Von der Schweiz lernen, sagte mein Nachbar, heiße siegen lernen. Jedenfalls wolle er das hoffen. Er setze geradezu darauf.
Denn wie jedermann wisse, sei er kein Freund italienischer Küche. Er blickte nicht aufmunternd in die Runde, denn er ist nicht der Typ, der aufmunternd in Runden blickt. Was er sagt, gilt auch ohne affirmative Gesten der Umsitzenden, wer will, kann zustimmend nicken, wer nicht, läßt es eben bleiben. Aber wie er es sagt, ist es so gut, als hätte er aufmunternd in die Runde geblickt, und alle hätten zustimmend genickt.
Alle - das waren außer mir nur Louis, der Wirt des Pilgrimhauses, und Christa, des Wirtes Töchterlein. Wenn er mit unseren Spaghetti fertig sein würde, würde sich auch Andi, der capocuoco, zu uns setzen und den dreien rauchen helfen. Nickte ich also innerlich betrübt: wohl wahr, der Nachbar war kein Freund der italienischen Gastronomie.
Insbesondere, fuhr dieser fort, sei er kein Freund des Rucolasalates mit feinen Speckwürfeln, Parmesanflocken und Vinaigrettesauce, von ihm aus auch ohne Vinaigrettesauce; und nichts gegen Parmesanflocken oder feine, gebratene Speckwürfel, aber der Rucola müsse nicht sein, und überhaupt Salat, der sei fast immer über. Von der Vinaigrettesauce gar nicht zu reden.
Louis faßte sich, wie fast immer, an den Kopf und schüttelte das hängende Gesicht, nicht ohne dabei weiterzurauchen, als werde das Rauchen am Stammtisch morgen verboten. Dabei ist es seit mehr als zwei Jahren verboten, ohne daß das Louis bislang einen Deut interessiert hätte. Innerlich nickte ich beifällig: ein Volk, das seine Wirte am Tresen nicht mehr rauchen läßt, ist es nicht Wert, Nation zu heißen.
Der Nachbar blickte mich strafend an: das sei doch wohl von ihm, wenn er sich nicht irre? Ich senkte den Kopf und ging in mich. Aber der Nachbar wollte über Vinaigrettesaucen reden und fuhr fort: was man von den Schweizern lernen könne, sei, wie man Volksgruppen vergräme, oder vergraule, nämlich mit ... Mehr ...
Schlagwort: Schweiz
Uneinig Volk von Brüdern
Am 2.4.2010 sind die Schweizer erneut aufgerufen, mal wieder was abzustimmen. Diesmal geht es darum, wen ihnen der Landpfleger Blocher auf Ostern freigeben soll, den Erlöser oder den Aufrührer und Mörder Barabbas.
Londons Buchmacher scheinen angesichts der jüngsten Abstimmungsmoden in der Schweiz den Barabbas für den wahrscheinlicheren Kandidaten zu halten, eine schlappe Guinea auf ein müdes Pfund ist der beste Kurs, den eine Wette auf Barabbas zur Zeit einbringt. Risikofreudige Zeitgenossen hingegen können einen schönen Schnitt machen, wenn sie auf den Erlöser wetten: da bringt schon der kleine Farthing eine Guinea und Sixpence - ein Kurs von 1032:1. Nicht schlecht.
Wenn es denn klappen sollte. Ob es aber klappt, ist die Frage. Umfragen zeigen, daß - zumindest zur Zeit - die Schweizer gespalten sind. Die einen wollen für den Erlöser stimmen, weil sie ihn gerne noch ein bißchen auf Erden behielten und wollen, daß er bei Kerner auftritt. Die anderen, und das sind ungefähr genauso viele, gehen davon aus, daß der Erlöser sein volles Erlösungspotential nur dann entfaltet, wenn er abgemurkst wird; sie sehen in Blocher ein göttliches Werkzeug, gesandt, den göttlichen Heilsplan voranzubringen, und nicht so sehr dazu, die Schweiz in Mißkredit zu bringen, Gülle in die Aare zu leiten und Unrat in den Bärengraben zu kippen.
Blocher hingegen sieht zwar auch sich selbst als göttliches Werkzeug, aber andererseits nicht ein, warum er nicht das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden soll, und leitet munter Gülle in die Aare, kippt fuderweise Unrat in den Bärengraben und bringt die Schweiz in Mißkredit.
Kommen freilich wird es in der Reih, und wie es kommen muß. Wenn dann, wie besorgte Schweizer jetzt schon fürchten, die Freigabe des Barabbas dazu führen wird, daß der Rest der Welt sich die Forderung des Obersten Gaddafi zu eigen macht, und die Schweiz auf ihre Nachbarländer aufgeteilt wird, dann könnte dem tapferen kleinen Volk eine zweitausendjährige Diaspora bevorstehen, in der es ruhelos über den Erball fliehen würde, nirgends Ruhe fände, bei Pontius nicht, bei Pilatus auch nicht, und wieder zurück bei Pontius immer noch nicht.
Es würde hier und da nicht willkommmen sein. Man würde es scheel ansehen. Man würde ihm Geldgier und Wucherei nachsagen. Wenn nicht Schlimmeres.
Das schlimmste aber würde sein, daß es keine Volksabstimmungen mehr würde veranstalten können.