an den lieben Gott
im Himmel über der Autobahn
Lieber Gott,
ich hatte im vergangenen Jahr darum gebeten, mir Deinen Knecht Weselsky von der GDL zu überlassen, damit ich ihm die Füße über offenem Feuer röste, zur Strafe dafür, daß er mich in einem Ort namens Bückeburg hat aussetzen lassen, damit ich daselbst an Getränkemangel zugrunde ginge. Du hast anders entschieden, und ich habe es in Demut getragen, wie es mir zukommt.
Nun aber schreie ich erneut zu Dir, in der Hoffnung, Dich umstimmen zu können, und mit dem Angebot, des Weselsky Zehen zusätzlich in einen Ameisenhaufen zu stecken. Denn höre, was er mir angetan hat: Er hat mich wiederum bestreikt. Er hat mich dazu gezwungen, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren! Mich!! Mit dem Auto!!! Gestern. Zwei Stunden hin, drei Stunden zurück, weil nämlich ein LKW umgekippt war, und nichts mehr ging.
Du fragst: Was kann denn mein Knecht Weselsky dafür, daß der LKW umgekippt ist? Was kippt er um, der LKW? – Ich aber sage Dir: Und ob er was dazu kann, Dein Knecht Weselsky! – Was er umkippt, der LKW? – Die Frage ist falsch gestellt! LKW kippen um. Seit diese Welt besteht, kippen LKW um. Seit es gibt Frost und Hitze, Saat und Ernte, Sommer und Winter, Tag und Nacht, seitdem kippen LKW um. Sommers wie winters. Bei Dürre und Regen. Und weil sie genau so lang sind wie eine dreispurige Autobahn breit, darum stellen sie sich erst quer, und dann kippen sie um. Rabumm! – Wenn erst die Gigaliner auf Deinen Autobahnen unterwegs sein werden, dann werden diese beide Fahrtrichtungen auf einmal blockieren können. Und sie werden es tun. Pardautz! – Statt eines Nummernschildes mit ‚Helmut‘ wird sich der Fahrer danach ein Nummernschild mit ‚Sechse auf einen Streich‘ hinter die Windschutzscheibe klemmen.
Dieser hier, der von gestern abend, ist umgekippt, weil Dein Knecht Weselsky ihn auf die Straße gezwungen hat. Gehören Güter etwa auf die Straße? – Nein. Güter gehören nicht auf die Straße. Güter gehören auf die Bahn. Guter alter Werbespruch aus der Zeit, als die Lokführer noch Beamte waren. Heute werden sie von denen bestreikt, die Güter. Was sollen sie machen? Sie suchen sich einen LKW, der sie mit auf die Autobahn nimmt. Dort kippt der sie aus. Als gehörten sie dorthin. – Heute morgen noch standen die LKW, die gestern im Stau mehr nolens als volens ihre Lenkzeit überschreiten mußten, am Straßenrand und wurden von der Polizei geweckt. Ich weiß das, weil ich heute morgen um sieben dort vorbeikam. Ich mußte nämlich schon wieder mit dem Auto fahren, weil Dein Knecht Weselsky mich noch immer bestreikt! Seh ich etwa aus wie etwas, das auf die Straße gehört? Seh ich aus wie einer, der gerne Auto fährt? Habe ich viereckige Augen? Wächst mir ein Auspuff? Habe ich einen Turbolader im Arsch?
Entschuldige bitte! Ich bin immer noch außer mir. Der Streß! – Es muß natürlich ‚runde Augen‘ heißen, nicht viereckige. – Nein ich fahre nicht gerne Auto! Ich fahre mit der Bahn, weil ich nicht autofahren will. Und nicht, weil ich autofahren will. Wenn ich autofahren wollte, würde ich nicht mit der Bahn fahren, sondern mit dem Auto. Aber es wäre irrig, aus der Tatsache, daß ich mit dem Auto fahre, zu schließen, daß ich nicht mit der Bahn fahren wollte. Ich will mit der Bahn fahren. Aber ich will nicht mit der Bahn fahren, um dann von Weselsky gezwungen zu werden, mit dem Auto zu fahren. Dann hätte ich auch gleich mit dem Auto fahren können.
Weselsky schuldet mir also wenigstens neun Stunden meiner Lebenszeit – die Stunden, die ich seinerzeit in Bückeburg verplemperte, will ich gnädig vergessen. Fünf Stunden gestern, wenigstens vier Stunden heute. Nach Go – nach Deinem Ratschluß auch mehr. Gott al – Du allein magst wissen, was heute abend wieder alles auf der Autobahn rumfliegen wird.
Diese neun Stunden will ich wiederhaben! Neun Stunden, die mir Gott in seiner Gü – entschuldige bitte, ich bin immer noch ziemlich mit den Nerven runter und weiß kaum, was ich sage: ich habe zwei Stunden scharfer Autobahnfahrt hinter mir, zwei Stunden, in denen ich mich konzentrieren mußte, anstatt entspannt in der Nase zu knibbeln, aus dem Fenster zu dösen, zu lesen oder diesen Brief zu schreiben – neun Stunden also, die Du in Deiner Güte mir zugemessen hast, die hätte ich gern wieder. Da Weselsky sie mir nicht geben kann, will ich mich wenigstens an ihm rächen!
Ich bitte Dich daher – Dein ist die Rache, ich weiß es ja, aber wenn Du mir einen Gefallen tun willst, dann gib ihn mir! Ich will ihm die Zehen mit Honig einstreichen und ihn vor einen Ameisenhaufen setzen. Der Streik die Saat, das sei die Ernte. Und wenn, wie der Kommentator der taz heute schreibt, der Weselsky gar nicht der alleinige Säemann ist – kein Problem: Gib mir den Weber gleich mit!
Ich zieh‘ ihn nackicht aus und werf‘ ihn in den Brennesselgraben.