Basically the Same Procedure As Almost Every Year

Angela Merkel

hat in ihrer Neujahrsansprache die Bürger zu mehr gesellschaftlichem Engagement aufgerufen. Sie selbst, so Merkel, komme nicht dazu, bei ihrer vielen Arbeit. Es müsse und könne die Regierung nicht alles tun, der Bürger müsse schon mit anpacken, z.B. den Rasen mähen, das Laub zusammenharken und den Gehsteig fegen. Das sei gesellschaftliches Engagement im besten, also Merkelschen Sinn. Oder daß mal einer die Hecke schnitte und die Obstbäume zurück. Von unschätzbarem Wert für die Gesellschaft sei es auch, wenn die Bürger morgens zeitig aufstünden und pünktlich zu Arbeit erschienen. Nicht auszudenken, mit welchem personellen und finanziellen Aufwand der Sozialstaat sich selbst übernehmen und ad absurdum führen würde, wollte er das Wecken der Bürger und ihren Transport zu den jeweiligen Arbeitsstätten als hoheitliche Aufgabe begreifen. Eigentlich sollte und müßte jede Mutter und jeder Vater, die Tag für Tag dafür sorgten, daß Essen auf dem Tisch steht und die Kinder nicht nackig zur Schule müssen, das Bundesverdienstkreuz bekommen, und wenn es nach Frau Merkel ginge, und wenn Frau Merkel die Richtlinien der Politik bestimmen könnte, dann hätten sie es längst. Für wahrhaften Bürgersinn. Man stelle sich vor, der Staat sollte auch dafür noch sorgen! Das erste, was dabei herauskäme, wäre ein wöchentlicher Veggie-Day. Vielleicht sogar das einzge.

Aber sie komme auch gar nicht dazu. Sie habe alle Hände voll zu tun, das Engagement ihrer Bürger ins Leere laufen zulassen, indem sie es komplett ignoriere, so komplett, wie vor ihr nur Helmut Kohl und Gerhard Schröder, sowie Helmut Schmidt, Willy Brandt, Kurt Georg Kiesinger, Ludwig Erhard und Konrad Adenauer das gesellschaftliche Engagement ihrer Bürger ignorierten, wenn dasselbe nicht in die Staatsräson paßte, ja kompletter noch als diese. Das sei sehr zeitaufwendig. Wie leicht rutsche einem nicht im Eifer des Wortgefechts ein Satz heraus, den man hinterher bereue, selbst ihr. Zum Beispiel der von der Stasi und ihrem Handy. Fern sei es ihr, die Staatsamateure des MfS mit den gesellschaftlich engagierten Vollprofis der NSA zu vergleichen, fern sei es ihr. Und doch sei es ihr passiert. Da gelte es, eiserne Disziplin walten zu lassen. Als Lord Emsworth seiner Schwester Connie mitteilte, daß der Duke of Dunstable sein, Lord Emsworth‘ Schwein, die Empress of Blandings haben wollte, da sprach seine Schwester, nun, wenn er es haben wolle, dann müsse ihr Bruder es ihm geben. Denn dem Duke of Dunstable eilte der Ruf voraus, im Bedarfsfalle, wenn etwas nicht akkurat nach seiner, des Dukes Mütze gehe, mit einem Schürhaken Salons zu zerlegen. Lord Emsworth‘ gesellschaftliches Engagement, dem Duke Paroli zu bieten, paßte daher nicht in die Staatsräson seiner Schwester, die besagte, daß die Salons von Emsworth Castle vor der Zerlegung zu schützen seien.

Also stehe es auch um die NSA. Wenn diese die Daten der Bürger haben wollten, so müßten die Bürger ihr die Daten selbstverständlich geben. Vertrottelten Earls wie Sascha Lobo dürfe kein Gehör geschenkt werden.

Vladimir Putin

hat den Terroristen, die in Wolgograd einen Bus und einen Bahnhof samt Inhalt – auf den es aber nicht so ankommt, da es sich bloß um Leute handelt, die Putin nicht kennt und auch nicht schätzt, darunter sogar zwei Selbstmordattentäter, Terroristen also – Putin hat den Terroristen, die einen Bus und einen Bahnhof in die Luft zu sprengen geruhten, entweder zum höheren Lobe Gottes oder um Putin zu ärgern oder weil heute Donnerstag ist, was aber alles aufs selbe hinausläuft, jedenfalls für den Inhalt, aber auch für uns alle (Наро́д, russisch für Volk, niederes; in weiteren Bedeutungen auch: das Sprengbare, das zu Sprengende, die Sprenglinge, das Sprengicht) – Putin hat den Bahnhofs- und Buskaputtmachern in seiner Neujahrsansprache gesagt, er, Putin, kenne sie ganz genau, er kenne ihre Namen, er kenne ihre Adressen, er wisse auch, was sie im letzten Sommer gemacht hätten. Beziehungsweise am Sonntag und Montag. Er wisse auch, was sie vorhätten, also nicht die jetzt mit Draufgegangenen, aber die anderen alle. Denn er, Putin, sei ein Supermann. Beziehungsweise der Superman. Und er werde, Putin Supermann werde den Terror mit Stumpf und Stiel ausrotten, Putin Supermann stelle dem Terror hiermit und jetzund die vollständige Vernichtung in Aussicht. Der Terror möge sich bitte nicht täuschen, die Tatsache, daß Putin ihn nicht bereits ausgerottet habe, lasse nicht darauf schließen, daß er es nicht könne oder nicht wolle. Er könne es und er wolle es. Er habe dem Terror nur eine letzte Gelegenheit geben wollen, sich eines Besseren zu besinnen, denn er, Putin, sei ein harmoniebedürftiger Mensch und greife nicht gern zum Äußersten, wenn es auch im guten gehe. Da es aber im guten nicht gegangen sei, denn der Terror habe die Gelegenheit, die Putin ihm gelassen habe, nicht genutzt, habe Putin seinen großen Mund jetzt voll vom Terrorismus. Respektive seine Nase, die auch nicht von schlechten Eltern sei. Seit 14 Jahren tanzten die Terroristen jetzt auf eben dieser, Putins, Nase herum, keine drei Wochen sei er 1999 im Amt gewesen, als tschetschenische Terroristen damit begonnen hätten, ihn mit einer Serie von Bombenanschlägen im Amt zu bestätigen. Ja, man könne sagen, daß er von den Terroristen erst an die Macht gebombt worden sei. Könne man sagen. Wenn man partout nach Sibirien wolle, könne man das sagen. Solle sich dann aber nicht beschweren, wenn man sich dort unter lauter Terroristen wiederfinde, die er, Putin, jetzt allesamt ebenfalls dorthin schicken werde. Denn jetzt gebe es für den Terror keine Gnade mehr, jetzt mache er ernst. Nicht der Terror, Putin. Putin mache jetzt ernst. Noch eine Splitterbombe, noch ein Kanonenschlag in einer Sektflasche, noch soviel wie ein Knallfrosch, und Putin werde anfangen, sein Aufgebot an Sicherheitskräften noch einmal aufzustocken, noch mehr Geld für die Verfolgung von Staatsfeinden Nummer eins zur Verfügung zu stellen, und die Sicherheitskräfte zu noch mehr Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegenüber Наро́д anzuhalten, zu Folter, willkürlichen Tötungen, Korruption, ganz allgemein: zu Terror.

Denn irgendwo müßten die ja stecken, die Terroristen. Wenn nicht im Наро́д, wo dann?

Papst Franziskus

hat die Welt, die, wenn sie gerade nichts Besseres zu tun hat, zum Beispiel sich gegenseitig die Fresse zu polieren, ganz gerne mal auf sowas hört, zu mehr Gemütlichkeit aufgerufen.

Gemütlichkeit sei Fundament und Weg des Friedens, schreibt Franziskus in seiner Neujahrsbotschaft, die an diesem Donnerstag im Vatikan vorgestellt wird. Man solle seinen Mitmenschen nicht eins ins Kreuz geben, sie schubsen, ihnen in den verlängerten Rücken treten, ihnen ein Bein stellen oder den Ellbogen dahin rammen, wo es ordentlich wehtut, so der Papst, sondern man solle den Ball schön flach halten, es mal langsam gehen lassen und immer schön geschmeidig bleiben. Er beklagt die Hektik in vielen Teilen der Welt, fordert ein Wiederentdecken der Gemütlichkeit in der Wirtschaft und nennt seelsorgerische Maßnahmen nötig, um eine übertriebene Unausgeglichenheit der Gemüter zu verhindern. Franziskus ruft außerdem nach Abrüstung, einem Stopp des Waffenhandels, mehr Naturschutz sowie zwei großen Köstritzern. Die Botschaft zielt auf den 1. Januar, an dem die katholische Kirche einen Welttag des Gemüts begeht. Hier sind einige Kern-Auszüge aus der Papstbotschaft.

„Gemütlichkeit ist eine wesentliche Dimension des Menschen. In vielen Teilen der Welt scheint die schwere Verletzung der elementaren Menschenrechte ununterbrochen weiterzugehen. Die tragische Erscheinung des Eckkneipensterbens ist ein beunruhigendes Beispiel dafür. Zu den Kriegen, die in bewaffneten Auseinandersetzungen bestehen, gesellen sich weniger sichtbare, aber nicht weniger grausame Kriege. Sie werden im wirtschaftlichen und finanziellen Bereich mit Mitteln ausgefochten, die ebenfalls Existenzen, Familien und Unternehmen zerstören.

Werden die Menschen dieser Welt der Sehnsucht nach Gemütlichkeit, die ihnen von Gottvater eingeprägt ist, jemals völlig entsprechen können? Sagen wir es so: Wir alle sind nur zu Gast auf dieser Erde. Auf einer kurzen, mühseligen, aber von Gott begnadeten Reise ins Ungewisse, kehren wir ein im Nobiskrug, und sind dort alle Gäste der Einen Wirtin. Bevor der schwarze Fährmann uns holt und dahin bringt, wo es definitiv ungemütlich wird, wollen wir es warm und lauschig haben. Sollen wir da immer auf den Deckel des Nachbarn schielen, was der schon hatte, wie voll dessen Gläser sind und was das eigentlich ist, was er da auf dem Teller hat, und was so gut duftet? Sollen wir der Wirtin den Deckel dessen hinhalten, der unter den Tisch gesunken ist? Sollen wir uns die Krüge über die Köpfe hauen, daß die Stücke nur so springen? Sollen wir die Wirtin, die uns speist und tränkt, die uns die Gläser spült und das Bier kühlt, die uns den Würfelbecher reicht und frische Steine ins Urinal legt, sollen wir die arme Frau vollends ruinieren? Wissen wir nicht, daß sie es in der Hand hat, uns die Suppe zu versalzen oder ins Bier zu spucken?“

An dieser Stelle ist in der Papstbulle ein großes Gekrakel zu sehen, und dann geht es wie folgt weiter:

„Wisset, das Gute an mir als dem neuen Papst ist ja, daß ich anders als meine eminenten Vorgänger, die ununterbrochen unfehlbar waren, nicht ununterbrochen unfehlbar sein muß, sondern den Ball hübsch flachhalten, es langsam angehen lassen und immer schön geschmeidig bleiben kann. Ich bin genauso fehlbar wie Ihr alle. Das ist das Schöne, das ist meine frohe Botschaft.“

„Langer Rede Sinn: ich habe mich vertan. Von der Brüderlichkeit hatte ich reden wollen, nicht der Gemütlichkeit. Aber was soll’s, 2014 ist auch noch ein Jahr.“

Nachdem Franziskus 2014 über die Brüderlichkeit gepredigt haben wird, will er im Jahr 2015 – um seinem Ruf als Revoluzzer gerecht zu werden – über die Gleichheit predigen, und 2016 dann über die Freiheit.

Germanistenfuzzi

hat zum fünfzigsten Mal die Sendung Dinner for One verschlafen, „freiwillig“, wie er stolz betont.

„Naja, nicht ganz freiwillig. Aber immer freiwilliger. Je älter ich werde. Anfangs habe ich von der Sendung nichts gewußt, denn meine Eltern hatten ja keinen Fernseher. Später hatten sie einen Fernseher, aber da war ich schon ausgezogen, und in der WG hatten wir zwar Fernseher, aber die waren alle kaputt, und als ich allein wohnte, hatte ich zwar endlich einen Fernseher, so einen kleinen Vierzehnzöller mit Zimmerantenne, aber da war ich Silvester nicht zuhause, sondern zum Feiern in irgendeiner WG, und jedenfalls, heute haben wir natürlich Fernseher, ich hatte zwei, und als Tausendschönchen einzog, brachte sie auch zwei mit, und mittlerweile haben wir fünf Stück über die Wohnung verteilt, meinen kleinen Vierzehnzöller nicht gerechnet, der auf dem Speicher steht – ich kann sowas nicht wegwerfen, das lachsfarbene Wählscheibentelefon auch nicht – Wegwerftelefone sind was anderes, Wegwerftelefone kann ich jeden Tag drei Stück wegwerfen, aber das ist nicht dasselbe – wo war ich? Ja, wie gesagt, heute haben wir Fernseher, aber heute habe ich auch die Hunde, und für die ist Silvester der pure Stress. Wir kriechen Silvester immer zu viert gemeinsam unter das Bett, und Tausendschönchen türmt alles, was wir an Federbetten haben – ich hatte zwei, Tausendschönchen hat auch noch mal zwei mitgebracht, und ein Gästebett ist auch noch da, das kommt obendrauf und darauf die Steppdecken und die Wolldecken und die Hundedecken und noch ein paar Kissen, und Tausendschönchen verdunkelt das Fenster, schließt die Tür von außen zu und geht am anderen Ende des Hauses fernsehen. Wir haben ja gottseidank in jedem Zimmer einen, so daß sie nicht im Nachbarzimmer sitzen muß und wir am Ende doch noch was hören müssen. Aber so kann eigentlich nichts passieren. Jedenfalls ist nichts mehr passiert, seit wir die Vorsichtsmaßnahmen treffen.“

„Und ich kann Ihnen versichern: ein Hund, der an Silvester vor Panik nicht weiß, wo er hinsoll, das ist kein Spaß. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich einmal zu Silvester in irgendeiner WG dreimal die Neujahrsansprache von Helmut Kohl habe hören müssen. Auch sehen, aber die Augen kann man ja schließen oder zur Decke drehen. Aber drehen Sie mal die Ohren zur Decke, das nutzt Ihnen gar nichts. Und zwar die vom Vorjahr. Irgendwas war da im Sender schiefgelaufen oder sabotiert worden, und weil es schon Kabel gab und die WG schon verkabelt war, konnte man sämtliche dritten Programme empfangen, und weil irgendein Serienliebhaber – nennen wir ihn Gero, wenn er nicht Gero geheißen hat, hätte er doch gut Gero heißen können – das für lustig hielt, wurde erstens im zweiten, zwotens im ersten, schließlich in einem dritten Programm die Neujahrsansprache von Kohl nicht nur gesendet sondern auch angesehen; und ehe dasselbe mit Dinner for One wiederholt werden konnte, hatte sich eine mitfühlende Seele gefunden – nennen wir sie Germanistenfuzzi -, die den Fernseher – einen kleinen Vierzehnzöller mit Zimmerantenne, die man aber nicht brauchte, weil, wie gesagt, die WG bereits verkabelt war, aus dem Fenster des Berliner Zimmers in den ersten Innenhof geworfen hatte, was nicht weiter auffiel, weil an Silvester in Kreuzberg nichts auffällt, was durch die Luft fliegt und kracht und zischt – es würde das, was das angeht, auch am Tag vor Silvester oder an Neujahr nicht auffallen, oder vielleicht etwas mehr als an Silvester, aber nicht viel.“

„Und eben dies, dies Nicht-vergessen-Können, ist es, was mich die Vorsichtsmaßnahme ergreifen läßt – nicht die Sorge um die Hunde, die auch, aber die Hunde haben nichts gegen Silvesteransprachen von Angela Merkel, obwohl der Butz zum Steinerweichen jault, wenn ihr Gesicht auf dem Bildschirm erscheint, selbst bei abgedrehtem Ton – aber der Butz scheint mir ohnehin ein Tier mit besonderen Fähigkeiten zu sein, erinnern Sie mich, daß ich Ihnen bei Gelegenheit erzähle, wie er mit zugelaufen ist, es war an einem Ostertag -, nein, die Hunde haben was gegen Sachen, die durch die Luft fliegen und krachen und zischen, mich persönlich stört das nicht so sehr, nicht so sehr wie Angela Merkels Neujahrsansprachen jedenfalls, oder irgendwas, was Angela Merkel sagt, aber an Silvester weiß man es halt vorher, daß sie reden wird, deswegen der – wie heißt denn wohl das von Kriechen abgleitete Substantiv? Analog zu der Gang, von gehen, wie in der Gang vor die Hunde: vielleicht der Krauch? – deswegen der Krauch mit den Hunden unter das Bett. Wenn’s der Deubel will, und ich höre ihre Neujahrsansprache, die vergesse ich ja auch nie wieder. So wie ich niemalen mehr vergessen werde, gehört zu haben, wie sie vor der Bundespressekonferenz das Folgende sagte:

Die Frage, vor der wir jetzt stehen – ich sage es einmal ganz hart -, ist: Wollen wir als Mitgliedstaaten immer nur dann reagieren, wenn die Märkte uns die rote Ampel zeigen, oder sind wir auch fähig, so zu reagieren, dass wir die rote Ampel nie wieder sehen?

Gung gung gung gung! Nachbarin! Euer Täschchen! Oder irgendwas! Ich brauche etws, das ich zerbeißen kann. Wie ihr da rote Karte und rote Ampel durcheinander geraten, beziehungsweise: sie meint die rote Karte, merkt dann aber gerade noch so eben, wie an der kurzen Pause vor ‚Ampel‘ erkennbar, daß ihr die Metapher von den Märkten als Schiedsrichter der Politik, je zutreffender sie ist, desto konterkarierender für den Großen Gesang von der mächtigsten Frau der Welt erscheint, denn wenn die mächtigste Frau der Welt vor Publikum – hier der Bundespressekonferenz – dartut, daß eine Regierungschefin, und sei sie die mächtigste der Erde, für ‚die Märkte‘ nichts weiter sei als eine Bordsteinschwalbe für den Luden, der zum Abkassieren kommt – – -, und schnell reißt sie das Steuer herum, wobei es aber die Rhetorik aus der Kurve haut, denn vor wem, nicht wahr, sind wir alle gleich? – Nur vor Gott, vor dem Tod und vor der roten Ampel.“

„Gung gung!“

„Jedenfalls: wer Merkel kennt, weiß, was ich meide, und wenn ich am Neujahrsmorgen, ausgeruht und nüchtern, wiewohl mit Staubflocken bedeckt, den Phaeton an den Saufnasen vorbei schnurren lasse – Schneidewind hat frei -, die nach durchzechter Nacht, so wie wir früher auf der Großbeerenstraße, auf dem Gehsteig vor der Gurkendosenverschließerei, nicht wissend, ob sie Männlein oder Weiblein seien, und was von beidem vorzuziehen wäre, mit einem Schädel, dem sie frühestens am zweiten oder dritten Januar wieder über den Weg trauen dürften, herumlungern und dem neuen Jahr einen schlechten, aber zutreffenden Eindruck vermitteln – um dann in der Feldmark aus dem MP3-Orakel, das ich zu diesem Zweck in den Shufflemodus versetzt habe, als erstes U Dance zu hören bekomme, vom 15. Oktober 1989 in der Philharmonie zu Kölle, wozu die Eichen ihre bloßen Zweige einladend vor wolkenlosem Westhimmel ausbreiten – beschwingter kann man ein neues Jahr nicht beginnen; außerdem habe ich am Montag meine Steuererklärung just in time in den Schlitz des Finanzamtes gezwängt – was hatte ich gesagt, vor wem wir alle gleich wären? – Nein, das Finanzamt gehört nicht dazu. Es gibt da einen Text von Peter Hacks, in dem er die Überlegenheit des Sozialismus im Hinblick auf die Wiederherstellung der menschlichen Würde in einer kleinen Szene feiert, in der er die Rechnung des Nobelhotels, in dem er aus theoretisch steuerlich absetzbaren Gründen geherbergt hatte, vor den entsetzt geweiteten Augen des Gehaltssklaven hinter dem Tresen zerreißt und in den Papierkorb wirft: Ja, der Sozialismus hat uns unterscheidbar gemacht. An Tagen wie diesen nenn‘ auch ich mich einen Sozialisten. Auch wenn ich mich dadurch mit Gero gemein mache; sei’s drum. Aber nun kann ich immerhin, unbelastet von Altlasten und unbehelligt von einem sich dick und dicker machenden Überich der Dinge harren, mit denen das neue Jahr mich kränken will.“

„Der zweite Titel, den das Orakel für 2014 ausspuckte, war übrigens The Green Fields of France, was mich, auch das gleich in der neunten Stunde des Jubiläumsjahres, daran erinnerte, daß in diesem Jahr mein Lieblingskrieg, der erste Weltkrieg – vor dem Korea-Krieg, den ich aber auch sehr mag, und nach dem dreißigjährigen, der allerdings außer Konkurrenz läuft – laufen muß, da reicht keiner heran -, hundert wird. Ich freu mich schon. Ich plane, ab August ein Reenactment-Blog zu führen, unter dem Titel – Tja, wie nenne ich es mal? The Flowers of the Forest? The Last Post in Chorus? The Red Poppies Dance? The Green Fields of France? No Man’s Land? Oh, What a Lovely War? – Nun, bis zum 28. Juli ist ja noch ein bißchen Zeit. Freuen Sie sich mit mir auf einen Live-Ticker mit Lageberichten und mit Body-Counter: bei 17 Millionen Toten in vier Jahren sind das etwa alle siebeneinhalb Sekunden einer – das ist schon was. Da sieht man schon Bewegung im Counter. Wir haben praktisch keine Eroberungen oder etwas in der Art, sondern Stellungskrieg aus dem Stand, von Null auf Null in Null Sekunden sozusagen, das aber mit Hurra und allem avec: Giftgas, ausgekotzte Lungen, Stacheldrahtverhaue, drin hängen Gebliebene, Verschröggelte, wenn der Stacheldraht elektrisch geladen war, Minenfelder, zerfetzte Glieder, Maschinengewehre, abgesägte Glieder, brandige Glieder, erfrorene Glieder, verfaulte Glieder, Gliederkübel, kein Penicillin, Doppeldecker, Säbel gegen Doppeldecker, verendete Pferde unter Doppeldeckern, Tanks von der Qualität einer Tunfischdose, man durfte bloß nicht drunterkommen, druntergekommene Pferde – wenn Sie das interessiert, lesen Sie Leonhard Franks Erzählung Der Mensch ist gut. Das ist er nicht, der Mensch, Frank irrte. Auch die Erzählung ist nicht besonders gut, ist sie nicht, nein; der Herr Frank war bisweilen ein entsetzlicher Idealist, bisweilen aber auch, wenn er das vergaß, ein ganz, ganz Großer. Wenn Sie zum Beispiel auf expressionistische Schilderungen abgesägter Gliedmaßen aus sind, ist Frank Ihr Mann. Aufbau Verlag, 1957, Leinen. Angenehm braunfleckig. Für eine handvoll Cents zu kriegen. – Tja, der Sozialismus! Unterscheidbar hat er uns gemacht. Aber hat ihm das was genutzt? – Außerdem im Angebot: Dolomitenkrieg, Karpathentaktik, Gallipoli, und und und. – Wie auch immer. Als William McBride starb, wurde mein Vater geboren, verhungerte so gut wie prompt, erfror auch ein bißchen, und konnte nur durch Quäkerspeisung wieder hochgepäppelt werden. Was zeigt, daß der Tod von William nicht umsonst gewesen ist. Denn ohne meinen Vater, wo wäre ich da heute? Er vermachte mir nicht nur eine unsterbliche Liebe zum Norden Frankreichs, Respekt vor den Quäkern – „What canst thou say? Art thou a child of Light and hast thou walked in the Light, and what thou speakest, is it inwardly from God?“ – Berechtigte Frage! Aber: yes I have! This very morning. Well – yesterday morning. There was this light streaming from the east, and there was the old oak tree spreading it’s branches in welcome, and a voice from within me spake: U Dance!. And I danced. -, sondern auch seinen Mantel, erstanden im Koreakrisenjahr, und in der Familien-Saga als Koreakrisenmantel bekannt. Den halte ich ihn in Ehren, und trage ihn, wenn ich am Neujahrsmorgen mit den Hunden durch die Feldmark tanze, wie Woody Allen mit dem Tod in der Schlußszene von Love and Death. Der allerdings nicht zu U Dance tanzt, sondern zur Prokofjews Troika. Den der Tod aber wann erst holte, den Prokofjew? – 1953. – Da war der Mantel gerade mal drei. – Und die Krise vorbei. – Und auch Stalin mußte dahin. – Ach, wie ist nicht alles allem im Innern verwandt!“

„Das ist doch mal ein Jubiläum! Sechzig! Na gut, einundsechzig. Aber Silvester, Silvester wären es noch sechzig Jahre gewesen. – Fünfzig! Pah. Ich bin doch nicht mehr siebzehn, und feiere jeden krummen Geburtstag, nur weil ich glaube, es könnte mein letzter sein! Was ist denn schon fünfzig für einen neunzigsten Geburtstag!? – Kommen Sie wieder, wenn Dinner for One neunzig wird! Dann stell‘ ich mir einen Wecker und seh‘ zu, ob ich es mir ansehe. Wenn ich dann noch kucken kann. – Wie alt werde ich dann sein?“

„Oha.“

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