Es war ein nachdenklicher Peer Steinbrück, der vor die Presse getreten war,

um dort seiner Partei, der SPD (Partei Peer Steinbrücks, Anm. d. Red.) die Leviten (bibl. Volk, bekannt für die Leviten, die ihm immer gelesen wurden, Anm. d. Red.) zu lesen.

Der scheidende Finanzminister (Peer Steinbrück, ehem. Finanzminister, Anm. d. Red.) trat vor die versammelte Presse, wirkte nachdenklich, räusperte sich, blätterte kurz in den Leviten, wirkte noch nachdenklicher und hub dann an.

Eine Annäherung der SPD an die Basis würde die Sozialdemokraten weitere Stimmen kosten, warnte er. (vgl. Leviticus 22,23: Wenn ihr aber eure Wählerstimmen einfahrt, so sollt ihr nicht alles an euch raffen bis zum Ende des Wahlvolks, auch nicht alle genau auflesen, sondern sollt sie den Armen und Fremdlingen lassen. Ich bin der Herr.).

Schon bei seiner Abschiedsrede im Parteivorstand hatte es ganz ähnlich geklungen. Dort hatte er unter anderem davor gewarnt, sich den SPD-Wählern anzunähern. Die SPD würde andernfalls weiter an Zustimmung verlieren, „weil immer um einen Faktor höher Wählerinnen und Wähler zu den konservativ-bürgerlichen Parteien überlaufen“. Der Platz der SPD sei in der politischen Mitte der Gesellschaft, nicht bei ihren Wählern.

Nachdenklich versuchte Steinbrück, für den Käsdorfer Metropolitan (KM) aus eigenen Notizen und Erinnerungsfetzen zu rekonstruieren, was er damit gemeint hatte. Er hatte ja nicht gesagt, um welchen Faktor die Wähler zum Klassenfeind überlaufen würden. Der kleinste, ganze, natürliche Faktor wäre ja wohl drei. Oder zwei. Irgendwas in der Größenordnung. Wenn also die SPD die zehn Millionen Wähler, die sie seit 1998 verloren hat, wiedergewinnen würde, würde sie 20 Millionen an die Reaktion verlieren. Dann wäre sie bei 9.988.843 + 10 Mio. – 20 Mio. = – 11.157 Stimmen. Hände weg von den Wählern! konnte er da nur sagen.

Die Ansprache war auch eine Abrechnung mit der eigenen Partei: Er riet seinen Parteikollegen nachdrücklich davon ab, die Vertreibung der sozialdemokratischen Wähler in den vergangenen Jahren zu revidieren: „Wer glaubt, dass die SPD einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit dadurch zurückgewinnt, der irrt.“

Steinbrück verwahrte sich auch gegen Vorschläge, den Wählern das kleine Türchen hinten links, das seit Jahren nicht mehr benutzt werden kann, weil der Korridor mit nicht mehr benötigtem Sozialstaatsgerümpel vollgemüllt worden ist, freizumachen, damit sie auf diesem Wege zur Partei zurückfinden können. Der Weg zur SPD führe nicht durch Dienstboteneingänge, sondern durch das prächtige, säulengeschmückte Hauptportal, hinter dem leider momentan wegen der notwendigen Umbauarbeiten nur Fermacellstaub, schmutzige PE-Folienwände, schlampig aufgerollte Kabel, Speiskübel und Sigmar Gabriel auf die Wähler warteten. Weswegen die denn auch lieber nach nebenan zur FDP gingen, trotz des häßlichen Türstehers, zur CDU (trotz Pofallas) oder zur Linken (trotz dieses saarländischen Tütenkaspers da).

Steinbrück wandte sich auch gegen Pläne, denjenigen Wählern – rechts von der Linken und links von der CDU -, die sich im derzeitigen Parteiengefüge von niemandem vertreten fühlten, in der SPD eine Heimat zu bieten. In jener Gegend gebe es kaum Wähler, und wenn, dann seien es keine besonders guten Wähler, sondern politisch unzuverlässige Elemente, die beim kleinsten Lüftchen, das ihnen aus der Parteiführung entgegengeblasen werde, das Hasenpanier ergriffen.

Steinbrück sagte, wobei er nachdenklich in seinem Langzeitgedächtnis blätterte, in den übrigen europäischen Ländern habe die Gründung solcher sozialdemokratischer Parteien keinen großen Erfolg gehabt. Über kurz oder lang sei es überall wieder auf Sozialisten hie und Konservative da hinausgelaufen. Es sei albern, anzunehmen, in Deutschland werde es anders sein können. Eine sozialdemokratische Partei in Deutschland würde unweigerlich zwischen der Linken und der CDU zerrieben werden.

Daraus müsse die SPD lernen. Daraus müsse die SPD lernen, daß es keinen Sinn habe, sozialdemokratische Politik zu machen. Der Versuch sei lachhaft. Die SPD müsse daraus lernen, daß sie sich von ihren Wählern emanzipieren müsse, wenn sie politisch überleben wolle.

Nachdenklich popelte Steinbrück auf seine Notizen. Es gebe sicherlich keinen Königsweg aus dem Tal der Könige, fuhr er dann fort. Aber besser – obschon auch schwerer – sei es wahrscheinlich, sich an den Wählern der anderen zu orientieren, als an den eigenen, schwerer deshalb, weil da ja erstmal einer drauf kommen müsse. Nun sei er aber drauf gekommen; er habe nachgedacht, und dann sei er drauf gekommen.

Und besser sei es, weil die Wähler der anderen gezeigt hätten, daß sie in der Lage – und willens! – seien, ihren Parteien Mehrheiten zu verschaffen. Die SPD-Wähler seien dazu aber nicht in der Lage. Oder sie wollten nicht. Oder es seien gar keine SPD-Wähler. In dem Fall aber brauche man auch keine Rücksicht auf sie zu nehmen.

Unfroh blätterte Steinbrück noch ein wenig im Leviticus, fand dort aber nur die Aufforderung, für seine Schuld dem Herrn vor die Tür des Willy Brandt Hauses einen Widder zum Schuldopfer bringen, und der Priester solle ihn versöhnen mit dem Schuldopfer vor dem Herrn über die Sünde, die er getan hatte, so werde ihm Gott gnädig sein über seine Sünde, die er getan hatte; schüttelte unduldsam den Kopf, las sich fest und bekam einen glasigen Blick.

Plötzlich schrak er auf. Ob er eben tatsächlich ‚Tal der Könige‘ gesagt habe? Ihm sei so.

Gemeint habe er natürlich ‚Schlucht der Schluchzer‘, fügte er nachdenklich hinzu.

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