Er habe in den vergangenen zwei Monaten, sagte mein Nachbar, berufsbedingt ständig von hier nach da fahren müssen, und wieder zurück, und zwischendurch auch noch nach dort, und er habe sich zu diesem Zweck seines Fahrrades bedient.
Er gehöre, fuhr er dann fort, zu jener Generation, die das Unglück gehabt habe, kollektiv des Fluchs früher Geburt teilhaftig geworden zu sein, und als Angehörigem dieser Generation sei es ihm nicht gegeben, sich den Kopf verunstalten zu lassen, sei es durch Haareschneider, sei es durch närrische Mützen, wie etwa Fahrradhelme. Nichts auf der Welt könne ihn dazu bewegen, solch eine Tölpelskappe aufzusetzen, wie ihn auch nichts je dazu bringen werde, sich mit einer roten Zipfelmütze mit weißem Bommel im Kreise Gleichgestörter auf einem Weihnachtsmarkt, oder mit einem Blechhelm auf dem Kopf und in Gesellschaft noch Gestörterer in Nachbarländern herumzutreiben.
Es sei denn, es ginge gen Italien. Da sei er eventuell zum Kompromiß bereit, allerdings nur dann, wenn es sich um eine explizite Strafaktion wegen der Überziehung deutscher Groß- und Mittelstädte, Kleinstädte, Samtgemeinden, Dörfer, Weiler und Flecken mit italienischer Gastronomie handele. Selbst dann sei vorher zu prüfen, ob man nicht vielmehr und mit mehr Erfolg militärisch gegen deutsche Ordnungs- und Gewerbeaufsichtsämter vorzugehen hätte, bzw. gegen jene Deutschen – die Betreffende wisse schon, wer gemeint sei -, die ständig und unter allen Umständen „Zum Italiener“ wollten.
Aber auch an einem solchen Feldzug würde er sich nur dann beteiligen, wenn die Hutfrage vorab geklärt sei, und zwar in seinem Sinne.
Damit er aber auch nicht ganz schutzlos dem Verkehr ausgeliefert sein würde, habe er sich bei Aldi eines MP3-Players versichert, und so gerüstet, verstöpselt und bekabelt, sei er seiner Wege gefahren. Jedoch habe es sich als unweise erwiesen, den Weg dazu nutzen zu wollen, sich Pink-Floyd-hörenderweise zu vergewissern, daß es schon immer richtig gewesen sei, niemals Geld für Pink Floyd ausgegeben zu haben, auch seinerzeit nicht, als Pink Floyd noch Geld gekostet und man nicht, wie heute, Pink Floyd im Internet hinterhergeworfen bekommen habe. Da man es aber heute im Internet hinterhergeworfen bekomme, habe er sich vorgenommen, auf seinen ansonsten unproduktiven Wegen einmal alles, was ihm im Internet hinterhergeworfen worden sei, hintereinander weg zu hören, und zwar chronologisch, auf einen Kracken und ohne mit der Wimper zu zucken.
Letzteres sei ihm aber nicht gelungen, denn es sei nicht immer eindeutig auszumachen gewesen, wo Pink-Floyd aufgehört und Hannover angefangen habe, und er habe sich manchesmal verjagt vor etwas, was ihm als notbremsender LKW, mehrere Güterzüge, Krieg gegen Italien bzw. Ausbruch des Vesuvs und die letzten Tage von Pompeji erschienen sei. Es sei dann aber immer gar kein LKW gewesen, kein Krieg und kein Vesuv, sondern Waters, Wright oder Gilmour, möglicherweise auch Barrett, denn er habe den Stiefel ja von Beginn und Kindestagen an weggehört. Da werde er schon mal mit der einen oder anderen Wimper gezuckt haben.
Nun sei er damit durch. Er habe bis dato Pink-Floyd-abstinent gelebt und plane, von Stund an bis ans Grab wiederum Pink-Floyd-abstinent zu leben. Gedrängt, seine Eindrücke aus seiner kurzen, heftigen, hedonistischen Phase zusammenzufassen, würde er zu einem Bild aus der italienischen Gastronomie greifen wollen: es sei das akustische Äquivalent einer zu stark gesalzenen Saltimbocca gewesen, zu heftig gesottener Gnocchi, eines als jungem Mann ins Balsamico-Faß gefallenen Rucola-Salates, verbrannten Salbeis mit stichiger Butter auf der Leber eines betagten Kalbes, vortägiger Antipasti, fädiger Bohnen, bitterer Artischockenblätter oder einer Zabaione aus billigem Wein und unfrischen Eiern.
Er habe erst vorgehabt, die MP3-Musik – nach der Art von Anglern – wieder zurück ins Internet zu kippen, und nur zwei, drei Exemplare zurückzubehalten, um sie zur Abschreckung der Anderen an die Bäume zu hängen. Aber dann habe er sich des Besseren besonnen, habe sie alle auf dem MP3-Player belassen, jenem einen Pflock durchs Herz getrieben, und ihn anschließend vor Paddys Hütte beerdigt, unter dessen Blechnapf und in Reichweite seiner Fangzähne, auf daß kein Unbefugter sich daran vergreife und sie unnötigerweise noch einmal vervielfältige.
Nur Shine on You Crazy Diamond 1-5 habe er behalten, als Reminiszenz an einen Abend vor Zeit und Tag, unter einer zabaionefarbenen Gewitterwolke, die an den Rändern schon leicht angegangen gewesen sei, wie vernachlässigter Kartoffelpufferteig, und die über dem Niedersachsenstadion gehangen habe. Über dessen Ränder sei es gequollen und weithin geweht wie Krieg, Vesuv und Güterzug; und auch damals habe man nicht gewußt, ob dies noch Pink Floyd oder schon das Gewitter sei.
Das beste sei gewesen – die Betreffende werde sich vielleicht nicht mehr daran erinnern, er aber noch gut – daß er an jenem Abend nicht zum Italiener gemußt habe.