Neues aus der Sprachfamilie
Bekloppte dürfen auch in Zukunft nicht bekloppt genannt werden, und wenn sie noch so bekloppt sind, und zwar deswegen nicht, weil das ihrer Würde nicht gut tun würde. Darum.
Unbekloppte und Nicht-Bekloppte dürfen allerdings nach wie vor bekloppt genannt werden, vorausgesetzt, sie sind nicht wirklich bekloppt. Zum Beispiel zu Beleidigungszwecken. Oder in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Aber was heißt ‚oder‘? Also! Also zu Auseinandersetzungszwecken. Das ist zulässig. Es darf nur keine Tatsachenbehauptung sein. Die wäre nämlich beleidigend.
Dafür darf man den politischen Gegner nicht zwangsmedikamentieren. Obwohl das dem einen oder anderen politischen Gegner ganz recht recht sein dürfte, wenn man das dürfte. Aber das hat der Deutsche Bundestag nun deutlich geregelt: Bekloppte sind die, die man in der Psychiatrie zwangsbehandeln darf. Zwangsbehandlung ist ein schwerer Eingriff in die Rechte der Bekloppten, weshalb sich der Deutsche Bundestag die Sache auch nicht leicht gemacht hat: nur als allerallerletztes Mittel, wenn alle anderen Mittel versagt haben, darf, und das auch nur unter Beachtung strenger Kriterien, das Mittel der Zwangsbehandlung angewendet werden:
- Zum Beispiel, wenn der wirtschaftliche Schaden, den ein einwilligungsunwilliger Bekloppter durch seine Einwilligungsunwilligkeit dem ihn verwahrenden Psychiatrieunternehmen verursacht, zu hoch wäre,
- oder der behandelnde Arzt die grundsätzliche Einwilligungsunfähigkeit des Bekloppten konstatiert,
- wenn der chronische Personalmangel in der an chronischem Personalmangel laborierenden Betreuungsindustrie die Betreuung durch Medikamente anstelle der Betreuung durch Betreuer leider unumgänglich macht,
- wenn die wirtschaftliche Lage schlecht ist,
- wenn die wirtschaftliche Lage gut ist,
- wenn die wirtschaftliche Lage es gebietet,
- wenn die Sache alternativlos ist,
- wenn die chronische Überforderung der chronisch überforderten Betreuer zu chronisch zu werden droht,
- wenn ein alter Mensch im Altenheim zuviel Mühe macht und an die Psychiatrie abgeschoben wird,
- wenn der Bekloppte durch früher bereits erfolgte Zwangsmedikamentierung eine Persönlichkeitsveränderung erfahren hat, die ihn dazu neigen läßt, alles kurz und klein zu hauen, wenn er nicht sofort seine Zwangsbehandlung kriegt,
- wenn die bisherige Zwangsmedikamentierung bereits zu irreversiblen Schäden geführt hat und es also keinen Sinn mehr hat,
- wenn keine Patientenverfügung vorliegt, die die Behandlung verbietet,
- wenn eine Patientenverfügung vorliegt, die die Behandlung mit diesem Medikament verbietet, aber nicht mit jenem,
- wenn die Patientenverfügung nicht gefunden wird,
- wenn die Patientenverfügung unleserlich ist,
- wenn die Patientenverfügung gefälscht wurde,
- wenn die Patientenverfügung sachlich unrichtig ist,
- wenn der Bekloppte die Schwere seines Falles gar nicht richtig einschätzen kann, weil er bekloppt ist,
- wenn eine richterliche Anordnung vorliegt,
- wenn einer bekloppt ist.
Wenn ein Landeskrankenhaus von einer Landesregierung an die Privatindustrie verkloppt wird, Verzeihung: verkauft wird, weil die Landesregierung nur aus Bekloppten besteht, gilt eine Sondergenehmigung zur vorübergehenden Medikamentierung aller Bekloppten, bis der neue Träger sich einen Überblick über die Lage verschafft hat.
Niemals aber darf man von den Zwangsmedikamentierten per ‚Bekloppten‘ reden.
Um klar zu stellen: auch bisher wurden die Bekloppten zwangsbehandelt, und auch bisher war es nicht zulässig sie bekloppt zu nennen. Und auch in einer besseren Zukunft wäre es unwahrscheinlich, daß man im Umgang mit Bekloppten ganz auf Zwangsmaßnahmen würde verzichten können. Manche sind dazu halt zu bekloppt. Neu ist aber, daß man sich dem Problem mit marktwirtschaftlichen Methoden zu nähern wünscht, indem man die Achtung der Würde des Bekloppten, die Sorgfalt seiner Betreung, die Würdigung des Einzelfalles durch individuelle Behandlung dadurch sicherzustellen sucht, daß man den Bekloppten zum Kostenfall macht, der umso lukrativer wird, je konsequenter man gegen diese Ideale verstößt.
Nein, das ist nicht wirklich neu. Neu ist nur, daß die, die schon dreimal Schiffbruch mit dieser Strategie erlebt haben, immer noch glauben, beim nächsten Mal werde es aber wohl was werden.
Nein, auch das ist nicht neu. Aber zu erklären ist es auch nicht. Kein Mensch glaubt, außer den Bekloppten in der FDP, daß die Betreuung unrentabel gewordener Menschen – seien sie alt, arbeitslos, bekloppt oder sonst wirtschaftlich nicht (mehr) verwertbar – zugleich besser, billiger und profitabler werden könne, und zwar dadurch, daß man einem Profiteur erlaubt, Profit zu machen. Warum sollte das gehen? Schlechter, billiger, profitabler – das geht. Besser, teurer und profitabler – geht auch. Besser, billiger und weniger profitabel geht zwar auch, aber nur bis zum Punkt der Unprofitabilität. Danach spricht man von besser und teurer. Und will man es billiger haben, wird es schlechter. Ein völlig natürlicher Zusammenhang. Nur Bekloppte sehen ihn nicht.
Schlechter, teurer und profitabler geht übrigens auch. Man nennt das Privatisierung. Oder Deregulierung, oder Liberalisierung. Oder Reform. Wer nicht völlig bekloppt ist, weiß, daß er solch ein Konzept nur verkloppt kriegt – bitte abermals um Verzeihung: nur verkauft kriegt, wenn er das ’schlechter‘ kaschiert. Man nennt das Marketing. Oder Agenda 2010. Am besten läuft das Kaschieren über die Sprache. Denn schließlich: was ist ’schlechter‘ denn? Nur ein Wort. Besser ist ‚besser‘. Auch nur ein Wort, aber ein sehr viel besseres. Gilt es nicht, den, dem man gerade die Würde amputiert hat, in blutstillende Sprachwatte zu packen? Ihn zwar in den zu Arsch zu treten, aber glauben zu machen, daß einem seine Gefühle zu Herzen gingen? Zum Beispiel dieser dumpfe Schmerz im Hinterteil?
Doch, gilt es. Ihn zur Vordertür hinauszuwerfen, und ihm den Stall zu weisen. Ihn aber begrifflich gleich wieder einzugemeinden, indem man den Stall keinen Stall mehr nennt, sondern ein Sinus-Milieu. Zu irgendeinem Sinus-Milieu gehören wir schließlich alle, wie wir da sind. Eine einzige, große Familie.
Der Arbeitslose heißt jetzt Kunde, und muß sich im Rahmen seiner Meldepflicht im Meldepflichtabstand bei seiner Agentur einfinden, die die Jalousien runterläßt, damit der Meldepflichtige, dem es ja eventuell peinlich ist, dort gesehen zu werden, dort nicht gesehen werden kann. So wie die Kunden von Rewe sich einmal in der Woche bei Rewe einzufinden haben, um ihrer Konsumentenpflicht nachzukommen. Auch sie werden durch mit Werbeplakaten zugepappten Fenstern vor den Blicken der Welt verborgen, damit die Würde derer, denen es peinlich ist, der Lebensmittel zu bedürfen, unangetastet bleibe.
Die Alten und Siechen, die sich im Heim demütigen und bisweilen mißhandeln lassen dürfen, können auch weiterhin nicht damit rechnen, daß sich an dieser Situation so schnell etwas ändert. Wir haben es schließlich nicht in der Hand. Was müssen sie auch so alt werden und auf einen Schlag so viele sein? Und mit einemmal so dement sein wollen? Vielleicht würde die Pflege in den Heimen besser sein, wenn man den Pflegerinnen und den paar Pflegern weniger Geld gäbe, oder weniger von ihnen beschäftigen würde und diese dafür länger arbeiten ließe. Vielleicht. Man weiß es nicht. Sicher ist es nicht. Denn man weiß ja, aus welchem Sinus-Milieu das Pflegepersonal sich rekrutiert (B3 – Anm. d. Red.). Aber viel anderes bleibt einem nicht übrig. Man kann es ja nicht selber machen, denn das triebe die Kosten. Oder schmälerte den Profit. Immerhin dürfen die alten Herrschaften darauf bestehen, als Seniorinnen an den Haaren gerissen zu werden, und nicht als Mümmelgreisinnen. Das ist einklagbar.
Das Wasser. Man wird es auch in Zukunft Wasser nennen. Auch wenn es privatisiert worden sein wird. Kann sein, es wird teurer. Kann sein, es wird schlechter. Kann sein, man wird Profit mit ihm machen. Aber in jedem Fall wird es ein einklagbares Recht darauf haben, Wasser genannt zu werden. Und nicht Jauche. Auch die Eisenbahn hat man dort, wo sie privatisiert wurde, nach wie vor Eisenbahn genannt, und nicht „Der Tod auf Rädern“. Das ist klug. Das ist Marketing.
Warum ist das so? Warum sind wir in unserer Sprachfamilie, wir Kimbern und Teutonen, wir Moffen und Piefkes, wir Krauts, Boches, Jerrys, Fritzen, Hänse, Helmuts, Horste, Kartoffeln, Bratwursts, Nemez, Hunnen, Preißn und Saupreißn, Bazis, Schwaben, Schwobn und Sauschwobn so anfällig für Sprachzauber, daß wir glauben, mit der Wahl des falschen Wortes das Elend zuerst heraufzubeschwören, es aber mit der Wahl des richtigen nicht nur zu mildern, sondern schier zu heilen? Daß es seiner Würde zuträglicher sei, wenn ein Schwarzafrikaner durch die Straßen gejagt wird, als wenn ein Neger unser Nachbar ist? Sind wir nicht bloß Horste, sondern Vollhorste? Liegt es an der Herkunft unserer Sprache aus den Merseburger Zaubersprüchen? Haben wir das Märchen vom Berg Semsi verinnerlicht? Daß der, der den Berg korrekt beim Namen nennt, reich wird, aber dem, der ihn etwa als ‚Simeliberg‘ verballhornen wollte, der Kopf abgeschlagen wird?
Oder sind wir einfach bekloppt?