der Beteiligten scheint daran etwas ändern zu wollen. Oder zu können. Keine Seite wirft die andere hinaus. Vielleicht sollte man statt dessen Afghanistan hinauswerfen?

Pardon, ich habe mich etwas vergaloppiert. Was ich meinte, ist: vielleicht ist es Gauck ja ganz recht, daß Unordnung in dem Land ist, denn Unordnung ist allemal ein guter Anlaß für eine Predigt. Aber das wird er natürlich, wenn es so ist, auch für sich behalten wollen. Denn eine solche Einstellung wäre ihrerseits ja auch nicht ganz astrein, und bedürfte eigentlich eines eigenen Predigers, der ihr mal mit ein paar ordentlichen Predigten zuleibe rückte.

Was hat er denn nun aber eigentlich gesagt?

Außer dem, was ich bereits gesagt habe, nicht viel, wie gesagt.

„Friede den Menschen auf Erden“ – seltsam klingt diese Himmelsbotschaft mitten im Kriege, während die Kanonen donnern und die Flugmotoren dröhnen! Und dennoch gilt sie heute, ja heute mehr denn je, als Gottes liebender Ruf an diese Menschheit, die Er in Allmacht geschaffen, die sein Sohn in Barmherzigkeit erlöst und zur Seligkeit berufen hat. Groß genug ist die Welt, reich genug an Schätzen und Früchten, dass alle Völker leben, sich sättigen und zufrieden sein könnten. Das deutsche Volk im Herzen Zentralasiens kämpft seit Jahrhunderten um den Platz an der Sonne, steht wieder im Kampfe um sein Lebensrecht und gönnt auch anderen Völkern ihren Anteil an den Reichtümern dieser Erde.

Da! – Da war es wieder!

Was?

Dieses Höllengelächter.

Der Menschenwille aber ist unvollkommen, und so ist seit der Erbsünde die Ungerechtigkeit nicht mehr von dieser Erde verschwunden. Gegen solche Ungerechtigkeit, gegen den Vernichtungswillen hasserfüllter Gegner steht Deutschland im Kampf. Nur im Kampf wird das Gute erobert und gesichert.

Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß das O-Ton Gauck sei?

Psst!

Wie, „Psst!“?

[laut] Klar ist das O-Ton Gauck. – [leise] Psst!

Im Leben nicht!

[leise] Nicht so laut! – [laut] Er hat das nicht so wortwörtlich gesagt, aber es ist ja auch noch nicht Weihnachten. Dies ist ja eine Weihnachtspredigt. Eine Kriegsweihnachtspredigt. Sagen wir: eine Kriegsähnliche Zuständeweihnachtspredigt.

Und wo haben Sie die her?

Wissen Sie, dieses Blog ist über fünfeinhalb Jahre hin in mühevollster Kleinarbeit neben meiner beruflichen und – äh, sonstigen Tätigkeit als junger Familienvater entstanden, und es enthält fraglos Fehler. – Was ist los mit Ihnen? Warum halten Sie sich die Hand ans Ohr?

Nichts. – Ich glaubte, etwas vernommen zu haben. So eine Art Gelächter.

Und über jeden einzelnen dieser Fehler bin ich selbst am unglücklichsten. Es wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt bewußt getäuscht oder bewußt die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht. Oder jemandem etwas in den Mund gelegt, was der nie gesagt hat. Und sollte sich jemand hierdurch oder durch inkorrektes Setzen und Zitieren oder versäumtes Setzen von Fußnoten, bei über 1300 Fußnoten und 475 Seiten, verletzt fühlen, so tut mir das aufrichtig leid.

Was faseln Sie da eigentlich?

Ich will nur sagen, daß ich bei meiner chaotischen Arbeitsweise – zeitweilig arbeite ich an vier Computern gleichzeitig mit über 800 Datenträgern, auf denen ich ständig irgendwelche Notizen und Daten sammle -, daß ich da schon mal den Überblick verliere, was von Guttenberg ist, und was von Gauck, und was ich einfach irgendwo aus dem Internet habe. Wenn ich geschickt hätte täuschen wollen, hätte ich es vermieden, Textstellen so plump und so töricht in diesen Post zu übernehmen, daß sie durch simples Googeln ohne weiteres gefunden werden können. Das ist es, was ich unter einem ehrlichen Dialog mit dem Leser verstehe.

Und was versteht Gauck unter einem ehrlichen Dialog?

Das sagt er nicht. Er fordert ihn. Unser freundliches Desinteresse ist ihm nicht ehrlich genug. Ich frage Sie: was ist daran nicht ehrlich? Wenn ich an etwas kein Interesse habe, und ich sage dies, und ich bleibe gleichwohl freundlich zu meinem Gegenüber, wie etwa in der folgenden Kurzszene:

„Was sagen Sie da, lieber junger Freund? Die Welt soll heute untergehen? Das ist ja entsetzlich! Aber mal was anderes: Haben Sie auch schon einen Weihnachtsbaum?“

was ist dann daran nicht ehrlich? Nicht ehrlich genug für einen Gauck? Immerhin mein Bundespräsident! Was? – Ich frage Sie!

Keine Ahnung. Aber mal was anderes: Haben Sie auch schon einen Weihnachtsbaum?

Wir wollen in diesem Jahr keinen Baum. Wir sparen das Geld lieber und kaufen Wolle dafür. Meine Frau strickt warme Socken und Fäustlinge.

Für die Jungs in den Schützengräben?

Erstmal für Herrn Gauck. Für uns schwächliche Pazifisten gibt es Ohrschützer.

Was haben Sie da eigentlich immer mit Ihren schwächlichen Pazifisten?

Die stammen aus Gaucks Weihnachtspredigt.

Der Zustandspredigt?

Ja, der Zustandsweihnachtspredigt. Soll ich fortfahren?

Nein.

OK, ich fahre fort:

Die Botschaft der hl. Weihnacht ist keine Verneinung des Kampfes, wenn er um das Gute und Edle, wenn er um Recht und Freiheit geht. Hat doch auch Jesus ausdrücklich erklärt: „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“ Auch der innere Kampf in des Menschen Brust gegen die Lockung der Leidenschaften, gegen alles Triebhafte in ihm selbst, ebenso wie gegen die äußeren Versuchungen, ist gottgewollt und notwendig. Christus kennt keinen schwächlichen Pazifismus, der einen faulen Frieden will, nur um dem Kampfe auszuweichen, weder im inneren Bezirke der Menschenseele noch im äußeren Bereiche der Völker. Das Christentum ist lebensbejahend, ist Tatkraft und Opfergesinnung!

Wiederum O-Ton Gauck, nehme ich an?

Gewiß! – Gewiß. Alles O-Ton. – Haben Sie den schwächlichen Pazifismus bemerkt?

Ich habe nicht zugehört.

Sollten Sie aber. Er wird hier negativ geschildert, der schwächliche Pazifismus. Als ein Kohlhaas, der seine Rappen selber dickfüttert. Um des lieben Friedens willen. Anstatt in christlicher Lebensbejahung die Tronkenburg zu schleifen und Wittenberg anzuzünden, wie Tatkraft und Opfergesinnung es täten. Oder, wie Gauck es formulieren würde: „die nicht selbstverständliche Bereitschaft zum Dienen und zur Hingabe“.

Was heißt hier, „wie Gauck es formulieren würde? Ich dachte, die Formulierung „Tatkraft und Opfergesinnung“ stamme von Gauck?

Und ich dachte, Sie hätten nicht zugehört? – Wollen Sie weiter zuhören?

Nein!

Gut, dann hören Sie:

Es lehnt nach dem Worte des Meisters über seinen Vorläufer Johannes den Täufer jene ab, die „schwankende Rohre im Winde“ sind, die „in weichlichen Kleidern einhergehen“. So steht auch das liebliche Bild der Krippe von Bethlehem vom Kampfe umwittert: böse Menschen haben das hl. Elternpaar aus der Stadt hinaus in den Stall an der Felsenwand verwiesen, Herodes stellt dem Kinde nach dem Leben, es muss nach Ägypten geflüchtet werden. In ehrlichem, mannhaftem Ringen kämpft Jesus dann drei Jahre lang mit Wort und Wunder gegen den bösen Willen des jüdischen Volkes und seiner pharisäischen Führer und nimmt bitteres Leiden und sogar den Tod auf sich, um in diesem Kampfe Sieger zu sein, der nur äußeres Abbild jenes welterschütternden, gewaltigen Kampfes gegen den Satan und die Macht der Hölle war.

Wie Gauck schon sagte: er will keine Schönfärberei und keine Schwarzmalerei. Er will irgendwas dazwischen, irgendwas, das Grau in Grau ist und einen alle Hoffnung fahren lassen macht.

Haben Sie gehört oder gelesen, was der Renner der diesjährigen Krippenschnitzsaison in Bethlehem ist?

Nein. Was ist der diesjährige Renner der bethlehemer Krippenschnitzsaison?

Krippe mit Mauer.

Krippe mit Mauer? Und wer kauft sowas?

Deutsche.

Nunja. Wir Deutschen haben halt ein freundliches Interesse an allem, was auf der Welt nicht in Ordnung ist, wofern es dem bösen Willen eines gewissen Volkes zuzuschreiben ist.

Das ist jetzt aber sehr schwarzmalerisch von Ihnen!

Wünschen Sie es etwas schönfärberischer?

Ich wünsche mir weder Schwarzmalerei noch Schönfärberei, sondern irgendwas dazwischen. Etwas Grau-in-Graues, alle Hoffnung fahrenlassenmachendes.

Und ich wünsche mir, daß Sie Ihre Zitate etwas besser unter Verschluß halten, oder sie als solche kennzeichnen! Ich sag’s sonst VroniPlag!

Das sagt der Richtige.

Ganz richtig. – Soll ich weiter zitieren?

Nein!

Wie Sie wollen:

So singen wir in deutscher, christgläubiger Innigkeit: „Stille Nacht, heilige Nacht! Alles schläft, einsam wacht nur das traute, hochheilige Paar. Holder Knabe im lockigen Haar, schlafe in himmlischer Ruh’.“ Erschüttert erleben wir aber auch die Wahrheit von Golgatha im Lied: „O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz, bedeckt mit Hohn, o göttlich Haupt, umwunden mit einer Dornenkron; o Haupt, das andrer Ehren und Kronen würdig ist, sei mir mit frommen Zähren, sei tausendmal gegrüßt.“ Und dann hallt es siegesfroh im Osterjubel durch unsere Kirchen: „Sieg hat der Held errungen, hat Satans Reich bezwungen: der Tod hat keinen Stachel mehr, der Stein ist weg, das Grab ist leer. Alleluja.“ Denn wir dürfen das liebliche Weihnachtsbild in unserem Glauben nicht loslösen vom ganzen Leben des Erlösers, das in bitterer Armut und Verlassenheit begann und am Kreuze auf Golgatha endete, um erst dann in verklärter Herrlichkeit aufzuerstehen und in den Himmel zurückzukehren, wo „er sitzet zur Rechten des Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten“.

O-Ton Gauck?

O-Ton kleiner Predigtbaukasten, würde ich vermuten. – Ich würde an dieser Stelle gern etwas weiter ausholen, um zu erklären, warum ich mich den sparsamen Zeilen der Presse über Gauckens Besuch in Afghanistan etwas ausführlicher widme. Natürlich nur, wenn es Ihnen recht ist.

Ist es nicht.

Schon recht. – Und zwar ist es so, daß die deutsche, christgläubige Innigkeit sich im deutschen Kriegsgemüt so recht deutschgläubig, christlich und innig mit der Kriegsweihnacht vermählt hat, der die ersten paar Nachkriegshungerweihnachten der Einfachheit halber mit zugeschlagen wurden, dergestalt, daß einer oder zwei Generationen Kriegsweihnachtsteilnehmern jede spätere Weihnacht, insbesondere die fünfziger-Jahre-Dr.-Oetker-Freßwellen-Weihnacht, so sinnentleert und frivol erschien, wie es nur mangelnder Mangel anrichten kann. Weihnachten, so empfanden sie, hatte seinen Sinn seit jeher daher bezogen, daß es „in schlechter Zeit“ „ein Lichtlein der Hoffnung“ aufsteckte. Ergo: damit Weihnachten funktionieren konnte, mußten die Zeiten möglichst schlecht sein. Waren sie aber nicht. Sie waren voller Gänsefett und Konsumtreibgut. Wer also machte sich daran, diese Tatsache von den Kanzeln herunter recht glaubensinnig und deutschchristlich zur Hölle zu predigen?

Mal was ganz anderes: kann es sein, daß Sie letzthin zuviel Kleist gelesen haben? Erst kommen Sie mir mit Michael Kohlhaas, jetzt mit dergestalt, daß?

Ich sag’s Ihnen: die Gaucke. Die Gaucke jener Tage machten sich daran, das Ding zur Hölle zu predigen. Und noch ein Ding: Weihnachten als „Fest der Familie“. Funktionierte wunderbar, solange jede Menge Familienmitglieder tot oder in Gefangenschaft waren, und der Rest der Familie lebendig und zuhause. Funktionierte sogar besser, denn die Toten hielten länger. Die konnte man auch 1968 noch vermissen. 1968, als man der Mehrheit des Volkes mit der Vorstellung eines fernseherlosen Weihnachtszimmers schon ernstlich Angst einjagen konnte. Funktioniert nicht mehr ganz so gut, seit die fehlenden Familienmitglieder nicht mehr notwendigerweise tot oder gefangen sein müssen, um Weihnachten abwesend zu sein, sondern in einem Mökki in Dänemark, am Strand von Kuba, in Indonesien, auf den Malediven – oder in irgendeinem Club abhängen, im Kino, bei Freunden oder weiß der Henker wo.

Wir fahren immer in den Center Park nach Bispingen.

Na sehen Sie. „Glücksüchtig“ nannte das der Vogel Gauck, und seine Mitprediger lassen uns seit jeher nicht im Zweifel, was das Verderbende am Glück ist: „Wozu,“ denkt das Hirn des Glücksfixers, „wozu muß denn der Heiland eigentlich noch kommen? Ich hab doch alles, was ich brauche.“ Aber, so wissen die nüchternen Gaucke besser, so ein Schuß, der hält nicht ewig vor: „Laßt nur erst den Turkey kommen. Dann werden die Glückssichtigen schon anders denken.“ Dann sind sie auch wieder empfänglicher für das Methadon der Frohbotschaft.

Gut, daß Sie mich an den Truthahn erinnern. Wir wollen nämlich zu Weihnachten …

Ach seien Sie doch so gut, und halten Sie noch einen Moment die Klappe, ja? Ich bin nämlich noch nicht fertig mit meiner Predigt.

Ich weiß es, beziehnungsweise: ich merke es. Deswegen ja. So kurz vor Weihnachten, und die Zeit drängt …

Dann hören Sie gesittet zu, desto eher bin ich fertig: „Schön,“ so die traurige Kanzelbotschaft, „schön war einzig die Zeit, da nicht die Glückssucht die Adventszeit regierte, sondern die Glückssehnsucht. Damals waren wir alle glücklicher. Denn wer mit verätzter Lunge im Feldlazarett liegt, hat gleich eine ganz andere Vorstellung von der Bedeutung von „Heil“ als der, der bei „kaputt“ lediglich den lästigen Umstand der Rücksendung an Amazon assoziiert.“

Und deswegen predigen Sie mich hier voll?

Deswegen schrillen bei mir alle Alarmglocken, und reagiert meine innere Standortkommandatur automatisch mit Urlaubssperre, wenn wo ein Feldgauck sich der Truppe nähert. Und das in der Vorweihnachtszeit. – Auch wenn es meistens falscher Alarm ist: ein Wochenende, an dem man nicht zur Freundin darf, ist ein verlorenes Wochenende. Und das nehme ich übel. Ich bin nachtragend und ich vergesse nicht. Ich habe die Stimmen alle noch im Ohr. Ich bin mal gründlich konfirmiert worden und habe 104 Gottesdiensttestatstempel in meinem Wehrpaß.

Und wenn mir so ein Pfaff mit faulem Frieden kömmt, und hält, daß echter Friede edlen Kampfes Lohn sei:

Der Lohn edlen Kampfes ist echter Friede! „Frieden hinterlasse ich euch. Meinen Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt gibt, gebe ich ihn euch.“ Auch der Soldat, der im Kriege seine vaterländische Pflicht treu erfüllt, kann und soll diesen echten Frieden im Herzen haben, wenn er reinen Gewissens ist, wenn er sein hartes „zum Falle und zur Auferstehung vieler und zu einem Zeichen, dem widersprochen werden wird“. Gerade in eiserner Zeit sollten wir alle uns wieder auf die gesunden, willenstärkenden, ehernen Lebensgrundsätze besinnen, wie sie Christus in der Bergpredigt verankert hat, die allem Bösen und Niederen den Kampf ansagen, die in allen Schicksalen uns zum blinden Gottvertrauen ermuntern: „ Jeder also, der diese meine Worte hört und sie befolgt, ist einem weisen Manne gleich, der sein Haus auf einen Felsen gebaut hat. Da fiel ein Platzregen, es kamen die Ströme, es bliesen die Winde und stürmten ein auf jedes Haus. Aber es fiel nicht zusammen: denn auf einen Felsen war es gegründet!“

wie Gauck es tut, wenn er den Afghanistan-Einsatz bewußt als „Erfolg“ (Gauck) wertet, wegen der „Schulabschlüsse“ (Gauck) und „Stromanschlüsse“ (Gauck), trotz der „Hubschrauberabschüsse“ (Taliban) und „Fehlanschüsse“ (Friendly Fire), dann halte ich dem entgegen: es liegt mir fern, den Kollateralnutzen echten Krieges zu leugnen. Daß mehr afghanische Kinder die Schule besuchen können, ist schön. Die versehentlich ausgelöschten Hochzeitsgesellschaften mit den frisch eingeschulten Kindern unter ihnen dagegen aufrechnen zu wollen, wäre Rohheit.

Aber: dafür sind die Soldaten dort nicht hingeschickt worden. Sowenig wie die deutschen Soldaten 1941 nach Rußland geschickt worden sind, um zu erreichen, was sie erreicht haben: daß nämlich die Sowjetunion ihren Einflußbereich weit nach Westen ausdehnen konnte, was, im Verein mit Hochrüstung auf beiden Seiten, für ein Halbjahrhundert echten Friedens in Europa gesorgt hat. Etwas, das ich als Kriegsgewinnler dieses Friedens ganz ausdrücklich als Erfolg werte. Und um nicht roh zu erscheinen, verzichte ich darauf, die vielen, vielen toten, ermordeten, erfrorenen, geschundenen, verendeten, erschlagenen, gequälten, vergewaltigten, verhungerten, versklavten, mißbrauchten und verreckten Ebenbilder Gottes, die der edle Rußlandfeldzug als Hobelspäne unvermeidlich mit sich brachte, gegen unsere deutschinnigen Kriegsweihnachten aufzurechnen.

Ich habe, derweil Sie redeten, mal diese Predigt gegoogelt …

Sie googeln, während ich mit Ihnen rede??

Umgekehrt: Sie reden, während ich google: die Predigt da, die sie da dauernd zitieren …

Psst!

Nichts da, Psst! Diese Predigt stammt von einem gewissen Ludwig Kirsch. Wer ist das, und warum führen Sie ihn hier vor?

Ich habe nicht vor, ihn vorzuführen. Ich will nicht einmal Gauck vorführen. Ich kenne Herrn Kirsch nicht weiter und habe nur gelesen, was im Netz herumliegt. Demnach ist er ein unverächtlicher Mann gewesen. Mir genügt, daß er drei Monate im KZ Sachsenburg einsaß; vor Allen, die dort inhaftiert waren, nehme ich den Helm vor die Brust, und beuge den Nacken. Warum aber dann der Sound seiner Predigt so in den Ohren gellt, was er gewiß tut, darüber muß und will ich nicht aus der Hüfte klugscheißen.

Fatal sind mir die Übereinstimmungen zwischen Kirsch 1939 und Gauck 2012. Es ist mir klar, daß ein deutscher Bundespräsident, Repräsentant eines Landes, daß seiner „gewachsenen Verantwortung in der Welt“ durch kollateralrenditesteigernde Waffenexporte „gerecht werden“ will und das auch tut, nicht gut hergehen und den schwächlichen Pazifisten raushängen lassen kann. Das wird nicht gehen. Den brutalen Zyniker raushängen lassen, wird auch nicht gehen. Nicht einmal Merkel läßt ihren brutalen Zynismus sichtbar wo heraushängen. Bzw., die Leute merken es nicht, und ihr ist es egal. Der Gestaltungsspielraum eines Präsidenten, der seinen Shareholdern nach dem Munde reden und gleichzeitig den Eindruck, er täte eben dies, vermeiden muß, der wird so arg breit nicht sein. Aber ist das vielleicht meine Schuld?

Kann ich nicht sagen. Ist das denn überhaupt meine Sache, das zu entscheiden?

Nein, es ist nicht Ihre Sache, das zu entscheiden! Aber es ist meine Sache, mir den Vogel vorzunehmen, und ihm das Gefieder auszuklopfen. Ich habe nämlich kein Problem damit, beides raushängen zu lassen, links den schwächlichen Pazifisten und rechts den brutalen Zyniker. Denn ich bin truppenfremd.

Sie sind bitte was?

Truppenfremd. – Soll ich ihnen eine Weihnachtsgeschichte erzählen?

Nein.

Wie Sie wollen. Hier ist sie: Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot ausging vom Reichswehrministerium, daß ein jeder Mann sich mustern ließe. Und diese Musterung war die erste und geschah zu der Zeit, als Keitel und Jodl dem OKW vorstanden. – Na und so weiter. – Jedenfalls geriet auf diese Weise ein Quastelvorfahre in die weiten Steppen zwischen Dnjestr und Don, um sein Lebensrecht zu verteidigen, und auch den anderen Völkern ihren Anteil an den Reichtümern der Erde zu gönnen. [Hier verzeichnet das Protokoll Höllengelächter] Nebenbei sollte er ein bißchen Lebensraum für die arische Herrenrasse erobern und ein bißchen jüdischen Bolschewismus vernichten. Beziehungsweise, er sollte die diesbezüglichen Befehle per Funk entgegennehmen und die diesbezüglichen Vollzugsmeldungen heim ins Reich funken. Er war nämlich Funker. Und er funkte und funkte, zunächst schlechte Nachrichten (deutsche Erfolge), dann bessere (russische Gegenoffensive), und schließlich nahm er die Beine in die Hand und gab Fersengeld und suchte den Lebensraum im Westen wieder auf, in der Hoffnung, daß der noch da wäre, denn die richtig gute Nachricht kam nicht per Funk, sondern persönlich nach Deutschland und erst an der Elbe zum Stehen. Aber da war der Quastelvorfahr längst in Südfrankreich, um live von der Operation Dragoon und der Vertreibung der deutschen Truppen von der Côte d’Azur nachhause zu funken.

Noch aber ist er im schönen Donezbecken, und wie die Zeit kommt, daß Maria, das dem Josef vertraute Weib, gebären soll, da setzt die Standortkommandantur eine Standortweihnachtsfeier an und befiehlt Teilnahme für alle, mit Ausnahme des diensthabenden Funkers, welcher gebraucht wird, für den Fall, daß nachts gute neue Mär herbeigeäthert käme.

Ein Freiwilliger wird gesucht und gefunden, und der Standortkommandant, anstatt froh zu sein, daß er einen hat und keinen bestimmen muß, fragt den Quastelvorfahr, was ihn denn eigentlich dazu bewege, sich am heiligen Heiligen Abend von den in brüderlicher Liebe enger zusammenrückenden Kameraden fernzuhalten und stattdessen in muffigem Kabuff auf ein ödes Funkgerät aufzupassen? Und der Vorfahr gibt ihm eine Antwort, die den Kommandanten zu der kopfschüttelnden Erkenntnis „Quastel, Sie sind truppenfremd!“ führt.

Es ist dies der einzige Orden, den der Vorfahr in seiner militärischen Karriere bekam. Er blieb zeitlebens Gefreiter. Er war kein Held, er war gewiß kein Widerständler, und es gibt keinen Grund, im Gedenken an ihn den Helm vor die Brust zu nehmen. Der Orden aber liegt bei mir in einem Schuhkarton, ich hole ihn hin und wieder heraus und spiele damit. Zum Beispiel, wenn mich ein Bundeskuckuck zu mehr „Wertschätzung“ auffordert, Wertschätzung für die Truppe, die mein Vorfahr, der sie aus der Nähe kannte, und der seine Gründe gehabt haben wird, mied, so gut es gehen wollte. Zum andern Beispiel, wenn ich übermorgen im Fernsehen das hier hören muß:

So rücken wir im deutschen Volke zur Kriegsweihnacht in brüderlicher Liebe enger zusammen. Wieder ist in der Stille und in der Öffentlichkeit viel Gutes getan worden an notleidenden Volksgenossen, unendlich viel Liebe ist in Millionen Feldpostpäckchen an die Front hinausgewandert und hat unseren wackeren Kriegern von der engen Verbundenheit der Heimat erzählt. Weihnachten war ja gerade in unserem deutschen Vaterlande immer so recht ein Fest der Familie, bewußt oder unbewußt stand und steht dabei stets im Hintergrunde die hl. Familie von Bethlehem und Nazareth. Wir können uns als Christen Weihnachten nicht denken ohne die Krippe. Höhepunkt unserer Weihnachtsfeier ist das betende Miterleben des Gottesdienstes in tannengrüngezierter Kirche, opfernd mit dem verbunden, der auf diese Erde kam, um sich für uns zu opfern. Ihm wollen wir in unseren Gebeten alle großen Herzensanliegen unseres Volkes und seiner Familien vortragen, besonders das große Anliegen um den Sieg unserer gerechten Sache und einen ehrenhaften, dauernden Frieden unter den Völkern!

Dann will ich ihn mir an die Brust heften, und heiter und gelassen widersprechen: nein, mein Gutzgauck. Was Sie da kritisieren, was Ihnen Sorge bereitet, unser freundliches Desinteresse am Afghanistan-Einsatz, ist breits mehr, als die Zivilgesellschaft der Truppe schuldet. Die Freundlichkeit wollen Sie bitte als freiwillge Leistung unsererseits verbuchen. Sie wird gewährt, aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.

Heh, Sie, pennen Sie?

Was? – Entschuldigung – ich hab nicht zugehört.

So ganz in Gedanken?

Ja, ich überlegte … Sind Sie fertig mit Ihrer Predigt?

Ja. – Wollen Sie eine Zugabe?

Nein danke! Danke. – Jetzt ist es mir wieder eingefallen: ein Geschichte von Saki, in der Reginald ein „Friedens-Gedicht“ komponiert. Kennen Sie es? Bzw. sie?

[räusper] Ich bin mir nicht sicher.

Es ist geschrieben in Form eines Dialoges, eines Dialoges zwischen Reginald und einem nicht näher bezeichneten ‚Anderen‘.

Äh – ich höre?

Ja, und Reginald zitiert immer aus seinem Gedicht, und der ‚Andere‘ macht Einwürfe – Sie kennen die Geschichte wirklich nicht?

Ähemm! – Hrrmh. – Öchö. – Wieso fragen Sie?

Und am Ende – am Ende der Geschichte, nicht des Gedichtes, das geht noch endlos weiter – da fragt Reginald den ‚Anderen‘, ob er, der Andere, noch weiter zuhören möchte.

Ja – und? – Was sagt der Andere?

Er sagt: „Wenn Sie mich so fragen – mir wäre es, glaube ich, lieber, man würde mit dem Krieg fortfahren.“

Ächremm – Rhmmh. – Ich glaube ich werte das, und ganz bewußt, als Erfolg.

Frohes Fest!

2 Kommentare zu “Ehrliches Desinteresse

  1. Vogel »gauck«? Das ist doch der kuckuck oder nicht?

    Da weiß man doch, was man hat!


  2. Quastel sagte am 25. Dezember 2012 um 00:47:

    Gewiß, das ist er. Wie ich schon im Februar an dieser Stelle darzutun die Ehre hatte. Ich erlaube mir, in aller Bescheidenheit einen kleinen, eitlen Link dorthin zu setzen.

    Zum anderen aber dachte ich beim Schreiben, zumindest mit halbem Hirn, an den „Vogel Roch“ (Roc, Rokh, Ruch oder Rock), den Riesenvogel aus 1001 Nacht, der Sindbad dem Seefahrer zu schaffen macht, indem er Felsbrocken auf sein Schiff schmeißt.

    Aber die Ähnlichkeit erschöpft sich im rhythmischen Gleichklang. Inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen Roch und Gauck wüßte ich keine zu nennen, außer, daß man vielleicht sagen könnte, daß Gauck aus großer Höhe Predigten auf sein friedlich vor sich hindümpelndes Volk schmeißt. Daß man vorsichtig sein muß, wenn einer der beiden was fallen läßt.

    Aber das muß man ja bei jedem Vogel.


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