Offener Brief

an die Deutsche Presse
Deutschland

Deutsche Landsleute!

Wie L. Erhard zu sagen pflegte: meine lieben deutschen Landsleute! Selbst dann, wenn es bloß galt, verschüttete Kumpel aus einer abgesoffenen Grube ans Licht zu ziehen, war es ihm wichtig, die da unten, die es da im Dunkeln ja vielleicht tatsächlich vergessen hatten, daran zu erinnern, daß es in dieser schweren Stunde auf die Nationalität der Verschütteten nicht ankam. „Ich kenne keine Italiener mehr,“ so mag er gedacht haben, keine „Portugiesen, Spanier, Jugoslawen, überhaupt keine Arbeitsmigranten – ich kenne nur noch Deutsche!“

Aber ich will nicht abschweifen. Ich bitte mir RUHE aus! Ich bin seit 20 Jahren Rektor dieser Gewerbeoberschule und noch nie habe ich es erlebt, daß hier ein SAUKRACH ist, wenn ich die Aula betrete! Beziehungsweise einen offenen Brief komponiere. Stillgestanden! Durchgezählt! Die Bekloppten auf diese Seite, die Behämmerten auf jene. In dieser schweren Stunde sehe ich keine Parteiung mehr, ich sehe nur noch Dummköpfe. Eine Gasse gebildet! Die Degen erhoben, oder die Säbel, das Florett, den Holzhammer, was immer ihr benutzt, wenn ihr einen runterschreibt. Durch diese hohle Gasse wird jetzt schreiten: Freibein, den Finger zum Gruß erhoben.

Seid ihr eigentlich nur noch meschugge? Das einzig Gute, was der Mann je zustande gekriegt hat – wenn man mal davon absieht, daß er die Grünen in NRW gepiesackt haben soll, wo er nur konnte. Ich wüßte nur keinen Beleg dafür. Zur Ehre gereichen allerdings würde es ihm. Ich kenne da eine Nichtraucherministerin, der beim Verhungern am ausgestreckten Arm Freibeins zuzusehen es mich in den Zäpfchen juckt. Aber die Grünen in NRW leben noch, ich halte das daher für ein Gerücht. Wahrscheinlich kriegt Freibein tatsächlich gar nichts gebacken – das einzig Gute, was Freibein je zustande gekriegt hat, ist das Titelblatt des SZ-Magazins.

Um nicht mißverstanden zu werden: ich will den Mann als Kanzler nicht haben, und er wird es ja auch nicht. Er steht mir weder politisch noch menschlich nahe. Aber wer mir politisch und menschlich noch ferner steht, das seid ihr Pressegesocks. Habt ihr se, ihr, oder kriegt ihr se? Wie kann man nur! Wie kann man sich die notorisch ungewaschenen Mäuler dermaßen darüber zerreißen, daß einer euch den dritten Finger der linken Hand zeigt. Das ist nicht nur zutiefst gerecht, das ist geradezu ein Akt der Schönheit. Voller Anmut und Lebensfreude, wie Erwin Grosche zu sagen pflegt. Was hätte er euch zeigen sollen, den Mittelfinger der Rechten? Ich will euch sagen, was euch reitet, ihr Jammergestalten, ihr autoritätsfixierten Esel! – Esel? – Esel sind Charaktere! Mit euch verglichen allemal, ihr! Ihr Konfirmanden! Euch reitet der Neid der Schneidlosen. Es ist ja nicht so, daß euch die Tsetsefliege Merkel besser gefiele, bei der niemand mehr zu sagen vermöchte, wo die Überträgerin der Schlafkrankheit aufhört und die Krankheit selbst anfängt. Und da alles, was Merkel tut, alternativlos ist, könnte es ebensogut wer anders machen. Sogar Freibein. Er würde schon nichts anders machen. Es wäre eine reine Stielfrage.

Das ärgert euch. Das ärgert insbesondere die Wichte unter euch, die wissen, daß bezogen auf das Nullniveau einer Merkel auch ein Wicht so etwas wie ein Profil simulieren kann, die aber berechtigte Sorge haben, im Schlagschatten des Freibeinschen Fingers unwahrnehmbar zu werden. Diejenigen aber, die sich mit dem Agressor identifizieren, in der Hoffnung, dann wüchse auch ihnen so ein Ding, die irren sich. Die ist bei Konfirmanden verbreitet, diese Identifikation, aber Irrtümer sind bei Konfirmanden halt auch weit verbreitet.

Keine Sorge nicht, ich werde den Mann schon nicht wählen. Ich hab nämlich schon gewählt, und der Briefkasten ist vorhin geleert worden. Aber ich stelle, seitdem das unqualifizierte Geschwalle so anschwillt, erstmals so etwas wie Sympathie für Freibein bei mir fest. Nicht sehr ausdrückliche Sympathie, und vielleicht ist es auch wesentlich nicht Sympathie, sonder die Abwesenheit von Antipathie – die ich im Moment für ihn nicht erübrigen kann, da ich sie für euch brauche -, aber immer wahrnehmbarer. Etwa soviel, wie ich für L. Erhard aufbringe, der sie vielleicht auch nur der Fastnamensgleichheit mit seinem Vetter Heinz verdankt. Oder seinen Mörderzigarren. Was hat der gequalmt, als man das in NRW noch durfte! Und was muß der Mann für Stinkefinger gehabt haben!

Den habe ich auch nie gewählt. Ich durfte damals nämlich noch nicht wählen. Ich konnte noch nicht einmal über die Urne gucken, als mein Opa mit mir wählen ging, und die Wahlhelferinnen sagten: Ach guck mal, klein Doofi mit Plüschohren, wie süß! Das kann ich ja vielleicht ab! Eine Zumutung ist das, gegen die alles in mir rebelliert, und auch damals schon rebellierte, ich wußte damals bloß noch nicht, daß man gegen solche Wahlhelferinnen seinen Mittelfinger in Stellung bringen kann. Heute weiß ich es und befürworte es, das auch zu tun. Es kommt schließlich auch bei Obszönitäten darauf an, wer angefangen hat. Außerdem wurde bei uns traditionell Brandt gewählt, nicht Erhard. Ich erinnere mich noch, daß Erhard im offenen Mercedes 600 auf den Marktplatz gekurvt kam, und die Bergleute ihre schwarzen Fahnen vorzeigten. Das gefiel ihm nicht, und er redete ihnen ins Gewissen, tat aber ansonsten so, als wüßte er den Namen der Stadt nicht, in die sein Mercedes ihn geschaukelt hatte, und redete die redlichen Bürger mit „Liebe deutsche Landsleute“ an. Dann fuhr er wieder weg, und ein Kumpel rief hinter ihm her: „Dann machs mal gut, Ludwig.“ Geholfen hat ihm das freilich nichts, denn als paar Tage später W. Brandt auf der gleichen Treppe stand, war genauso viel los, nur die schwarzen Fahnen fehlten, und Brandt wußte auch den Namen der Stadt. Wahrscheinlich hatten seine Berater ihm gesagt, daß die Bürger der Stadt Wert darauf legten, und er hatte ihn sich für die Dauer der Rede gemerkt. Genutzt hat das allerdings auch nichts, damals nicht, denn Kanzler wurde Erhard, und heute schon gleich gar nicht, wenn man sich mal anschaut, was aus der SPD geworden ist.

Denn es ist ja schließlich nicht so, daß Freibein der Grund wäre, daß man die SPD nicht mehr wählen mag. Der Grund dafür, daß man die SPD nicht mehr wähen kann, ist die SPD. 2005 schon war es die SPD, und nicht Schröder. Und 2009 war es nicht Steinmeier. Doch, 2009 war es Steinmeier. Steinmeier als Kanzlerkandidat macht jede Partei unwählbar. Aber im Prinzip ist es die Partei und nicht der Kandidat. Eine Partei hat es schließlich in der Hand, ihrem Kandidaten auf die Pfoten zu hauen, wenn es sein muß. Eine Partei ist schließlich keine abgesoffene Erzgrube, und der Kandidat kein Klärteich, der die Partei eines schönen Herbsttages überfällt und durchtränkt und praktisch stillegt. Auch die CDU ist keine abgesoffene Erzgrube, und auch Merkel ist kein Klärteich. Doch, Merkel ist ein Klärteich. Und die CDU ist auch eine abgesoffene, merkeldurchtränkte, praktisch stillgelegte Grube. Aber die CDU ist keine Erzgrube. In der CDU war noch nie etwas drin, was den Abbau gelohnt hätte.

Das war bei der SPD mal anders. Und wenn es euch um irgendwas ginge, würdet ihr nicht versuchen, den Kandidaten zum klein Doofi mit Plüschohren und Samtpfötchen runterzuschreiben, sondern die Partei als klein Doofi mit Plüschohren und Samtpfötchen zu entlarven. Fischer – na, lassen wir Fischer mal beiseite, der soll hier nicht unser Thema sein, aber immerhin hat Fischer mal seiner Partei – einer ziemlich renovierungs-, ja sanierungsbedürftigen Schachtanlage mit ständigen Wassereinbrüchen, von denen keiner weiß, wo sie herkommen, als Endlager allenfalls für Möhrensalat geeignet – der hat seiner Partei, die dazu nicht in der Lage war, hinterhergerufen, eigentlich wäre es ja wohl ihre Sache gewesen, ihn, den Spitzenkandidaten, einen Kopf kürzer zu machen, und das nicht dem Wähler zu überlassen. Das ist mal ein Stinkefinger!

Offener Brief an meine Partei
Jutta-Ditfurth-Haus, Petra-Kelly-Platz 1

Liebe Partei,

der ich alles verdanke, du warst mir intellektuell nie gewachsen. Du konntest mir nicht das Wasser reichen. Du warst nie auf Augenhöhe mit mir. Nicht einmal auf Knie-, was red‘ ich, auf Knöchelhöhe.

Zufrieden mit sich
Dein ehemaliger Spitzenkandidat

Aber Recht hat er natürlich, es wäre Sache der Grünen gewesen, ihn einen Kopf kürzer zu machen, und Sache der SPD wäre es gewesen, Schröder einen Kopf kürzer zu machen, noch einen Kopf kürzer, jawohl. Wäre es gewesen. Hat sie aber nicht gemacht. Ob sie den Kandidaten Freibein nun einen Kopf kürzer machen sollte, muß sie selber wissen. Weiß sie natürlich nicht, deshalb muß es ihr einer sagen, doch dieser eine seid todsicher nicht ihr. Ich aber sage euch: mir ist es egal. Das einzige, was ich Freibein wirklich übel nehme, ist nicht etwa die Agenda – dafür soll mal schön die Partei geradestehen, die sie gebilligt hat -, das spezifisch Freibeinsche, was mir auf den Keks geht, ist sein Pennälerspruch von der Fahrradkette. Der war beim erstenmal schon nicht gut, und wird durch Wiederholung nicht besser. Natürlich, auch meine Oma wäre, wenn der Konjunktiv nicht wär‘, ein Omnibus. Nein, meine Oma wäre kein Omnibus, meine Oma ist tot. Sie war schon tot, als mein Opa mich zu Wahlkundgebungen auf den Marktplatz mitnahm. Und als er mich mit in die Kabine nahm, um mir zu zeigen, wo man sein Kreuzchen macht, da war sie immer noch tot, und bis heute hat sich daran nichts geändert. Von mir aus also kann die Partei auch Freibein einen Kopf kürzer machen, für den Spruch hat er sich das redlich verdient. Sie soll mir nur nicht, die Partei, wenn sie sich ans Kopfkürzermachen macht, den parlamentarischen Geschäftsführer, die Generalsekretärin und den Fraktionsvorsitzenden vergessen, die jeder für sich dreimal impertinenter sind als jedes SZ-Titelblatt. Den Parteivorsitzenden klammere ich dabei aus, der ist zwar auch nicht weniger peinlich als das trio impertinente, aber ein Parteivorsitzender, der, wenn man ihn fallen läßt, das Zeug hat, zweie zu erschlagen, ist immerhin besser als einer, den ein laues Seitenlüftchen aus der Bahn weht.

Ich beende die Audienz, und wenn wir jetzt die Aula verlassen, tun wir es zu zwei und zwei, gesittet und ohne zu lärmen. Die Bekloppten linksum, die Behämmerten rechtsum.

Weggetreten!

Gero

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


fünf − 4 =

Navigation