Jan Däumling war, ihr wißt es ja,
so groß grad wie mein Daumen da
Arpad Schmidhammer
Die Freundschaft zwischen dem Riesen Broder und dem Zwerg Fleischhauer – Riese ist vielleicht zuviel gesagt, es handelt sich um einen normalgroßen Mitteleuropäer mit etwas unkonturiertem Gesäß, polnischer Abkunft – womit natürlich nichts gesagt sein soll, außer, daß beide – Mann und Gesäß – allerdings polnischer Abkunft sind, was immer daraus folgen mag, ich weiß es nicht, ich gebe nur selbstlos weiter, was mir zur Kenntnis gelangt, damit sich der Leser ein unvoreingenommenes Urteil bilden kann – falls er so dämlich ist, auf unvoreingenommene Urteile Wert zu legen – ich habe ihm das nicht nahegelegt, ich bin nicht der Meinung, daß eine Suppe besser wird, wenn man das Salz wegläßt – jedenfalls datiert die Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Freaks aus der Zeit, als Broder sich einmal so unglücklich – oder glücklich – auf den Winzling Fleischhauer setzte, daß letzterer restlos in ersterem verschwand – seitdem mögen die beiden nicht mehr voneinander lassen. „Great minds smell alike“, soll Broder gesagt haben, nachdem der Zwerg wieder ans Licht gekommen war, und er ihn hatte beschnuppern können.
Soweit erstmal. Bis hierhin vielen Dank. Es stellt sich nunmehr, und soll beantwortet werden, die Frage, ob es statthaft sei, zwei Journalistenkollegen, deren einer mit vollen Pranken auszuteilen beliebt, während der Kleine danebensteht und offenen Mundes – wobei ihm ein Speichelfaden aufs Jäckchen läuft – zu verstehen gibt: Das würde er auch gern einmal können – Lehm auf die Hemdbrust zu schmeißen, und sie soll beantwortet werden mit einem empörten: Ja selbstverständlich ist das statthaft! Es ist geradezu vonnöten! Man würde sich an ihnen versündigen, wenn man es unterließe! Beziehungsweise nicht an ihnen, aber am Lehm, an der Hemdbrust, und an der Idee des mit demselben auf dieselbe Schmeißens.
Es hat der Winzling, der immer mal wieder den Drang verspürt, dem großen Freund – wie sag ich’s? Wie sag ich’s so, daß es recht despektierlich klingt? – wieder einmal sehr, sehr nahe zu sein, eine Eloge auf dessen Ungezogenheiten fabriziert, und hineingeschrieben:
Darf man über eine TV-Moderatorin sagen, dass sie ihren Kopf zur Seite lege, damit sich der Verstand in einer Ecke sammelt?
Ich würde sagen, das ist weitgehend davon abhängig, ob die Moderatorin den Kopf tatsächlich schieflegt. Wenn sie das nämlich nicht tut, wäre die Behauptung genausowenig zulässig wie die Behauptung, Jan Fleischhauer stelle sich zu dem gleichen Zweck immer auf den Kopf und strampele mit den Beinen, während er sich in Wahrheit weder auf den Kopf stellt noch mit den Beinen strampelt, weil er tierischen Schiß davor hat, daß man bei den infolge Strampelns hirnschalenwärts rutschenden Hosensäumen seine Sockenhalter sähe. Oder dürfte man das doch sagen?
Man muss sogar. Denn Freiheit fängt erst an, wo sie zu weit geht.
Eine meschuggene Maxime! Nach der Logik finge die Liebe etwa erst dort an, wo möglichst viele Leute um das Bett herumstehen und „Hauruck!“ rufen.
Aber das wollen wir dem Zwerg nicht ankreiden; wenn ein Achtjähriger, der eben den Freischwimmer an die Badehose genäht gekriegt hat und nun in Vorbereitung auf die zwei Wellen des Fahrtenschwimmers mit Respekt und feuchter Hose unter dem Dreimeterturm steht, wenn der ein Buch über „Die Kunst des Turmspringens“ komponiert, dann muß man in dem Buch nicht eitel Altersweisheit erwarten. Daß Liebe und Freiheit dort beginnen, wo man sich ihrer und seiner selbst gewiß ist, muß einem, der sich den Fahrtenschwimmer an die Buxe nähen lassen will, um sich selbst davon zu überzeugen, daß er nicht untergehen wird, nicht heute schon einleuchten. Wird ihm auch nicht einleuchten. Ein paar Badehosen später vielleicht.
Vielleicht. Gar mancher wird es nie begreifen.
Henryk M. Broder hat vor Längerem über eine Fernsehmoderatorin geschrieben, sie lege ihr Köpfchen zur Seite, damit der Verstand sich in einer Ecke konzentrieren kann. Ein wunderbarer Satz, wie ich fand, dessen Wahrhaftigkeit unmittelbar einleuchtete, auch wenn man die Frau nie gesehen hatte. Es geht hier nicht um die Person, sondern um die Kunst der Beleidigung.
Es muß wohl wahre Freundschaft sein, ein mageres Späßchen einen wunderbaren Satz zu nennen. Es sei denn, es hätte das mit Freundschaft nichts zu tun, sondern wir müßten vielmehr mitansehen, wie sich da einer von Kopf bis Fuß einspeichelt, damit er besser flutscht. Da hebt sie sich, die Gesäßbacke des großen Freundes, es ist die linke, die er kurz lupft, damit das bißchen Tinte, das er noch auf dem Füller hat, im rechten Zeugen seiner Mannheit zusammenlaufen kann, bevor sie lustlos aufs selbst ihm gegenüber erstaunlich geduldige Papier pladdert.
Wo aber eben noch der Zwerg zu sehen war, ist nun Leere, und das Gesäß, es senkt sich wieder.
Die Moderatorin hingegen sah sich in ihrer Ehre verletzt und zog wegen dieser und noch ein paar anderer echter Gemeinheiten vor das Landgericht Düsseldorf, das ihr 10.000 Euro Schmerzensgeld zusprach.
Nicht, daß die Leere gähnen würde. Dazu ist die Abwesenheit zu klein, zu unbedeutend. Man muß bedenken, daß der Däumling den Kampf mit Spinnen aufnahm – und gewann, so ist es nicht. Er hatte einen Hagedorn bei sich und wußte ihn zu führen.
Das Oberlandesgericht, vor dem der Fall landete, kassierte die Entscheidung der Vorinstanz. Was hätte man über Fernsehmoderatoren noch sagen dürfen, wenn es bei dem Urteil geblieben wäre: Dass ihr Witz und ihre Intelligenz leider nicht bei allen Sendungen gleichermaßen zum Einsatz komme? Am Ende musste Broder 40 Prozent der Gerichtskosten tragen, was immer noch ziemlich happig ist.
„Pack,“ pflegte mein Vater zu sagen, der Amtsrichter war und sich mit Pack auskannte, wenn ich ihn zur Begrüßung fragte, wie es denn gehe, wie es stehe, und was die Unterwelt mache. „Pack,“ sagte er dann, „schlägt sich, Pack verträgt sich.“ Und wenn sich eine der Parteien über die happigen Gerichtskosten beschwerte, sagte er dieser: „Wer keinen Krieg verlieren will, der fange keinen an. Und wer kein Blut sehen will, der meide den Paukboden. Will er mit dem Degen bloß fuchteln, stelle er sich vor den Ganzkörperspiegel.“
Wie man es von Broder kennt, lässt er sich von juristischen Widrigkeiten nicht lange von der Arbeit abhalten.
Wenn ich mich recht erinnere, hatte auch mein Vater ein paar Stammkunden, die das, was sie zwischen zwei Prozessen taten, Arbeit nannten. Meist handelte es sich dabei um die Grundlage für einen neuen Prozeß. Einer zum Beispiel ließ es sich angelegen sein, das Schwein des Nachbarn mit roter Farbe anzustreichen. Der rieb sich die Hände, ließ das Schwein verrecken und verklagte den Nachbarn auf Schadensersatz. Anstatt etwa das Schwein abzuschrubben. Immer wenn mir einer dieser „furchtlosen Feldzüge“ von des Däumlings großem Freund zur Kenntnis gelangt, muß ich an die rot angemalte Sau denken. Es gibt ja diese ein Leben lang haltenden mentalen Verknüpfungen, die auf den ersten Blick willkürlich zu sein scheinen, aber völlig rational zustande gekommen sind. Einer der Welpen meines Freundes Germanistenfuzzi hat einst, als er freudig dem Toggenburger Bock hinter dem Garten Guten Tag sagen wollte, Bekanntschaft mit dem Elektrozaun gemacht. Zwei Stunden später hatten wir ihn endlich wieder; er war zum Fluß hinunter, unter dem Stachedrahtverhau hindurch, über die marode Brücke und im Nachtigallengrund verschwunden. Er ließ sich locken und fangen, aber an der Weide mit dem grinsenden Bock vorbei mußten wir ihn zu zweit schleifen. Nichts im Leben verbellt er seitdem mit solch grimmigem Ingrimm wie Ziegenböcke.
Mir geht es ähnlich mit Fleischhauer. Als ich zum erstenmal was von der Type las, war ich so verdattert, daß ich meinen Arm samt Kaffee in der Luft vergaß. Und mich ordentlich verjagte, als ich endlich einen gedankenverlorenen Schluck aus der Tasse in den Mund bekam. – Seitdem kann der Mann schreiben, was er will; für mich ist das alles Kalter Kaffee.
Gerade erst hat er ein neues Buch herausgebracht („Das ist ja irre“),
Neinnein, nicht Fleischhauer, der andere.
in dem er wieder furchtlos gegen alle zu Felde zu zieht, von denen er annimmt, dass sie Unsinn reden oder dass es sich bei ihnen um einen ausgemachten „Knallkopf“ handelt, wie Eckhard Henscheid einst dem armen Heinrich Böll hinterherrief.
Henscheid? Eckhard Henscheid? Der Henscheid, der ‚den armen Böll‘ nicht nur einen ‚Knallkopf‘, sondern einen „z.T. pathologischen, z.T. ganz harmlosen Knallkopf“ nannte, einen „der verlogensten, ja korruptesten“ Autoren, der in seiner Jugend bereits „steindumm“, „kenntnislos“ und „talentfrei“ gewesen sei? Der das Böllsche Publikum als „lebenslang katholisch belämmerte und verheuchelte Idioten“ schmähte?
Dieser Henscheid?
Die Frage ist natürlich, ob sich dieser Henscheid so gut zum Eideshelfer eignet, und die Antwort auf die Frage muß ebenso natürlich lauten: Aber unbedingt! Und die Frage, ob das gleiche auch für Henryk Böll gilt, diese Frage muß ja überhaupt erstmal einer stellen. Nachdem ich sie nun aber implizit gestellt habe, kann ich sie auch gleich beantworten: Nicht so gut. Denn Henscheids Hinterherruf stellte sich im Nachhinein als Nachruf heraus, da Böll im Jahr 1991 schon längere Zeit tot war, was praktisch alle wieder vergessen hatten, so sehr war Böll als Institution im kollektiven Bewußtsein noch lebendig.
Wollen wir also festhalten, daß
- erstens jedermann wußte, wer Heinrich Böll gewesen war, als Henscheid rief, und
- zweitens jedermann einleuchtete, was dieser gerufen hatte.
Denn jedermann hatte noch im Ohr, was und wie Böll geschrieben hatte. Beides wird sehr anders sein, wenn der Däumling eines Tages im Mon-Cherie-Schächtelchen neben der Sandkiste beigesetzt werden wird.
Die wahre Kunst ist die Beleidigung nach oben
Wer sagt denn sowas? „Der berühmte Kolumnist Jan Fleischhauer,“ den besagter Henscheid „unseren momentan flexibel-kompatibelsten Sprücheklopfer“ und „sowieso gedankenlos“ nannte, der „wie immer unrecht“ habe? (Ich zitiere nach dem Gedächtnis, weil ich das Buch verschlampt habe. Das einzige Buch, das ich auf die Schnelle finde, ist Welche Tiere und warum das Himmelreich erlangen können, und darin kommt der Zwerg natürlich nicht vor.)
Der also sagt das? Na, dann wird es wohl Unfug sein.
Ich bin ein großer Freund der Beleidigung. Manche Menschen verdienen, dass man ihnen den Kopf zurechtrückt, oder, wie im Fall der Moderatorin, das Köpfchen.
Und ich sag’s noch: Unfug, undurchdachter. – Wer sollte denn wohl darüber befinden, wessen Kopf gerade gerückt gehört, bei wessem Kopf sich das erübrigt, und bei wessen Kopf oder Köpfchen alle Mühe von vornherein für die Katz wäre? Ein Amtsrichter? Oder ein Scharfrichter, wg. dessen Zuständigkeit für Köpfe?
Alles ungeklärte Fragen. Neinnein, die wahre Kunst ist die Beleidigung um ihrer selbst willen. Es kann nicht darum gehen, um wessen Kopf es da geht, und ob der Kopf bekommt, was er verdient, oder verdient, was er bekommt; das ist alles nebensächlich. Der Kopf ist Nebensache. Man braucht einen Kopf, weil man ein direktes Objekt braucht. Intransitives Beleidigen ist nicht möglich. Kriterium für eine gelungene Beleidigung aber sollte nicht sein, ob der Kopf es verdient, sondern ob das Opfer sich ärgert. Und wenn alles gut geht, wird es sich wesentlich stärker mit dem Bauch ärgern, als mit dem Kopf. Ist ja schließlich auch mehr drin.
Es gilt in Deutschland als unfein, über andere in herabwürdigender und hinabsetzender Absicht zu schreiben.
So, tut es das? Und, ist das ein Argument? Was für eine Sorte Argument? Ist das Ei bekloppt, weil es von einer deutschen Henne gelegt wurde, oder hat die Henne sie nicht alle, weil sie so bekloppte Eier legt? Es gilt in Deutschland schließlich auch als unfein, bei offiziellen Empfängen im Schloß Bellevue im hohen Bogen auf die damastene Weißwäsche zu urinieren. Sollte Deutschland diesbezüglich etwa noch einmal mit sich zu Rate gehen?
Mein Votum: nein, das soll es nicht. Meine Begründung: es ist nicht Deutschland, es ist der Zwerg, der sie nicht alle hat. Es gilt in Deutschland als dies, es gilt in Deutschland als das! Wichtigkeit! Ich kann das Genöle über Deutschland nicht mehr hören! Nie kann Deutschland irgendwas richtig machen! Ich, wenn ich Deutschland bin, ich weiß, was ich dem Nölkopp empfehle; es fängt mit „G“ an und hört mit „dochnachdrüben!“ auf.
Ist es eines Künstlers wohl würdig, danach zu fragen, was Deutschland wozu sagt, noch dazu eines wahren Künstlers? Nein, das ist eines wahren Künstlers nicht würdig! Fragt ein Picasso danach, ob es in für chic gilt, die Augen auf der einen Seite des Gesichts anzubringen, die Nase auf der anderen, und die beiden Münder irgendwo? Frage ich viel danach, ob es für herabwürdigend und hinabsetzend gilt, das Konterfei eines „berühmten Kolumnisten“, wie es Woche für Woche auf SpOn zu betrachten ist, der grinsenden Visage eines Toggenburger Ziegenbocks zu vergleichen, der eben einen arglosen Welpen in seinen Elektrodraht gelockt hat, was in etwa das ist, was er mit seinen Möglichkeiten zu gestalten vermag, und was sein Verständnis von Humor erschöpfend beschreibt, und der ob des ängstlichen Jaulens des Kleinen vor Schadenfreude das Wasser nicht mehr halten kann?
Das könne man doch nicht sagen, heißt es dann, das gehe zu weit.
O doch, das kann man sagen. Das geht auch nicht zu weit. Das geht genausoweit, wie es gehen muß, und es geht in genau die richtige Richtung.
Da wo’s zu weit geht, fängt die Freiheit erst an, hat der Kabarettist Werner Finck einmal erwidert.
Ja, aber Finck war ein Spaßmacher, ein Sprachspieler, das muß man doch nicht wörtlich nehmen. Finck hat auch gesagt: „Entschuldigen Sie tausendmal, daß ich mein Glas auf Ihre Beinkleider geleert habe. Ich wollte es auf Ihre Gesundheit tun.“
Auch ein Satz, den man sich merken kann.
Ja, aber keiner, den ich wörtlich nehmen würde. Zum ersten würde ich niemals mein Glas auf des Fleischhauer Gesundheit leeren, meine Einstellung seiner Gesundheit gegenüber ist in etwa die, die der Erzähler in Damon Runyons Geschichte „Earthquake“ der Gesundheit des Polizisten Johnny Brannigan gegenüber hegt, aber nicht äußert, jedenfalls nicht dem Polizisten ins Gesicht, denn er weiß, daß Johnny Brannigan stets einen Gummiknüppel in der Tasche hat und nicht zögern wird, diesen anzuwenden, wenn man ihm dumm kommt, und, so der Erzähler zum Leser, so wie er Johnny Brannigan kenne, könnte dieser geneigt sein, seine, des Erzählers, Einstellung gegenüber seiner, Johnny Brannigans, Gesundheit als „dumm Kommen“ zu qualifizieren.
Da bin ich in einer besseren Situation. Der Däumling trägt keinen Gummiknüppel bei sich, und wenn doch, dann wäre der höchstens vom Hagedornkaliber und kann mir keinen großen Schaden tun. Vieles ist in Deutschland besser als in Amerika, zum Beispiel die Qualität des Publikums.
Die Erbärmlichkeit des deutschen „Kleinkunst“-Publikums, das ist in Wahrheit das Thema.
Eckhard Henscheid
Still! Nicht jetzt. – Leute, die in Ländern mit Humor Hungers sterben müßten, können in Deutschland immer noch eine große Anhängerschaft aus steindummen, kenntnisfreien, belemmertern und verheuchelten Idioten finden, das hat der Henscheid/Böll-Prozeß bewiesen. Und das dürfte auch der Grund sein, warum die beiden Nölköppe wieder zurückgekommen sind, Däumling aus Amerika und sein dicker Freund aus Israel. Zugeben werden sie es nicht, aus Angst, ihr Publikum könnte eine solche Einstellung ihm gegenüber als „dumm Kommen“ qualifizieren.
Und zum zweiten würde ich immer erst einmal probieren, ihm das Glas über die Hose zu gießen. Probieren, wohlgemerkt, denn das wird ja nicht so ganz einfach sein, die kleinen Beinchen zu treffen. Wie ich aus Henry Winterfelds wunderbarem Roman weiß, ist das Thema Wasser für Liliputaner eine ernste Angelegenheit. Zum Beispiel Regen: Große Tropfen, heißt es da,
Große Tropfen können einen glatt erschlagen.
Henry Winterfeld, Telegramm aus Liliput
Ähmm, ja. Danke. – Wollte ich auch gerade sagen. – Man muß ja befürchten, den Winzling mit einem einzigen Glas Rotspon zu ersäufen.
Drum würde ich mich auch nicht entschuldigen, wenn es mir gelänge. Soll es froh sein, das Männlein, einmal mehr mit feuchten Hosen davongekommen zu sein.
Die ungestrafte Spottlust steht am Anfang der Aufklärung.
Mein Gott, was für ein steindummer, kenntnisloser, belemmerter und verheuchelter Kolumnist! Was für ein Kanllkopf! Um Vergebung, was für ein Knallköpfchen. Was für eine Knallerbse! Wie sagte Henscheid: Hat „immer unrecht“? In der Tat. Vielleicht sollte er es doch einmal mit Kopfstand probieren, Sockenhalterchen hin, Sockenhalterchen her.
Nicht die ungestrafte Spottlust steht am Anfang der Aufklärung, sondern die Spottlust. Der Aufklärer, dem es ernst ist, nimmt die Strafe in Kauf. Die Typen, die für die Wahrnehmung ihrer Redefreiheit Orden, für ihre Ungezogenheiten eine Leibrente und für ihre Späßchen drei Wellen an der Badehose haben wollen, sind neueren Datums, aber es handelt sich nicht mehr um Aufklärer, sondern um Nebelwerfer. Und nicht die Straffreiheit der Spottlust steht am Anfang der Aufklärung, sondern die Straffreiheit des Spotts. Und sie steht auch nicht am Anfang der Aufklärung, sondern ist allenfalls ihr Ziel. Na sagen wir: Ein Etappenziel.
Der Freiheitsgrad einer Gesellschaft lässt sich ziemlich verlässlich daran bemessen, wie die Obrigkeit mit Leuten umspringen darf, die nach ihrem Geschmack zu frech und zu aufsässig sind. Nicht mehr im Gefängnis schmoren zu müssen, wenn sich einer auf den Schlips getreten fühlt (oder schlimmer: mit einem Mühlstein um den Hals am Grund eines Sees zu enden), ist eine der großen Errungenschaften der Moderne. Alles, was wir an Meinungsfreiheit schätzen, folgt von dort.
Kalter Kaffee ist das doch. Und es ist nicht nur deswegen kalter Kaffee, weil ich bei allem, was er schreibt, kalten Kaffee assoziiere, sondern es ist dies kalter Kaffee aus eigenem Recht. Daß einem nicht mehr jeder Johnny Brannigan den Totschläger übers Haupt ziehen kann, bloß weil man unschmeichelhafte Hoffnungen hinsichtlich seiner Gesundheit hegt, mag eine Errungenschaft der Moderne sein und ist es auch. Was sie aber nicht ist, diese Errungenschaft der Moderne, das ist: In Gefahr. Und wenn sie doch in Gefahr wäre, dann gewißlich nicht deshalb, weil ein notorischer Prozeßhansel vierzig Prozent der Gerichtskosten tragen muß. Prozeßkosten für den Angeklagten in einem Strafverfahren sind nämlich nicht vorgesehen, falls dem Zwerg das im Staatsbürgerkundeunterricht nicht beigebracht worden sein sollte, was ich mir nicht so recht vorstellen kann. Ich nehme eher an, daß seine Hirnkapazität nicht ausreicht, um es sich zu merken und bei Bedarf zur Anwendung zu bringen, bzw. sie würde vielleicht ausreichen, die Kapazität, wenn er sich nur hin und wieder auf den Kopf stellen wollte, und nicht so eitel wäre, seine Sockenhalterchen nicht blitzen lassen zu wollen. Die Tatsache, daß einer Gerichtskosten übernehmen muß, ist nämlich im Gegenteil Beweis für ein funktionierendes, modernes Rechtssystem, in dem die Obrigkeit sich aus den Händeln des Packs heraushält und Zivilrichter dafür bezahlt, daß die sich die Ohren schmutzig machen.
Es ist noch nicht so lange her, da reichte ein falscher Satz, um sich Karriere und Gesundheit zu zerstören. Dem Rechtsanwalt William Prynne ließ der englische König Karl I. wegen einer Theaterkritik beide Ohren vom Kopf säbeln. Die angebliche Beleidigung waren vier Worte, die Königin Henrietta Maria als Anspielung verstanden hatte: „Schauspielerinnen sind gewohnheitsmäßige Huren“. Die Königin hatte kurz nach Erscheinen der Schrift eine Rolle in einer dramatischen Darstellung am Hof übernommen. Ein dummer Zufall, wie man so schön sagt.
Dummer Zufall? Oder kluge Fügung? – Wie auch immer, es war nicht alles schlechter unter König Karl I. Die Welt damals mag uns Modernen fremd erscheinen, unwirklich und bedrohlich, düsterer und strahlender zugleich. Und die Vorstellung, daß ein Dickwanst, dem es etwa eingefallen wäre, eine Fernsehmoderatorin, die nicht seinen Ansprüchen genügte, furchtlos wie die sieben Schwaben als Luder vom Nachtigallengrund oder so ähnlich zu schmähen, unter Karl I. dafür nicht mit vierzig Prozent der Gerichtskosten sondern mit hundert Prozent seiner Ohren hätte zahlen müssen, diese Vorstellung mag uns schrecken. Aber ist sie nicht auch schön? Ist nicht das Schreckliche nichts als der Schönheit Fortsetzung, die wir nicht mehr zu ertragen glauben? Wahrlich, ich sehe eine Achse des Guten geradenwegs von hier aus mittenmang durch Karls Regentschaft gehen.
Wie überall im Leben gilt auch bei der Schmähkritik, dass Dummheit jede Freiheit verhunzt. Menschen herabzusetzen, die ohnehin schon klein sind, ist billig.
Was? Was?? Was??? – Wie bitte? – Spricht er jetzt noch für seinen dicken Freund, oder schon pro domo? Respektive domuncula? Dieser Homunculus? Was hat die Größe womit zu tun? Size täte mattern? Size tut nicht mattern! Ich sehe ja ein, daß es für einen normalgroßen Mitteleuropäer, sagen wir für Gulliver, nicht ganz leicht ist, einem Liliputaner gezielt ans Bein zu pinkeln. Als er es einmal probierte, soff gleich der ganze Kaiserpalast ab. – Aber bitte, dann sollte es auch als Kunst gelten, und zwar als Große Kunst! Nicht als Kleinkunst, bitteschön!
Die Erbärmlichkeit des deutschen „Kleinkunst“-Publikums, das ist in Wahrheit das Thema.
Eckhard Henscheid
Schon recht, schon recht.
Das schönste Spottwort ist nichts wert, wenn das Urteil über denjenigen, dem man es verpasst, längst gefallen ist.
Ah! – Aber ein Urteil ist immer schon „längst gefallen“. Durchs Fallen erst wird es zum Urteil. Staatsbürgerkunde, Mittelstufe. Regelmäßige Kopfstände wären nicht verkehrt, ich sag’s ja. – Außerdem ist Urteil nicht gleich Urteil. Es kann einer vierzig Prozent der Kosten aufgebrummt kriegen oder beide Ohren verlieren. Dürfte man nun seiner spotten, indem man ihn ins Gesicht hinein Sans-Ear riefe?
Ich erinnere mich an ein Buch von Arno Schmidt, in dem diese Frage erschöpfend, aber nicht in meinem Sinne, beantwortet wird: Nein.
Doch.
Henryk „Sans-Ear“ Broder würde mir gut gefallen.

Zum Jahresausklang eine kleine Auswahl an vorbildlichen Beleidigungen, zusammengelesen aus dem Sammelband „Kollegenschelte: Nichts verächtlicher, als wenn Literaten Literaten Literaten nennen – oder doch, eins: wenn Quotenhuren Quotenhuren Quotenhuren nennen“, einem Kompendium der literarischen Verbalinjurie:
„Er hat eine neue Mätresse? Unmöglich – bei dem steht doch nur der Verstand.“
Jean Cocteau über Jan Fleischhauer
„Der Kopf von Fleischhauer gleicht einem Gasthof, wo manchmal gute Gedanken einkehren, die sich dort aber nicht länger als eine Nacht aufhalten; die Gäste fürchten das Knistern der Plastikeinlage in den Betten, mit denen sich der Wirt vor etwaigen Spuren seiner Gäste zu schützen sucht.“
Heinrich Heine über Jan Fleischhauer
„Jan Fleischhauer oder: Mein Urschreitherapeut hat gesagt, laß es raus, Mann, laß es raus!“
Hans Wollschläger über Jan Fleischhauer
„Es ist ein Jammer, dass viele Bücher gegen Ende abfallen. Manche Bücher allerdings warten damit nicht bis gegen Ende: Unter Linken fängt bereits tief unten an, verharrt dort, und macht in der Folge seinem Titel alle Ehre, alle Ehre.“
Jorge Luis Borges über Jan Fleischhauer
„Es gibt diesen Jan Fleischhauer, welcher den Sockenhalter zum Kunstprinzip Prinzip erhob – und mehr braucht man von ihm nicht zu wissen.“
Alfred Döblin über Jan Fleischhauer
„Mit größerem Lärm ist wohl noch nie ein Verstand leisegetreten.“
Georg Christoph Lichtenberg über Jan Fleischhauer
„Wenn Sie zehn Minuten lang laut Jan Fleischhauer lesen, haben Sie entweder eine sehr leise Stimme, wohnen fernab menschlicher Siedlung, oder man hat Sie unterdessen zum Dorf hinaus geprügelt, und Sie haben es bloß nicht bemerkt.“
Francis Picabia über Jan Fleischhauer
„Immer wenn ich eine Schnecke eine Schleimspur legen sehe, dann denke ich, nicht schlecht für einen Invertebraten! Aber kein Vergleich mit uns Chordatieren. Sie sollten mal unseren Herrn Schleimhauer sehen, wie er durchs Feuilleton bricht. Wie war das noch? Chordatiere sind zum einen wir, die mit den Wirbeln, und dann die anderen, die zweiseitig unsymmetrischen, na!, symmetrischen. Bei denen man Mund und Anus nicht auseinanderhalten kann. Denen fehlte irgendwas. Der Kopf. Bzw. der Schädel. Darum weiß man auch nicht, wo vorne ist. Deswegen symmetrisch. Symmetrie ist die Ästhetik der dummen Kerls. Genau, und sie haben kein funktionierendes Gehirn, die dummen Kerls. Darum. Darum sind sie auch unsere nächsten Verwandten. Der Herr Schleifhauer zum Beispiel, der ist der nächste Verwandte des Wirbelmenschen. Ich nehme noch eine Scheurebe.“
Gottfried Benn zum Kellner des Weinhauses Wolf
„Die Erbärmlichkeit des deutschen „Kleinkunst“-Publikums, das ist in Wahrheit das Thema.“
Eckhard Henscheid über das deutsche „Kleinkunst“-Publikum