Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe ehemalige SPD-Wähler,
2013 wird ein Jahr vieler 50. Jahrestage. Nicht zu reden von den 60. Jahrestagen. Oder den 13. Jahrestagen. Den 2000. Oder den 33. Bleiben wir für heute mal bei den 50.
Vor 50 Jahren wurde der Silvester-Klassiker „Dinner for One“ in Hamburg aufgezeichnet. Es fand der 1. Spieltag der Fußball-Bundesliga statt. Die Beatles spielten vor der Königin, und Bob Dylan schrieb A Hard Rain’s A Gonna Fall. Alle die, die in diesem Jahr 50 werden, wurden damals geboren. Das kann man ausrechnen. Das sind eine Menge Leute. Man nennt sie auch die Babyboomer. Wenn die mal alle in Rente gehen, dann kann man froh sein, wenn man selbst seinen fetten Pensionsanspruch auf die Seite gebracht hat.
Vor 50 Jahren war es auch, als der amerikanische Präsident John F. Kennedy im durch die Mauer geteilten Berlin seine legendären Worte sagte: „Ich bin arm, aber sexy. Nein, ich bin icht arm. Ich bin weder arm, noch sexy. Doch, ich bin sexy. Aber ich bin kein Berliner. Doch, ich bin ein Berliner.“
Im selben Jahr unterschrieben Frankreich und Deutschland, Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, den Elysée-Vertrag. Sie bekräftigten damit den Wunsch beider Völker, sich von Nicolas Sarkozy und mir regieren zu lassen.
Vor fünfzig Jahren wurden die, die in diesem Jahr 60 werden, 10. Ich selbst wurde 9. Kinder, wie die Zeit vergeht! John Lennon ist nun auch schon länger tot, als ich alt war, als er starb, und vor fünfzig Jahren waren es nur noch 45 Jahre bis zur Finanzkrise von 2008.
Am Anfang sind es oft nur wenige, die vorausgehen, einen Stein ins Rollen bringen, dann zwei Steine, drei, vier, fünfe, sechs Steine, sieben Steine, acht Steine – bis schließlich eine ganze Steinarmada hinter ihnen herkegelt und Veränderung wo nicht alternativlos, so doch äußerst wünschenswert macht. „Wer Mut zeigt, macht Mut.“ – Dieser Satz des Sozialreformers Adolph Kolping macht Mut, Mut zu zeigen.
Auch heute gibt es in unserem Land viele Mutige und Hilfsbereite. Ein junger Teilnehmer meines Bürgerdialogs in Heidelberg erzählte mir, dass ein Spieler aus seinem Fußballteam die Schule abbrechen wollte. Daraufhin ging er zu seinem Trainer und bat ihn, das ganze Team zusammenzurufen, damit jeder erzählen konnte, warum es gut ist, in die Schule zu gehen. „Gut“ ist ein Wort von vor fünfzig Jahren. Es bezeichnet Sachen, die uncool sind, die man aber trotzdem machen sollte. Das taten sie beim nächsten Training, und das hat gewirkt. Der Mitspieler brach die Schule nicht ab. Die Schule konnte gerettet werden. Sie steht heute noch. Da fragte ich ihn, ob er nicht mein Redenschreiber werden wollte. Da ließ er die Schule Schule sein und wurde mein Redenschreiber.
Das ist nur eine von vielen Geschichten, die überhaupt nicht spektakulär sind, aber dennoch bezeichnend sind für unseren Zusammenhalt. Das „dennoch“ stammt von meinem neuen Redenschreiber. Ist er nicht großartig?
Es sind meine Redenschreiber, es sind Freunde und Nachbarn, es sind Initiativergreifer und Missstandnenner, die Initiative ergreifen oder einen Missstand einen Missstand nennen. Es sind die Familien, die sich Tag für Tag liebevoll um ihre Kinder und um ihre Angehörigen kümmern. Oder um ihre eigenen Angelegenheiten. Beides kommt bei unseren südeuropäischen Nachbarn manchmal etwas kurz. „Kurz“ ist ein Wort, das etwas bezeichnet, das besser lang wäre. Es sind Gewerkschafter und Unternehmer, die gemeinsam für die Sicherheit der Arbeitsplätze arbeiten. Es sind die nichtorganisierten Arbeitnehmer und die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber, die andererseits für die Marktkonformität dieser Arbeitsplätze sorgen.
Sie und viele mehr machen unsere Gesellschaft so marktkonform wie erfolgreich. So wurde es möglich, dass wir in diesem Jahr die niedrigste Arbeitslosigkeit, aber – aber was heißt aber? – und gleichzeitig die höchste geringfügige Beschäftigung seit der Wiedervereinigung hatten.
Das bedeutet für viele hunderttausend Familien, eine jedenfalls geringfügige Zukunft zu haben. Zukunft ist ein Wort von vor fünfzig Jahren. Es bedeutet etwas, was damals jedermann hatte. Heute reicht die Zukunft nicht mehr für alle, insbesondere bei unseren südeuropäischen Nachbarn findet die Zukunft manchmal zuwenig Aufmerksamkeit und Anerkennung. Das ist unsere Chance. Andererseits sollte man der Anerkennung auch nicht zuviel Aufmerksamkeit schenken. Ein Arbeitsplatz ist auch ganz schön.
Denn der bedeutet für unsere jungen Menschen die Sicherheit, einen marktkonformen Start ins Leben zu haben. Das sollten sie auch mal anerkennen.
Dennoch weiß ich und erkenne an, dass viele natürlich auch mit Sorgen in das neue Jahr gehen. Und tatsächlich wird das wirtschaftliche Umfeld nächstes Jahr nicht einfacher, sondern schwieriger. Ich könnte auch sagen: marktkonformer. Das sollte uns jedoch nicht mutlos werden lassen, sondern – im Gegenteil – Ansporn sein.
Dazu möchte ich Ihnen von drei kleinen medizinischen Wundern erzählen: Ich habe vor kurzem einen zehnjährigen Jungen kennengelernt, der fast taub zur Welt kam. Dann erhielt er ein hochmodernes Implantat. Gottseidank ist sein Vater Oberregierungsrat und braucht sich bloß zu dreißig Prozent privat zu versichern. Den Rest übernimmt die Beihilfestelle. Darum kann er heute Musik hören und ohne Probleme die Schule besuchen.
Ich bin auch einer jungen Frau begegnet, die seit drei Jahren mit einer mitwachsenden Herzklappenprothese lebt. Damit kann sie Sport machen und sich regelmäßig bei der Arbeitsagentur melden. Sie könnte sogar arbeiten, wenn es nicht so schwer wäre, ein Büro rollstuhlgerecht umzubauen. Da ist es marktkonformer für die Arbeitgeber, die Schwerbehindertenabgabe zu zahlen.
Ich sah auch einen Dialysepatienten, der gar kein Dialysepatient war. Aber wie durch ein Wunder rutschte er auf der Liste der Spenderleberanwärter ganz nach oben. Und es wird ein heftiger Regen fallen.
Das sind kleine medizinische Wunder. Sie sind der Erfolg unserer Forscher. Für den Jungen und die Frau und für den Dialysepatienten bedeutet Forschung Hören, Herzschlag und Hoffnung. Es bedeutet Alltag und es bedeutet vielleicht sogar Lebensqualität. Es bedeutet auf jeden Fall Marktkonformität.
Für unser Land bedeutet Forschung Arbeitsplätze und Arbeit Forschungsgegenstand. Wenn wir etwas können, was andere nicht können, dann können wir etwas, was die anderen nicht können, und wenn wir etwas erforschen, was die anderen nicht einmal haben, dann haben wir mehr, als die anderen sich träumen lassen. Dann erhalten und schaffen wir Marktkonformität.
Deshalb investieren wir so viel wie nie zuvor in Bildung und Forschung. Deshalb bauen wir Deutschland zu einem der subventioniertesten Energiestandorte der Welt um. Deshalb kräftigen wir Deutschland als eine der waffenexportierendsten Waffenexportnationen. Deshalb bereiten wir unser Land auf den demografischsten aller demografischen Wandel vor, und deshalb bringen wir die Staatsfinanzen in marktkonformste Ordnung. Diese Ziele, sowie die 10 Gebote und die Trennung von Staat und Kirche leiten uns auch 2013.
Wir brauchen für unseren Wohlstand und unseren Zusammenhalt die richtige Balance. Zur Balance gehört vor allem auch ein ausbalancierter Armutsbericht, in dem nicht nur von den Risiken auf der einen Seite der Armutsgrenze die Rede ist, sondern auch von den Chancen auf der anderen Seite der Armutsgrenze.
Wie wichtig diese Balance ist, das zeigt uns auch die europäische Staatsschuldenkrise. Die Reformen, die ich beschlossen habe, beginnen zu wirken. Dennoch brauchen wir weiterhin viel Geduld. Das geht alles seinen sozialistischen Gang. Die Krise aber, sie ist noch längst nicht überwunden.
Und auch international muss noch mehr getan werden, um die Finanzmärkte besser zu überwachen. Die Welt hat die Lektion der Finanzkrise von 2008 noch nicht ausreichend gelernt. Doch nie wieder darf sich eine solche Verantwortungslosigkeit wie damals durchsetzen! Darum muss die Deutsche Bank zu einer noch führenderen Führungsrolle in der nächsten Finanzkrise kömmen. Nie wieder zweite Liga! Nie wieder Lehmann-Brothers! Nie wieder Non-Konformität! In der marktkonformen Demokratie ist der marktkonforme Staat der Hüter der marktkonformen Ordnung, darauf müssen die Menschen vertrauen können.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
denken wir gerade in dieser Stunde auch an die, die früher SPD gewählt haben, denen aber davor graut, es auch in diesem Jahr zu tun, wenn sie sich so ansehen, wen ihr Parteitag da zum Spitzenkandidaten erkoren hat. Es sind diese Wählerinnen und Wähler, die unter großen persönlichen Opfern diesen wertvollen Dienst für uns tun, indem sie am Wahltag zuhause bleiben. Ich weiß von meinen Gesprächen mit ihnen, wie schwer es ihnen fällt, anzunehmen, dass ihre Partei, die sie nur als ‚das kleinere Übel‘ gekannt haben, eben dies nun nicht mehr ist, und wie viel es ihnen bedeutet, wenn wir hier, fern ihrer politischen Heimat, an sie denken. Ihnen möchte ich heute Abend besonders danken.
Zuversicht für das kommende Jahr kann sich auch aus einem Satz des griechischen Philosophen Demokrit speisen, den wir ja alle, in Schweinsleder gebunden, zuhause zu stehen haben, den aber, außer meinem Redenschreiber, keiner liest. Aber der schreibt ja auch – mein Redenschreiber, nicht Demokrit -, dass Zuversicht sich speisen könne. Er hat gesagt – Demokrit, nicht mein Redenschreiber: „Mut steht am Anfang des Handelns, Marktkonformität am Ende.“
Lassen Sie uns in diesem Sinne auch 2013 gemeinsam diejenigen tragen, die es schwer haben, die einsam oder krank sind oder die Trost brauchen. Oder Geld. Oder beides. Oder Hilfe. Oder alles zusammen. Ein besseres Gesundheitssystem. Eine Pflege, die den Namen verdient. Lassen Sie uns beten, daß sie sie bekommen.
Lassen Sie uns gemeinsam auch das neue Jahr zu einem Jahr machen, in dem wir einmal mehr unsere größten Stärke unter Beweis stellen: unsere Marktkonformität. Unsere Fähigkeit zu immer neuen Ideen, wie wir das, was uns von denen vorgegeben wird, die ihre wirtschaftliche Macht schon immer aus unserer Bereitschaft gezogen haben, sie ihnen zu überlassen, als unsere eigenen Ideen darstellen können. Dann bleibt Deutschland auch in Zukunft marktkonform und erfolgreich.
Und so wünsche ich Ihnen und Ihren Familien ein gesundes, erfülltes und frohes neues Jahr 2013 und Gottes marktkonformen Segen.