Von Gutmenschen und Schlechtkerlen

Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf.
Tucholsky
Oder haltet sie von mir aus auch stumpf. Schließlich gibt es auch stumpfe Waffen. Die berühmten „stumpfen Gegenstände“ zum Beispiel, von denen der Detektiv immer feststellt, daß die vorgefundene Leiche mit einem solchen in Berührung gekommen sein müsse. Oder Dum-Dum-Geschosse, die sollen ja verheerende Wirkung haben. Oder sind Geschosse – streggenommen und Tucholskys Maxime in Anschlag gebracht – keine Waffen? Müßte man diskriminieren zwischen Waffe hie und Munition da, und wäre fehlende Unterscheidung schon „Schluderei“ im Tucholskyschen Sinn? Aber was wären dann Bomben und Granaten, Zwitter? Könnte man sagen: „Sprache ist eine Faßbombe, haltet sie voller Gedöns.“? Oder: „Sprache ist – verdammt da kommt sie, rennt was ihr könnt!“ – ich erinnere nur an die Faßbomben eines gewissen Trump…pff.
Germanistenfuzzi, kurz vor der Berührung mit einem stumpfen Gegenstand

Als noch verkannt und sehr gering der Gutmensch über die Erde ging

Ich bitte um Verzeihung, ich fange noch einmal an, das ist viel zu poetisch und dem Gegenstand daher nicht angemessen:

Als unser Herrgott noch auf Erden wandelte und Wörter noch eine Bedeutung hatten, da war der sog. Gutmensch einer, der, wenn er an einem Spiegel vorbeikam, kurz innehielt, voller Gefallen hineinschaute, den Hut lupfte und sich dann wieder an sein Tagwerk machte, und sein Tagwerk bestand darin, anzuprangern. Anzuprangern und zu verhindern, daß man ihn seines Lebenssinns beraubte, indem man an der Welt etwa etwas änderte. Bewahre! Was hätte er dann anprangern sollen? Harmlos also, aber unerträglich. Suffragetten etwa – in Abgrenzung dazu – waren keine Gutmenschen, sondern eine wirkliche Gefahr: nicht zufrieden, ehe sie ihr Faß voll Prohibition in Gesetze abgefüllt hatten. Die Folge: Al Capone. Al Capone ist nichts weiter als gegorenes Suffragettentum. Der Gutmensch hingegen würde niemals zugegeben haben, daß man auf der Kirmes den Ausschank von Alkohol untersagt haben würde, denn er wollte sein neues Leibchen mit der Aufschrift „Weil du gefährdet bist, trinke ich keinen Alkohol“ spazieren führen und tat das auch. Wodurch sich der Ausschank auf und während der Kirmes kräftig erhöhte, nicht nur weil die Alkoholgefährdeten, durch die demonstrierte Großmut gedemütigt, doppelt zur Flasche griffen, sondern weil auch wir Unbeteiligten die Gelegenheit nicht verstreichen lassen und den freiwerdenden Alkohol sicherzustellen versuchen wollten, in Konkurrenz zu unseresgleichen und den Alkoholgefährdeten, wodurch es zu Überkompensationen kam, denn so zahlreich waren die Leibchenträger garnicht. Der ursprüngliche homo benevolensis war zwar eine Pest, aber nie besonders virulent.

Heute ist er praktisch ausgestorben. Was heute Gutmensch genannt wird, ist in der Regel homo sapiens sapiens. Eine Bedeutung hat das Wort nicht mehr, da es auf so gut wie jedermann angewendet wird: auf Leute, die sich ins Sacktuch schneuzen, statt in die Finger, die sich nach dem Toilettengang die Hände waschen, Leute, die sich beim Reinkommen die Schuhe abtreten und Leute, die Rollatorfahrern im Bus Platz machen. Alexander Gauland, von sich auf andere schließend, nennt solche Leute „rechts“; Sie und ich würden solche Leute einfach nur „Leute“ nennen, aber Sie und ich, wir sind nicht Alexander Gauland, und Alexander Gauland ist nicht wir. Wer oder was ist Alexander Gauland? Fest steht, er ist kein übriggebliebener Gutmensch. Alexander Gauland will nicht, daß die Dinge bleiben, wie sie sind, er will sie ändern. Das macht ihn gefährlich, das macht ihn zu einer Suffragette, einer männlichen Suffragette, einem Suffragett. Die Folge von Alexander Gauland wird ein Al Capone sein; er ist dessen Dünnbierversion.

Was bedeutet es nun, daß man jemanden, der darauf besteht, die Toilette zu benutzen anstatt ins Waschbecken zu pinkeln, sowohl „rechts“ als auch „einen Gutmenschen“ heißen kann? Ganz sicher doch, daß der semantische Gehalt des Wörtchens Gutmensch im Laufe der Lagerung aus dem Faß verdunstet und nun nicht mehr nachweisbar ist. Heute ist es ein Idiotismus, der die Beheimatung des Sprechers in einer – nicht unbedingt regional oder soziologisch dingfest zu machenden – Sprachvarietät verrät. Zu deutsch: wes Geistes Kind einer ist, welch Mördergrube er im Busen birgt, was sein Sinnen und Trachten von Jugend auf, das wird offenbar, indem er sich des Wörtchens „Gutmensch“ bedient und es auf seinen Nächsten in Anschlag bringt. Was alle diese Menschen eint, ist, daß sie sich abgrenzen wollen. Sich ex positivo definieren – wir sind Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, Zöllner – das wollen sie sich nicht, ex negativo aber umso vehementer: wir sind keine Pharisäer! Umgotteswillen! – Nun, dann müssen wir es tun: wir wollen sie, damit wir die Menge nicht immer mühevoll herbeidefinieren müssen, wenn wir sie brauchen, von nun an die „Schlechtkerle“ nennen. Es wird ihnen recht sein.

Wozu wir sie brauchen? – Um uns von ihnen abzugrenzen? – Das sei ferne! Wir grenzen uns von keinem ab. Soll sich die Rote Flora vom Schwarzen Block abgrenzen, wenn sie lustig ist, wir grenzen uns nicht vom Schwarzen Block ab. Wenn der Schwarze Block was von uns will, soll er sich gefälligst herbemühen. Das wird er nicht tun, aber selbst wenn er’s täte, würden wir es nicht tun. Und dasselbe gilt für die Schlechtkerle. Die Schlechtkerle sind der Schwarze Block im Schanzenviertel der Veröffentlichten Meinung. Wir grenzen uns auch von denen nicht ab, nachher meint noch einer, wir hätten es nötig. Es sind dies immerhin Leute, die so reden, als würde man in deren Waschbecken kein Gemüse mehr putzen wollen. Als würde man denen die Hand nicht geben mögen – nicht nicht geben wollen, aber nicht geben mögen. Nichts gegen Bauern, die sich hinter dem Pflug die Finger am Zwillich wischen, aber – Herrgott, wir danken Dir, daß wir nicht sind wie diese Kunstbauern da mit ihren sorgfältig befleckten Joggingbuxen, ihren ranzigen Unterhemden und ihrer Adilettensprache! Da erhöhen wir uns doch lieber selbst und geben die Feinpinkel.

Das ist das eine. Das andere: wir werden uns erlauben, hin und wieder den einen oder anderen der Schlechtkerle herauszugreifen und ihm zuzusetzen, soweit unsere Mittel das erlauben. Wie Germanistenfuzzi sagte, als er wieder bei Sinnen war:

Sprache ist ein Pusterohr. Wörter sind Pfeile. Oder Kirschkerne. Haltet sie spitz, bzw. seht zu, daß ihr immer genügend dabeihabt. Pfeile, meine ich. Das Blöde bei Pfeilen ist, sie sind im Prinzip noch gut, nachdem man sie benutzt hat. Man könnte sie wiederverwenden, aber man müßte sie dazu erst wieder einsammeln. Andererseits sind Pusterohre wartungsarm. Hin und wieder den Sabber ablassen, wie bei der Klarinette, schlimmer noch bei der Melodica, die hatte so einen Knopf unten, und ein Kläppchen, eklig, es sabberte aus dem Kläppchen, und es sabberte einem immer auf die Finger. Andere Blasinstrumente – außer Blockflöte, aber die hatte ja jeder – hab ich nicht kennengelernt, ich könnte mir vorstellen, daß eine Tuba zum Beispiel ordentlich Sabbersammelkapazität braucht. Blechblasinstrumente sind ja angeblich auch Waffen, darf ich an Jericho erinnern? Aber könnte man sagen, daß Sprache ein Blechblasinstrument sei? Gäbe das was her? – Wie auch immer, zurück zum Pusterohr: seht zu, daß sie sitzen. Die Pfeile sollten sitzen, die Opfer sollten stehen. Dann kommt man besser an ihren Hosenboden ran. Wobei der Franz bei Wilhelm Busch dem Bartelmann den Pfeil in die Nase schießt, nicht in den Hosenboden. Der den Hosenboden traktiert kriegt, ist der Dichter Bählamm, dem der Knabe Jörg mit einem selbstgebastelten Instrument – Zweig mit Nadel zum Pieken vorne dran, ich weiß gar nicht, wie man eine solche Waffe nennt, nennt man eine solche Wa…pffffff.

Ich bitte um Entschuldigung, aber an dieser Stelle schien es mir angezeigt, Germanistenfuzzis Bekanntschaft mit dem stumpfen Gegenstand aufzufrischen.

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