Impfskeptiker

Grüne mal wieder dagegen. Andererseits aber auch dafür. Man weiß nicht recht, woran man ist.

BERLIN afp Eigener Bericht abgeschrieben vonne taz | Die Grünen haben sich für eine bessere Aufklärung zum Thema Impfungen ausgesprochen, jedoch ihre Ablehnung einer Impfpflicht zum Schutz vor Masern bekräftigt. Ein Zwang bringe „Impfskeptiker“ nicht zum Umdenken, sagte die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Katja Dörner der Zeitung Die Welt vom Montag. Stattdessen warb sie für eine Pflicht für Eltern, „bei der Anmeldung zur Kita einen Nachweis zu erbringen, dass sie zum Thema Impfung beraten wurden“.

Die „Welt vom Montag“ war mir bislang kein Begriff, aber der Name gefällt mir: erscheint die jetzt immer? Oder ist das keine neue Zeitung, sondern das, was man früher Spiegel nannte? – Jaa, der „Frühe Spiegel“! Ich hab‘ ihn gern‘ gelesen, als es ihn noch gab!

Aber was ist das mit den Grünen? Die Grünen haben was gemacht? Sich für etwas ausgesprochen? Ja geht das denn überhaupt? Dürfen die das denn? Ist das denn erlaubt? Und wofür haben sie sich ausgesprochen?

Für bessere Aufklärung, sieh mal einer an! Vive la lumière verte! À bas l’obscurantisme! Promouvoir les connaissances, c’est ce qu’il faut faire! Shine your light on me, Katja Dörner: Zwang, bringt er etwa den Impfskeptiker zum Umdenken?

„Impfskeptiker bringt man nicht durch Zwang zum Umdenken, sondern …“

Ja? Sondern? Sondern? Sondern immunisiert durch ihn allenfalls deren Kinder gegen das Masernvirus? Auch schon was!

„… sondern durch umfassende, unabhängige Beratung.“

Ah! Gesprochen wie ein Mann! Und wenn auch dieses nicht, so doch gebrüllt wie einer Leuwinne gut zu den Schnurhaaren steht! Oder sagen wir: wacker aus der Fibel „Verlautbarungsdeutsch für den Pressefredi“ abgepinselt und unfallfrei zum Einsatz gebracht. Die gute alte Beratung! Umfassend und unabhängig. Jaja! So soll sie auch sein. Ergebnisoffen fehlt noch. So wie bei Oma Karoline, die den Sparstrumpf ihres seligen Karl auch erst dann in die berüchtigten Lehmann-Papiere umwandelte, als der nette junge Mann von der Sparkasse ihr umfassend, unabhängig und ergebnisoffen dazu geraten hatte.

Aber bringt man mit Beratung tatsächlich die Impfskeptiker zum Umdenken? Und was war gleich noch mal Umdenken? Drumherumdenken oder Andersherumdenken? Und, wo wir einmal dabei sind: was sind Impfskeptiker eigentlich so für Leute? Machen sie den Eindruck, es irgendwie besonders mit dem Denken zu haben? Nicht daß sie das gar nicht wollen und böse weden, wenn man ihnen damit kommt?

Germanistenfuzzi erzählt, daß seine drei Hunde ebenfalls Impfskeptiker seien, einer wie der andere. Und zwar seien sie dermaßen skeptische Impfskeptiker, daß es ihnen reiche, a) den Tierarzt fern am Horizont als Schemen wahrzunehmen, b) seine Stimme zu hören, oder c) sein Auto zu wittern, worunter man sich einen Oktavia Kombi mit Gülle an den Reifen vorzustellen hat, um vorsichtshalber über alle Berge zu gehen und so ausreichend viele Kilometer zwischen sich und die Staupe-Impfung zu legen. Sie seien dann keinem vernünftigen Argument zugänglich. Auch keinem unvernünftigen. Überhaupt keinem Argument. Auch den Argumenten „Eichhörnchen“ und „Leberwurst“ nicht.

Darum meine ich, daß es möglicherweise zum Fenster rausgeschmissene Liebesmüh sein könnte, die Impfskeptiker zu irgendwas umfassend und unabhängig beraten zu wollen. Vielleicht wäre man gut beraten, es nicht zu tun. Möglicherweise sind sie ja gut beraten, die Impfskeptiker. Vielleicht sogar umfassend. Unabhängig sind sie ohnehin. Germanistenfuzzi?

Was macht denn den Menschen aus? – Die Skepsis? Die Skepsis ist es nicht. Siehe die Hunde. Von denen können wir uns in puncto Skepsis alle eine Schwarte abschneiden. – Das Geimpftsein, das Nicht-Geimpftsein, ist es es? – Nein, auch es ist es nicht. Siehe wiederum die Hunde. Sie sind geimpft, ich bin es nicht. D.h., ich bin schon geimpft, aber aus Versehen. Gegen Staupe. Es ist ein mit großem körperlichen Einsatz geführter Kampf, die Hunde impfen zu lassen. Alle drei Jahre sind sie dran. Drei sind es, d.h. wir haben das Theater in jedem Frühjahr. Ich hätte gern mal ein Jahr frei, aber mehr als einen Hund pro Jahr schafft man nicht. Einmal habe ich dabei die Spritze abbekommen. Der Tierarzt hat dann den Impfpaß trotzdem gestempelt, ihn mir hingehalten und mir geraten, micht zu verbröseln „und zwar umgehend und unter sorgfältiger Mitnahme der Tewe“. Nächstes Jahr sei auch noch ein Jahr. – Gut, das war also die Staupe, aber gegen Masern bin ich nicht geimpft. Es war seinerzeit nicht üblich. In meiner Generation und in geschwisterreichen Familien wurden die Welpen, sobald der erste die ersten Symptome zeigte, alle mit diesem zusammen in die Wurfkiste gesperrt, und anschließend wurde der Dinge geharrt, die da kommen würden. Letzteres von den Eltern.

Und die Dinge kamen zuverlässig. Meine Mutter verschwur sich im späteren Leben, lieber wolle sie jährlich drei Hunde gegen die Staupe impfen lassen, als noch einmal drei masernkranke Welpen zugleich in einer Wurfkiste zu betreuen. Ich halte ihr zugute, daß sie nicht wissen konnte, wovon sie redete, da sie noch nie einen Hund gegen Staupe hatte impfen lassen müssen. So wie der Katergeplagte nicht weiß, was das denn eigentlich heißt, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren. Das sagt sich so glatt dahin. Die Umsetzung ist dann sehr viel holperiger.

Daß es in unserer Wurfkiste jedoch aufgekratzt zugegangen ist, will ich gerne glauben. Das bleibt bei einer solch juckenden Angelegenheit wie den Masern wohl nicht aus. Auch Impfabstinenz hat halt seine Nebenwirkungen. Jedoch bekam man auf diese Weise seinen Anteil an dem, was das Leben zu bieten hat, frei Haus. Nicht nur Masern, sondern Windpocken, Röteln, Mumps und Keuchhusten. Alles sozusagen vor meiner Zeit, und ehe ich den rechten Genuß daran hätte finden können. Später, als ich begeisterter Rezipient von Abenteuerliteratur geworden war, hätte ich lieber ein paar von den malererischen Krankheiten gehabt, etwa Blattern oder Pocken. Aber da war nichts zu wollen. Wann immer wo auf der Welt eine Pocke gesichtet wurde, wurde ich geimpft, was immerhin ein schwacher Trost war, denn die Impfung fand romantischerweise mit einem in die Flamme gehaltenen Dolch statt. Nagut, sagen wir nicht Dolch, sagen wir Skalpell. Und sagen wir Bunsenbrenner. Aber Geschichten von höchst erstrebenswerten Nebenwirkungen machten die Runde.

Aber es war alles umsonst. Ich kriegte die Pocken nicht, keine einzige, nicht einmal eine Kuhpocke, und ich kriegte keine Nebenwirkungen. Irgendwann gab der Arzt auf. Er wisse, wann er verloren habe, sagte er. Auch die anderen Krankheiten von großer Strahlkraft – Malaria, Skorbut oder Tollwut – blieben mir versagt. Apropos Tollwut: einmal haben wir, auch aus Versehen, bei der Rangelei mit einem der Hunde, den Tollwutschutz des Tierarztes aufgefrischt. Seitdem hat er immer ein bißchen Schaum in den Mundwinkeln, wenn er mich sieht.

Wie immer, wenn man sich mit Germanistenfuzzi darüber austauscht, was es sei, das den Menschen ausmacht, ist man hinterher unsicherer als vorher. Hätte rechtzeitige Impfung bei ihm segensreiche Wirkung gehabt? Oder ist das alles Nebenwirkung? Was man auf jeden Fall davon trägt, ist gründlich verloren gegangener Glaube an die Wirkung umfassender, unabhängiger und ergebnisoffener Beratung. Immerhin scheint er kein Impfskeptiker zu sein, im Gegensatz etwa zu

Supermami.

Zu wem?

Supermami. Supermami ist Impfskeptikerin. Aber keine richtige Impfskeptikerin, glaube ich. Ich bin da jedenfalls skeptisch. Vielleicht ist sie hundertfünfprozentige Impfskeptikerin, mehr aber nicht. Ich habe ihr nämlich von meinem Onkel, dem Schamanen erzählt, und daß er mir damals, als ich mit Sumpffieber lag und Grischka und die Wölfe las, ein gefesseltes Hermelin auf den Bauch setzte, damit das Fieber aus meinem Körper in den Körper des Hermelins übergehen sollte, und als ich die Fesseln des Hermelins löste, weil Grischka das mit seinem auch so machte, da sprang es mit großen Sätzen aus der Jurte, und als Grischkas Fieber weg war, war meins auch weg – wie auch immer. Jedenfalls habe ich Supermami geraten, als ihr Jüngster zahnte, ihm ein gefesseltes Meerschweinchen auf den Kopf zu setzen, damit die Zahnschmerzen auf das Meerschweinchen übergehen – etwas meerschweinunfreundlich, wie ich zugeben will, aber Supermami sah mich nur finster und skeptisch an. Etwas mehr Glaubensstärke würde ich mir von unseren Esoterikerinnen wünschen. Da kann es ihnen gar nicht esoterisch und impfskeptisch genug zugehen, aber wenn ich mit einem wohlgemeinten und guten Rat, der zudem einschlägiger Literatur entstammt, daherkomme, dann entsinnen sie sich plötzlich ihrer verschütteten Ratio. Das kann einem schon zu denken geben!

Ist er eigentlich nach wie vor bei den Grünen und – was war er da noch gleich? Gesundheitspolitischer Sprecher?

Wer er?

Du.

Was für ein Datum haben wir heute?

Äh – zweiter März? Dritter März.

Was für ein Jahr?

Ähm – 2015.

Dann bin ich, glaube ich, nicht mehr bei den Grünen. Nichts gegen die Partei als solche. In jeder Demokratie muß es eine Partei geben, in der die, die ansonsten politisch unbehaust wären, eine politische Heimat finden. Und das sind, im Falle der Grünen, nun einmal die Grünen. Und umgekehrt. Aber sie waren zuletzt doch schon sehr beratungsresistent. Sie waren insbesondere resistent gegenüber Beratung durch mich, sprich: umfassende, unabhängige und ergebnisoffene Beratung. Man sehe nur ihre Haltung zur Impfpflicht: wischiwaschi. Wo sind die Zeiten, da sie sich mit einem verpflichtenden Milchreistag für Kantinen – Milchreis mit Aprikosen, nota bene – wochenlang in den Charts halten konnten? Gewiß, wer schon einmal Milchreis mit Aprikosen gegessen hat, wird in diesem Leben die Grünen nicht mehr wählen mögen, aber man hat doch wenigstens über sie gesprochen. Das war doch noch Marketing!

Ich habe mich daher zu neuen politischen Ufern aufgemacht: die Linke zum Beispiel sieht mir ganz so aus, als sei sie schon lange nicht mehr umfassend, unabhängig und ergebnisoffen beraten worden. Sie sieht mir außerdem so aus, als könnte sie jede Beratung gebrauchen, die sie kriegen kann. Und aussehen, als sei ihre Beratungsresistenz von keinen schlechten Eltern, tut sie auch. Auch sie weiß nicht so richtig, was sie gesundheitspolitisch will. Impfung ja, Zwang nein? Stattdessen „verpflichtende Impfgespräche, die im Rahmen der Kindervorsorgeuntersuchungen mit allen Eltern verbindlich, gegebenenfalls auch wiederholt durchzuführen und zu protokollieren sind“? – Man halte mich für frivol: aber da esse ich doch lieber einmal in der Woche Milchreis mit Aprikosen. Verpflichtende Impfgespräche nutzen gar nichts. Wieviele Impfgespräche ich nicht schon mit den Hunden geführt habe! – Alle für die Katz.

Aber ich finde, die Linke hat eine Chance verdient. Sie die Chance, und ich die Abwechslung. Und die Herausforderung; ich weiß nämlich gar nicht genau, ob es in Käsdorf überhaupt eine Linke oder einen Linken gibt. Aber um organisatorische Petitessen kann ich mich auch später kümmern. Sagen wir also, daß ich im neuen Jahr für Linke spreche, und zwar als, warum nicht, gesundheitspolitischer Sprecher. Und als dieser sage ich zum Thema Impfpflicht: mmh, mmh. Keine Impfpflicht. Das Selbstbestimmungsrecht der Viren muß weitergelten.

Das Selbstbestimmungsrecht der was?

Viren. So kleine, kröselige Dinger. Partikel mit schlechten Angewohnheiten. Sehen aus wie diese Noppengummibälle, die man manchmal als Massagegerätschaft angedreht kriegt, und von denen man nicht weiß, was man denn damit massieren können soll, und wie, und ob das überhaupt eine gute Idee wäre, oder vielmehr Schweinkram, von dem man dann aber auch nicht wüßte, wo und wie, quibus auxiliis, cur, quomodo und quando. Viren halt. Viren nämlich sind, auch und gerade in Konkurrenz zu anderen Impfskeptikern, große Impfskeptiker.

Impfskeptiker? Viren?

Na sagen wir: Impfgegner. Skeptiker – Skepsis setzt eine Proposition voraus, deren Gültigkeit man zwar in Zweifel zieht, die man aber immerhin prinzipiell anerkennen könnte, auch wenn man den Teufel tun wird. Das kann das Virus aber nicht gut machen. Seine Gegnerschaft zum Serum ist absolut. Eine Sache auf Leben und Tod. Es oder es.

Es ist auf uns angewiesen, es Virus. Ohne uns kann es nicht sein. Es könnte nicht ins Meerschwein, ob es gleich wollte. Man hat es Hunden übertragen, aber die reagieren darauf wie ich auf die Staupe, mit Achselzucken. Es war einst ein stolzes Rinderpestvirus, aber das Rind als Wirt taugt auch nicht länger. Auf Gedeih ist es und auf Verderb uns ausgeliefert.

Drum ist es schlecht auf das Serum zu sprechen. Und das mit Grund. Anders als die Hunde und anders als Supermami.

Wenn aber keine Impfpflicht, wenn keine verpflichtenden Impfgespräche mit den Eltern, was dann?

Ich bin noch unentschieden. Ich neige zu gutem Zureden.

Wem? Den Eltern.

Nein, nein! Nicht den Eltern. Das ist sinnlos. Man kann einer Supermami nicht gut zureden. Entweder den Kindern, als den Vernünftigeren von beiden – ich könnte mir denken, daß Kindern beispielsweise eine auf gefesselten Meerschweinchen basierende Medizin sehr einleuchten würde, schon wegen des Erlebnisfaktors. Es scheint mir aber unwahrscheinlich, daß die Partei diesen Weg gutheißen würde, denn weder würde auf diese Weise das krankheitsfördernde, ja krankmachende Potential repressiver kapitalistischer Produktionsverhältnisse entschleiert, noch die Reduktion der Merschweinchen auf ihre bloße Reparaturfunktion für die Ware Arbeitskraft ausreichend kritisiert. Wenn man weg will von der Idee der sozialistischen Medizin als reglementiertem Paradies totaler Prävention, und das will man ja anscheinend, dann sollte man auch weg wollen von der Idee der Medizin im Sozialismus als perfektionierter Intensivstation, hin zu einer ganzheitlich verstandenen Medizin, Medizin verstanden als symbolische Handlung, Heilung vielmehr, beziehungsweise: Medizin verstanden als Kommunikation, und Krankheit verstanden als die sich verflüchtigende Wirklichkeit einer spezifischen Entität, wenn man nur lange genug auf sie einredet.

Ist das von Foucault?

Glaub‘ ich nicht. – Gute Idee aber: wenn das Virus sich gutem Zureden nicht zugänglich zeigt, liest man ihm notfalls was von Foucault vor.

Das Virus? Du willst dem Virus gut zureden?

Es scheint mir das Erfolgversprechendste zu sein.

Und du glaubst, die Partei wird da mitgehen?

Du solltest, mein lieber Quastel, wenn Du mit mir redest, ein wenig eingedenker sein, mit wem du redest, und deine Rede adjustieren: mitgehen! A bah! Was für ein würdeloses Wording! Wir sind hier nicht beim Poker, und wir sind auf keinem Meeting, wo Counsultants sich Jargon in die Ohren schmieren. – Wenn Du wissen willst, ob sich die Partei das gefallen lassen wird, so frag: „Wird die Partei sich das gefallen lassen?“

Und? Wird sie?

Wird sie was?

Sich das gefallen lassen?

Wer?

Die Partei.

Warum nicht? Wenn man lange genug auf sie einredet? – Gesundheitspolitik ist keine reine Privatsache, so wie Impfschutz. Man kann eine Partei zwar nicht zwingen, sich eine gescheite Gesundheitspolitik zuzulegen, denn letztlich fehlen die Instrumente, diesen Zwang auch auszuüben. Auch führt Zwang nicht zum Umdenken, sondern oft genug zum Trotz. – Aber man kann sie verpflichten, sich umfassend und unabhängig und notfalls wiederholt beraten und die Beratungen protokollieren zu lassen. Und die Protokolle dem Bundeswahlleiter vorzulegen.

Kann eine Partei eine solche Bescheinigung nicht vorlegen, dann muß man sie aus dem öffentlichen Bundestag fernhalten. Dann müssen ihre Abgeordneten notfalls in private Einrichtungen gehen.

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