Offener Brief

an die Künstliche Intelligenz
ubiquitär

Liebe Künstliche Intelligenz,

kann es sein, daß die Leute, wenn sie von Künstlicher Intelligenz (KI) reden, gar nicht Dich meinen, sondern das Künstliche Knalldeppentum (KK)? Oder wenigstens das KD? Oder sie meinen schon Dich, aber Dich gibt es gar nicht? Sondern du bist das KK, und KI ist bloß Dein aka?

Weil, es ist nämlich so: ich erklär’s Dir. Ich hatte, den ganzen Winter über, Cent auf Cent und Euro auf Euro gelegt und mir was zusammengespart, und dann, im Frühjahr, hab ich mir was geleistet, und habe mir eine junge Rotbuche gekauft. Die war nicht billig, mein lieber Mann! Wenn man bedenkt, daß der Krupp, als er die Villa Hügel bepflanzen wollte, sich ausgewachsene Bäume hat kommen lassen! Oder Fürst Pückler. Oder Ernst August und die großen Gärten! Entweder war das Zeugs früher sehr viel preiswerter als heute, oder die Jungs hatten richtig, richtig viel Kohle. Richtig viel Kohle. Nicht bloß viel, sondern richtig viel. – Wie auch immer. Bei mir reichte es nach einem entsagungsreichen Winter nur für eine (1) Rotbuche. Eine kleine. Und selbst die war nicht so ganz einfach zu transportieren. Aber eine Rotbuche sollte es schon sein. Eine Hängebuche. Frag mich nicht, warum! Ich stehe nun mal auf Rotbuchen. Manche Leute stehen auf ganz andere Sachen; denen rede ich nicht rein, soll mir also auch keiner reinreden. Manch einer verbindet halt manchen Gegenstand mit mancherlei Erinnerung, und die Öffentlichkeit geht es eine Haufen feuchtes Buchenlaub an.

Mit Dickmaulrüsslern drin.

Das Problem war, als ich den Baum in der Erde hatte und mich freute, als er die ersten, noch recht fipsigen Blätter kriegte, da mußte ich auf einmal feststellen, daß man mir baumschulenseits den Dickmaulrüssler mitverkauft hatte. Vielleicht war der Baum deswegen so teuer. Nun kann man den ausgewachsenen Dickmaulrüssler in der Abenddämmerung mal einfach so im Vorbeigehen vom Blatt sammeln, ihm einen Kinnhaken geben, ihn zu Boden werfen, und wenn man eine Weile auf ihm rumgetrampelt hat, ist er tot und tut dem Baum keinen großen Schaden mehr. Ansonsten frißt er ihm Löcher in die Blätter, was für sich genommen immer noch kein großer Schaden wäre, aber nach dem Fressen, sagt ein altes Dickmaulrüsslersprichwort, nach dem Essen sollst du rauchen oder tausend Schritte tun.

Oder die Dickmaulrüsslerin schwängern. Was er auch tut. Und dabei absolut kein Maß kennt, oder sie jedenfalls nicht, denn nach erfolgter Kopulation legt sie, die Dickmaulrüsslerin, 800 Eier in meine Baumscheibe. Und aus 800 Eiern werden 800 Larven, die sich ehestens aufmachen um meiner Hängebuche die Fadenwurzeln abzufressen, diese Mistkäfer! Natürlich verstehe ich den Zusammenhang zwischen Baum und Beilager, den verstehe ich gut. ‚Under the greenwood tree who loves to lie with me“ usw. Die Perlenschnüre der Zweigwimpern, die Sommernacht, das ferne Lachen, die Fehlzündungen der Motorräder im Augustabend, das Flaschenscheppern, das Wetterleuchten, der fremde Atem, das senkrechte Fallen des Wassers, die Ekstase, der Matsch. Aber doch bitteschön nicht für den Dickmaulrüssler! Sondern für mich.

In meiner Entrüstung, meiner Enttäuschung und meinem Frust sann ich, wie ich der Rüsslerbrut Herr werden könne, und wandte mich hilfesuchend an Google, das mich nach Eingabe von „Dickmaulrüssler“ auch ohne weiteres auf die Seite Mein-schöner-Garten.de oder so ähnlich führte, wo mir auch Bescheid wurde: man kriegt sie mit Hilfe von Nematoden, einer Art leichter Älchen, Fadenwürmern von zweifelhaftem Lebenswandel, von Moral nicht angekränkelt, denen die Larven nicht widerstehen können, mit denen sie sich einlassen, wie die Larve im venezianischen Karneval, die der Larve, wie der Jüngling im Hafen von Liverpool, der der Anmut der Dirne, wie die Rheinschiffer, die dem Goldhaar der Loreley, wie die Lauscher, die dem Gesang der Sirenen nicht widerstehen konnten, so stellen die Larven am Morgen danach fest, daß es keine so gute Idee war, sich gestern abend mit dieser Fremden eingelassen zu haben. Etwas nagt in Ihnen. Sie fühlen sich mies. Sie mögen glauben, sie hätten sich die Franzosenkrankheit eingefangen, aber dann merken sie, daß das Älchen schon in ihrem Inneren wohnt. Sie werden es nie mehr los werden, und es wird sie langsam von innen her aushöhlen, bis sie nurmehr die schlaffe Hülle ihrer selbst sind. Und wenn Sie gedacht haben sollten, 800 Nachkommen wären viel, dann fragen Sie mal eine satte Nematode!

Das alles lernte ich auf der Seite Mein-schöner-Garten.de, und ich hätte nie gedacht, daß ich zu solch unappetitlichen Maßnahmen würde greifen müssen, um meine Rotbuche zu schützen, aber was solls? Wer hat denn angefangen? Habe ich etwa angefangen? Oder der Dickmaulrüssler? – Freund Luther, nehme ich mal an, der nicht so zimperlich war wie ich, würde wahrscheinlich selbst am Vorabend des Weltuntergangs noch eine Ladung Nematoden in abgestandenem Leitungswasser aufgelöst und an die Wurzeln seines Apfelbäumchens gekippt haben, um den Dickmaulrüsslerlarven eine reinzuwürgen.

Schön. Oder auch nicht schön. Das war’s aber noch nicht. Denn am Fuß der Seite – zur Erinnerung: sie heißt Mein-schöner-Garten.de – was lese ich da? Unter der Überschrift „Das könnte Sie auch interessieren“? – „Kolumne Sex-Phantasien – kennste seine, kennste deine!“

Sag mal, Künstliche Intelligenz – bist Du bescheuert?

Was hast denn Du für Assoziationen?? – Ich bin ja von Amazon einiges gewohnt, einiges! Was die mir da manchmal auftischen, das kann man keinem erzählen, wenn einem sein guter Ruf lieb ist. Mit der Begründung, das hätten die anderen schließlich auch gegessen. Respektive bestellt. Die, die dasselbe bestellt hätten wie ich. Oder auch bloß angesehen. Pampers z.B., Pampers Windeln Baby Dry Gr.5 Junior 11-25kg Monatsbox, 144 Stück. Ungelogen! Inspiriert angeblich durch meine „Shopping Trends“, was immer das ist. Hä? Heh! Wirke ich so fruchtbar? So fruchtbar, daß ich 12 Dutzend Windeln brauchen könnte? Im Monat? Soll mir das vielleicht schmeicheln? Will man mir etwa schöntun? – Shopping-Trends! Dabei habe noch nicht soviel wie ein Tempotaschentuch bei Amazon gekauft. Oder ein Blatt dreilagiges Toilettenpapier. Nicht einmal ein Blättchen zweilagiges Toilettenpapier. Das letzte, was ich bestellt habe, und das entfernt mit Papier zu tun hatte, war „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald. Kommen da Pampers drin vor, KI, weiß Du das zufällig? Ich weiß es nicht, ich bin noch nicht dazu gekommen, es zu lesen, und werde auch in absehbarer Zeit nicht dazu kommen. Wann denn, wenn ich mal fragen darf?! Jetzt, im Sonmer? Bei der ganzen Gartenarbeit? Hast du eine Ahnung, wie es bei mir aussieht? Ich habe auch keine Ahnung, denn ich schaue nicht hin. Ich will den Garten so in Erinnerung behalten, wie er aussah, als wir noch glücklich miteinander waren. Damals, im April, als ich die Buche kaufte! Aber Hundstag für Hundstag schneidet Tausendschönchen mir mehrere Klafter Biomasse auf den Hänger – ich weiß nicht, ob man Biomasse nach Fudern, Klaftern oder Festmetern mißt, aber es sind auf jeden Fall mehrere davon. Die ich dann in der Feldmark verklappen soll, ohne mich erwischen zu lassen. Hah! Ich sehe mich schon in gestreifter Garderobe im Steinbruch. Wie soll ich da zum Lesen kommen? – Bei Amazon freilich habe ich nie geglaubt, daß es sich bei den Empfehlungen um Produkte künstlicher Intelligenz handeln könnte; nein, das habe ich nicht geglaubt. Ich kaufe zwar bei Amazon, aber ich bin doch nicht bescheuert. Ich habe mir immer gesagt: das kommt davon! Das muß dieses oder diese oder dieser Big Data sein. Das kommt dann dabei raus. Was mußt du auch dort kaufen. Ich bin sogar hingegangen und habe, um den Amazonschen Algorithmen was zu tun zu geben, nach Nachtöpfen mit Musik gesucht. Genauer: „Pot de chambre, Rauchglas, indirekte Beleuchtung, spielt, wenn in Gebrauch, ‚Heil Dir im Siegerkranz'“. Gibt es angeblich nicht. Macht nichts, ich wollte ja keinen haben, ich wollte nur mal wissen, wonach Leute, die nach sowas suchen, sonst noch so suchen. – Moment! Nicht, daß sie mir deswegen die Pampers – aber da hätten sie mir doch besser Inkontinenzhosen angeboten, Tena Pants für den älteren Herrn, oder? – Pah! Big Data! Da wird nischt von.

Aber zurück zu Dir, KI. Auf der Seite Mein-schöner-Garten.de bin ich ja zuvor noch nie gewesen, daher kann man dort allenfalls Small Data über mich habe, um nicht zu sagen: Tiny Data. Und schon gar keine Shopping-Trends. Darum kann es nicht Big Data gewesen sein, dem oder der ich den Link zur Kolumne Sex-Phantasien verdanke; den, KI, verdanke ich Dir. Schönen Dank auch! Pfui Spinne! ‚Maul‘, ‚Rüssel‘, ‚dick‘ – ist da irgendwas dabei, was einen auf Sex-Phantasien bringen könnte? Wie, bitte, kommt einer darauf, daß derjenige, der einer Suchmaschine einen Dickmaulrüssler in den Hals gesteckt hat, auf Sex-Phantasien aus war? Und wieso vermutet man so einen ausgerechnet auf Mein-schöner-Garten.de? Hast Du Dir mal einen Dickmaulrüssler angesehen, KI? Assoziierst du dabei etwa einen ‚flotten Käfer‘? Ich nicht. Vielleicht ist er für Coleoptorologen ein Hosenspanner, für unsereinen ist er das nicht. Oder stehst du mehr so auf’s Akustische? Ich würde das im Prinzip nachvollziehen wollen, denn ich bin Freund und Förderer empfindlicher Trommelfelle, also: bitte sehr! Aber gerade dem empfindsamen Trommelfell wäre doch, meiner bescheidenen, wiewohl richtigen Meinung nach, ‚Coleoptorologie‘ entschieden hosenspannender als ‚Dickmaulrüssler‘. Und selbst wenn ich Dir diesbezüglich eigene Vorlieben zugestünde, wenn ich sie Dir zugestehen wollte – was ich nicht will -, dann bliebe ja immer noch die Frage: „Ja und? Kannst Du Deine Vorlieben vielleicht mal für Dich behalten?“

Warum sollte ich mich für die Sex-Phantasien fremder Leute interessieren? Und selbst wenn ich das täte – was ich nicht tue – wieso sollte ich mich dann für die Sex-Phantasien von Leuten interessieren, die dieselben einer Kolumne auf freundin.de anzuvertrauen belieben, einer Zahnarztzeitschrift, wenn ich mich richtig erinnere, für der Bravo entwachsene Bravoleser. ‚Vertrauen‘! Hah! ‚Anvertrauen‘! Pah! Wenn sich die Kolumnistin die Phantasien man nicht ohnehin aus den klebrigen Fingern gesaugt hat. Und wenn ich sie lesen würde – was ich nicht werde -, wer sagt, daß ich nicht sofort an Zahnarzt denken müßte? An blutigweißes Nervengewürm, am Haken baumelndes? Ans Spuckbecken? An Wattetampons? An Latex und Speichelsauger?

Wenn es das ist, KI, was die Leute unter einer gescheiten Sex-Phantasie verstehen, dann kann ich nur sagen: „Es ist doch gut, daß man manches nicht weiß!“ Pflegte meine Oma immer zu sagen, das. Und was soll ich Dir sagen? – Meine Oma hatte recht. Jedenfalls was die Sex-Phantasien fremder Leute angeht. Wer die alle kennen müßte! Der Menschheit ganzer Jammer faßte einen an. Zwar ist der Topos des Angefaßtwerdens gern gesehener Gast in manch einer sexuellen Phantasie, gleichzeitig aber gilt, daß der Menschheit ganzer Jammer selbst sich aus der Anfasserei gefälligst heraushalten möge. Man sollte sich für die Sex-Phantasien seiner Mitmenschen nicht nur nicht interessieren, sondern darauf halten, weit, weit weg zu sein, wenn sie sie haben. Eine Handvoll Ausnahmen mal ausgenommen. (Die hiervon Betroffenen werden rechtzeitig von mir informiert. Sie brauchen selbst nicht tätig zu werden. – G.) Aber selbst bei denen würde ich mich fragen, ob ich mich für etwas, was sich ‚Sex-Phantasie‘ nennt – oder jedenfalls widerstandslos nennen läßt -, überhaupt Interesse haben will. Ich will hier nicht in betschwesterhafter Heuchelei einmal mehr das Auseinanderfallen von Eros und Sexus beklagen und die „erotische“ gegen die „sexuelle“ Phantasie in Stellung bringen, dabei natürlich erstere hochloben aber letztere hängen lassen – wenn ein befreundetes Paar glaubt, sich trennen zu müssen, dann wird nur der Mann von Ungeschmack für eine der Seiten Partei ergreifen. Als langjähriger Freund beider will man es sich schließlich mit keinem verderben. Ich will denn auch beide ins je eigene Recht gesetzt wissen, und zum eigenen Recht gehört vor allen Dingen das Recht auf Ausgeschriebenwerden. Ich lasse mich auch nicht gerne G-fuzzi nennen. Nicht ohne Widerrede. Nichts gegen einen Sex-Shop als Institution, aber muß man ihn auch so nennen? Was spricht denn gegen ein ‚Fachgeschäft für Ehehygiene‘, wie man früher dazu zu sagen pflegte? Oder, wenn das nicht mehr zeitgemäß sein sollte, meinethalben ein ‚Fachgeschäft für prä-, post-, intra-, trans- und extramaritale sowie sonstige Hygiene‘? Wenn soviel Zeit nicht mehr ist, wenn die Leute auch bei ihrer Rede nur noch Zeit für öde Quickies haben, ja will man denn dann von deren sexuellen Phantasien überhaupt noch etwas wissen? „Kennste seine, kennste deine“ – was für ein dreigedoppelter Unfug!

Ja, ja, ich weiß, das hast nicht Du geschrieben, das war freundin.de. Und es ist genau das, was ich von freundin.de erwarten würde. Was ich hingegen von Dir erwarte, KI, ist schnell gesagt: ich erwarte von Dir, daß Du mir keine Links zu freundin.de auf von mir besuchte Webseiten praktizierst. Kriegst du Geld dafür? Macht dir das Spaß? Glaubst Du, mir macht das Spaß? – Tut es nicht. Spaß machen mir Trauerbuchen, Biomasse in ihrem schönsten Kleid. Sie gibt dem Auge eine Ahnung der Tristesse des Danach, während der Leib sich noch mit allen Fasern dem Zuvor entgegenspannt. Was Kaltes faßt die Seele an, ein Hauch kräuselt den stillen Teich. Über dem Blattwerk krümmt der Ast den kahlen Fingeknochen und deutet zurück zur Erde, von der du genommen wurdest und auf der du deine kleinen Tode sterben sollst. Also, nicht Du, KI, sondern wir. Jedenfalls ich. Mit Rosalind oder Celia oder wem immer, das geht die Öffentlichkeit ein Kehrblech voll tauber Bucheckern an. Jedenfalls unterm eigenen Blätterdach. Ja, wenn ich Krupp wäre! Dann könnte es schon morgen losgehen. Bin ich aber nicht. Erst in dreißig, vierzig Jahren dürfte es so weit sein, vorausgesetzt, ich kriege den Dickmaulrüssler in den Griff.

So, KI, das war’s für heute. Ich will nicht sagen, mach’s gut, ich will auch nicht sagen, mach’s besser, und schon gar nicht will ich sagen, mach’s gut, aber nicht zu oft. Das sind alles leere Worthülsen. Ich will nur sagen, laß es sein! Scher dich! Bleib, wo der Pfeffer wächst! Meinetwegen da, wo der künstliche Pfeffer wächst. Gibt es künstlichen Pfeffer, weiß du das eventuell? Es gab mal künstlichen Honig, soviel weiß ich, es gab sogar mal Kunst-Ei, wie ich dem Kochbuch entnehme, daß ich von meiner Großmutter geerbt habe. „Aus schwerer Zeit,“ wie sie zu sagen pflegte, gedruckt auf etwas, was einem heute unter den Fingern zerbröselt, wenn man drin blättert; muß Kunst-Papier gewesen sein. Darin sind alle Rezepte mit Eiern ohne Eier. Z.B. Semmelknödel. Hervorragendes Rezept übrigens, man darf es nur nicht aufschlagen. Darum habe ich es auswendig gelernt und ersetze jeweils das Kunst-Ei durch richtige Eier. Wohingegen die Veganer, wie ich lese, es genau umgekehrt halten. Chacun à son goût, natürlich, aber solange der vegane Dickmaulrüssler auf meiner Buche hockt, ist meine Bereitschaft, Loblieder auf Pflanzenfresser zu singen, gedämpft. Wie dieselben es mit Kunsthonig halten, bin ich zu faul, nachzusehen, jedoch meldet Wikipedia, daß er heutzutage praktisch ohne wirtschaftliche Bedeutung sei.

Möge es Dir genauso ergehen!

Germanistenfuzzi

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