An dieser Stelle veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Beiträge, die vom steinmeier:blog als inadäquat abgelehnt worden wären, wenn wir sie dort eingereicht hätten. Meist kommen wir aber nicht dazu oder sehen aus guten bzw. fadenscheinigen Gründen davon ab.
72. Tag (9.12.2009)
Ein glatter Start sieht wahrscheinlich irgendwie anders aus, als das, was wir gestern im Bundestag erleben durften. Bei einem glatten Start zieht der an der Pole Position stehende Wagen allen anderen davon und kümmert sich nicht um das Hickhack der anderen, die sich in die Auspüffe beißen, die Ellbogen ineinander haken, sich Beine stellen, in den Schwitzkasten nehmen, die Ohren abreißen, sich umdrehen und den Hintermann anspucken – dieses Gekäbbel interessiert ihn erst dann wieder, wenn er die erste Runde hinter sich hat und von hinten in den Haufen reinfährt.
Ein solch glatter Start war Bundeskanzler Frank Walter Steinmeier nicht vergönnt. Ich sag’s gerne noch mal: Bundeskanzler Frank Walter Steinmeier. Kennen Sie den? Anruf bei Christa Müller: Kann ich bitte mal den Bundeskanzler Oskar Lafontaine sprechen? Müller: mein Mann ist nicht Bundeskanzler. Anrufer: weiß ich, aber ich könnt’s mir stundenlang anhören. Kannten Sie, nicht wahr? Ich könnt’s mir stundenlang anhören: Bundeskanzler Frank-Walter Steinmeier. Bundeskanzler Frank-Wal …
Zur Ordnung! Wir sind hier nicht im Bundestag. Ok – sieben Wahlgänge, das gönnt man seinem ärgsten Feind nicht, aber andererseits: bloß sieben Wahlgänge bei immerhin zwölf Parteien im Parlament, dreizehn, wenn man die CSU mitzählt – warum hat die CSU eigentlich keinen eigenen Kandidaten aufgestellt? zu Guttenberg würde doch sicher die ein oder andere Stimme aus dem Klappfußlager bekommen haben, vielleicht von den Rentenerinnen und Rentnern (RRP), oder von der Familienpartei (FAMILIE). Sieben Wahlgänge, das wünscht man ja noch nicht einmal Heide Simonis. Wenn allerdings, wie geschehen, die VIOLETTEN im ersten Wahlgang den Kandidaten der Partei Bebeltreuer Sozialdemokraten unterstützen, im zweiten den der Bibeltreuen Christen, im dritten Niemanden, dann einen eigenen Kandidaten produzieren, dann wieder den Bebeltreuen, und erst im letzten Wahlgang Frank-Walter Steinmeier, weil sie, Zitat, gedacht haben, die Partei Bebeltreuer Sozialdemokraten sei die SPD – dann kann es ja nicht anders gehen. Daß das Wassermannzeitalter alles andere als ein Zuckerschlecken werden würde, das war uns esoterikresistenten Krebsen ja schon immer klar, aber gestern kam es schon ein wenig dick.
Am Rande: die VIOLETTEN unterstützen Steinmeier, weil er als Steinbock gewissenhaft, strukturiert, konzentriert, erdverbunden und langweilig sei. Sein Planet sei der Saturn, und dessen Eigenschaften Gewissen, Struktur, Klarheit und Langeweile. Der Steinbock entspreche dem zehnten Haus, das für sozialen Status, Platz in der Gesellschaft, Berufung, Lebensziel und Langeweile stehe. Seine erogonen Zonen seien Nabel, Kniekehlen, Achselhöhlen, Wirbelsäule, Rücken und Machtzentrum. Allerdings: Widerstandsfähigkeit und Lebenslust seien dem Steinbock sein Ding nicht. Gerade wenn seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt seien, tauche der Steinbock schnell in pessimistisches Verhalten und Verbitterung unter. Um das zu vermeiden, habe man ihn gewählt; außerdem sei der Termin günstig: der Mond stehe im siebten Haus, Jupiter und Mars in Konjunktion, Friede leite die Planeten, und Liebe steuere die Sterne.
Was die Parteien im Bundestag gestern gesteuert hat, wissen wir allerdings nicht, es wäre denn das Tao des Chaos gewesen, wie wir es aus dem genetischen Code, dem I Ging, Spinnennetzen, Sonnenblumen, alten indischen Teppichen, dem Kinderzimmer meines Sohnes und dem Handschuhfach meiner Frau kennen. Gut möglich auch, daß die Zusammensetzung des Bundestages, der ja seit der Bundestagswahl noch nicht einmal so voll gewesen ist wie gestern, ein temporäres Lichtgitter (Strahlungszonen kapazitativer Energie) aufspannt, in dem die entsprechende Energiequalität in Resonanz tritt, daß es nur so raucht. Es würde uns nicht wundern. Es würde das immerhin einiges erklären
Denn so einfach bildet man in Deutschland keine Minderheitsregierung. Die Väter und Großväter des Grundgesetzes waren Minderheitsregierungen nicht grün, und jene Götter haben vor diesen speziellen Erfolg den Sitzschweiß gesetzt. Phase eins: Beim ersten Wahlgang am 24.11. – die Älteren unter uns werden sich noch erinnern – sah es nicht gut aus für den Vorschlag des Bundespräsidenten (FWS, Anm. d. Red.). Von seiner eigenen Partei war die Hälfte nicht gekommen, die CDU gar nicht, von FDP und Grünen sowie den Klappfußparteien stimmten die, die da waren (nicht viel mehr als bei den Pressekonferenzen) geschlossen gegen den Kandidaten, die Linke enthielt sich wie abgesprochen – da ist mal eine Partei, auf die man sich verlassen kann – aber es reichte natürlich vorne nicht, hinten nicht, und sollte ja auch gar nicht reichen.
Phase zwei: vierzehn Tage, in denen der Bundestag praktisch machen kann, was er will – auch die etwas jüngeren unter uns mögen sich dieser 14 Tage noch entsinnen, denn es war ja einiges los. Ein wenig war es wie bei den Projekttagen im Gymnasium, jeder darf mal Kandidat sein und sich wählen lassen, und braucht sich dieses Recht auch von niemandem nehmen zu lassen, vorausgesetzt er hat 25% Unterstützung. Immerhin acht Kandidaten schafften dies, und das bei dreizehn im Parlament vertretenen Parteien – man möchte nachträglich den Hut vor den Onkeln und Großonkeln des Bundeswahlgesetzes ziehen, die so weise waren, mit Fünf-Prozentklauseln die Klappfüße draußen zu halten, auch wenn es in diesem einen Fall nicht geklappt hat. Und doch: nur so konnte eine unerwünschte absolute Mehrheit eines der Klappfußkandidaten und Westerwelles verhindert werden, indem diese acht Kandidaten sich gegenseitig die Stimmen wegnahmen, und somit Steinmeiers Weg zur einfachen Mehrheit im dritten Wahlgang erst ebneten.
Phase drei: gestern. In der es zunächst wieder gar nicht gut aussah für Steinmeier. Sechs Wahlgänge, in denen die acht Kandidaten die jeweils exakt gleiche Stimmenzahl bekamen, brachten, gerade beim Kandidaten FWS zum Sitz- den Achselschweiß. Wieviel hat gefehlt, daß wir im letzten Wahldurchgang einen violetten Bundeskanzler bekommen hätten, gewählt auch mit Stimmen von SPD- und CDU-Abgeordneten, die es für angezeigt hielten, auf diese Weise den eigenen Kandidaten spüren zu lassen, welche Hand ihn in den kommenden vier Jahren füttern – und züchtigen – wird, wobei sie wissend und billigend in Kauf nahmen, daß der Kandidat damit noch vor dem Amtseid Schaden nehmen würde? Gerade mal eine Stimme.
Dann der Turnaround. Ein Abgeordneter der VIOLETTEN schwört Stein und Bein, daß er es war, der mit einem Opferritual auf der Reichstagstoilette – er will unter Beachtung eines komplizierten Regelwerkes seinem Körper ein weißes Pulver zu- und damit Harmonie unter den widerstreitenden Göttern herbeigeführt haben – den plötzlichen Umschwung einleitete. Einstimmig gewählt von SPD, CDU, VIOLETTEN, RENTNER („Er ist doch auch schon 54, der bekommt doch keine Arbeit mehr, wenn er jetzt nicht Kanzler wird.“), Bebeltreuen („Er ist doch immerhin Sozialdemokrat.“), Bibeltreuen („Er ist doch immerhin Christ.“), PIRATEN („Ein Versehen, Mann! Ich komme mit diesen ausgedruckten pollforms noch nicht klar.“), MLPD („Unser gemeinsamer Feind ist die Linke.“) und immerhin von Teilen der FDP („Ich Westerwelle wählen? Jetzt mal unter uns Pastorentöchtern: eher geh ich doch zum Heil’gen Rock nach Trier.“), vereint er (Bundeskanzler Frank-Walter Steinmeier, Anm. d. Red.) mehr als zwei Drittel der Stimmen des Bundestages auf sich, mehr als jeder Kanzler und jede Kanzlerin je zuvor. Feld überrundet, Haufen überrascht.
Nun hat der Bundespräsident sieben Tage Zeit, ihn zum Kanzler zu ernennen. Nein, nicht sieben Tage Zeit, zu entscheiden, ob er ihn ernennt, oder ob er den Bundestag nicht lieber auflösen will: ihn zu ernennen. Je mehr Zeit Köhler sich läßt, desto vorweihnachtlicher wird die Zeit, in die die Ernennung fällt, und desto mehr werden unseren Abgeordneten – deren schwache Hälfte, das darf man nicht vergessen, neu ist im Parlament und vielfach zum erstenmal Kohle in den Händen hält – die dringend benötigten Weihnachtseinkaufstage verdirbt. Der Bundespräsident wird gut daran tun, die Ernennung so bald wie möglich über die Bühne gehen zu lassen, damit wir alle in den in diesem Jahr mehr als sonst verdienten Winterurlaub starten können.
Soll ich’s noch mal sagen? „Bundeskanzler Frank-Walter Steinbock“. Pardon, -meier. Herzlichen Glückwunsch zur Wahl. Wie sagt doch FWS selbst? „Ich bin jemand, der vom Ende her denkt.“
Dann ist ja jetzt alles gut. Let the sun shine in!