Scham

Als Gott am Abend des sechsten Schöpfungstages das Ergebnis des sechsten Schöpfungstages betrachtete und sich einredete, daß es doch eigentlich ganz gut geworden sei, da konnte er dies laut und unwidersprochen tun, denn es gab noch keine vierzehnjährigen Girlies. Hätte es bereits ein vierzehnjähriges Girlie gegeben, würde dieses widersprochen haben. Es dauert aber noch ein paar Jahre, bis es vierzehnjährige Girlies gab – wunderbare Jahre, über die man viel zuwenig weiß; die Chronik hält sich da sehr bedeckt -, aber dann trat das erste vierzehnjährige Girlie auf den Plan, und das erste, was es sagte, war: „Mama, du bist unmöglich!“

Denn Mama hatte es verabsäumt, sich die Achselhaare zu entfernen.

Die Schöpfung, damals noch ziemlich jung und sehr unerfahren, konnte nicht wissen, daß man sich, wenn vierzehnjährige Girlies in der Gegend sind, besser warm anzieht, insbesondere in ästhetischer Hinsicht, denn das vierzehnjährige Girlie, das nicht an allem und jedem was auszusetzen hätte, insbesondere in ästhetischer Hinsicht, das muß erst eines schönen Tages noch geboren werden. Dabei läßt es sich die eigenen ästhetischen Kriterien nur zu gerne von Hinz und Kunz diktieren, wobei sie mit Kußhand jeden Hans oder Franz als Hinz respektive Kunz akzeptiert, vorausgesetzt es handelt sich nicht um die eigenen Erziehungsberechtigten.

Auf diese Weise kam die Zahnspange in die Welt, Wandmalereien auf entlegenen Körperteilen und noch ein paar ästhetische Impertinenzen, denn Gott hatte am Abend des sechsten Tages schließlich nur gesagt: „Sieht doch ganz gut aus. Oder?“ Daß es sich nicht würde verschlimmbessern lassen, hatte er nicht gesagt. Den Sabbat darauf verbrachte er dann bekanntlich im Bett und träumte schwer.

Anderes mußte die Welt wieder verlassen. Dazu zählt die Behaarung an gewissen Stellen der Schöpfung, zum Beispiel an Germanistenfuzzis Kinn, einer spillerigen Angelegenheit, angesichts derer man die Erfindung der Rasierklinge allerdings von ganzem Herzen begrüßt. Der Behaarung in den Achselhöhlen jedoch stand man über die Jahrtausende hin indifferent gegenüber, und die Girlies jener Jahre mußten mangels überzeugenden Achselhaarentfernungsbestecks ihren Müttern mit anderen Themen lästig fallen, was ihnen – wovon wir ohne Kenntnis der Einzelheiten überzeugt sind – auch gelungen sein wird.

Heute nun, sechstausend Jahre, drei Monate, vierzehn Tage und siebeneinhalb Stunden später, lesen wir auf Spiegel Online – einer Verhunzung der Schöpfung, für die die Girlies ausnahmsweise nicht die Verantwortung tragen -, daß eine neue Generation derselben das Achselhaar als Quelle der Inspiration für sich entdeckt hat, und als willkommenes Vehikel, um der Generation der mittlerweile achselrasierten Erziehungsberechtigten an den ästhetischen Karren zu fahren. Wie zuvor schon die männliche Variante des Girlies, der Hipster, die Kinnbehaarung für sich entdeckte. Wir sind uns, wie so oft, uneins, wie wir dies bewerten wollen. Auf dem Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle trägt Gott einen Bart, Adam hingegen ist glattrasiert. Vielleicht nicht rasiert, aber glatt; er war ja nicht einmal eine Minute alt in dem Moment, wahrscheinlich hatte der Bart einfach noch keine reelle Chance gehabt. Andererseits war es vielleicht ein Zeichen erster Entfremdung vom Vater, der Wunsch, alles anders zu machen als dieser. Vielleicht ist das glatte Kinn des Adam das Insigne des Girlies in uns allen?

Warum nicht. – Aber was ist mit den Achselhaaren? – Gott trägt auf dem Gemälde etwas, das kein vierzehnjähriges Girlie seinem Vater durchgehen lassen würde, wenn zu ihrer Zeit Schlabberlook gerade mal nicht so angezeigt sein sollte, sondern mehr so das Tank Top. Zu Zeiten Michelangelos war das Tank Top aber anscheinend gerade ein No-Go, jedenfalls in Gotteshäusern, und jedenfalls ist die Konsequenz, daß wir nicht wissen, ob Gott sein Achselhaar rasiert oder nicht. Von Adam wissen wir es strengenommen auch nicht; er scheint zwar keins zu haben, aber er hat ja auch nicht einmal Flaum auf der Oberlippe. Man müßte ein Bild von einem etwas älteren Adam zum Vergleich heranziehen, etwa vom Zeitpunkt des Rauswurfs aus dem Paradies. Aber auf Masaccios Gemälde bedeckt Adam sein Gesicht mit beiden Händen, und Eva hält die Rechte vor die linke Achselhöhle. Warum? Was hat sie zu verbergen? Kaugummiseisfarbene Achselhaare?

Zwar sind wir immer dafür, der Natur ihren Lauf und ihren Wuchs zu lassen, es sei denn, es stünde nicht dafür, wie etwa bei Germanistenfuzzi und seinem Kinn. Aber wenn der Preis dafür ist, daß wir solche Artikel zu lesen bekommen, dann soll man lieber mit der Rasur fortfahren und ansonsten die Schnüss halten. Was soll das erst geben, wenn uns dermaleinst die Renaturierung der Schambehaarung ins Haus steht? Oder reden wir lieber nicht von ‚Renaturierung‘, reden wir – mit Blick auf Lady Gaga, in deren unmittelbarer Umgebung man ja nicht mit ‚Natur‘ rechnen würde, und bei der es sich voraussichtlich um eine Installation aus Zuckerwatte handeln wird – von ‚Rekultivierung‘. Soll die auch vom Spiegel begackert und im Spiegel bebildert werden? Und von uns rezensiert?

Und kommen wird sie so sicher wie die Entblößung des Kinns durch die nächste Hipstergeneration. Fragt sich nur, ob sie gelingt, die Rekultivierung. Fragt sich, ob beim Schamhaarkahlschlag vergangener Tage nicht auch die Scham an sich ratzekahl mit abgeschabt und wurzeltief gerodet wurde. Und nun nichts mehr da ist, wo das Haar noch Stand fassen könnte?

Fragt sich nicht, ist so.

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