Drastische Zunahme der Online-Drastik

Drastik-Forschern ist es nicht neu: die Verwendung von Drastik in Online-Medien nimmt entweder zu, oder sie wird drastischer.

Diese Erkenntnis wird jetzt auch von den Ergebnissen eines Drastologen-Kongresses gestützt, der heute an der Deutschen Akademie für Wichtigtuerei in Käsdorf zuende geht.

„Es ist verheerend, was momentan an drastischen Einbrüchen, drastischen Rückgängen, drastischen Abstürzen und drastischer Sprachverklappung auf Google News anzutreffen ist,“ sagt ein nicht genannt sein wollender interdisziplinärer Privatdrastiker ohne Lehrauftrag dem Käsdorfer Metropolitan (KM) in der Rumba-Bar der Akademie. „Man muß es so drastisch sagen.“

Die Zunahme der Verwendung des Wortes ‚drastisch‘ in der Krise, sei, jetzt fehle ihm ein Wort, ‚verheerend‘ habe er schon benutzt, das wolle er nicht noch einmal benutzen, aber die Zunahme sei …, sei …“

Drastisch?

„Ja. Drastisch. Eine drastische Zunahme.“

„Wenn erst mal einer damit angefangen hat, dann gibt es kein Halten mehr. Jeder denkt, er muß ein noch drastischeres Adjektiv für den allgemeinen Niedergang finden als der Skribent vor ihm, und da ihnen nichts anderes einfällt als ‚drastisch‘, nehmen sie ‚drastisch‘.“

„Drastisch ist das.“

„Da können die Aufträge für das maschinenbauende Gewerbe, nicht so einfach zurückgehen. Oh nein. Das wäre ja! Einbrechen tun sie, die Aufträge. Aber sie brechen nicht einfach so ein, auch das nicht. Sondern nämlich wie? Wie brechen sie ein? Die Aufträge für das maschinenbauende Gewerbe? Heh? Wie?“

Drastisch?

„So ist es. Genauso machen sie das, die Aufträge für das maschinenbauende Gewerbe.“

Es ist jetzt ein bißchen neben dem Thema, aber ist Ihnen aufgefallen, daß Ihre Art und Weise, statt ‚Maschinenbauindustrie‘ ‚das maschinenbauende Gewerbe‘ zu sagen, dem, ähemm, ‚Gewerbe‘, also der Maschinenbauindustrie, daß Sie der Industrie damit einen gewissen Ruch geben, so als handele es sich bei ihr um eine Riesensauerei?

„Tut es ja wahrscheinlich auch. – Bitte, ich kenne mich mit Maschinenbau nicht aus, dazu bin ich nicht interdisziplinär genug. Aber es gibt mit Sicherheit nicht nur anständige Maschinen. – Aber wie Sie schon sagten: das führt uns ab. Bitte stellen Sie weitere Fragen zum Thema, und stellen Sie sie so, daß meine Antworten mich möglichst wichtig aussehen lassen.“

Sie sprachen von den Online-Redakteuren …

„Skribenten.“

Sie, ääh, würden sich nicht vielleicht zu ‚Online-Redakteur‘ oder ‚Redakteur‘ verstehen können?

„Wenn ich statt dessen ‚Skribent‘ sagen kann? Nein. Wieso denn?“

Dies, ääh, also wir, also dies hier ist ein, ähm, Online-Medium.

„Nun machen Sie sich mal nicht ins Hemde! Was kümmert es eine deutsche Wildsau, wenn ein nicht genannt sein wollender interdisziplinärer Privatdrastiker sie einen Skribenten nennt?“

Auch wieder wahr. Was haben Sie denn sonst noch für Beispiele für Drastik zusammengetragen. Sie haben hier immerhin drei Tage lang getagt?

„Drastische Beispiele. Ich schlage mal das Internet an beliebiger Stelle auf, und was finde ich da? Drastische Zunahmen, z.B. bei Marderschäden, Arbeitslosenzahlen, Piratenüberfällen, Kurzarbeitsanträgen, Autodiebstählen, Betroffenen, Zusammenstößen von Flugzeugen mit Vögeln, Masern-Fällen sowie Verwendung des Wörtleins drastisch zu Publikumsanlockungszwecken bei Online-Skribenten; drastische Abnahmen, z.B. gesenkte, gesunkene oder sinkende Umsätze, LKW-Verkäufe, Prognosen, Heizölverbrauche, Wachstumserwartungen, Nachfragen und Steuereinnahmen; wo nicht gar drastische Einbrüche, z.B. bei Märkten, Gewinnen, Exporten, Einbürgerungen, Berufsanfängern, Aktienkurse und Preisen; und schließlich allgemeine Drastik in Form von z.B. drastischen Sparkursen, Sparkonzepten, Sparvorschlägen, Sanierungskursen, Konzernumbauten, Korrekturen bei Schweinegrippen-Opfern, Benachteiligungen, usw. usf. etc.“

Sammeln Sie solche Beispiele nur, oder werten Sie sie auch wissenschaftlich aus?

„Wir werten sie natürlich auch wissenschaftlich aus. Aber vorher sammeln wir sie.“

Und wie?

„Wir tragen alles zusammen, was wir finden, und legen es in den magischen Kreis. Jeder sagt etwas zu den einzelnen Fundstücken, dazu, was sie ihm persönlich bedeuten, welche Geschichte damit verbunden ist, oder woran er sie erinnert; es ist aber auch erlaubt, schweigend zu meditieren oder ein kurzes Gebet zu sprechen. Manche machen auch einen Handstand. Ich persönlich schiebe gerne einen Daumen unter meine Hosenträger und lasse sie schnapsen.“

Wir meinten eigentlich die wissenschaftliche Auswertung.

„Das ist ja die wissenschaftliche Auswertung.“

Wie? Müssen Sie nicht erstmal kategorisieren und priorisieren und induzieren und deduzieren und so weiter?

„Machen wir doch.“

Und wie?

„Entweder wir haben eine drastische Zunahme, oder eine drastische Abnahme, oder etwas ist ganz allgemein drastisch. Und alles drei nimmt immer drastischer zu.“

Das war’s schon?

„Einfach, nicht?“

Aber nochmal zu den Online-

„Skribenten.“

Jaja. Schongut. – Und daß dieselben einander zu überbieten versuchten.

„Müssen. Überbieten müssen. Das ist wie mit den Überschriftgrößen: der erste kommt noch mit 24pt aus. Der nächste nimmt vielleicht 27pt. Der nächste 30pt. Usw. 36pt, oder 48pt. Da dauert es nicht lange, und Sie sind bei 72pt.“

Wir glauben, wir haben verstanden, was sie sagen wollen.

„Oder 144pt. Verstehen Sie, es geht nicht zurück. Der erste, der ein Erdbeben in den Abruzzen meldet, kommt noch mit Stärke 8 auf der nachoben offenen Richterskala aus. Beim nächsten hat das Beben vielleicht schon Stärke 32. Nach ein paar Runden hat es Stärke 65 536. Noch noch ein paar Runden weiter 1 048 576. Alles auf der Richterskala, die sich das auch nicht hat träumen lassen, als man sie damals nach oben offen gelassen hat.“

Wir wiederholen, wir haben verstanden. Tatsächlich hatten wir schon vor dem letzten Absatz verstanden. Es hätte dieser drastischen Beispiele nicht bedurft.

„Aber glauben Sie mir, bisweilen ist Drastik unumgänglich! Insbesondere, wenn man dem Leser vollkommen klar machen will, worum es geht. Da muß man schon mal zu drastischen Beispielen greifen.“

Was machen Sie nach dem Kongreß? Haben Sie jetzt erstmal genug geforscht?

„Es hat, wie Sie sagen, sich jetzt erst einmal ausgeforscht. – Heute abend geht der Kongreß TanZeN, und ich vorneweg. Wir haben da ein paar Kolleginnen, sage ich Ihnen, zwei aus Bamberg und aus Brunsbüttelkoog auch zwei, und zwei aus Böblingen, nein aus Böblingen, und eine kommt aus Bebra, glaube ich.“

Was Sie da mit ihren Händen anstellen, diese Gesten, die sind, sind die nicht ein bißchen forscherinnenfeindlich, nein?

„Ich bin, und meine Hände sind, im Gegenteil, voller kollegialer Bewunderung, und voller Vorfreude auf heute abend! Ich traue mir durchaus zu, das eine oder andere Mal meine Hosenträger schnapsen zu lassen. Vielleicht sogar alle beide zugleich.“

Und wo? Ich meine, wo tanzen Sie? Hier in der Bar?

„Hier in der Rumba-Bar. Wozu hat man eine Rumba-Bar?“

Kann man da vielleicht mittanzen?

„Ha! Haha! Hab ich Sie? – Sie planen wahrscheinlich eine Reportage über Forscherinnenfeindlichkeit, nehme ich an? – Neinnein, junger Mann, keine Skribenten! Gehen Sie brav nach Hause und daten Sie Ihr Blog up.“

Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber die Art und Weise, wie Sie ‚daten Sie Ihr Blog up‘ sagen, so nämlich, daß Sie statt dessen ebensogut ‚und duschen Sie kalt‘ sagen könnten, läßt es klingen, als handle es sich bei dieser Tätigkeit um Schweinkram.

„Das tut es ja wahrscheinlich auch. – Rùmbá-Bár, Rùmbá-Bár, Rùmbá-Bár, Rùm-bá-Bár, – junger Mann, das Leben ist schön.“

„Ist Ihnen auch so interdisziplinär zumute?“

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