Morton Stein

Vom Älterwerden

Harold Morton Stein wird älter. Das kann er nicht unkolumniert lassen, und das wird er nicht unkolumniert lassen. Da hätte das Alter eben besser aufpassen müssen, mit wem es sich anlegt.

Ich habe einen zierlichen Fuß. Damit will ich mich nicht brüsten, was auch ohnehin nicht ginge, denn mit einem Fuß kann man sich nicht gut brüsten. Ein Fuß hat zwar einen Rücken, aber keine Brust. Anders ein Huhn, das hat sowohl einen Rücken, als auch eine Brust, mit der man sich allerdings wohl auch nicht brüsten kann. Mit einer Hühnerbrust? Ein Huhn hat sogar einen Fuß, und in manchen Regionen der Welt werden diese Füße gegessen, obwohl an einem Hühnerfuß nicht wirklich viel dran ist. So wie an meinem Fuß, an dem ist auch nicht viel. Womit ich mich aber nicht spreizen will, denn es handelt sich nicht um einen Spreizfuß. Anders beim Huhn, dessen Füße sind ziemlich gespreizt. Aber dessen Füße gelten auch dort, wo sie als Delikatesse gelten, als Delikatesse. Meine nicht.

Ich will mir auch keinen schlanken Fuß machen. Aber ich möchte immerhin festhalten, daß ich einen zierlichen Fuß habe. Näher an 41 als an 42, was es nötig macht, daß ich jeden Schuh vor dem Kauf zweimal anprobiere, denn manchmal muß es 41 sein, manchmal muß es aber auch 42 sein. Und manchmal muß es 42 mit Einlegesohlen sein, weil es 41 nicht gibt. 41 ist immer ziemlich schnell weg, während 42 noch da, aber ein bißchen zu groß ist. Es gibt auch 40, aber so zierlich ist mein Fuß nun auch wieder nicht. Ganz kompliziert wird es, wenn die Schuhe nicht in 41 oder 42 ausgewiesen sind, sondern in 8, 8 1/2 oder 9. Denn dann muß man erstens wissen, ob es englische 8, 8 1/2 oder 9 sind, oder amerikanische, und dann muß man sie in 41 oder 42 umrechnen. Im Internet gibt es praktische Umrechnungstabellen, aber im Schuhladen hat man meistens kein Internet dabei.

Man könnte ein Internet dabeihaben, wenn man ein Smartphone dabeihätte, aber ich habe meistens kein Smartphone dabei. Ich bin 53, Jahrgang 53. 1953. Ein schwieriger Jahrgang, denn wir können uns nicht zwischen Handy und Smartphone entscheiden. Die 52er sind alle Internetfeinde, die haben nur ein Handy, und das auch nur, weil sie von unterwegs die Auskunft der Bahn anrufen müssen. Und in der VIP-Lounge erkennt man sie daran, daß sie kein Kursbuch unter dem Arm haben, denn es gibt keine Kursbücher mehr. Sonst hätten sie eines. Daran erkennt man sie. Die nach uns kommen, wohnen praktisch in ihren Smartphones und wissen eher von der Zugverspätung als die Anzeigetafel. Dazwischen sitze ich und halte meinen Leichtfuß im herbstroten Entenschuh (42) in die VIP-Lounge-Luft. Ich habe kein Smartphone bei mir, sondern ein Klapphandy für die Hosentasche. Und natürlich ist die Anzeigetafel kaputt. Ihr Wurmfortsatz hängt aus ihrem Bauch und in die VIP-Lounge hinab.

Soweit ist es bei mir nicht. Aber auch ich spüre mein fortschreitendes Alter, z.B. am rechten Fuß rechts unten Mitte, da, wo, wenn der Fuß einen Bauch hätte, er seinen Bauch hätte. Etwa da, wo sein Blindarm säße. Eine winzige Stelle, die sich aber bemerkbar zu machen weiß. Es ist Hornhaut, und unter der Hornhaut schmerzt es. Nicht immer, aber z.B. wenn ich die herbstlaubfarbenen Entenschuhe anhabe. Sie sind etwas zu weit, und ich habe keine Einlegesohle darin. Der Fuß kann sich bewegen, er rutscht etwas nach rechts, und wenn er nach rechts rutscht, wird die Produktion von Hornhaut angeregt. Je dicker die Hornhaut wird, desto stärker drückt sie auf den darunterliegenden Nerv, um mir zu singalisieren, daß da etwas nicht optimal ist. Das ist kontraproduktiv. So wie beim Handy, das mich alle drei Minuten mit akkustromfressendem Gedudel vor dem dadurch sinkenden Ladestand warnt.

Als Rechtshänder kann ich schlecht mit der linken Hand der Hornhaut zuleibe rücken, und mit der rechten Hand unter dem rechten Fuß herumzumanipulieren, erfordert eine Beinstellung, die den älter werdenden Gelenken zunehmend schwer fällt. Vielleicht hat der Jahrgang 1954 damit noch kein Problem, das Problem meines Jahrgangs jedoch heißt Ilse. Wenn ich Ilse bitte, der Hyperkeratose an meinem rechten Fuß mit einem Cuttermesser unblutig ein Ende zu machen, und auch den Kern sorgfältig schichtweise abzuheben, dann sieht sie mich nur traurig an, schließt die Augen, ballt die Faust ums Messer, rümpft die Nase und murmelt beschwörend: „Dir bleibt immer noch Paris, Ilse! Dir bleibt immer noch Paris.“

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