Wir sind der Stammtisch!

Es habe, sprach der Nachbar am Stammtisch, die Unfreiheit in der Sowjetzone ganz fraglos Kolosse und Extremitäten ausgebrütet. Wir sollten nur einmal die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt betrachten. Dieselbe habe kritisiert, daß „manche“ so täten, „als sei es in der DDR schön und nett gewesen und alles gar nicht so schlimm.“ So sei es aber nicht gewesen.

Nun habe das aber auch niemand geglaubt, führte der Nachbar aus. Spätestens seit der Freilassung Wolf Biermanns habe man gewußt, daß die Unterdrückung in der DDR schlimme, und im Einzelfall extreme Folgen haben könne. Wobei das zweifellos aus einseitig westlicher Perspektive geurteilt sei; in der DDR selbst möge damals ein großes Aufatmen die Runde gemacht haben. Ja, man könnte versucht sein, anzunehmen, daß in einem Gesellschaftssystem, das einen Wolf Biermann zuerst hervorbringe, dann aber ausbürgere, die Fähigkeit zur Selbstkorrektur von vornherein angelegt sein müsse, und es hierin dem Christentum ähnlich sei, welches auch jede Art von Kritik und Opposition aufsauge, neutralisiere, ins Gegenteil verkehre und, wo das nicht gelinge, als eigenen Nachwuchs ausgebe.

Man könnte versucht sein, wiederholte der Nachbar, aber man sei es nicht, denn man habe glaubhafte Kunde davon, daß in der Zone gegen die göttlichen Gebote verstoßen worden sei, die besagten, daß beim Brauen ausschließlich Wasser, Hopfen und Gerste zum Einsatz kommen dürfe, und daß die Flaschen vor dem Wiederbefüllen gefälligst zu waschen sind, und zwar auch dann, wenn die Planvorgaben leichter zu erfüllen sind, wenn man die Flaschen einfach so wieder auffüllt, pfui Teufel noch eins.

Andi, der Zonenkoch, dem wir diese Kunde verdankten, und der bis heute kein Bier trinkt, nickte und sprach dem Rosé zu.

Diesbezüglich also sei Frau Göring-Eckardt recht zu geben.

Andererseits sei die Lehre, die man aus dem Scheitern der DDR ziehen müsse, komplex. Man müsse sich doch fragen, ob der historische Materialismus, die Einschwörung auf Diesseitigkeit, der Bruch mit den christlichen Traditionen, ob die konsequente Verdrängung alles Kirchlichen aus dem öffentlichen Diskurs rückwirkend überhaupt zu rechtfertigen seien, wenn dadurch nicht nur schmutzige Bierflaschen, sondern hauptsächlich grüne Synodale bzw. protestantische Bundestagsvizepräsidentinnen produziert worden seien. Denn dann habe doch etwas nicht gestimmt, und zwar entweder hinten nicht, oder aber vorne nicht.

Andi deutete mit dem leeren Roséglas auf Thomas Gottschalk, der im Fernsehen das zwanzigjährige Jubiläum von „Wetten daß“ vor dem Brandenburger Tor feierte und sich dazu Genscher, Gorbatschow und die Gropiuslärchen eingeladen hatte. Der Freie Westen habe aber auch Extremitäten ausgebrütet, mein lieber Mann!

Nunmehr nickte zustimmend der Nachbar.

Dennoch, sprach er. Wenn Gott in seiner Güte ihm noch einmal ein Stallhasenpärchen schenken wolle, womit, wie er die Hasen kenne, minütlich zu rechnen sei, so wolle er die beiden Göring und Eckardt nennen.

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