Ein Schüler kam zu Konfuzius und fragte
»Meister, was muss ich tun, um erleuchtet zu werden?
Früh aufgestanden bin ich, Brennholz hab ich geholt, Feuer hab ich gemacht,
Wasser geholt und Tee gekocht.
Was muß ich noch tun?«
»Hol mir zuerst einen Schößling vom Haselstrauch.« – »Den Zweig hab ich geholt, Meister.«
»Zieh ihm das Fell über die Ohren.« – »Meister?«
»Na, schäl ihn halt!« – »Die Rute ist jetzt geschält, Meister.
Was muß ich noch tun?«
»Lies diesen Post.«
Während alle Welt sich in diesem Jahr am Niedergang der FDP freut, findet in der Niedergeschlagenheit der niedersächsischen Provinz alljährlich am gleichen Tag, nämlich demselben, ein wenig beachtetes Ereignis statt, über das nicht berichtet wird, und das sich Epiphanias-Treffen nennt. Epiphanias, kennt man ja, heißt Erscheinung des Herrn, und es erscheint jeweils der Herr Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, eine schwankende Größe, denn wen man schon alles als Ministerpräsidenten in Niedersachsen hat kommen und gehen sehen, daß glaubt man gar nicht. In dieser Saison heißt die schwankende Größe McAllister, und es ist kein Wunder, daß alle so niedergeschlagen sind.
Einladen tut den Ministerpräsidenten, Stichwort Trennung von Kirche und Staat – und wie könnte man die Trennung deutlicher machen als dadurch, daß man sich einmal im Jahr trifft? Träfe man sich nicht, oder nicht öffentlich, würden doch sofort Gerüchte die Runde machen, man säße einander klandestin auf den respektiven Schößen herum – einladen also tut den Ministerpräsidenten der Landesbischof der Hardcore-Lutheraner, die in Niedersachsen das Sagen haben. Die krönen dort die Ministerpräsidenten, damit sie im Gegenzug von diesen gesalbt werden können. Auch so ein Bischof ist eine schwankende Größe, nicht weil Alkohol im Spiel wäre – wir sind hier ja nicht in Bayern, wo man sich erst die Kante gibt, und dann mit dem Rohrstock zum Gotteslob ins Kinderheim geht -, sondern weil auch die Institution des Landesbischofs einen gewissen Hang zur Instabilität zeigt: Sterbliche allemal, scheiden die Amtsträger hin und wieder aus demselben, wobei sie eine sogenannte Sedisvakanz hinterlassen, die dann von nachquellenden Episcopussen wieder geschlossen wird.
Beides wird vom Bürger nicht bemerkt, weswegen ich auch nicht gemerkt hatte, daß der heurige Bischof anders heißt, als er früher geheißen hat. Respektive sie, denn wir hatten hier mal eine sie, die dann aber, weil man sie mit ihrem Phaeton aus einem übel beleumundeten Stadtviertel hatte kommen sehen, was sie auch eingestand, den Krummstab abgegeben hat. Das hatte ich auch noch mitgekriegt, den Rest nicht, warum auch; Bestandteil des Konkordats zwischen Niedersachsen und der Kirche ist schließlich die Verabredung, daß ich nicht in dieselbe gehe, und sie mir nicht auf den Keks. Das letzte Mal, daß ich die Bestimmungen dieses Konkordats verletzt habe, war bei der Einschulung der Zwillinge; denn das Konkordat beinhaltet auch, daß die Einschulungsfeiern in Niedersachsen von der Kirche ausgerichtet werden. Warum auch immer. Vielleicht, damit die Kinder nicht übermütig werden und denken, Schule sei Spaß. Daß ich dort war, wird man mir nicht gut vorwerfen können. Kinder erwarten, daß Papa bei so einem Anlaß dabei ist, und Zwillinge verlangen es doppelt.
Zurück zum Bischof. Meister heißt der gute Mann.
Wieso der aber seinerseits dem Konkordat den Dolch des Verrates zwischen die Rippen steckt, ist mir nicht klar. Tut er aber. Oder tat er. Nein, tut er. Denn auf besagtem Empfang, auf dem McAllister, der eigentlich ein ganz vernünftiger Mann zu sein scheint, denn bislang hat er nicht viel kaputtgemacht, was vielleicht daran liegt, daß er überhaupt nicht viel macht, wie es scheint, außer jeden Tag in die Staatskanzlei gehen und hie und da zum Empfang – mir sind diese Schrauber ja suspekt, die jeden Tag von früh bis spät unter ihrem Opel Commodore liegen, und wenn sie endlich das Automatikgetriebe restlos zerlegt haben, die Einzelteile in einer Blechschüssel voll Öl in die WG-Küche tragen, wo es wochenlang auf der Spüle stehen bleibt, weil sie in der Zwischenzeit drauf gekommen sind, daß der Flügel abgebeizt werden muß, und nie haben sie Zeit für ein bißchen was kontemplatives Dasein, oder daß sie vielleicht mal zur Uni gingen und was lernten! – Und irgendwann sieht es in Niedersachsen dann genauso aus wie im Wohnklo besagter Wohnklogemeinschaft – Wulff war so eine Type, der aus lauter blindem Aktionismus erstmal alles kaputtmachte, und was ist aus ihm geworden? – Schaun Sie’s an!
Dagegen ist McAllister eigentlich ein ganz ruhiger Vertreter, der auf dem Empfang nicht groß rumpolitisierte, sondern sich dafür aussprach, demnächst, 2017, einen zusätzlichen Feiertag ins Jahr zu quetschen, damit wir alle tüchtig Halloween feiern können. Nichts dagegen. Einen zusätzlichen Feiertag kann man immer gebrauchen, und Ende Oktober mit nur vier Tagen Urlaub eine Woche im Darßwald rausschinden, das klingt nicht schlecht. Hauptsache, er schraubt nicht am Konkordat rum. Denn es ist ja nicht nur die Schüssel mit dem zerlegten Automatikgetriebe, die das Ablaufbrett blockiert, während der ganzen Zeit steht doch der Commodore aufgebockt im Hof und im Weg. Außerdem wird der nie wieder fertig, das kann ich garantieren. Eines Tages wird man ihn abgeschleppen, was wollen wir wetten? Der Flügel bleibt auch als Ruine stehen, halb abgebeizt, das kennt man doch, das haben wir ja alles schon gehabt. Außerdem ist gar nicht sicher, daß McAllister 2017 überhaupt noch Ministerpräsident ist, denn jetzt ist erstmal die Hauptsache, daß die FDP nicht wieder in den Landtag kommt, auch wenn das McAllisters Rübe kostet; soll mir ja leid tun für ihn, aber das ist zweitrangig.
Außerdem gibt es da noch den Innenminister Schünemann, Abschiebe-Schünemann, wie er genannt wird, ein Mann, der seine eigene Schwiegermutter abschieben würde, wenn er sie ohne Aufenthaltsgenehmigung im Wohnzimmer erwischte. Dessen Aufenthaltsgenehmigung für das Innenministerium ist restlos abgelaufen, aber sowas von! Ich fordere daher alle Niedersachsen auf, am Wahlsonntag massenhaft in die Wahllokale zu strömen, und CDU zu wählen, damit die FDP unter 5% bleibt. Das ist die sicherste Möglichkeit, Schünemann abzuschieben.
Was aber macht unser Meister Hirte? Läßt er sich McAllister ein Vorbild sein, verzichtet aufs Politisieren und regt an, Fronleichnam auch in Niedersachsen zum Feiertag zu machen? Das wäre mal eine Maßnahme, denn dann könnten die blöden Westfalen an Fronleichnam endlich zuhause bleiben, anstatt in Niedersachsen einzufallen, wie die Schotten es mit Northumberland zu machen pflegten, und uns, naja, nicht gerade die Töchter wegzuschleppen, aber doch so ungefähr. Die untere Etage vom Kaufhof leerzuräumen. Und wir hätten nicht zum Schaden auch noch den Spott, weil wir währenddessen arbeiten müssen.
Tut er aber nicht. Oder tat er nicht. Er dachte sich vielmehr, die Gelegenheit ist günstig, und politisierte los. Zunächst, indem er so tat, als sei gar nichts, als sei er vielmehr bloß ein Hirte, der seine Schafe ermahnt, sorgsam miteinander umzugehen. Sorgsam. Was soll man dagegen sagen, als Schöpse? Mäh?
Aber wenn man genau zugehört hatte, hatte er gar nicht gesagt, wir sollten miteinander sorgsam umgehen, sondern er hatte gesagt, wir sollten mit der Sprache sorgsam umgehen.
Mäh?
Ich will mal so sagen: Ich kenn das. Ich weiß, daß ich an allem schuld bin. Die Verantwortung trage. Sorgsam mit meinen Anlagen, meinen Mitmenschen, meiner Zeit, mit mir selbst, mit der Schöpfung usw. umgehen soll. Kenn ich. Mach ich auch. Hab ich oft genug gehört. Hab ich verinnerlicht. Halt ich mich dran. Ich habe zum Beispiel Abstand davon genommen, in Japan Atomkraftwerke zu betreiben. Mach ich nicht. Andere mögen das tun, ich mach das nicht. Ich holze auch keine Regenwälder ab. Mein Antrag auf Genehmigung eines Offshore-Windparks draußen im Baggerteich ist gestellt und soll, wie man mir signalisiert, demnächst positiv beschieden werden. Und wenn Brot für die Welt mir steckt, daß das Wasser in Tansania mal wieder so knapp ist, daß nicht einmal mehr die Touristengolfplätze gewässert werden können, dann sparen wir Wasser, was wir können. Dann geht bei uns samstagabends meine Frau nach mir ins Badewasser, und dann kommt der Junge und danach die Zwillinge. Ganz zum Schluß kommt Oma, denn die hat es nicht mehr gerne so heiß in der Wanne. Anschließend kriegt das Wasser der Birnbaum. So einer bin ich. Nicht wie der Kollege Germanistenfuzzi, der den ganzen Tag über das Wasser in der Dusche laufen läßt, weil er sagt, er ist bekennender Warmduscher und will, wenn er nach Hause kommt, sofort heißes Wasser haben, und nicht erst warten müssen, bis sich das Wasser vom Speicher bis in den Duschkopf bequemt und unterwegs noch jede Menge Legionellen eingesammelt hat. Und auf dem Garagenvorplatz dieselt den ganzen Tag sein Felicia vor sich hin, den er sich nicht auszumachen traut. Er denkt, er kriegt ihn vielleicht nicht wieder an. In Rußland, sagt er, beim Winterfeldzug vor 60 Jahren, hätten sie die LKW auch nachts über laufen lassen. Und nicht erst damals. Schon Napoleon wäre niemals nach Moskau gekommen, hätten sie die Pferde abends abgehalftert und morgens nicht wieder gesattelt gekriegt. Das hätte ein heiterer Krieg werden können. Und einen neuen Wagen, das sagt er auch, den könne sich bei den Wasserpreisen heutzutage kein Mensch mehr leisten.
So einer ist er, der Kollege. Da bin ich, Gott sei Dank, anders. Wenn meine Frau vom Einkaufen nachhause kommt und mir erzählt, daß King Kong die Stadt angegriffen und mit den Pfoten nach den ihn umschwirrenden Hubschraubern geschlagen, wohl auch einige gefangen, ihnen die Rotorblätter ausgerissen, sie wie Garnelen aufgeknackt, die Piloten rausgeholt, und hinter den Rotorblättern hergeschmissen hat, um endlich auch die Hubschrauber hinterdreinzuschmeißen, wodurch es auf dem Parkplatz am Stadtwall zu etlichen Explosionen gekommen ist, bei deren einer von einem der explodierenden Wagen der Außenspiegel abgerissen und gegen unsere Beifahrertür geflogen sei, die davon nun eine Beule davonträgt, seltsamerweise an der gleichen Stelle, an der schon einmal eine Beule gewesen ist, damals, als meine Frau auf dem engen Parkplatz beim Bäcker den Fahrradständer übersehen hat, der ihr heimtückischerweise in die Seite sprang, dann sage ich sofort: „Ich bin schuld!“ und meine Frau sagt „Jaa-a. Dieser blöde Affe!“ und ich überlege, was ich falsch gemacht habe, daß der Affe sich so blöd gegen meine Frau benommen hat. Weil ich ja weiß, daß ich daran schuld bin. Und meine Frau weiß das auch. Wir nennen das die Erbsünde, meine Frau und ich. Weil, egal, was ich mache, es ist immer verkehrt. Und das Gegenteil ist auch verkehrt. Sowas nennt man Erbsünde. Wenn Sie machen können, was Sie wollen, und alles ist verkehrt, auch das Gegenteil, dann ist das Erbsünde. Wenn Sie sich dafür interessieren sollten, können Sie die Erbsünde im Lexikon nachschlagen. Sie finden sie dort kurz vor der Erbswurst.
Und weil ich das weiß, braucht es mir auch keiner zu sagen, denn ich weiß es ja. Andererseits nehme ich natürlich hin, es trotzdem gesagt zu kriegen. Auch das ist ja schließlich nichts Neues für mich. Wenn mir also einer sagen will, was ich zu tun und was ich zu lassen habe, nur zu! Ich kenn es ja nicht anders. Ist bloß völlig überflüssig. Ich würfe auch so keine Kinder in den Brunnen. Oder ginge mit dem Rohrstock ins Kinderheim, um Gott zu loben. Nicht einmal, wenn der Hirte Meister mich mahnte, es nicht zu tun, würde ich es tun. Der hat mich zwar laut Konkordat nicht zu mahnen, aber ich würde es trotzdem nicht tun. Ich hätte bloß nachher ein schlechtes Gewissen, weil, Gott nicht zu loben ist bestimmt auch wieder nicht recht.
Aber!
Wie kommt denn der Hirte wohl dazu, mich zu mahnen, sorgsam mit der Sprache umzugehen? Gewiß, er ist der Alpha-Hammel, und ich bin nur ein Schafskopf unter vielen. Zwar ist auch diese Mahnung eine Verletzung des Konkordats, aber er bleibt natürlich trotzdem ein Hammel. Aber dennoch! Gleichwohl. Trotzdem! Wer ist denn der Sprachverhunzer hier? Ich meine, ich gehe doch auch nicht hin, und lasse mich vom Säufer vermahnen, die Finger vom Schnaps zu lassen! Oder vom Hurenbock, übel beleumundete Häuser, Straßen und Viertel zu meiden. Oder von Germanistenfuzzi, überflüssige Fahrten mit dem Auto bleiben zu lassen. Ich meide die Viertel doch sowieso. Jedenfalls fahre ich nicht mit dem Auto hin. Jedenfalls nicht, wenn ich Schnaps getrunken habe. Jedenfalls nicht mit dem Phaeton.
Die drei haben es nämlich gerade nötig!
Die vier; wollen wir den Meisterhirten doch gleich mal mitzählen. Hat der mal das Ohr an den Hals von seinesgleichen gehalten und gelauscht? Da ist ein stetes Rauschen, bei manchen. Da geht es zu wie in Germanistenfuzzis Dusche. Das redet und redet und redet, und ob einer zuhört, und ob das Gerede gebraucht wird, und ob die Leute naß werden, daß interessiert sie nicht. Es gibt praktisch nichts, was sie nicht kommentieren könnten. Was heißt könnten? Sie können. Sie tun es ja.
Bei der erwähnten Einschulung hatten sie so einen Cro-Magnon-Prediger ausgegraben, Quaselmann mit Namen, in irgendeiner Nachbargemeinde. Ein sehr gesichtsbehaarter Herr, sah aus wie das Missing Link persönlich. Beffchen, unser Standortprediger, hatte Fronturlaub, oder er war unpäßlich, jedenfalls war er nicht da, und dieser Hirtenhammel vertrat ihn und fing auch gleich an, mit Sprache umzugehen. Ob er es sorgsam tat, will ich nicht beurteilen, weil ich nicht weiß, was sorgsam heißt. Wenn es sorgsam war, dann ging King Kong auch sorgsam mit den Hubschraubern um. Er sagte nämlich den nichts Böses ahnenden i-Dötzen da unter ihm, die er erfolgreich in dieses finstere Gemäuer gelockt hatte, und die nun staunend zur Kanzel aufblickten, wo der schwarze Patron hingeklettert war, um ihnen von dort oben mit dem Rohrstock des Lebens zu drohen, auf daß ihnen die kleinen Herzen in die kleinen Hosen rutschen mußten. Sie, die Dötze, so sprach er, knackte die kleinen Seelen auf und schmiß, was er an Freude auf die Schule in ihnen fand, auf den Sandsteinboden, wo sie sich substantiierte zu der Hoffnung, es möge gar so schlimm nicht werden, sie sollten immer des eingedenk sein: auch wenn etliche von ihnen demnächst in der Schule scheitern sollten – denn etliche von ihnen würden demnächst in der Schule scheitern, da sollten sie sich mal nichts vormachen, und die würden dann im späteren Leben auch nicht die allerbesten Karten, sondern ihren Ruf als Versager weg haben, und würden wahrscheinlich finanziell nicht auf Rosen gebettet sein, sondern auf Transferzahlungen angewiesen – an dieser Stelle spätestens hatte ich eine herzhafte und bis heute andauernde Abneigung gegen diesen Christenmenschen und seine Redefreiheit erworben – aber, so fuhr er fort – und für dieses ‚aber‘ verurteilte ich ihn innerlich zu sechs Streichen Gotteslob mit dem spanischen Rohr – aber, so fuhr er fort, sie könnten sich damit trösten: daß Gott sie trotzdem liebe.
Für das ‚trotzdem‘ gab es 6 weitere Streiche, auf den blanken Pastorenpöter zu zählen, und ich entwand mich empört dem Klammergriff meiner Frau, um rasch nach Hause zu laufen, einen Rohrstock zu holen, und, ehe die Einschulung vorbei war, den Hammelhirten noch in der Sakristei zu stellen und zum Lobe Gottes zu schreiten. Um rasch wieder zurück zu sein, fuhr ich mit dem Auto, kippte vorher noch schnell einen Wutschnaps, und anschließend einen Mutschnaps, und danach noch einen Beruhigungsschnaps, um wieder runterzukommen, und als ich an der Bäckerei vorbeifuhr, fiel mir die blöde Beifahrertür ein, und ich drehte mich um, um zu kucken, was der blöde Fahrradständer machte, und als ich wieder nach vorn sah, kriegte ich gerade noch mit, wie der heimtückische Bordstein meinen Reifen einen groben Tritt versetzte.
Daß man an einem solchen Tag vor der Kirche keinen Parkplatz kriegen würde, hätte ich mir eigentlich denken können, und ich würde sicher auch daran gedacht haben, hätte ich bloß die Zeit gehabt, noch einen Konzentrationsschnaps zu trinken. Jedenfalls war, als ich einen gefunden hatte, die Einschulung vorbei, meine Frau eingeschnappt, die Zwillinge pikiert, der Große genervt, der Pfarrer bereits weg, und Gott bleibt bis heute durch mich ungelobt. Einig war man sich darin, daß ich mal wieder an allem schuld sei. Ach! – Und was gibt es sonst noch Neues unter der Sonne?
Aber mag ich auch schuld sein, bin ich doch genug gestraft dadurch, daß mir der Hammerhirte entkam. Dieser blöde Affe! – Bei mir habe ich inzwischen die Strafe verdoppelt, weil, so sage ich mir, der Vater von Zwillingen natürlich auch das Recht hat, doppelt empört zu sein. Und dann habe ich mich zu einem fünfzigprozentigen Aufschlag entschlossen, wegen der Reifen, denn man sagte mir in der Werkstatt, ich müsse alle vier erneuern lassen, auch die unversehrten, denn nur eine Seite zu erneuern, das gehe nicht. – Die beide gesunden zahlt er! Macht sechsunddreißig. Hiebe, jaja. Quaselmann, ich erwarte Sie um zwölf Uhr mittags auf der Dorfstraße.
So, das ist das eine. Der Hals des Quaselmann wäre einer, an dem es sich für den Oberhirten mal zu lauschen lohnte, auch wenn er, der Hals, unter dem schwarzen Bart erst gefunden werden müßte. Und danach wäre es an ihm, dem Oberhirten, mal in sich zu gehen und zu fragen, ob er als Dienstvorgesetzter dieses Halses überhaupt der Mann ist, uns als Sprachfex zu kommen. Und folgende Worte mit auf die Weide zu geben:
Mich beschäftigt diese Frage, weil ich, wie die meisten von Ihnen hier, ein Redender bin. Die meisten von uns sind Spracharbeiter. Textausleger. Viele von uns haben keine anderen Möglichkeiten außer dem Wort. Betrachten wir unsere Rede auch als einen sittlichen Auftrag?
Eine sehr gute Frage, und ich habe darauf die sehr gute Antwort:
Es ist auch gar nicht Eures Amtes. Als Hirten müßt Ihr in der Lage sein, verirrten Schafen in die Kalkfelsen nachzusteigen, gebrochene Läufe zu schienen, uns beim Abgasen zu helfen, wenn eins die Labmagenblähung hat, müßt die Hunde im Griff haben, uns vor dem Wolf schützen und, im Falle eines Falles, das Fell über die Ohren ziehen. Schon das Scheren ist nicht mehr Eure Sache, dafür gibt es Profis. Ansonsten habt Ihr uns auf grüner Aue zu weiden und zum frischem Wasser zu führen. Was aber das schöne grüne Gras angeht, und wie man es in schöne fettglänzende Köttel verwandelt, da sind wir die Experten. Wir, mit den kräftigen Backenzähnen. Wir Wiederkäuer mit dem guten Pansen. Nicht Ihr Hirten. Man braucht nur einmal den Haufen eines Hirten neben die hübsche Köttelspur eines seiner Schafe zu legen: schon beim optischen Gesamteindruck liegt der Köttel weit vorn. Bei der sensorischen Beurteilung verfestigt sich der Trend, und nimmt man Tritteigenschaften und Entfernbarkeit aus der Schuhsohle dazu, hat der Hirtenhaufen nicht den Hauch einer Chance. Wie unser Hausprophet schon sagt:
Was soll ich predigen? Alles Wort ist Gras, und alle meine Rede ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Geist bläst darein. Ja, das Volk ist das Gras.
Jawoll. Wir sind das Volk! Kommen Sie mal an einem Samstag im Mai zu uns ins Neubaugebiet raus und überprüfen Sie meine Worte: alle Rasenkanten getrimmt, der Rasen kurz wie auf einem tansanischen Touristengolfplatz. Jeden lieben Morgen können Sie mich mit Eimerchen und Messer Löwenzahn stechen gehen sehen. Dessen Same von außen leider immer wieder hereingeweht wird. Das heißt, ganz besonders prächtige Butterblumen lasse ich schon stehen, oder ganz besonders kurios gewachsene. Oder Stilblüten. Und Gänseblümchen. Weißklee. Silberdisteln. Und meine Frau paßt immer auf, daß ich die Osterglocken erst dann ummähe, wenn die Blätter eingezogen sind. Mit anderen Worten: ich liebe meinen Rasen. Zwar habe ich immer ein schlechtes Gewissen gegenüber dem gestochenen Löwenzahn, und ich kippe ihn manchmal heimlich über den Zaun zu Germanistenfuzzi, damit er dort wieder anwächst, aber das nutzt nicht viel, denn dann hab ich ein schlechtes Gewissen gegenüber Germanistenfuzzi.
Ich will zwei Punkte nennen, in denen aktuelle Textauslegungen die Kirche, bzw. die Religionen und den Staat jüngst auf die Probe stellten. Neben den professionellen Spracharbeitern – den Poeten und Autoren und manchen Journalisten – gehören zu den wichtigsten Textauslegern die Richter und die Theologen.
Ich will mich ja gar nicht beschweren, daß hier die Journalisten nur als halbe Portionen gewertet werden, in der Seit-an-Seitstellung mit Poeten und Autoren ist das vielleicht nicht ganz und gar und von vornherein und für jedermann erkennbar blödsinnig. Auch wenn ich persönlich „manche Autoren“ und „den ein oder anderen Poeten“ vorsichthalber aus dem Kanon rauswerfen würde; darum soll es hier nicht gehen. Aber – wer waren noch gleich die beiden anderen?
Richter und die Theologen.
Mäh?
Sie beziehen sich auf die beiden wichtigsten Grundtexte unserer Gesellschaft: Die Bibel und das geschriebene Recht – die wichtigsten Stimulanzien für die gesellschaftlichen Debatte.
Ach das ist es. Ich hatte mich schon gefragt, was die beiden mit Sprache zu tun haben. – Halten wir aber noch schnell fest, daß die Poeten und Autoren und auch die Journalisten, selbst wenn wir die Halbgaren und nicht ganz Dichten unter ihnen mitzählen, immerhin zum produzierenden Gewerbe gehören, wohingegen die Theologen und Richter klassische Dienstleister und Zweitverwerter sind. Kein Theologe hat die Bibel geschrieben, und auch kein Richter, nicht einmal das Buch der Richter. Auf die Bibel beziehen kann sich auch ein Tropfen am Eimer, und die Gesetze werden hierzulande nicht von Richtern geschrieben, sondern von Parlamentariern. Unseren Vertretern. Apropos Volksvertreter: hab ich schon darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, daß am nächsten Wochenende möglichst viele Niedersachsen bei möglichst hoher Wahlbeteiligung nicht die FDP wählen? Falls ja, so bitte ich um freundliche Beachtung, falls nein, so diene dieser Hinweis als solcher.
Aber nochmal zu den Theologen und Richtern: natürlich schreiben auch diese beiden. Zwar keine Bibeln, zwar keine Gesetze, aber doch Urteilsbegründungen und Predigten, zwei Textsorten, die sich ein normal veranlagter Mensch nicht gerade auf den Nachttisch legt, oder den Lieben unter den Weihnachtsbaum – wenn wir von Halbgaren und nicht ganz Dichten mal absehen -, aber doch teils gute, teils nicht so gute Gebrauchsliteratur. Wie etwa diese hier:
Dieses – von staatlichen Gerichten nicht zu überprüfende – religiöse Bekenntnis kollidiert mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft, sofern sich die Religionsgesellschaft der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen bedient. Ein wesentlicher Zweck der geschützten Koalitionsbetätigungsfreiheit ist der Abschluss von Tarifverträgen zur Regelung der Mindestarbeitsbedingungen ihrer Mitglieder. Soweit die Verfolgung dieses Koalitionszwecks vom Einsatz bestimmter Mittel abhängt, werden diese vom Schutz des Grundrechts erfasst. Dazu zählen auch Arbeitskampfmaßnahmen, soweit sie funktional auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind. Die Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG sind allerdings nicht auf die Tarifautonomie beschränkt, sondern erfassen auch konsensuale Lösungen.
Wem das gefällt, dem gefällt wahrscheinlich auch dies:
Die Punkte, die 2012 viele bewegten, reichten weit in das Selbstverständnis der Religionen hinein, aber eben auch in den Auftrag des Staates. Eines Staates, der eine positive Religionsfreiheit formuliert hat. Eine Religionsfreiheit, die auch den Schutz für die religiöse Praxis ermöglichen muss. In der Beschneidungsdebatte traf uns diese Frage ebenso wie mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes in Erfurt über die grundsätzliche Bestätigung des Dritten Weges. Beide Themen sind Tiefenbohrungen in das Verhältnis Staat – Kirche, aber zugleich auch in das Verhältnis Gesellschaft – Religion.
Bewegende Punkte, die weit irgendwo hineinreichen, und Themen, die Tiefenbohrungen sind – es ist Spekulation, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß, wenn Germanistenfuzzi mich wegen über den Gartenzaun gekippten Löwenzahns vor den Zivilkadi zerrte, und der Zivilkadi ließe sich dazu hinreißen, zu behaupten, das Thema Löwenzahn sei eine Tiefenbohrung in das Verhältnis Nachbar – Nachbar und zugleich in das Verhältnis Quastel – Germanistenfuzzi, daß wir beide dann noch während der mündlichen Urteilsbegründung einträchtig nach Hause eilen würden, um uns ein paar frische Haselnußgerten zu schneiden. Und ich glaube, Germanistenfuzzi, so gut kenne ich ihn, würde seine Haselnuß in diesem Falle brüderlich mit mir teilen. Und ich, das verstünde sich, nähme ihn im Wagen mit zurück ins Gericht, damit sein Felicia nicht unnötigerweise bewegt werden müßte.
Der zuletzt zitierte Absatz entstammt übrigens der Epiphaniasrede des Hirtenmeisters, gehalten vor den Damen und Herren Dinkla (Landtagspräsident), McAllister (Ministerpräsident), Ipsen (Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes), Özkan (Soziales), Wanka (Wissenschaft), Busemann (Justiz), Schünemann (Abschiebung), Möllring (Finanzen) und Althusmann (Kultus) und wenn man weiterliest:
Beim Fall des Arbeitsrechtes blieb klar, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, welches in der Verfassung mit Artikel 140 gewährt wird, auch für die Arbeitsrechtsregelungen bestehen bleibt. Gleichzeitig hat das Gericht die Auflage erteilt, die Gewerkschaften stärker zu beteiligen. Ich sehe darin ein wichtiges Signal: Alle Kräfte, die im Sozialbereich wirken, sind aufeinander angewiesen und müssen Kompromisse finden. Wir brauchen in dem wichtigen Bereich der sozialen Dienstleistungen deutlich mehr Anstrengungen von allen Beteiligten, um die Verbindung zwischen einer angemessenen Bezahlung der Mitarbeiterinnen und einer guten Begleitung und Pflege der Menschen in Not landesweit einheitlich zu verbessern. Eine Einigung auf ein „Tarifwerk Soziales“ könnte helfen.
hat man den Eindruck, daß der zentrale Gedanke der Rede die Verteidigung kirchlicher Privilegien und die Anwerbung einflußreicher weltlicher Verbündeter, und daß das Gedöns drumherum, von Konfuzius bis zur Sorge um die Sprache, halt eben nur Gedöns war. Liturgie, wenn man so will. Chapeau! Würde die Journaille über den Empfang mit den Worten berichtet haben: Meister verteidigt kirchliche Privilegien im Arbeitsrecht, würde ich die Rede nicht gelesen haben. Warum auch? Die Verteidigung von Privilegien durch deren Inhaber geht generell in Ordnung, Interessenvertretung ist schließlich nichts Verwerfliches, solange es sich nicht um kirchliche Mitarbeiter in den unteren Besoldungsgruppen handelt. Nur weil in der Presse behauptet wurde: Meister ruft zum sorgsamen Umgang mit der Sprache auf, habe ich den Stiefel überhaupt zur Kenntnis genommen, indem ich mich fragte: Wer ruft wen wozu auf? Wie heißt der? Wer ist das? Wozu ruft er auf? Und wie kommt er dazu? Habe ich ihm was getan? Was denn?
Eine eindeutige Verletzung des Konkordats. Apropos Konkordat: wenn man die Adressatenliste sorgsam durchliest, fällt auf, daß die FDP-Minister fehlen …
… Meister! Wartet auf mich, Meister! Geht nicht fort! Wißt Ihr, was Ihr tun müßt, um die kirchlichen Privilegien zu sichern? Ihr wißt doch gewiß, daß es die FDP ist, die für deren Abschaffung plädiert, mit der ignoranten und gehässigen Floskel von der Freien Kirche im Freien Staat. Nun aber besteht die einzigartige Chance, die Gottlosen aus der Niedersächsischen Gesetzgebenden Versammlung herauszuhalten! Ergreift diese! Wie Ihr es macht, ist mir egal, laßt Eurer Predigerphantasie ihren Lauf. Weist Eure Hirten an! Laßt von den Kanzeln dazu aufrufen, massenhaft in die Wahllokale zu strömen und dort CDU zu wählen, damit die FDP unter 5% bleibt!
Die Welt ist da, wir erschaffen sie nicht. Aber wir verwandeln sie.
Möge es uns allen gelingen, diese Welt im Jahr 2013 in eine bessere zu verwandeln.
Eure Worte, Meister! Möge es Euch gelingen! Wenn nicht, erwarte ich Euch am Mittag nach der Landtagswahl auf der Dorfstraße.
Ich weise diesmal jegliche Schuld von mir.