Biermanns Attacke gegen Linke

Reste des Elends

Der Frontalunterricht Wolf Biermanns für die Linksfraktion war großartig. Besser kann man Erinnerung und Gegenwart der friedlichen Revolution von 1989 nicht untot werden lassen. Ein Kommentar.

„Es ist ganz falsch, so zu tun, als wäre die Schwäche Moskaus ursächlich gewesen für den Zusammenbruch – pardon: die Befreiung – der DDR. Vielmehr ist da plötzlich der Heilige Geist über die Plätze in Leipzig gekommen und hat die Welt verändert.“
Helmut Kohl

Auf den Heiligen Geist ist Verlass: Es war wohl der härteste, weil ins Schwarze treffende Vorwurf – schreibt mein Kollege in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – denn Vorwürfe, die ins Schwarze treffen, sind härter als Vorwürfe, die einfach so ins Blaue geballert werden (sind jene doch in Drachenblut gebadet: sechse treffen, der siebente aber …) -, den Wolf Biermann den Abgeordneten der Linksfraktion während der Feierstunde im Bundestag zur Deutschen Einheit machen konnte, daß sie nämlich gar nicht Linke seien, sondern Reaktionäre. Denn sie seien „der elende Rest dessen, was zum Glück überwunden wurde“, der Rest der „Drachenbrut“ der DDR.

Reste von Drachenbrut nämlich sind nicht etwa junge Drachen, oder Eierschalen, oder zertrampelte Gelege, sondern Reste von Drachenbrut sind Reaktionäre. Irgendwo müssen auch Reaktionäre ja herkommen. Die bringt ja nicht der Storch. Man sehe sich besipielsweise den Bundestagsfraktionsvizepräsidenten der CDU Arnold Eugen Hugo Vaatz an, der in der DDR ausgebrütet wurde – und wenn man sich den lange genug angesehen hat, dann frage man meinen Kollegen und Beinahe-Namensvetter von der FAZ, was man da vor sich hat – oder man frage gleich mich: wenn wer sich mit Reaktionären auskennt, dann wir zwei beiden.

Der kurze Disput zwischen Biermann und der Linksfraktion – inklusive das halb ironische, halb ernste Scharmützel mit dem Parlamentspräsidenten über das Rede- und Singrecht im Deutschen Bundestag – sagte alles, was über das Verhältnis der Linkspartei zur deutschen Demokratie zu sagen ist. Denn es sagt, erstens, praktisch nichts, zweitens sagt es: hie Linke, hie Demokratie, hie Linke, hie Biermann – ergo: Demokratie = Biermann, und drittens sagt es: wer, wenn nicht Biermann, würde die deutsche Demokratie besser verkörpern als Biermann: riesengroße Fresse, die aber voll.

Fragt sich bloß: voll womit?

Übrigens, aber das nur ganz am Rande, beim Stichwort Rede- und Singrecht: Biermann im Bundestag reden zu lassen ist natürlich sehr viel eher zu tolerieren, als Lammert im Bundestag singen zu lassen. Etwas ganz anderes ist es, Biermann singen zu lassen – das kommt der Verfehlung, Lammert im Bundestag reden zu lassen, was niemand wollen kann, doch schon verdammt nahe!

Zu den Paradoxien der 25 Jahre, die nach der friedlichen Revolution von 1989 ins Land gegangen sind, gehört es jedoch, daß ebendieser Biermann, sein Gesang, sein Gerede, seine Gitarre, sein Blauhemd, sein Schnauz, sein bloßes Vorhandensein, nach stattgehabter Revolution ab dem 10. November 1989 (= morgen vor 25 Jahren) komplettemang über war. Ohne Nutz. Ohne Taug. Wenn je etwas mit seiner ganzen Existenz an die Existenz des Bösen, des ganz und gar Schlechten gekettet war, auf Gedeih, mehr aber noch auf Verderb, dann waren es die drei Ringe Nenya, Vilya und Narya, die die Schönheit aller Dinge erhalten und bewahren. Als aber der eine Ring zerstört war, verloren die drei ihre Macht, und alle Schönheit wich aus Mittelerde. – Als erstes wich die Schönheit aus Wolf Biermann seiner Fresse, als nächstes aus Wolf Biermann seiner Stimme.

2014 war das Jahr, in dem Wolf Biermann, dieses Geschöpf Ulbrichts und ohne diesen ein Nichts, endgültig zum Ringgeist wurde: substanzlose Hülle. Große Fresse aber nach wie vor. Fürst der Nazgûl, Hexenkönig von Angmar, verwundbar nur durch elbischen Stahl, sterblich zwar, aber durch keines Mannes Hand zu fällen …

Gleichwohl hat er sich was als Drachentöter, obwohl Smaug seit Jahren mausetot ist und das Ende des dritten Zeitalters gar nicht mehr mitgekriegt hat.

Denn – so schreibt Kollege Altenbögge – denn – und es wäre mir eine große Freude, wenn die Kollegen die Verwendung kausaler Konjunktionen im Einzelfall entweder zu begründen hätten oder aber jeweils 50 Euro latzen müßten -, denn es sei schon immer „eine Kunst der real existierenden Linkspartei, sich als Opfer zu verkaufen, das Widerstand leistet, und nicht als Täter, der Verantwortung zu übernehmen und Konsequenzen zu ziehen hat“.

So? Und? Mal so getan, als sei es das gewesen, wo käme da das ‚denn‘ her? – 50 Euro bitte!

Denn (Hervorhebung von mir – v.B-H.g.v.D.) es weiß doch jeder, es sollte zumindest jeder wissen, und es könnte auch jeder wissen – denn anders als in der DDR, wo jeder, bei dem gewisse „Voraussetzungen“ nicht erfüllt waren, nicht studieren durfte, darf bei uns jeder, bei dem die Voraussetzungen erfüllt sind, studieren. Jedenfalls haben wir nichts dagegen, daß er es tut, wenn er es versteht, die nötige Kohle zu haben. Oder sich verschulden möchte. Er kann auch Karriere machen, sofern den Anforderungen dafür genüge getan ist. Worunter – anders als in der DDR, wo dem Parteibuch eine Schlüsselrolle zukam – hauptsächlich die Abwesenheit des falschen Parteibuchs zu verstehen ist. Das richtige Parteibuch ist optional. In letzter Zeit hört man vermehrt von Parteilosen, die sich in die Politik haben kaufen lassen; anscheinend sind die Dinge hier im Fluß. Aber das ist nicht das Thema, Thema ist der Erwerb von Wissen, Wissen darum -, daß es wir Westdeutschen waren, die am allermeisten unter der DDR zu leiden hatten. Wir waren es doch, die die ganzen Dissidenten hier aufnahmen, während sich die SED einen schlanken Fuß machte!

Das könnte auch im Westen manchem gefallen, wenn er eine Monika Maron einfach so beim Nachbarn abgeben könnte, und dann hätte der die Plage mit ihr. Aber wir haben sie geduldig ertragen, und nicht nur sie. Drei Jahre lang, nachdem er sie im Herbst 1984 versetzt hatte, lagen sämtliche Politiker und Presseskribenten bäuchlings im eigenen Speichel und flehten Erich Honecker an, doch bitte auf Staatsbesuch zu kommen. Drei vertane Jahre lang, bis er sie endlich erhörte. Daß sie alle so verliebt in ihn waren, glaube ich gar nicht mal. Das Kalkül war wohl eher, ganz im Sinne Lammertscher Ironie, daß sich über einen Besuch niemand mehr ärgern würde als die DKP. Was sie ja auch tat. Der Wunsch, kleine Parteien mit geringem Einfluß und überkompensatorisch großer Klappe zu ärgern, scheint tief und hart im menschlichen Genom codiert zu sein. Dann kam er, und es wurde genauso peinlich, wie man sich das hätte denken können. Nicht nur wegen Udo Lindenberg, aber der half kräftig mit. Den hätte es wahrscheinlich auch ohne Mauer gegeben, aber ohne Mauer wäre uns sein Sonderzug nach Pankow erspart geblieben. Auch Pink Floyd hätte es wahrscheinlich gegeben, aber Roger Waters wäre mit seinem Spektakel vielleicht in Surrey geblieben, und der Potsdamer Platz ohne The Wall wäre sicherlich erträglicher gewesen als der Potsdamer Platz mit Mauer, wenn auch nicht viel. Auch sie haben wir klaglos ertragen.

Hätten wir mal was sagen sollen? Vielleicht, aber es ist nicht jedem gegeben, sich selbst schamlos in den Mittelpunkt zu rücken und sich als Opfer dicke zu tun und „Ich!Ich!!Ich!!!“ zu lamentieren. Dazu braucht man ein XXL-Ego, eine Figur, mit der man’s auch tragen kann, und einen Bundestagspräsidenten, der einem die Bühne bereitet und einen volkseigenen Stuhl unters Arschloch keilt.

Und das muß die Lehre aus diesem 9. November 2014 sein: daß von deutschem Boden nie wieder ein Biermann ausgebürgert werden darf! Der Nachbarn wegen, aber auch aus Eigennutz: denn was folgte auf das Auftrittsverbot für Biermann? Auftrittserlaubnis für Lindenberg. Man kann das nur schwer als fortschrittlich ansehen.

Was Gregor Gysi anschließend zur deutschen Revolution, zur Wiedervereinigung und zu deren Nachgeschichte zu sagen hatte, bestätigte das auf eindrucksvolle Weise. Gysi hielt an seiner DDR fest, als ginge es darum, die Ehre des Volkes zu retten (und seine eigene). Es geht aber nicht darum, die Ehre des Volkes zu retten, es geht darum, die Ehre Gysis zu beschmaddern. Wenn das möglich sein sollte, indem man die Ehre des Volkes mitbeschmaddert, dann soll man halt in Gottes Namen die Ehre des Volkes mitbeschmaddern. Indem man zum Beispiel die Tatsache, daß in Umfragen die Bundesrepublik gegenüber der DDR in etlichen Punkten schlechter abschneidet – Punkte, die Gysi genüßlich zitierte -, mit einem Kübel Schlamm über die Hemdbrust und folgenden Worten verklärt: Viele Bedürfnisse, auf die der Mensch besonderen Wert legt, können auch im Gefängnis sehr gut bedient werden.

Ein Argument von der Qualität, wie man sie von einem Arnold Vaatz erwarten darf. So wie man vielem, das man im Gefängnis findet, auch in einer CDU-Fraktion begegnen kann: Lügnern beispielsweise, Fälschern, Blendern, Betrügern, Schwindlern, Bauernfängern, Ohrenbläsern, Roßtäuschern, Falschmünzern, Schelmen, Spitzbuben, Schlawinern, Taugenichtsen und Lumpen, so findet man hie und da einen, der einem in der Klapse über den Weg laufen könnte, ohne groß aufzufallen, im Innenressort der FAZ.

Und auch da fällt er nicht groß auf.

2 Kommentare zu “Reste des Elends

  1. Ex-Vermieter sagte am 16. November 2014 um 18:26:

    …bleibt die Frage, ob der Heilige Geist wusste, was er da tat, was man doch vermuten sollte.
    Wenn er es also wusste, wollte er es auch wirklich, da ihm doch die Spätfolgen ebenso bekannt sein mussten, oder war es ihm einfach egal; Vllt. wollte er ja nur mal seinen Spaß haben?
    Oder wird am Ende, wann immer das sein mag, oder kurz davor, damit jemand noch was davon hat – außer denen, die jetzt schon davon was haben, dass es so ist, wie es ist – noch alles gut?
    Man könnte ja Kohl mal fragen, der sich mit dem Geiste auszukennen scheint oder zumindest so tut, aber der hat dann sicher wieder blackout.


  2. Bockum-Hövel gen. Dolffs sagte am 17. November 2014 um 00:40:

    Ja, interessant! Aber wird Kohl antworten? Es darf bezweifelt werden. Herr Kohl?
    „Kein Mensch wird es je erfahren.“ (H. Kohl bei anderer Gelegenheit)

    Und dazu habe ich ein noch interessantereres Zitat, es stammt von Stanley G. Ellis, Elder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage. Man findet ihn unter dem Stichwort ‚Niemand wird es je erfahren‘ im Internet. In dem Text geht es um das ehrliche und pünktliche Zahlen des Zehnten, und Herr Ellis weist darauf hin, daß Kohl, wenn er ein ehrlicher Mensch wäre und der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage angehören würde, beziehungsweise angehört haben würde, pünktlich und ehrlich von den eingeworbenen und nicht deklarierten Parteispenden den Zehnten an die Kirche hätte abführen müssen. Nicht hätte müssen, sondern hätte. Und dann hätte es sich was gehabt mit der Nichtdeklarierung!

    Denn (Hervorhebung von mir, v.B-H.g.v.D.) „„Niemand wird es je erfahren“ ist eine Rechtfertigung, die der Satan verwendet, um uns zu schaden. Es ist eine Lüge.“. Sagt Ellis und muß es wissen. Nicht muß es wissen, wird es wissen. „Sie (= die Menschen – v.B-H.g.v.D.) glauben, dass niemand jemals etwas von ihrem Tun erfahren wird. Aber eines steht fest: Sie wissen es und Gott weiß es.“ Und wir wissen es, und die Parteispender wissen es sowieso, und praktisch weiß es mittlerweile jedermann. Wahrscheinlich weiß es auch der Heilige Geist.

    Stellt sich die Frage: Was sagt denn der Heilige Geist dazu? Ist Kohl überhaupt der richtige Mann, uns etwas vom Heiligen Geist zu erzählen? Oder ist Kohl jemand, der dem Heiligen Geist, wenn es nach dem Heiligen Geist ginge, den Puckel rutschen könnte?

    Ich weiß es nicht.

    Aber zu Ihrer Frage: ich weiß auch das nicht. Ich vermute, kein Mensch wird es je erfahren.


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