Armutsbericht reloaded

Einmal, es ist lange her, da gab es Armut auf der Welt.

Dann aber, im Laufe der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, das ist das letzte Jahrhundert des vorigen Jahrtausends, so lange ist das schon her, verschwand die Armut. Die Armutsfee hat sie geholt, und sie hat den Armen im Tausch dafür eine Goldmünze unter das Kopfkissen gelegt. Das heißt denen, die ein Kopfkissen hatten. Die anderen gingen leer aus. Aber ist das vielleicht die Schuld der Armutsfee? Anderen ließ sie die Armut, nahm ihnen dafür aber alle Zähne. Ist das etwa die Schuld von Guido Kleinhubbert?

Fest steht: Armut gibt es heute nicht mehr. Wenn es sie gibt, dann deswegen, weil sie herbeidefiniert wurde. Herbeidefiniert wird sie vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, und in den Wohlfahrtsarm fällt diesem außer Krethi und Plethi, Hinz und Kunz, diesem und jenem, allerlei Volk, praktisch jedem, der sich etwas auf seinen „Wirtschaftsverstand“ einbildet, sämtlichen Neoliberalen sowieso, sowie denen, die sich auf ihren unbestechlichen Blick mächtig was zugute halten, ihre Furchtlosigkeit beim Löcken wider den Stachel, ihre Verachtung des juste milieu und ihrem „Mut“ beim „Aussprechen“ „unbequemer“ „Wahrheiten“ – namentlich zu nennen wären Martenstein und ähnliche Hähne in vergleichbaren Körben -, in den paritätischen Arm fäll dem Verband nun, da Rösler nicht mehr ist, auf den Armutsbericht aufzupassen, praktisch nur noch Kleinhubbert:

Abgesehen davon, ist der alljährliche Blues-Song sowieso ein schiefes Lied.

Schiefes Lied? Ist das ein schiefes Bild, und gemeint ist eigentlich schiefes Bild? Oder war ein mißtönend Liedlein gemeint? Ein Sägengeknarr, ein Rabengekrächz? – Ich habe vergessen, mitzuteilen, daß Kleinhubbert es für mitteilenswert hält, daß der Geschäftsführer der Paritätischen – ein Herr Schneider – einer Blueskapelle als Sänger vorsteht. Ich hielt das nicht für mitteilenswert. Aber jetzt fehlt mir die Info natürlich, ohne die unverständlich bleiben muß, warum Kleinhubbert hier die Metaphern verrutschen. Also, der alljährliche Armuts-Blues, gefallen tut er Kleinhubbert nicht, denn:

Für Schneider und seine Fans sind nämlich alle Menschen „arm“, die von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens leben müssten. Das ist zumindest heikel, denn selbst wenn in unserem Land nur millionen- und milliardenschwere Ferrari-Fahrer gemeldet wären, gäbe es hier Armut. Irgendwer fällt immer unter die Grenze.

Nämlich Werner. Werner hat kein Einkommen, außer dem, was wir ihm zustecken. Er lebt davon, daß er das Geld fürs Bier münzweise auf den Tresen legt und so tut, als kenne er deren Wert nicht. Bis Louis die Faxen dicke hat und sagt, er soll es gut sein lassen. Mal schenkt ihm einer eine Bommelmütze, mal einer ein Paar Gummistiefel. Zu essen kriegt er. Er hat, was er braucht. Wenn wir anderen alle millionenschwere und milliardenschwere Ferrarifahrer wären, würde Werner natürlich unter die Grenze fallen. Aber wäre er deswegen arm?

Antwort: Er wäre nicht arm, er ist arm. Denn erstens folgt ja aus der Tatsache, daß, wenn etwas so wäre, wie es nicht ist, etwas anderes aber anders wäre, als es ist, nicht, daß es nicht so ist, wie es nicht wäre, wenn es anders wäre. Mit anderen Worten: Was soll der Scheiß-Konjunktiv?

Schummeln soll er!

Und zweitens folgt aus der – ja ja, sie ist willkürlich gezogen, die Grenze, bei 60%. Man hätte sie bei 59% oder 61% ziehen können. Geschenkt! – willkürlich bei 60% gezogenen Grenze nicht, daß alle, die unter diese Grenze fallen, bei 59,95% mit Fallen aufhören würden. Das nämlich wäre Konjunktiv. Und Konjunktiv ist nicht! Das wäre vielleicht so, wenn es so wäre, aber das ist nicht so.

Um es an einem Beispiel zu erklären: Wenn in unserem Land nur geistige Koryphäen und Kapazitäten, nur Intelligenzbestien und Blaustrümpfe, lauter Hochbegabte und Genies, ein Einstein am anderen wohnen würden, keiner mit einem Intelligenzquotienten unter 135. Was ich sage: 136! Lauter Leute mit Intelligenzquotienten über 135 – würde das etwa bedeuten, das es in unserem Land keine geistige Armut mehr gäbe? Keine Voll-, Halb- und Viertelpfosten? – Könnte es das überhaupt heißen?

Denn es gäbe dann ja immer noch die Spiegel Online Redaktion?

Eine Redaktion, in der sich lauter unterschiedlich begabte Geister tummeln würden. Mal in der Nähe von 60% des Durchschnitts, mal etwas weiter weg. Mal etwas drüber, aber nicht viel. So welche wären längst woanders. Meist eher etwas darunter. Manche ein ganzes Stück weiter darunter. Manche auch ganz ordentlich weit.

Tja, und dann wäre da noch Klein Hubbert.

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