Mit einer ungewöhnlichen Aktion mischt sich Bundeskanzlerin Merkel kurz vor der Wahl in den Wahlkampf ein. In einer Postwurfsendung „An alle Haushalte“ fordert die Kanzlerin die wahlberechtigten Bürger auf, ihren Gammel bei Tengelmann einzukaufen, ihren Krempel bei Obi und ihr Gelumpe bei KiK.
Mit dieser Aktion versucht die Kanzlerin, ihrem Unterstützer Tengelmann, einem Gemischtwarenhöker, die Kosten einer Zeitungsanzeige wieder reinzuholen, die dieser zugunsten der Kanzlerin geschaltet hatte. Oder sagen wir besser, zugunsten einer großen, schwarzroten Koalition.
Denn was auf den ersten Blick aussieht, wie eine hundsnormale Einmischung in den Wahlkampf, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als doppelt obszöne Geste: ein zur Penetration erhobener Mittelfinger (rot, auf der linken Seite), und eine stilisierte, aus den Fingern zweier (weiblicher) Hände gebildete Vulva auf der rechten (schwarzen) Hälfte des stilisierten Ehebettes.
Die Botschaft könnte deutlicher nicht sein: „Fuck the women! – Ist das deutlich genug?“ (Carla Bley)
Ja, danke, das ist deutlich genug. Da gibt es ja auch nicht viel mißzuverstehen. Zumal dann, wenn man weiß, daß Tengelmann hauptsächlich Frauen in seinen Filialen unterbezahlt, zum Beispiel die sprichwörtliche KiK-Kassiererin, das Symbol für alle die, deren Illusionen, deren bescheidene Möglichkeiten, deren Aussichten auf ein paar Krümel vom Kuchen und deren nicht eben hochtrabende Ansprüche ans Leben und deren Hoffnung auf ein bescheidenes Lebensglück, deren Wunsch nach Fortkommen an der Realität eines Tengelmann-Arbeitsplatzes zuschanden werden, die auf immer chancenlos sein werden (engl. ugs.: „fucked“).
Die zertrampelten Lebensträume dieser Frauen hat sich Tengelmann nach und nach in ein feines, glatt- und gutgewachsenes Vermögen umgearbeitet, ganz allein übrigens, ohne Unterstützung von irgendwem; das ist bei ihm ein bißchen anders als bei anderen Ausbeutern, die fremde Leute für sich arbeiten lassen. Drei komma fünf Milliarden Euro nennt er sein eigen, schönes Geld, das man überall mit hinnehmen und vorzeigen kann, ohne sich schämen zu müssen. Es wäre schade, wenn er das nun ankratzen müßte, um die Anzeige zu bezahlen. Darum hat Angela Merkel, die großen Männern gerne mal einen Gefallen tut – man erinnere sich an die Geburtstagsfeier für Ackermann Joe -, den Brief schreiben und in alle Haushalte werfen lassen.
Ist so viel Parteinahme nicht aber problematisch für eine Kanzlerin, die doch Kanzlerin aller Konzerne sein wollen müßte? Nein. Die Kanzlerin habe „keine Sorgen, daß Wähler pikiert sein könnten“, sagt Regierungssprecher Seibert. „Negative Reaktionen nimmt sie einfach in Kauf.“ Eigentlicher Zweck des Briefes sei ohnehin der allgemeine Aufruf, von seinem Grundrecht auf Einkaufen Gebrauch zu machen. „Im Zweifel sollte man sich für Tengelmann entscheiden.“
Persönlich hat Tengelmann allen Grund, sich für eine große Kopulation stark zu machen. Für einen effektiven Sozialabbau – nicht Sozialabbau schlechthin und um seiner selbst willen, ein kostenneutraler Sozialstaat kann, darf und soll schon sein -, für effektiven Sozialabbau, Sozialabbau, der die Arbeitnehmer auch motiviert, indem er ihnen zeigt, daß sie nicht die einzigen sind, die für die ihnen angebotene Ausbeutung infrage kommen, und der in ihnen den Wettbewerbsgedanken stärkt oder ihn ihnen überhaupt erst einmal nahebringt – ein solcher Sozialstaatsabbau ist nur mit der SPD zu machen, das hat die Geschichte immer wieder gezeigt. Die FDP mit ihrer kurzsichtigen, durchsichtigen und unfokussierten Klientelpolitik steht dabei bloß im Wege herum und ist letztlich kontraproduktiv. Rechtsanwälte, Zahnärzte, Bauchladenmänner – in einer solchen Umgebung kann man mit – sagen wir mal – Werkvertragsmißbrauch keine nennenswerten Kosten einsparen, das sieht bei Plunderketten wie Netto oder TEDi schon anders aus.
Darum kommt auf der tengelmannschen Fickanzeige die FDP auch nicht vor. Wir wollen nicht darüber spekulieren, womit das noch zu tun hat, denn wir versagen es uns, bei aller teils scharfen, aber nie unversöhnlichen Kritik an politischen Funktionsträgern unseres Gemeinwesens, wie sie hier üblicherweise zu lesen ist, die körperlichen Merkmale und Befindlichkeiten jener zu thematisieren. Wir würden uns niemals über die Manneskraft, ja nicht einmal die Körpergröße eines Politikers oder Wirtschaftsmagnaten auslassen. Es sei denn, der hieße Mehdorn. Aber der ist die absolute Ausnahme. Außerdem hat der ja geradezu darum gebettelt und danach geschrien. Und zwar mit einer Stimmgewalt, die man dem Winzling gar nicht zugetraut haben würde. Trotzdem: wir würden nicht – etwa – über die Größe seines Gemächts spekulieren wollen, aus einerseits Dezenz und Kinderstube, andererseits aber auch aus Angst davor, daß es ganz fürchterlich, unangemessen und obszön groß sein könnte. Jedenfalls wird es billige Witze über Philipp Rösler hier nicht geben.
Auch Angela Merkel erwähnt die FDP in ihrem Schreiben mit keinem Wort, sei’s aus Dezenz, sei’s aus Kinderstube, sei’s aus deren Gegenteil. Wir nehmen an, aus Kinderstube. Sie wird schließlich intimere Details über die diversen FDP-Vorsitzenden und Vizekanzler kennen, als ihr lieb sein wird. Z.B. über deren Mittelfinger. Nun gut, da muß sie durch. Sie hat mit ihnen das Beilager geteilt, nicht wir.
Im PS erwähnt sie dann noch, daß wir auch unsere Verwandten, Freunde und Bekannten auffordern sollten, bei Tengelmann einzukaufen, aber das werden wir nicht tun. Die haben uns nichts getan, die meisten jedenfalls nicht, und dem Himmel sei gedankt, daß es in Käsdorf weder Tengelmann noch einen der anderen zum Konzern gehörenden Ramschläden gibt, so daß wir nicht Gefahr laufen, aus Versehen dort einzukaufen. Zum Boykott aufzurufen ist auch nicht unser Ding, ein eher schwaches Instrument, das nicht überbeansprucht und dabei verbogen werden sollte. Wir werden auch nicht zu irgendwelchen strafbaren Handlungen aufrufen, denn wir vermuten, daß das strafbar wäre. Wir raten von strafbaren Handlungen vielmehr ausdrücklich ab.
Aber es ist uns unvergessen, wie wir vor Jahr und Tag, als die Noroviren uns gepackt hatten und wir unzufällig in der Apotheke standen, um ein Medikament gegen die Norovirenplage einzukaufen, und wir waren noch nicht an der Reihe, als es plötzlich passierte. Je nun, was will man tun? Dagegen ist kein Kraut gewachsen, beziehungsweise dagegen ist natürlich schon ein Kraut gewachsen, aber es gibt das Kraut halt bloß in der Apotheke, und dort, in der Apotheke ist es – wie gesagt – passiert. Das war nicht schön, aber da war nichts zu machen.
Mal sehen, wenn uns das nächste Mal so richtig norovirenmäßig schlecht ist, vielleicht, daß wir uns dann daran erinnern, daß wir nach Frau Merkels Wunsch ja bei Tengelmann einkaufen sollen. Irgendwo in deren Regalreihen wird es doch wohl ein Kraut gegen Übelkeit geben. Muß es ja.
Hoffentlich schaffen wir es dann noch rechtzeitig nach draußen.