Morton Stein

Vom Älterwerden

Harold Morton Stein wird älter. Das kann er nicht unkolumniert lassen, und das wird er nicht unkolumniert lassen. Da hätte das Alter eben besser aufpassen müssen, mit wem es sich anlegt.

Ich habe nichts gegen das Älterwerden. Ich habe praktisch gegen überhaupt nichts irgendwas, außer gegen Kolumnen, die nicht mit ‚Ich‘ anfangen. Aber dagegen gibt’s ja Mittelchen. Ich habe auch nichts gegen Friseure, auch wenn es auf meinem Photo so aussieht. Das täuscht. Das liegt am Gegenlicht und daran, daß die Photographin das so haben wollte. Ich habe auch nichts gegen Photographinnen, solange sie nicht verlangen, daß ich das linke Ohr freimache. Aber mein Photo ist ja kein Paßphoto. Früher hat mir das Paßphotomachen immer große Sorgen bereitet, denn ich mußte dazu mein linkes Jungmännerohr freimachen, und das zerstörte das sorgfältig arrangierte Jungmännergewuschel auf meinem Kopf. Heute muß man das Ohr nicht mehr freimachen, dabei wäre der Altherrenkopf gegen solche Eingriffe sehr viel unempfindlicher.

Dafür hat man im Alter andere Sorgen. Ich mag zum Beispiel nicht mehr gerne zum Friseur gehen. Ich mochte auch als junger Mann nicht gerne zum Friseur gehen, aber das war ein anderes ’nicht gerne‘. Ich hatte immer große Bedenken, als ein Ganz Anderer vom Friseur wieder zurückzukommen, als einer, in dem ich mich nicht wiedererkennen würde. Diese Bedenken habe ich nicht mehr. Die Jahre meiner Mannesjahre haben mich so identisch mit mir werden lassen, daß ich oft selbst ganz erstaunt darüber bin und denke, ich sollte mal wieder eine Kolumne mit ‚Ich‘ beginnen lassen. In der könnte ich dann schildern, wie es ist, wenn man sich von der Friseuse fragen lassen muß: „Darf ich auch die Augenbrauen etwas stutzen?“. Denn das ist uns beiden nicht angenehm. Mir nicht, denn es konfrontiert mich damit, irgendwie über Nacht ein anderer geworden zu sein. Einer, dem die Dinge entgleiten, jedenfalls die Augenbrauenhaare.

Und auch ihr kann es nicht angenehm sein, denn sie wird denken: „Das kann ihm doch nicht angenehm sein, dem jungenhaften, wohlgestalten Mannsbild, wie da die Haare seiner Aristokratennase entwuchern, und das in Gegenwart einer jungen Frau! Mir wäre es unangenehm, wäre ich er. Ich ginge so unepiliert nicht aus dem Haus. Ich leide mit ihm, leide für ihn. Ach, daß wir das Gebresten tragen könnten an unserer Idole Statt! Aber ich kann ihn doch nicht auf diese Borsten ansprechen – ich werde ihn fragen, ob ich statt dessen die Augenbrauen stutzen darf. Hoffentlich nimmt es ihn nicht zu sehr mit.“

Ich leide mit ihr. Aber ich kann ihr nicht helfen. Denn am Ende muß jeder das Päckchen tragen, das ihm auferlegt ist, sie das ihre, ich das meine. Mein Päckchen ist es, daß ich 53 bin, Jahrgang 53. 1953. Ein schwieriger Jahrgang, denn wir konnten uns nie entscheiden, ob wir Haare am Kinn haben wollen oder nicht. Die 52er haben alle Vollbärte, die nach uns kamen, gingen nackt. Wir wohnen zwischen Baum und Borke, oder zwischen Braun und Gillette. Jetzt werde ich bald sechzig und kann mich immer noch nicht zwischen ’naß‘ und ‚trocken‘ entscheiden.

Zur Feier meines Geburtstages möchte ich mir in diesem Jahr den Flaum von den Ohren flämmen lassen. Hoffentlich finde ich einen Friseur, der sich noch darauf versteht. Es heißt, auch der geschickteste Friseur könne sich nicht selbst den Flaum von den Ohren flämmen, aber das braucht er auch nicht. Die Frage ist für mich: kann er es bei mir? Ich möchte nicht plötzlich in Flammen stehen. Dann habe ich lieber Flaum auf den Ohren. Auch wenn Ilse darauf besteht, daß es sich dabei nicht nur um Flaum handelt. Aus meinem Blickwinkel sieht man im Spiegel nur Flaum. Besonders, wenn das Licht von hinten kommt, feiner, blonder Flaum. Aber auch der Geschickteste kann sich nicht selbst in die Ohren schauen. Ich muß Ilse darum bitten, was mir ein bißchen unangenehm ist, und ihr auch.

So scheint es jedenfalls, denn wann immer ich sie bitte „Schau mir in die Ohren, Kleines!“ schließt sie die Augen fest, ganz fest, ballt die Fäuste und murmelt beschwörend: „Dir bleibt immer noch Paris, Ilse! Dir bleibt immer noch Paris.“

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