Vergangenheitsbewältigung auf Kölsch

Als Glücksfall für die GMFU (Gesellschaft zur Mehrung und Förderung des Unerklärlichen) hat deren Vorsitzender Germanistenfuzzi den Einsturz des Kölner Stadtarchivs bezeichnet, der, für sich genommen, natürlich kein Glücksfall, sondern zutiefst bedauerlich sei. Glücklich sei er lediglich darüber, daß dieser Vorfall so überaus unerklärlich sei, denn, wie die Kölner Verkehrsbetriebe beteuerten, offen auf der Hand liege und jedermann einsichtig sei, es könne der Einsturz mit dem zufällig zur selben Zeit stattfindenden U-Bahn-Bau ja ursächlich gar nicht zusammenhängen.

Wenn dem doch so wäre, so Germanistenfuzzi, wäre der Vorgang überhaupt nicht über seinen Schreibtisch gegangen. Allein das spreche schon gegen einen Zusammenhang. Aber er habe natürlich nicht geschludert, sondern Gutachten angefordert von zwei renommierten Gutachtern und amtlich bestellten Bausachverständigen, Diplom Ingenieur Waklig und Professor Scheer-Spannunck, und beide hätten übereinstimmend ausgesagt, daß das Gutachten des jeweils anderen „geschätzten Kollegen“ das MacBook nicht wert sei, auf dem es zusammengecutted und gepastet worden sei, daß die „Tiefbauer sowieso der Abschaum der Erde, hähähä, ‚Erde‘, Abschaum der ‚Erde‘, hähähähähä“ seien (Waklig) und die „Herren ‚konstruktiven‘ Ingenieure alle nicht ganz knicksteif im Oberstübchen“ (Scheer-Spannunck). Schuld an dem Unglück seien die Grundbauer (Waklig), die Prüfstatiker des Stadtarchivs (Scheer-Spannunck), bzw. da nicht beides richtig sein könne, sei wahrscheinlich beides falsch, und schuld vermutlich die Heinzelmännchen, man sei schließlich in Köln (gesunder Menschenverstand).

Nun sei er gewiß kein Freund des gesunden Menschenverstandes, führt der GMFU-Vorsitzende weiter aus, schließlich sei der gesunde Menschenverstand der sozusagen natürliche Feind des Unerklärlichen und darum auch sein Feind, aber er könne auch der Theorie seines Freundes Gero nichts abgewinnen, nach dessen Aussage die Beteiligung von Bauingenieuren an „irgendwas“ schon hinreichende Erklärung für „alles mögliche“ sei; ihm, Gero, seien schon Biergläser umgefallen, volle und leere, nur weil ein Bauingenieur mit am Tisch gesessen habe, und einmal sei ihm im Pilgrimhaus der Putz von der Decke ins Bier gefallen, bloß weil ein Bauingenieur versucht habe, die Tür aufzumachen.

Wie herum? habe er gefragt, so Germanistenfuzzi, so, wie es der Zimmermann vorgesehen habe, oder andersherum?

Das spiele bei einem Bauingenieur keine Rolle, habe Gero geantwortet.

„Das Bild als solches gefällt mir nicht schlecht: Da geht eins durch die Welt, eine Schneise der Verwüstung ziehend, und die einzige Erklärung, die es dafür gibt, lautet, nunja, Bauingenieur halt,“ gibt Germanistenfuzzi im Hintergrundgespräch mit dem Käsdorfer Metropolitan (KM) zu Protokoll.

„Aber man muß vorsichtig sein. Man muß stets im Auge behalten, daß die Dinge unerklärlich bleiben und bleiben sollen. Auch die windigste Begründung für einen Sachverhalt birgt immer die Gefahr der Abhängigkeit. Über kurz oder lang ist der Organismus daran gewöhnt, daß es für alles eine Erklärung gibt, und will es dann nicht mehr anders haben.“

„Da ist es gut, daß es den U-Bahnbau gibt. Wie man eine Strecke von popeligen 3,6 km für 950 Millionen Piepen unter die Erde legen mag, daß kann man heutzutage auch keinem mehr erklären, es sei denn, man wäre Düsseldorfer und wollte die Kölner in den Ruin treiben. Dann ja. Und wie man, wenn man schon einen Kirchturm angebaggert hat, dergestalt, daß er nicht mehr in der Perpendikularen bleiben mag, es sei denn, man pumpte ununterbrochen Viagra in den Fließsand, und wie man dann in besagtem Kirchturm nicht etwa den tanzenden Zeigefinger Gottes sieht, sich schämt, die Schächte schnell wieder zuscharrt, nach Hause geht und hofft, daß keiner was gemerkt hat, sondern munter weiterbuddelt, und für jeden Riß und jede klaffende Fuge bei Waklig und Scheer-Spannunck sedierende Gutachten in Auftrag gibt, und überhaupt einen Riß erst dann einen Riß nennt, wenn man den Kopf durchstecken kann – das hat was. Das hat wirklich was.“

Erklären lasse sich das nicht.

„Das ist groß, ganz groß!“

Das werde allenfalls getoppt dadurch, daß man ein Stadtarchiv, in dem Sachen zu lagern kommen, die man gerne behielte, wenn es sich irgend machen ließe, mitten in ein schmuckes Altbauviertel baue, wo man stündlich damit rechnen müsse, daß jemand herkomme und eine U-Bahn drunterhertreibe.

„Das ist doch, als wenn ich, sagen wir, den Nibelungenschatz verbuddeln will, und ich denke mir, da suchst du dir am besten einen Platz, wo nicht ständig einer dran vorbeikommt, und nehme einen sandigen Acker im tiefsten Westfalen, zwischen Kamen, Derne, Rottum und Freise: da beschwere ich mich doch auch nicht, wenn eines Tages ein Bauingenieur der Fachrichtung Verkehrswegeplanung kommt und dort ein beliebtes Autobahnkreuz hinbaut, und ich meinen Schatz vergessen kann. Damit rechnet man doch.“

„Bzw., damit rechnet man eben nicht. Wieso da? Was will man da mit einem Autobahnkreuz? Da ist doch nichts. Außer dem Schatz.“

„Das ist doch völlig unerklärlich.“

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