Jibbitz

Als ich im vergangenen Jahr mit meinem Neffen, dem Sohn meiner Schwester, welche als Kind mehrfach zu heiß gebadet worden ist – ich weiß das, weil ich dabei gewesen bin; unsere Eltern pflegten uns zusammen in eine Wanne zu stecken, aus Sparsamkeit und vermutlich Umweltschutzerwägungen – nicht, daß sie besonders grün veranlagt gewesen wären (dann hätte man uns vielleicht eher lauwarm gebadet), es steckte unseren Vorfahren – mehrheitlich Bauern und Kleingewerbetreibende – einfach so im Genom: daß man nichts wegwarf, was sich noch gebrauchen ließ, nicht einmal Badewasser; bei uns konnte die Restmülltonne froh sein, wenn sie was abkriegte, mit dem sie ihre Blöße bedecken konnte. Insbesondere im Vergleich zu meinem Großvater stehen die Grünen wie vaterlose, ja großvaterlose Waisenknaben da. Mein Großvater trennte und vermied Müll, daß es nur so staubte. Richtig stauben tat es, als der alte Pferdestall – wir wohnten in einem Haus, das im vorletzten Jahrhundert von einem Bierverleger gebaut worden war; es war nie fertig geworden, denn auch in den Gründerjahren gingen Startups pleite, was sie mit kaiserlicher Genehmigung auf ‚die Juden‘ schieben durften; und als meine Vorfahren das Haus für einen Apfel und ein Ei aus der Konkursmasse des Verlegers herausgekauft hatten, da waren zwar noch genügend Äpfel und Eier übrig, mit denen man die alte Waschküche, in der die Bierflaschen gespült worden waren, zum Kinderzimmer hatte umbauen können – darin schliefen wir, und ich glaube, mein Zugetansein zum Getränk Bier verdankt sich möglicherweise dieser frühen Prägung; obwohl andererseits die Zugetanheit zum Bier natürlich keinen ‚Grund‘ braucht, sondern eine selbsterklärende Angelegenheit ist – aber es waren weder ausreichend Äpfel noch Eier übrig, um das Hinterteil des Hauses auf Vordermann zu bringen; zwar hatte es zur Straße hin eine schöne Jugendstilfassade, nach hinten hinaus aber war alles pfui, so auch der Pferdestall, in dem seinerzeit zwei wackere Bierkutschpferde friedlich nebeneinander gestanden und hoffentlich ihren wohlverdienten Hafer bekommen hatten; wir selbst hielten keine Pferde, sondern hoben Gartengerät darin auf – Spaten, Äxte, Hackebeile, Spitzhacken und was das Jungenherz sonst noch begehrte. Das Flachdach jedoch, dem das ursprünglich geplante Satteldach aus Kostengründen seinen Platz hatte überlassen müssen, war eine mittlerweile marode Angelegenheit. Sedimentschicht um Sedimentschicht hatte sich darauf gelegt, und nun wuchs eine veritable Birke da oben. Was noch nicht viel heißen will, Birken wachsen überall, aber eines schönen Sommertags wurde diese so groß und schwer, daß das Dach zusammenzukrachen drohte, und der Stall wurde um die Kosten etlicher Butterbrote einen Kopf kürzer gemacht und kriegte ein neues Dach. Nachdem sich der Staub und die Maurer verzogen hatten, rückte mein Opa sich einen Hocker in den Hof und fing an, den Mörtel von den Ziegeln zu picken, wie nur je eine Trümmerfrau. Krieg und Not hatten es ihn gelehrt, keine Ziegelsteine wegzuwerfen, aber es kam seinem Naturell auch weit entgegen. Auch ich habe es geerbt, das Naturell, und kann mich nur schwer von Dingen trennen. Nicht so sehr von Ziegelsteinen – es kam ja irgendwann der Tag, da mein Opa sich anschickte, nicht mehr unter uns zu sein, und keine zwei Tage später waren die Ziegel sowie der Mörtelhaufen, der noch immer zwischen Waschküche und Pferdestall herumlag, an einen Bäckermeister verhökert, der Schutt für seinen Garagenvorplatz brauchte; das war nicht schön von uns, aber im Hof konnte man endlich wieder Fußball spielen – mit Ziegelsteinen tue ich mich vergleichsweise leicht, aber von Erinnerungen trenne ich mich nicht so hopplahopp. Drum sitzt mein Großvater in meinem Herzen noch heute auf dem Hocker und staubt mir den Hof und die Jahre der Adoleszenz mit Mörtelstaub voll. Vielleicht, wer weiß, trägt auch diese Erinnerung zu meinem Bierdurst bei.

Meine Schwester und mich aber steckte man zu zweit ins Pullefaß. Aus Verantwortung, Veranlagung, aber auch ein wenig aus Verehrung für Wilhelm Busch, mit dem wir Kinder früh in enge Berührung kamen, so wie das Hinterteil des Bruders Franz mit dem Badeofen (in der Geschichte vom Bad am Samstagabend), jedenfalls nicht aus Mangel an Gespür für was sich schickt und was nicht – in der Hinsicht darf die zeitgenössische Öffentlichkeit, die ja aus gegebenen Anlässen schier unsinnig werden möchte, wenn irgendwo die Existenz unbekleideter Kinderkörper nicht nur zugegeben, sondern als quasi gottgegeben und normal verharmlost wird, ohne daß der dafür Verantwortliche nach der Polizei rufen oder ihr übergeben würde – in dieser Hinsicht darf die Zeitgenossenschaft sich wieder abregen: wir badeten zwar nicht mit Badehose, Bikini oder Badeburka, aber wir waren darum doch keine Libertins! Damals. Waren wir nicht. Damals waren wir vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Oder sechs. Also kriegen Sie sich mal wieder ein! Es begann dann auch irgendwann die Zeit, in der man als Junge ein Mädchen nicht mit der Kneifzange ansehen würde, und ich versichere, daß meine Eltern mich in dem Alter nicht mehr ins Familienbad zu zwingen vermocht hätten. Sie werden es noch ein-, zweimal versucht haben, aber dann wird es auch gut gewesen sein. Man kann ihnen diesbezüglich keine Vorwürfe machen. Das einzige, was man ihnen vorwerfen kann, ist, daß sie, wenn ich Shampoo in die Augen bekam und dementsprechend herumkrähte, mir bedeuteten, ich möge mich nicht so mädchenhaft anstellen.

Mädchenhaft! Und das vor den Ohren meiner Schwester! Als ob man der die dummen Sprüche erst hätte beibringen müssen! Denn natürlich hatte sie nichts besseres zu tun, als sich diesen zu merken und ihn mir jahrelang, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, in die Haare zu schmieren!

Nun, das ist lange her. Nicht vergeben, nicht vergessen, aber Sedimentschicht auf Sedimentschicht legt sich über jene Badewanne mit den Löwenfüßen und der an drei Stellen abgeplatzten Emaille, und auf jene Stelle an meinem Kinn, an der mich die von meiner Schwester geschleuderte Nagelbürste getroffen hat, die es – die Schwester, nicht die Bürste – nicht als gottgegeben hatte hinnehmen wollen, daß ich heimlich mit dem Brausekopf kochendheißes Wasser auf ihre Seite leitete. Erstaunlich, wie das zwiebeln kann, am Kinn! Ich wollte auch nur darauf hinaus, daß meine Schwester nicht ganz gescheit ist. Nicht nur zu heiß gebadet, sondern auch auf den Kopf gefallen. Ich weiß auch das positiv, denn ich war oft genug dabei. Meist ein paar Treppenstufen oberhalb, von wo aus ich sehen konnte, wie sie, wenn man mit dem Pantoffel kurz von hinten auf den Saum ihres Nachthemdes trat, ins Rutschen kam, dann, in der Kurve, wo die Treppenstufen sehr viel breiter sind als auf der Geraden, ins Rollen, wobei der Kopf den Rumpf überholte und, wenn alles gut ging, zuvörderst auf den Treppenabsatz bumste. Allerdings war Vorsicht angebracht. Einst riß meine Schwester im Fallen eine der Metallstangen los, mit denen der Treppenläufer gehalten wurde, was eine Kettenreaktion verursachte: der Läufer machte sich weitgehend selbständig, straffte sich, wurde zur Rutschbahn, weitere Stangen purzelten und dengelten herum, und unversehens war es mein Kopf, der den Rumpf meiner Schwester überholte und auf die völlig unnötigerweise am Treppenfuß lauernde Nähmaschine krachte. Was mir ein Loch im Kopf bescherte, das zügig genäht werden mußte – wozu die Maschine ironischerweise aber nicht taugte.

Ich bin mir ziemlich sicher, mich damals nicht mädchenhafter angestellt zu haben, als andere auch, die mit dem Kopf voran in Nähmaschinen gelandet sind, ohne zu wissen, wie ihnen geschah. Aber was soll ich Ihnen sagen? Sagen Sie das mal meiner Schwester!

Der ich im übrigen herzensgut bin, auch wenn es sich bis hierher nicht so anhört. Als ich ihr mit dem Spaten eine Narbe am Oberschenkel beibrachte, geschah das nicht mit Absicht. Ich wollte keinen Anschlag auf ihre Schönheit verüben, wobei ich mir über die Schönheit der Schwesterschenkel überhaupt kein Urteil erlauben kann; ein weiblicher Schenkel war in jenen Tagen für mich etwas, was einem in der Badewanne im Weg war, kein Objekt ästhetischer Betrachtungen. An seinem äußersten Ende saß ein Fuß, der kräftig zutreten konnte und wußte, wo es weh tat. Und das war’s. Den Spaten führte ich bloß in Notwehr. Meine Schwester hatte zuvor ein Beil nach mir geworfen, und ich war dem Tod nur entgangen, weil ich geistesgegenwärtig die Stalltür öffnete und mich hinter ihr in Deckung brachte. Das Beil haute einen Splitter aus dem Türblatt, der noch heute auf meinem Schreibtisch liegt, weil ich mich nicht von ihm trennen kann. Wenn das marode Dach noch oben gewesen wäre, wäre es jetzt heruntergekommen, und voller Erschütterung warf ich das erste, was mir in die Hand kam, nach der Attentäterin, um mich wenigstens nachträglich meiner Haut zu wehren. Es war der Spaten, und meine Schwester trug eine häßliche Wunde davon, und später eine Narbe, von der ich aber nur das Hörensagen kannte, denn seit sie mir in der Badewanne nicht mehr in die Quere kamen, gingen mich die Schenkel meiner Schwester nichts mehr an. Als ich Jahre später Interesse an Schenkeln zu entwickeln begann, waren die meiner Schwester nicht dabei, und soweit ich es beurteilen kann – was nicht sehr weit ist – hat die Narbe potentielle Interessenten an ihren Schenkeln nicht vertreiben können; auch nicht im Freibad, wo man sie zu sehen bekam – unter einem Rock, auch einem kurzen, schaute sie nicht hervor -; aber allzu genau habe ich das nicht beobachtet, die Freibadbekanntschaften meiner Schwester firmierten für mich damals alle unter den Rubriken ‚Fatzkes‘ und ‚Doofmänner‘, von denen ich mich fernhielt. Ich erzähle Ihnen das auch nur, um zu illustrieren, daß meine Schwester nicht zurechnungsfähig ist, und es schon damals nicht war. Wir hatten Indianer gespielt, sie war Nscho-tschi und ich war Santer, und den Spaten hatte ich dabei, um damit ihre Nuggets auszugraben, nachdem ich sie, die auf dem Weg in die Städte des Ostens war, um Zivilisation zu lernen, umgebracht haben würde, sie und Intschu tschuna, der aber nicht mitspielte, weil er seinen Häuptlingspflichten nachkommen mußte und noch nicht Feierabend hatte, statt dessen nahmen wir ihren Großvater, der vor seinem Tipi saß, Steine klopfte, und wie ein Bierkutscher zu schimpfen anhub und den Pickhammer nach uns warf, als er sah, was wir mit seiner Pferdestalltür angerichtet hatten. Was hieß hier wir? Daß sie ihr Tomahawk mitgenommen hatte, weil sie keine Lust hatte, sich von einem goldgierigen Gangster abmurksen zu lassen, ist zwar menschlich verständlich, stand aber überhaupt nicht im Drehbuch.

Als ich nun also letztens mit meinem Neffen – im Nachhinein, muß ich sagen, bin ich schon froh, mit dem Spaten kein größeres Unheil angerichtet zu haben; das Beil meiner Schwester war besser gezielt, wie ich neidlos zugebe, aber ein Beil hat natürlich auch eine stabilere Flugbahn als ein Spaten. Genau genommen war der Spaten überhaupt nicht gezielt, sondern in blinder Wut in die allgemeine Richtung geworfen. Er hätte ebensogut ein paar Zentimeter weiter oben treffen können. Ohne über das Zustandekommen meiner Neffen und Nichten ungebührlich spekulieren zu wollen – meine Schwester ist eine erwachsene Frau, die weiß, was sie tut. Zwar ist sie ein bißchen auf den Kopf gefallen, wie oben ausgeführt, aber das kann man gewiß nicht an der Existenz meiner Nichten und Neffen ablesen, obwohl manche Leute meinen, gerade die Existenz meines Neffen, den sie einen ‚Fehltritt‘ zu nennen belieben, sei ein Indiz für ihre Aufdenkopfgefallenheit; Leute allerdings, oder besser: Fatzken und Doofmänner, die gut daran tun, ihr Hinterteil aus der Reichweite meiner Schuhspitze zu nehmen. Sie würde es zu finden wissen, das Gesäß, meine Schuhspitze, und sie würde keinen Fehltritt tun – ohne also über die Details dieser konkreten Zeugung ungebührlich spekulieren zu wollen, weiß ich doch aus meiner breiten Allgemeinbildung, daß der Schenkel im zugehörigen Geschehen zwar eine zentrale Rolle einnimmt – allein wegen seiner Lage: immer mitten im Gewühl -; eine tragende Rolle jedoch kommt ihm nicht zu. Er ist Nebenfigur, der lange Davy oder dicke Jemmy des Zeugungsakts, ist schmückendes Beiwerk und verleiht der ernsten Handlung eine frivole Note. Die tragende Rolle hat in den folgenden Monaten der Schoß, den demoliert zu haben einem schwer zu tragen gegeben haben würde.

Man hätte den Knaben doch sehr vermißt, auch als Onkel. Gerade als Onkel. Nicht, daß ich seine große Schwester nicht vermißt haben würde. Doch schon auch. Nur, ob man nun eine bald vierzehnjährige Nichte hat, die zehn Stunden am Tag Youtube Videos von Dner Joonge anstiert, oder peng, das macht mal gerade gar keinen Unterschied. Der Neffe hingegen ist jetzt sieben, ein Alter, in dem man als Onkel noch gefragt ist, und sei es nur als Fahrer an dem Tag, an dem man sieben wird. Denn – das kannte ich nun schon: als meine Nichte dreizehn wurde, wünschte sie sich zum Geburtstag, mit einem Sack voller Freundinnen in eine der Städte des Ostens zu fahren, nicht, um dort Zvilisation zu lernen, sondern um dort ’shoppen‘ zu gehen. Shoppen! Shoppen!! Der Himmel bewahre mich vor dem Tag, an dem ein solches Wort in meinen aktiven Wortschatz einfällt. Shoppen!!! – Ich glaube, ich würde es nicht über mich bringen, es auch nur hinzuschreiben: shoppen. Was muß eine Dreizehnjährige, eine praktisch noch zwölfjährige, eine mit Ach und Krach gerade eben dreizehn gewordene Zwölfjährige, was muß die shoppen gehen? Gehe ich vielleicht shoppen? Nicht mit der Kneifzange würde ich shoppen gehen! Wenn ich eine neue Spitzhacke brauche, gehe ich in Jeff Bezos‘ Hardwarestore und sage „Jeff, ich brauche eine neue Spitzhacke, was kostet mich der Spaß?“ Und schon ist die Birne geschält. Aber ich fahre doch nicht im Ernst zum Spaß irgendwohin und renne von hier nach da, bloß um nachzusehen, ob es dort die Spitzhacke in einer anderen Farbe gibt.

Als ich meine Schwester diesbezüglich jedoch zur Rede stellte, sagte sie nur, ich solle mich nicht so mädchenhaft anstellen. Ich müsse ja nicht mitfahren. Hingegen wäre es nett und eines Onkels würdig, Patenonkels zumal, den Bengel und einen Sack voller Gleichaltriger an seinem Geburtstag in ein sogenanntes oder das sogenannte Kiddo zu begleiten. Daß man einen Siebenjährigen nicht mehr einen Nachmittag lang mit Topfschlagen, Sackhüpfen und Eierlaufen faszinieren kann, sehe ich im Prinzip ein, was ich nicht einsah, war, wieso wir nicht statt dessen ein Reenactment von Winnetou I aufführen konnten, die Suche nach dem Gold der Apatschen, dieses Mal vielleicht mit Spitzhacken anstelle von Spaten, damit nichts passieren würde, aber meine Schwester wies das Ansinnen als Narretei zurück. Es sei der 6. Dezember, Winter. Schnee am Nugget-tsil stehe nicht im Drehbuch. Außerdem stehe ihr mein Neffe momentan bis zur Oberkante der Unterlippe, und die Vorstellung, mal einen Nachmittag einen weniger von der Sorte im Haus zu haben, anstatt sich sechs weitere ins Haus zu holen, sei paradiesisch. Ich möge ein netter Bruder sein, sie allesamt einpacken und entführen, je weiter weg, desto besser; sie gebe mir ihren Pössl, da paßten alle rein.

Ich kann nicht sagen, daß ich die Art meiner Schwester, schlecht über ihre Kinder zu reden, guthieße. Rede ich etwa schlecht über ihre Kinder? Nein. Dabei fallen sie auch mir manchmal auf den Wecker, wenn ich zu Besuch bin, aber dann verabschiede ich mich freundlich und fahre wieder nach Hause. Ich meckere deswegen doch nicht herum! Und was den 6. Dezember angeht: nicht jeder hat das Glück, am 14 juillet geboren zu sein, so wie meine Schwester, die ihren Geburtstag regelmäßig in Frankreich am Strand verbringt und huldvoll jede Menge Feuerwerk entgegen nimmt, das man ihr dort darbringt. Mich zum Beispiel hat man mit dem 17. Juni abgespeist; niemand hat jemals mir zu Ehren ein Feuerwerk abgebrannt. Aber hat mich das daran gehindert, bei jedem Wetter draußen zu feiern, Fackeln und Forken an meine Freunde zu verteilen und die Bastille zu befreien? Niemals! Es ist übrigens nicht so, daß ich die Gedenktage etwa durcheinander gekriegt hätte, ich weiß schon, daß die Bastille nicht am 17. Juni gefallen ist. Wir würden schon auch ‚Steine gegen Panzer‘ gespielt haben, so ist es nicht. Aber wir hatten damals keinen Pössl – oder ein vergleichbares Gerät; aus Gründen, die mir nicht zugänglich sind (Sparsamkeit? Umweltschutzerwägungen? Kein Führerschein?) lebte unser Vater damals KfZ-abstinent -, der uns als Panzer hätte dienen können. Steine hatten wir genug, sorgfältig sauber gepickte Steine sogar. Aber der Sturm auf die Bastille machte einfach mehr her. – Darum sollte meine Schwester sich mal nicht so anstellen; soviel besser als im Dezember ist das Wetter im Juni schließlich auch nicht! Und noch eins: der 6. Dezember ist Herbst, nicht wahr, nicht Winter. Das wird gerne übersehen. Schnee am Nikolaustag, hat man davon schon mal gehört? Jaja, ‚bimmelt was die Straß entlang, kling und klang und kling und klang‘, das kenn ich auch, das Lied; aber das ist doch ein fiktionaler Text, das ist doch keine Sachliteratur!

Bei dem sogenannten Kiddo handelte es sich um einen sogenannten Indoor-Spielplatz, in dem Eltern die Möglichkeit haben, Kindergeburtstage offshore zu betreiben. Man bekommt dort eine Box zugewiesen, in der die mitgeführten Erwachsenen für die Dauer des Events untergebracht werden können, und auf deren Tisch zum Abschluß der Feier Pommes und Hähnchenklump gekippt werden. Ich wollte meine Betreuungszusage schon zurückziehen, weil ich alles, was ‚Indoor‘ oder ‚Offshore‘ oder ‚Event‘ im Namen trägt, für Schwindel halte, denn es sind Ausdrücke aus der Gaunersprache, und wer sie benutzt, hat Finsteres im Sinn. Er sollte sein Unternehmen nicht ‚Kiddo‘ nennen, sondern ‚Schnapphahn‘. Aber wider Erwarten gefiel es mir dort. Der Lärmpegel war zwar etwas oberhalb der zulässigen Grenze für ein empfindliches Onkelohr und erinnerte an eine Traktorriemenfabrik unter Vollast, aber es war nicht zu übersehen, daß die Kinder einen Heidenspaß hatten. Also war es wahrscheinlich verwerflich, was sie da machten. Mit Sicherheit verwerflich waren die völlig willkürlichen Altersbegrenzungen seitens des Managements; warum man als Onkel nicht mit auf den Vulkan – und dessen Flanken hinunterrutschen – durfte, sah ich schon aus Prinzip nicht ein. Aber genauso war es. Ich konnte dort nichts weiter tun, als in der Geburtstagsbox sitzen, die Inhalte von sieben Überraschungseiern zusammenpfriemeln und aus Langeweile das mitgebrachte Naschwerk – schwarze, weiße und mischlingsfarbene Schokoküsse – aufessen. Am Eintritt hatte es die üblichen Irritationen gegeben; der Einfachheit halber hatte ich mich als Vater eines der Gäste meines Neffen ausgeben wollen, woraufhin aber der als Jubilar angesprochen wurde, was meinen Neffen zurecht auf die Palme brachte und sich gleich zu Beginn förderlich auf den Lärmpegel auswirkte. Wenn Sie heutzutage ein Kind ausgehändigt kriegen wollen – sagen wir: bei Ikea im Kinderparadies oder ähnlichen Einrichtungen -, dessen Vater Sie nicht sind, das anders heißt als Sie und auch noch eine andere Hautfarbe hat, dann machen Sie nicht den Fehler, sich auf ihre Onkelrolle zu versteifen. Der ‚Onkel‘ hat in Bezug auf Kinder und sein Interesse an ihnen eine derartig schlechte Presse, daß man mißtrauisch reagieren wird. Und wenn Sie es doch tun, vermeiden Sie es wenigstens, sich kurz vorher noch als Vater eines anderen Knaben ausgegeben zu haben. Es ist das nicht hilfreich. Aber das war nun hoffentlich vorbei, es sei denn, man hätte vorsichtshalber die Polizei benachrichtigt, die sich dann nachher an den Pössl hängen würde, dessen Papiere ich nicht dabeihatte, um herauszufinden, was ich noch alles im Schilde führte.

Ich führte nichts mehr im Schilde, außer dafür zu sorgen, daß nachher alle Geburtstagsgäste die richtigen Straßenschuhe anzogen und den richtigen Rucksack aufhatten, wo immer möglich gefüllt mit dem korrekten Inhalt. Das war so typisch meine Schwester! Auf Petitessen rumreiten, wo andere Leute schon zufrieden sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit die richtigen Gäste im Auto zu haben. Das allein würde mich reichlich ausfüllen. Eine Kommilitonin hat mich einmal gelehrt, daß die Siebenzahl nicht deswegen eine so prominente Stellung auf dem Zahlenstrahl einnehme, weil die Sieben besonders heilig wäre, sondern sie sei deswegen so besonders heilig, weil der Mensch in der Lage sei, bis zu sieben Entitäten mit einem Blick zu erfassen, ohne sie zählen zu müssen. Kann sein. Aber das setzt natürlich voraus, daß sich die Entitäten dem Blick auch zeigen, und sich nicht in einem verzweigten Kriechtunnelsystem verteilen, wo sie in Seitenröhren lauern, bis ein Mädchen vorbeigekrochen kommt, das sie dann von hinten an einer Fessel festhalten konnten, in der Hoffnung, daß es schreien würde. Was es auch tat. Meine hatten sich dies angelegen sein lassen, und es hatte sich förderlich auf den Lärmpegel ausgewirkt. Soviel zu der angeblich nicht vorhandenen Bereitschaft Siebenjähriger, mit Mädchen zusammen Geburtstag zu feiern. Es kommt halt immer darauf an, was man ihnen für eine Perspektive bietet. Als später die Pommes auf den Tisch gekippt wurden – sie wurden nicht wirklich auf den Tisch gekippt, die Hähnchenknödel auch nicht; beides war in Schüsseln – überflüssigerweise. Ich möchte anregen, sie in Zukunft auf den Tisch zu kippen. Es ist einfacher. Landen tun sie dort so oder so -, brachte die zu Tisch gerufene Meute lauter Trophäen in Form von Turnschuhen und Crocs an; mehr als sieben, denn ich mußte sie abzählen. Wir stellten sie an der Schmalseite des Tisches auf, zur gefälligen Begutachtung und Bedienung durch die rechtmäßigen Eigentümerinnen oder deren Begleitmütter, die denn auch nicht lange auf sich warten ließen. Sie schienen allesamt nicht besonders guter Laune zu sein. Manche meinten sogar, mich zurechtweisen zu müssen. Ich zuckte bloß die Achseln: was sollte ich machen? Mich ließen sie ja nicht rein in die Kriechtunnel.

Richtig sauer aber wurde eine der Begleitfregatten, als wir nach stattgehabter Mahlzeit einen Rundgesang anstimmten, und zwar das Lied von den drei Chinesen, die mit einem Kontrabaß durch den Wald gehen, was die Neugier der Polizei erregt, die wissen will, was die drei noch so im Schilde führen. Ich wüßte so recht kein Lied, das sich besser eignen würde, eine Bande ohnehin schon adrenalingesättigter Siebenjähriger noch ein wenig weiter zu sättigen; es hat, wenn man die Diphthonge mit hinzunimmt, eine schöne, runde Anzahl von 1 Strophe mit 12 Variationen – das Lied von der Wanze auf der Mauer hat bloß 10, das Lied vom Stumpfsinn hat viel zu viele, die man sich unmöglich alle merken kann, und das Lied von dem Sack Zement, das als Hommage an den Stumpfsinn freilich unübertroffen ist, abzählbar unendlich viele – und man kann sie sich auch merken -; aber es ist, nach meiner Erfahrung, für Siebenjährige noch einen Hauch zu intellektuell. Indulgenz und ästhetisches Wohlwollen angesichts der hartnäckigen Wiederkehr des Ewiggleichen ist ihre Sache noch nicht. Das siebenjährige Herz schreit nach Abwechslung. Die Chinesen mit dem Kontrabaß hingegen sind optimal. – Es kann aber der Frömmste nicht in Frieden singen, wenn es der Nachbarin in der angrenzenden Box nicht gefällt; und dieser hier gefiel es nicht. Sie hatte schon halb und halb vor mir ausgespuckt, als sie kurz vorher einen rosafarbenen Croc von unserem Tisch geholt und uns allen Gefängnis in Aussicht gestellt hatte, weil irgendein Jibbitz fehlte; und nun kam sie, um mich unziemlichen Gesangs zu zeihen: ich glaube, wir waren bei drü Chünüsün, sieben Strophen also hatte sie bereits klaglos in ihr empfindsames Gehör gelassen, nun ward es ihr zuviel. Ich versuchte, sie zu beruhigen, es kämen bloß noch vier. Aber das war es nicht. Vielmehr nahm sie Anstoß an der Ethnizität der Chinesen in unserem Gesang. Und während sie mich noch auszankte, heftete sie in wachsendem Zornmut den Blick auf das adrenalinspiegelnde Gesicht meines lauthals singenden Neffen, so, als habe der Gesang aus dessen Mund ganz besonders zu unterbleiben, oder als würde die Anwesenheit dieses Neffen mich, den Chorleiter und Anstifter, ganz besonderer Verderbtheit überführen.

Das sei, versuchte ich ihr zu erläutern, der Sohn der Häuptlingstochter ‚Schöner Tag‘, meiner Schwester, einer Lehrerin, die in den Städten des Ostens Zivilisation lehre. Der Vater sei karibischer Abstammung und möglicherweise Nachfahr freventlich dorthin verschleppter Afrikaner, daher die frappante Ähnlichkeit des Jungen mit Harry Belafonte. Mein Name sei Santer, ich sei ein einfacher Yankee und verträte mithin die Ethnie der ‚white anglo-saxon protestant males‘, zu deutsch der schichtkäsefarbenen, niedersächsischen, protestantischen Mehrheitsbevölkerung, so daß wir an diesem Tisch zumindest ideell alle Rassen versammelt hätten, schwarz, weiß, rot und mischlingsfarben, genau wie in diesen Schokokußkästen – ich hielt ihr einen hin und bat sie, sich zu bedienen, wenn sie möge, es seien leider nur noch weiße übrig, die schwarzen hätte ich gegessen, und die Kinder die braunen, in Ermangelung der schwarzen, deren keine mehr übrig gewesen seien, als sie aus ihrem Kriechröhricht zurückgekommen seien; die weißen aber möge keiner von uns, meine Schwester wisse das auch, habe aber auf meine diesbezüglichen Vorhaltungen hin nur gesagt, ich solle mich nicht so mädchenhaft anstellen. Bei Aldi gebe es nun mal diese gemischtrassigen Schokoküsse, und sie werde nicht im Ernst nur zum Spaß von hier nach da stiefeln, um nachzusehen, ob es dort Schokoküsse in anderer Farbe gebe. Was uns allerdings fehle in der Familie, das sei das asiatische Element, obwohl ich zu Studentenzeiten einmal ein ganzes Wohnheim mit einer entzückenden Koreanerin geteilt hätte – sie hatte mich in die Geheimnisse der chinesischen Schriftzeichen eingeführt: 大 (dà) bedeute groß, gewaltig. Und 天 (tian), das sei der Himmel, also quasi die Großartigkeit, die Gewaltigkeit mit Deckel drauf, die Menschenmacht, die an die göttliche Grenze stoße: bis hierher und nicht weiter! Und es gebe überhaupt nur eins, was so gewaltig und großartig sei, daß es den Kopf selbst noch durch diese doch so absolute Grenze stecken dürfe, und das sei 夫 (fu), der Mann. Also vor allen Dingen der Ehemann. Wer weiß, wenn ich damals nicht hätte lachen müssen, wer weiß. Aber sie verbot mir, zu lachen, und geriet in eine ganz entzückende Wut. Ich solle gefälligst die andere Kultur achten und die mir fremde Sicht auf die Welt akzeptieren, und sie ballte zwei entzückende Fäuste, um damit auf auf die ihr fremde Kultur und meine Art, die Welt zu sehen, einzuprügeln. Auf das wirkungsloseste, denn ich mußte nur noch mehr lachen, aber halt eben auch auf das entzückendste. Wer weiß, wie ich mich als 丈夫 (zhangfu) gemacht haben würde, der es für sein angestammtes Recht hält, seine Nase stets hoch über den Wolken zu tragen. – Wer weiß! – Aber ich hätte ja nun nicht gut jedes Mädchen, von dem ich einmal verhauen worden war, gleich ehelichen können! Wo hätte das denn hinführen sollen?

Aber davon mal ganz abgesehen, was hätten wir denn, ihrer Meinung nach, stattdessen singen sollen? „Bimmelt was die Straß‘ entlang“? – Das sei doch wohl nicht das Rechte für Siebenjährige. Da könnte man ebensogut versuchen, eine Rotte vierzehnjähriger Mädels mit Topfschlagen, Eierlaufen und Sackhüpfen vom Shoppen abzuhalten. Und überhaupt – ich deutete mit großartig ausgreifender Geste auf die vier Wände des Kiddo, die allerdings fensterlos waren, was der Gebärde doch einiges von ihrer Großartigkeit nahm -: „Hält ein Schlitten vor dem Tor, und ein Schimmel schnaubt davor“ – das sei doch dummes Zeug, ob sie sich das Nieselwetter draußen vielleicht mal angesehen habe?

Nanu, wo war sie denn? – Weg. – Hatte was von Rassist gebellt und war davongesegelt. – Nun schön. Daß einer, der schon als Kind jeden Abend das Kriegsbeil eingegraben hat, damit er anderntags was zum ausgraben hatte, und der – wie Ernst Jünger den durchlöcherten Stahlhelm – den Splitter einer verwundeten Stalltür als memento mori auf dem Schreibtisch liegen hat, daß so einer ein Militarist ist, das will ich einsehen. Das akzeptiere ich. Und seit ich von zwei entzückenden Fäusten verprügelt worden bin, verstehe ich mich nicht ungern auch als Bellizist, als einer, der entzückt ist, wenn er mal wieder eine kulturelle Spannung mit Gewalt austragen kann. Daß einer Sexist wird, dem man alle naslang sagt, er solle sich nicht so mädchenhaft anstellen, versteht sich von selbst. Und daß ich es nicht bei meiner ohnehin obskuren Onkelrolle belasse, sondern ohne Gespür für das, was sich schickt und was nicht, coram publico zwei nackte Kinder in die Badewanne stecke, und, nachdem der Schade angerichtet ist, es mir nicht einmal angelegen sein lasse, in der zeitgenössischen Öffentlichkeit ruf- und karriereschädigende Geständnisse zu vermeiden und wenigstens mit dem Interesse am siebenjährigen Neffen und dem Desinteresse an der vierzehnjährigen Nichte hinter dem Berg zu halten – denn das ist doch ein untrügliches Zeichen, daran erkennt der Volksküchenpsychologe seine Pappenheimer: „Ach ja? Wenn die Kinder in das Alter kommen, in dem sie anfangen zu ’shoppen‘, dann verliert der ‚Onkel‘ sein Interesse an ihnen, ja? – Jaja, das kennen wir, das kennen wir nur zu gut! Leider! Nachtigall, wir hörn dir trappsen“ -, sondern ungerührt zu sagen: „Wo die Pädophilen recht haben, haben sie recht“ – das alles ist doch möglicherweise eine Spätfolge des Sturzes auf die Nähmaschine, treppab, Kopf voran, oder? Wer weiß. Und wenn das stimmt, dann bin ich ja möglicherweise auch Rassist. Warum nicht? Kann ja sein. Ist nicht mehr zu ändern, macht den Kohl aber auch nicht mehr fett.

Wir sangen noch die restlichen vier Strophen, etwas lauter, um dem Lärmpegel etwas Gutes zu tun, und damit die den Rückzug antretende Nachbarbox uns in guter Erinnerung behielt, und suchten dann unter den verstreut liegenden Pommes nach welchen, die noch halbwegs knusprig waren, aber es waren nicht mehr viele. Im Ketchup jedoch fanden wir ein Dingsbums, das von Natur aus ketchupfarben war, wie wir aber erst sahen, als wir es vom Ketchup gereinigt hatten. Es stellte irgendwas dar und war aus irgendeinem Material. Ich hielt es für irgendwas aus einem Überraschungsei, verehrte es meinem Neffen, hieß ihn, es in Ehren zu halten und schlug ihm vor, es ‚rosebud‘ zu nennen. Wenn er zum Manne gereift sei, könne er dann ein Riesenbohei darum machen. – Dann gingen wir.

Aber was ich erzählen wollte: anderntags rief meine Schwester an und begehrte zu erfahren, wer ihrem Sohn beigebracht habe: „Drei Rassisten mit ’nem Kontrabaß“ zu singen, und „Kam die Antifa: ‚Ja, was ist denn das?'“ bzw. Dra Rassastan, Dre Ressessten, Dri Rissistin, di Intifi, do Ontofo usw. usw. usw. Es sei momentan nicht recht gut auszuhalten, zuhause. In gewisser Hinsicht sei es schlimmer als vor dem Geburtstag. Sie habe sich von mir Entlastung erhofft, und nun dies.

Ich hegte den Verdacht, daß es sich um eine rhetorische Frage handelte; es mußte ihr doch klar sein, daß ich es war, der den Kindern das beigebracht hatte. Sie war doch nicht blöd. Ein bißchen zu heiß gebadet, vielleicht. Blöd aber nicht. Ich hatte den Kindern gezeigt, wie man drei Chinesen jederzeit durch ein beliebiges anderes dreisilbiges, auf der zweiten Silber akzentuiertes Wort im nominativus pluralis ersetzen könne, durch drei Kaninchen etwa. Bei drei Kaninchen aber müsse man darauf achten, daß die den Kontrabaß auch getragen kriegen müßten. Die drei Chinesen seien zwar ein fiktionaler Text, keine Sachliteratur, aber es sei auch kein Surrealismus oder Fantasy. Das Geschehen sei vielleicht ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Besser nehme man daher drei Rassisten; bei denen ließe sich allenfalls einwenden, daß man sie seltener im Wald antreffe, als Kaninchen, aber das ist noch gar nicht raus. Kommt auf den Wald an. Kaninchen brauchen lockere Böden. Jedenfalls werden die Rassisten lockerer mit einem Kontrabaß fertig. Schwieriger zu ersetzen als die Chinesen ist die Polizei. Bleiben kann sie nicht, wenn man den realistischen Charakter des Liedes nicht gefährden will, denn die Polizei kümmert sich zwar um Ausländer – wie das Wort ‚Fremdenpolizei‘ zeigt -, nicht aber um Rassisten. Rassist zu sein ist nicht justitiabel und geht die Polizei nichts an. Deswegen können wir froh sein, daß wir die Antifa haben, denn die hat, wie die Polizei, im nominativus singularis den Akzent auf der dritten Silbe und ist, wie diese, ein Femininum. Auch sonst haben Antifa und Polizei manche Gemeinsamkeit. Gern treffen sie sich auf Straßen und Plätzen und suchen den Körperkontakt. Dabei kommen zwar reichlich Fäuste zum Einsatz, aber seit ich in chinesischen Schriftzeichen unterrichtet worden bin, weiß ich, daß das Trommeln entzückender Fäustchen auf dem Leib des Gegenübers durchaus seine erotischen Qualitäten haben kann, und „Hör,“ sagte an dieser Stelle meine Schwester, und schob alle meine wohlgesetzten Worte ruppig beiseite, „auf zu sabbeln!“

Der Neffe habe ein Jibbitz in der Hosentasche gehabt, das ihm nicht gehöre. Wie komme das da rein? Es gehöre auch keinem seiner Kumpel, das habe sich telefonisch ermitteln lassen, demnach müsse es jemand anderem gehören; sie wolle kein unrecht Gut in der Hosentasche ihres Sohnes, sie wolle, daß die rechtmäßige Eigentümerin das Jibbitz wiederkriegte, ich sollte es daher bei ihr abholen, es mitnehmen und bei Gelegenheit, wenn ich in der Stadt sei, im Kiddo an der Kasse abgeben, dort sei bereits danach gefragt worden, auch das habe sie telefonisch in Erfahrung gebracht.

Mmh. Lust dazu hatte ich nicht. Mein Ruf an der Kiddokasse war nicht der beste, dort hielt man mich bereits für mancherlei, und nicht erst, seit die Begleitfregatte aus der Nachbarbox sich über mich beschwert und mich des Diebstahls eines Jibbitz verdächtigt hatte. Ich hatte zwar guten Gewissens geleugnet, weil ich nicht gewußt hatte, was ein Jibbitz ist. Wie die Dinge lagen, mußte ich nunmehr annehmen, daß es das ketchupfarbene Dingsbums war. Wie stand ich denn nun da? Ich hatte Diebesgut verschenkt. War das Hehlerei oder Anstiftung dazu? Hatte ich nicht von Anfang an dafür plädiert, Winnetou I zu reenacten, mit Spitzhacken diesmal? Goldraub und Doppelmord, klare Sache das, dabei hätte sowas nicht passieren können. Ich entschloß mich, zu schimpfen: Sie solle, schimpfte ich, das Dingsbums in einen Umschlag stecken und ans Kiddo schicken; ich würde das Etablissement nicht noch einmal betreten; dort habe man micht nicht mit dem Respekt behandelt, der einem 夫 zusteht. Man habe mich angesehen, als hielte man mich für einen Kinderschänder, habe mich einen Rassisten geheißen, mich des Diebstahls bezichtigt und mir ein Ende am Galgen geweissagt, respektive im Knast; keine 10 Pferde würden mich mehr dahinkriegen. Auch die 107 Pferde ihres Pössl nicht, ich ließe mir hier doch nicht alles nachsagen, ich sei doch nicht auf den Kopf gefallen!

„Stell“, sagte daraufhin meine Schwester, „dich nicht so mädchenhaft an.“

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